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Subversion, Identität und die Unmöglichkeit von Avataren der Intersubjektivität zu entkommen

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Der New Yorker Cyber-Kritiker Timothy Druckrey läßt sich nicht darauf ein, im folgenden Essay noch einmal auf den eigentlich Grund des Textes einzugehen: Kurz vor Weihnachten hat sich ein Email-Attentäter unerkannt in Druckreys Email-Account gehackt und unter dessen Namen auf diversen Mailinglisten und per Fax an Redaktionen von Kunstzeitschriften ein übles Pamphlet gegen den Netzkünstler Heath Bunting gerichtet. Kurz darauf wurden auch Mark Amerika und Peter Weibel Opfer eines ähnlichen "Subversionsakts". Inzwischen hat sich, ohne daß die Telepolis Redaktion bei Redaktionsschluß Fakten auf dem Desktop liegen hatte, die Meinung verhärtet, daß Heath Bunting selbst Urheber der falschen Bunting-Beschimpfung sei. Im folgenden erklärt Druckrey - ohne direkt auf den Vorfall einzugehen - was er von solchen Aktionen hält, und schreckt nicht davor zurück, schweres Zitatgeschütz aufzufahren, von Enzensberger über Zizek, Adilkno und Sloterdijk. Brilliant, anspruchsvoll und so typisch Druckrey, daß dieser Text sicher nur gefälscht sein kann!

Externe Ordnung; internes Chaos. Externer Fortschritt; interne Rückbildung. Externer Rationalismus; interne Irrationalität. In dieser unpersönlichen und überdiziplinierten Maschinenzivilisation, so stolz auf ihre Objektivität, nimmt Spontanität zu häufig Formen krimineller Aktivitäten an, und Kreativität findet ihr Ventil in Zerstörung.

Lewis Mumford

Es scheint notwendig an den essentiellen Essay von Hans Magnus Enzensberger zu erinnern, "Die Aporias der Avant-Garde," in einer Zeit, die zwanghaft durch einen Mangel an Interesse an kritischer Geschichte und ihre zweifelhafte Faszination mit zynischer Geschichte destabilisiert wird. Das erklärt, warum Pleonismus und Redundanz eine neue, scheinbar wurzellose Künstlergeneration heimsuchen, die sich durch "negative Dialektik", "virtuelle Eindimensionalität, " und hippe Cyber-Technologien begründet.

Abgeneigt oder einfach nicht imstande, eine Sublation innerhalb der Politik der Darstellung als Akt der Unterscheidung hervorzubringen, scheint der Köder der "Kultur des Kopierens" (um Hillel Schwartzes Phrase zu verwenden), seine Anhänger in einem engen Solipsismus und lauen Theorien zu locken. Als unbeabsichtigte Effekte der de-ethischen Oberflächen der Gegenwart, rutschen sie unvermeidlich in ein kulturelles Gedächtnis, das ebenso schnell gelöscht wird, wie die Flickerrate ihrer Bildschirme oder der Freigabe ihrer "Send" Buttons. Aporia ist nicht nur ein Signifikat unverständlicher oder reaktionärer, dialektischer Unlösbarkeit, sondern des permanenten Widerspruchs, der die Reziprozität bis zur Unbrauchbarkeit verneint, durch eine Ausgrenzung der Entscheidung (ebenso wie der Kreativität). In dieser Hinsicht ist Enzensbergers Essay klar:

Die Auseinandersetzng zwischen den alten und neuen Partisanen ist nicht auszuhalten, nicht nur, weil sie sich endlos hinschleppt, ungelöst und unlösbar, sondern weil das Schema selbst wertlos ist... die Wahl die sich stellt, ist nicht nur banal, sondern ist von vorneherein lächerlich (facetious).

Hans Magnus Enzensberger

Dennoch existiert ein lächerlicher Diskurs unter dem Deckmantel von Subversion, gleichgültigem Unfug, opportunistischem Betrug, bezugsloser Geschichte, oder unverantwortlicher Verleumdung, die durch eitle elektronische Dekonstruktion der Identität in sinnlosen Begriffen einer Schizophrenästhetik 'theoretisiert' wird, - eher verwirrt als deleuzianisch, eher subjektiviert als getäuscht. An diesem Punkt muß sich die "Avant-garde", wie Enzensberger beobachtet, "mit der Auslöschung ihrer eigenen Produkte zufrieden geben."

