Schnelle Evolution durch menschliche Eingriffe
Die (Darwin-)Finken pfeifen es von den Dächern: Evolution ist nicht zwingend schneckenlangsam, sondern bisweilen wieselflink
Bis vor einigen Jahren wurden ökologische und evolutionäre Prozesse mehrheitlich in unterschiedlichen Zeitskalen gedacht. In dieser Einteilung spielt sich „evolutionäre Zeit“ im Bereich von Hunderten bis Tausenden von Jahren ab, „ökologische“ hingegen in Zeiträumen von Jahren oder Dekaden. Jedoch häufen sich zunehmend evolutionsbiologische Befunde darüber, dass sich die Zeitskalen dieser Prozesse in manchen Fragestellungen überschneiden. Ganz besonders auch vor dem Hintergrund eines zunehmend beobachtbaren Klimawandels.
Wie der New Scientist in seiner aktuellen Ausgabe feststellt feststellt, können Angler der Evolution als Helfershelfer dienen. Wie sie das anstellen? Ebenso wie kommerzielle Fischer fangen sie die großen Fische und werfen die kleinen wieder zurück ins Wasser. Diesem Umstand liegt die Idee zugrunde, dass durch Fangreduktion solcher Art, die Fischpopulationen stark und gesund erhalten werden können. Ob sich die Fisher damit allerdings einen Gefallen tun, bleibt fraglich. Es erscheint im Gegenteil immer klarer, dass solche gut meinenden Strategien den gegenteiligen Effekt bewirken, den die Fischer im Sinn haben.
Was sie nicht bedenken, ist die Wirkkraft der Evolution. Nicht der Evolution, die wir aus Biologiebüchern kennen und die sich in Zeiträumen von Jahrhunderten manifestiert, sondern rasche evolutionäre Veränderungen, die sich in Zeiträumen von einigen Jahren abspielen können. In diesem Sinne wirkt das Zurückwerfen der kleinen Fischer selektiv und kann so die Fischpopulation umformen.
Tatsächlich vermuten Biologen derzeit, dass das Phänomen der „schnellen Evolution“ nahezu allgegenwärtig ist. Das Tempo dieser Prozesse könnte sich sogar noch weiter erhöhen, je mehr und nachhaltiger menschliche Aktivitäten die Erde verändern und die Spezies zwinge, sich den veränderten Umweltbedingungen anzupassen. Evolutionsbiologen ist zwar bereits lange bekannt, dass sich evolutionäre Prozesse rasch vollziehen können, hielten dies allerdings lange für die Ausnahme und nicht für die Regel. Charles Darwin selbst merkte bereits an, dass beispielsweise Taubenzüchter im evolutionären Sinne selektieren. Etwa ein Jahrhundert später wurde das heute weithin bekannte Beispiel der englischen Mottenpopulation bekannt, deren Farbgebung sich dunkler gestaltete, da vor den rußgeschwärzten Bäumen englischer Industriegebiete die Chancen sich zu tarnen bei dunkler Farbgebung besser gegeben waren.
Heutzutage kennt jeder die Fähigkeit von Bakterien, Insekten und Unkraut innerhalb weniger Jahre eine Resistenz gegen Antibiotika und Pestizide entwickeln zu können. Aus diesem Beispiel lässt sich auch eine Kernaussage „schneller Evolution“ ableiten. Ist keine zwingende Notwendigkeit vorhanden; d. h. sind die Umweltbedingungen stabil, ist die natürliche Selektion gering und spielen sich die evolutionären Prozesse langsam ab. Ändert der Mensch diese allerdings dramatisch, wie durch den Einsatz von Antibiotika oder Pestiziden, verschwinden die meisten Individuen und lediglich die mit dem speziellen Merkmal Antibiotika-Resistenz überleben und verbreiten sich weiter.
„Schnick Schnack Schnuck“
Bereits in den achtziger Jahren begannen Biologen - z. B. durch Beobachtungen an den berühmten Galapagos Finken - zu bemerken, dass Adaption ein dynamischerer Prozess sein könnte, als man ursprünglich angenommen hat. Diese Theorie wurde in den letzten Jahren u. a. von Barry Sinervo und seinem Team anhand von Studien des Seitenfleckenleguans im Südwesten der USA untermauert.
Männliche Leguane verfolgen bezüglich ihres Paarungsverhaltens drei unterschiedliche. genetisch implementierte Strategien, die mit jeweils verschiedener Färbung der Kehle zusammenhängen. Männchen mit Kehlfärbung in orange sind groß und aggressiv. Sie tyrannisieren ihre blau gefärbten Geschlechtsgenossen so lange, bis diese ihnen ihre Weibchen „freiwillig“ abtreten. Männchen mit gelber Kehlfärbung hingegen, die sich mithilfe dieses Farbmerkmals als Weibchen tarnen, können hingegen ihren orange gefärbten Kumpanen deren Partnerinnen abspenstig machen, während diese damit beschäftig sind, den Rambo zu spielen. Diese pfiffige Strategie schlägt jedoch bei Männchen mit blau gefärbter Kehle fehl, da diese, eine einmal „erbeutete“ Partnerin hüten wie ihren Augäpfel und nicht auf die Tricks der gelben Verwandlungskünstler herein fallen. Diese drei Verhaltensweisen bilden ein evolutionäres Spiel der Marke „Schnick-Schnack-Schnuck“, in welchem eine der drei Strategien alle vier bis fünf Jahre dominiert.
Es wurde der sprichwörtliche Bock geschossen
Einer der besten Orte um Evolution live und in Farbe zu erleben, sind die Rocky Mountains im Bereich von Alberta (Kanada), der Heimat des größten Dickhornschafes von Nordamerika. Jäger und Trophäensammler zahlen sechsstellige Summen für das Recht, dort einen Bock zu schießen, deren gewundene Hörner sie zu der begehrtesten Trophäe in Nordamerika machen.