Und selbst wenn der Begriff der "Avant-garde" nur zusammenfassend für elektronische Medien von Wichtigkeit ist, so bringt er doch eine Reihe historischer Fragestellungen über die künstlerische Produktion, ihre Grundannahmen und die seit langem diskreditierte bürgerliche Tendenz, die Gegner im Dienste der Kulturindustrie zuzulassen, an die Oberfläche. Es wird sicherlich deutlich, daß es einen unbestreitbaren Unterschied zwischen "notwendigem Ferment" und kritischer Praxis gibt.

Dieser Frage nähert sich Paul Manns Buch The Theory-Death of the Avant-Garde geschickt und ist immer und immer wieder von Vertretern der Subversion herangezogen worden. Mann schreibt:

Es hat nie ein Projekt der Entlegitimierung kultureller Praxis gegeben, das sich über kurz oder lang nicht in ein Mittel der Legimitation umdrehte. Das weit verbreitete Bewußtsein dieser unbegrenzten Legitimität hat die List der Opposition zersetzt. Der Tod der Avant-garde konnte das sichtbarste Symptom einer ganz bestimmten Krankheit der Dialektik sein, eine allgemeine Entlegitimierung der Entlegitimierung. Man könnte es eine Krise nennen, würde es nicht selbst das Ende der Krisentheorie der Kunst verkünden. Die Krisen-Dringlichkeit der Avant-garde wiederholte sich so häufig, mit solcher Intensität und so wenig tatsächlicher Umwälzung, daß sie sich erschöpfte. Wir haben uns inzwischen an die Rhetorik und Vermarktung von Krisen gewöhnt.

Paul Mann

Obwohl die 70er, 80er und 90er überzeugend dargestellt haben, daß die Kommodifizierung, Dekonstruktion und Herstellung von Meinungsverschiedenheiten sich nicht von einer Marktwirtschaft der Ideen trennen lassen, scheint eine nutzlose, vielleicht mitschuldige Neo-Avant-Garde zu zeigen, daß die Lektionen der Theorien der Kunstwelt und Wirtschaft nicht wirklich erlernt wurden, während sie zunehmend in elektronische Medien umgegossen werden.

Die Politik der Subversion als Intervention und die Ästhetik der Promotion treffen sich in einer Grauzone, die regelmäßig bespielt wird. Man könnte sich Gedanken machen, ob nicht eine Ästhetik der Subversion die hoffnungslose Faszination der Moderne mit der Avant-garde überschattet - und sich nun in ein Spiel von Ich-Erfüllung verwandelt hat, das im Spektakel fiktionalisierter, illusionärer oder entliehener Cyber-Identitäten ausgetragen wird, eine Art Triumph des "Daten-Dandy" dessen Präsenz im Adilkno Essay artikuliert wurde:

Der Daten-Dandy zeigt sich im Vakuum der Politik, die zurückgelassen wurde, nachdem sich die Kultur der Opposition selbst neutralisiert hatte, in einer dialektischen Synthese mit dem System. Dort stellt er sich als ein ebenso liebenswerter, wie falscher Gegner heraus, zieht einen großen Ärger der Politiker auf sich, die dieses junge, pragmatische Dandytum als Marketingmittel und nicht notwendigerweise als persönliches Ziel betrachten. Sie lassen ihre Wut an den Journalisten, Experten und Persönlichkeiten aus, die mögliche Mitspieler sind, wo der einzige Gesprächsstoff die Frage ist, wer die Richtung kontrolliert... Der Dandy mißt die Schönheit seiner virtuellen Präsenz am moralischen Protest und Gelächter der plug-in Zivilisten. Es ist ein natürliches Zeichen des Wohnzimmeraristokraten den Schock des Künstlichen zu genießen.

Adilkno

Ähnliche Abhandlungen lassen sich in den Arbeiten des Critical Art Ensembles finden (besonders in The Electronic Disturbance). Die Fiktion der Authorität aus den Angeln hebend, schreiben sie über einen Bruch der "essentialistische Doktrin" des Textes, während ihre Interventionen (einige würden Performances sagen) auf Territorien der Autorität zielen und eine Provokation darstellen, die sich gleichermaßen gegen die abgenutzten Traditionen der öffentlichen Kulturpolitik und den Implikationen einer beschleunigten Technologieentwicklung einer Generation im Rausch des Virtuellen widersetzt. Kommt es zu reaktionären oder regressiven Trends, dann schreiben sie lieber.

Kulturelle Arbeiter wurden in letzter Zeit zunehmend von Technologien als Werkzeug zur Bearbeitung der symbolischen Ordnung herangezogen... Das ist nicht nur deshalb der Fall, weil viele der Arbeiten clever sein mögen und letztlich doch nur Produktdemonstration der Technologie als Selbstzweck sind; oder weil Technologie häufig hauptsächlich als Design-Tool einer postmodernen Mode verwendet wird, denn diese Formen des Gebrauchs werden schon erwartet... Am meisten spürt man eine Abwesenheit, wenn Technologie für einen intelligenten Zweck verwendet wird. Elektronische Technologien haben es nicht geschafft kulturelle Arbeiter zu anderen Zeitzonen, Situationen oder sogar Bunkern zu ziehen, um die gleichen Narravite und Fragen auszudrücken, wie sie sich vorwiegend bei Kunst-Aktivisten finden lassen.

Critical Art Essemble

Aber die Bereiche des Aktivismus werden nicht durch heimtückischen Scharfsinn angetrieben, sondern durch abgeschirmte Opposition. Ebensowenig werden sie durch anonyme Egos am Laufen gehalten, verschleiert hinter vieldeutigen Intentionen. Aktivismus, kurz gesagt, beschäftigt sich mit Sichtbarkeit und nicht Hinterlist. Diese Lektion scheinen die Möchtegern-Hacker nicht verstanden zu haben, deren Spuren nicht nachvollziehbar sind, die aber dennoch (in völliger Mißachtung der Hackerintegrität) Beweise, die ihr Eindringen bestätigen, hinterlassen oder öffentlich machen.

Weniger Politik als schadenfroher Narzismus, scheint dieses Verhalten nur zu symptomatisch für den rauhen (oder modischen?) Charme solch schnittiger Kriminalität, wie sie in Natural Born Killers, Trainspotting, Gansta Rap zu sehen ist, oder möglicherweise in den letztendlich pathetischen Imperativen von Fast, Cheap und Out of Control.

Es ist schwierig Peter Sloterdijk zu ignorieren und dessen unbequeme, aber in diesem Fall nützliche Position in der Kritik des zynischen Verstandes. In der Einleitung stellt Andreas Huyssen ein Reihe Fragen, die in Sloterdijks Arbeit auftauchen: "Welche Kräfte haben wir gegen die Energie des instrumentellen Verstandes und die zynische Argumentation von institutioneller Macht in der Hand?... Wie können wir die Probleme einer Ideologiekritik und Subjektivität neu positionieren, und werden dabei sowohl Kants epistemologischen Subjekts als auch der Schizosubjektivität ohne Identität, dem freien Fluß der libidinösen Energien wie sie von Deleuze und Guattari vorgeschlagen werden, gerecht? Wie kann uns ein geschichtliches Gedächtnis helfen, der Verbreitung einer zynischen Amnäsie zu widerstehen, dem Motor des postmodernen Simulakrums?..." Aber Sloterdijks Argument paßt bei weitem besser:

Zynismus ist aufgeklärtes, falsches Bewußtsein. Es ist das unglückliche, moderne Bewußtsein, an dem sich die Aufklärung sowohl erfolgreich als auch erfolglos vergriffen hat. Es hat seine Lektionen der Aufklärung gelernt, aber es hat nichts in die Praxis umgesetzt, und ist vermutlich auch dazu nicht in der Lage. Wohl und unwohl zugleich, fühlt sich das Bewußtsein nicht mehr von Ideologie oder Kritik beeinflußt. Ihre Falschheit ist gepuffert.

Peter Sloterdijk

"Zynismus," sagt er im Kapitel 'Auf der Suche nach der verlorenen Frechheit', "prudelt unter der Monotonie." Selbst eine Ethik einer Aufklärung beschwörend, steht Sloterdijk für eine Art Diagnose eines immer noch unbequemen Diskurses moderner und postmoderner Positionierung.

Wie schon oft dargestellt, liegt der Fokus des Interesses der Opposition nach wie vor (und möglicherweise inzwischen veraltet), auf ainem radikal veränderten Subjekt, das nicht einfach am Empfängerende der Autorität wartet. Aber die umgekehrte Hierarchie von Subjekt und Autorität ist mangelhaft. Und mit der Intervention elektronischer Medien (inklusive, unter so vielen anderem, ihrer Rekonzeptualisierung von Subjektivität und Identität), hat sich die Fragestellung häufig in virtuellen Soziologien und einer Auflösung des Selbst durch ein "Leben auf dem Bildschirm" verheddert. Diese "Schizosubjektivität" (um Huyssens Begriff zu verwenden) drängt sich wieder in neu verpackte, althergebrachte Kategorien, da sie nicht in der Lage ist, den Unterschied zwischen Identität und Subjektivität zu verstehen, ebensowenig wie zwischen dem Selbst und dem anekdotischen Anderen. Diese erstaunliche Entbindung führt zur Möglichkeit einer digitalen, flüchtigen Ethik deren Naivität eher rücksichtslos als subversiv scheint, eher pessimistisch als produktiv.