Auf einem Gipfel mit dem passenden Namen „Ram Mountain“ wurden die Böcke derart stark bejagt, dass ihre durchschnittliche Lebenserwartung nicht mehr als 2 Jahre betrug; genau so lange bis ihre Hörner die maximale Drehung von 360° erreicht hatten und sie damit zum Abschuss freigegeben waren.
Nun überrascht es nicht, dass eben diese Praxis zu einer Selektion hin zu Männchen geführt hat, deren Hörner niemals Trophäen-Status erreichen. Eine Studie von Dave Coltman von der Universität Edmonton führte zu dem Ergebnis, dass die durchschnittliche Größe der Hörner in den vergangenen 30 Jahren um durchschnittlich 25 % zurückgegangen ist (Nature, vol 426, p. 655).
Und das ist nicht das Ende der genetischen Erosion, da Böcke mit größeren Hörnern auch diese Merkmalsausprägung an ihre Nachkommen weiter geben. Werden diese abgeschossen, fehlen den nächsten Generation mehr und mehr die entsprechenden Gene, da sie zunehmend von Böcken mit kleinerem Kopfschmuck abstammen. Hier wird also das Gegenteil von dem erreicht, was im Interesse der entsprechenden Klientel liegt. Mit jedem Durchziehen des Abzugs vergrößert die Jägergilde die künstliche Selektion hin zu Böcken, die sie nicht schießen wollen. Dumm gelaufen.
Pech für Captain Iglu
Derselbe Mechanismus lässt sich nun auch in Meeresgefilden beobachten. David Conover und sein Kollege Stephan Munch von der Stony Brook Universität in New York konnten in einem Laborversuch zeigen, dass die Vorschrift von Fischereiverordnungen, nur Fische ab einer bestimmten Größe zu fangen, kontraproduktiv ist. So simulierten die beiden Biologen anhand zweier Laborpopulationen des Mondährenfisches (Menidia menidia) intensive, größenselektive Befischung. Das Ergebnis war, dass sich bereits nach vier Generationen – innerhalb derer die größten 90% der Fische der einen Population entfernt wurden, bevor sie ablaichen konnten – die durchschnittliche Größe der Individuen um etwa die Hälfte verringert hatte, verglichen mit der zweiten Population in welcher die kleinsten 90% des Fischbestandes entfernt wurden (Science, vol 297, p 94).
Ähnliches konnten Forscher anhand des nordostarktischen Kabeljaus vor Neufundland aufzeigen, der sich durch eben diese Fangpraxis sukzessive zu kleineren Individuengrößen hin entwickelt hat. Und nicht nur das. Im Hinblick auf den Zusammenbruch der dortigen Fischerei, ist auch die Tatsache zu beachten, dass kleinere Kabeljau-Individuen weniger Eier legen. Dies könnte auch erklären, warum der Kabeljau nicht in die Meeresregion um Neufundland zurückgekehrt ist; trotz Fangverbots in den letzten 13 Jahren.
In diesem Sinne wäre also ein Umdenken in der Praxis des Fischfangs angezeigt. „Eine Möglichkeit“, sagt David Conover, „wäre, nur die Individuen von mittlerer Größe zu fangen. Dies würde bedeuten, zu schnellen Wachstumsraten hin zu selektieren.“ Eine Verbesserung gegenüber dem jetzigen System, das hinsichtlich kleiner dürrer Individuen selektiert, die nie die maximale Fanggröße erreichen. Eine andere, drastischere Maßnahme wäre, Fischfang freie Zonen anzulegen, bevor der Bestand zu stark dezimiert wird. Solche Schutzzonen könnten den großen Kabeljau-Individuen Zuflucht bieten, und es bestünde dadurch die Möglichkeit, durch eine überproportional hohe Anzahl an Eiern die Selektion zu Gunsten kleiner Individuen zu bremsen.
Schnelle Evolution und Klimawandel
Ob evolutionäre Veränderungen schnell genug ablaufen, um mit den erwarteten, zukünftigen und weitreichenden Veränderungen der Umweltbedingungen durch den Klimawandel mithalten zu können, bleibt abzuwarten.
Selbstverständlich kann eine Spezies nur dann eine neue Adaption entwickeln, wenn die entsprechenden Gene im Genpool der Population vorhanden sind. Grosse Populationen haben dabei eine höhere Wahrscheinlichkeit, dieses verborgene genetische Kapital zu besitzen als kleinere. Das heißt, dass die Spezies, die heute bereits durch verschiedene Ursachen in ausgedünnten Populationen leben, die Verlierer der zukünftigen klimatischen Umwälzungen sein könnten.
„Wir werden nicht jede Karibu-Herde in Alberta retten können“, so Stan Boutin von der Universität von Alberta, „und sollten uns daher auf solche konzentrieren, die die genetischen Ressourcen haben, sich erfolgreich zu entwickeln.“ Wenn die „schnelle Evolution“ tatsächlich ein derart weit verbreitetes Phänomen ist, wie einige Forscher vermuten, wirft das auch ein anderes Licht auf die Bezeichnung „Schutz bedrohter Arten“, da sich die Arten durch gezielte menschliche Bemühungen wie geschütztes Brüten oder das Verändern existierender Habitate von ihren ursprünglichem Ausgangspunkt hin zu etwas anderem entwickeln könnten. „Das“, so Andrew McAdam von der Michigan State Universität, „wirft die Frage auf: Wollen wir diese eine spezielle Art erhalten oder etwas ähnliches?“