Aber die Pendelbewegungen zwischen Selbst und Anderen deutet auch eine Vermeidung der logisch folgenden, psychologischen Themen an, die tief durch die Entwicklung elektronischer Technologien und deren Geschichte beeinflußt werden. An diesem Punkt kann die Unterscheidung zwischen Schizophrenie und "Schizosubjektivität" auf der Verhaltensebene betrachtet werden. Es besteht kaum Zweifel, daß der vereinheitlichte Begriff der Subjektivität in den Hierarchien der Moderne einstürzte. Was sich anstelle dessen zeigte, sind zersplitterte Identitäten, die nicht durch politischen Nationalismus, schlammiges, auf Text gegründetes Anderssein oder durch das Aufgeben von Subjektivität und das Akzeptieren fragwürdiger Begriffe von Agenten und deren Beziehung zu Avataren gerettet werden.

Diese Art von dummer Ablehnung (möglicherweise Sublimation) wird sehr gut in Slavoj Zizeks neuer Arbeit artikuliert - besonders im Kapitel "Cyberspace, or, The Unbearable Closure of Being" im kürzlich erschienenen 'The Plague of Fantasies' und 'Enjoy Your Symptom' - stellt sich in betrügerischen, trügerischen, oder vorwürfigen Strategien dar, was nur weiter zu einer Diskreditierung der Politik der Politik der Subversion dient.

Auf einer falschen Maske zu beharren, bringt uns näher an eine authentische, subjektive Position, als uns die falsche Maske wegwerfen zu lassen und unser wahres Gesicht zu zeigen. .... Eine Maske ist niemals nur eine Maske, da sie unseren Platz im intersubjektiven, symbolischen Netzwerk bestimmt. Das Tragen einer Maske macht uns ganz real zu dem, was wir vorgeben wollen... Das einzig Wahre, das uns zur Verfügung steht, ist die Personifizierung, unsere Handlung (Geste) ernst zu nehmen.

Slavoj Zizek

Diese fundamentale Position kann nicht durch falsche Realitäten oder geächtete Ästhetiken trivialisiert werden. In die Öffentlichkeit ausgedehnt, gibt es nichts schlimmeres oder entpuppenderes im Bereich Cyberculture, als ein scheinheiliger Revolutionär, dessen Verhältnis zur Opposition sogar noch erfunden werden muß.

Brecht schrieb sehr viel über die Verschiebung der Autörität auf vorhandenes Material, um dessen Ideologien herauszustellen. Sicherlich paßt solch ein politisches Mimikri, zusammen mit Benjamins vieldeutiger und hoffnungslos rückständiger Ästhetik, in die Flugbahn der Kunst - von Dada über Pop zur Postmoderne - durch die Rationalisierung verschiedener Formen von Reproduzierbarkeit, Wiederholung und Bestimmung als gerechtfertigte Annäherungen, die sowohl reflexiv als auch kreativ waren. Aber diese Strategien wurden in einer Form 'kritischen' Verbrauchs verwurzelt, der unbeholfen im Bereich elektronischer Kultur fortbesteht.

Es besteht kein Zweifel daran, daß diese Strategien sich in eine Cut & Paste Technik weiterentwickelt haben (ebenso wie Cut & Paste Identitäten), wie wir sie bei zu vielen Künstlern im Bereich elektronischer Medien finden können. Sehr wenige solcher Techniken sind Konfrontationen deren parodische oder satirische Intention den eigentlichen Ursprung beschädigen. Ist nicht das Ziel der Parodie die Sublation? Aber die Schwäche und weite Verbreitung einer unbekümmerten Position trägt wenig dazu bei, beim Übergang in ein fragiles, digitales Kommunikationsmedium höher zu zielen, als nur auf die ausgetragenen Begriffe von Kreativität und sich in einer neuartigen Entwicklung zu verewigen. Nichts könnte in einer Zeit monolithischer Betriebssysteme, algorithmischer Ästhetik, und einer Politik der Virtualisierung weniger interessant sein, als die öde, leere, selbstsüchtige Positionierung des Künstlers als ambitionsloser Subversiver oder - schlimmer noch - ein Subversiver als ein ambitionsloser Künstler.

Die Verbindung zwischen kultiger Anonymität und subversiver Präsenz kommt mir als ein bemitleidenswerter Versuch vor, vage, modernistische Begriffe von Subjektivität hinter dem elektronischen Schleier dekonstruierter - oder besser destabilisierter - Identität zu finden, oder eventuell - pathetischer - selbst-gestylter Berühmtheit.

Timothy Druckrey