Schnüffler, Denunzianten und ein Senator aus Wisconsin
Joe McCarthy und der McCarthyismus
Am 14. November 2008 wäre der US-Senator Joseph R. McCarthy 100 Jahre alt geworden. In die Geschichtsbücher ist er als Hexenjäger und schamloser Demagoge eingegangen. Historiker und Publizisten vom rechten Flügel der Republikanischen Partei würden das gern ändern. Für sie ist er ein amerikanischer Patriot und ein Held der westlichen Kultur.
Dan Ballard ist ein angesehener Bewohner der Stadt Silver Lode. Er will die Tochter des reichsten Mannes im Ort heiraten, als ein gewisser McCarty in die Stadt geritten kommt. McCarty sagt, er sei Marshall und legt einen Haftbefehl vor, dem zufolge Ballard wegen Mordes gesucht wird. Die braven Bürger von Silver Lode stehen anfangs hinter Ballard, machen aber bald Jagd auf ihn, weil sie seinem Wort weniger glauben als dem Stück Papier, mit dem McCarty seine Schuld beweisen will. Am Ende erweist sich das Papier als eine Fälschung. McCarty ist kein Marshall, sondern selbst ein Verbrecher. Er stirbt durch seine eigene Revolverkugel, die an einer Replik der Freiheitsglocke abprallt und ihn dann trifft. Die Bürger der Stadt schämen sich für ihr Verhalten. Niemand weiß so recht, wie es nun weitergehen soll.
Die Lügenkampagne
Mit „Marshall McCarty“ ist natürlich Joe McCarthy gemeint, der einer der dunkelsten Perioden in der amerikanischen Geschichte den Namen gegeben hat. Wir haben gelernt, uns den McCarthyismus so vorzustellen wie in Allan Dwans Silver Lode von 1954: Ein Mann reitet in die Stadt, wedelt mit einem Papier herum, erhebt haltlose Anschuldigungen und entfacht eine Hetzjagd auf Menschen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Aber seit einiger Zeit behauptet der rechte Flügel der Republikanischen Partei, dass es ganz anders gewesen ist. Die Hexen gab es wirklich. McCarthy war ein aufrechter Kämpfer gegen eine sehr reale kommunistische Gefahr und wurde das Opfer einer linken Schmutzkampagne. Einige der Bücher, die sich der Reinwaschung des früheren Senators von Wisconsin widmen, haben es auf die Bestseller-Liste der New York Times gebracht wie Treason, ein eher schlichtes Werk von Ann Coulter, Dauergast in amerikanischen Talkshows. Ein Zitat:
Die Darstellung von Senator Joe McCarthy als einem wild dreinblickenden, das Leben Unschuldiger zerstörenden Demagogen ist nichts weiter als ein Märchen der Liberals vom Schwarzen Mann. Die Liberals kauerten sich in der McCarthy-Ära nicht ängstlich zusammen. Sie unterminierten systematisch die Fähigkeit der Nation, sich zu verteidigen, während sie eine kriegslustige Lügenkampagne anzettelten, um McCarthys Namen in den Dreck zu ziehen. Alles, was Sie über McCarthy zu wissen glauben, ist eine hegemoniale Lüge. Die Liberals haben McCarthy denunziert, weil sie Angst davor hatten, erwischt zu werden; sie schlugen zurück wie sich zur Wehr setzende Tiere, um die eigene Kollaboration mit einem Regime zu verbergen, das so böse war wie die Nazis.
War Joseph Raymond McCarthy also, wie Ann Coulter und ihre Mitstreiter meinen, ein Kulturheld, dem wir seit über 50 Jahren schreiendes Unrecht tun? Ein guter Einstieg in die Frage ist das Jahr 1919. Hier soll es nämlich weniger um die Person des Joe McCarthy gehen als um das System, das einen wie ihn erst möglich gemacht hat. Und 1919 war das Jahr, in dem der Mann erstmals auf sich aufmerksam machte, ohne den sich die Geschichte des McCarthyismus nicht erzählen lässt: J. Edgar Hoover.
Alles für die Sicherheit: J. Edgar Hoover und die Sammelwut
Zwischen 1901 und 1910 kamen etwa neun Millionen Immigranten in die USA. Das war nicht nur eine – verglichen mit früheren Jahrzehnten – sehr hohe Zahl, mehrheitlich handelte es sich auch um „neue Einwanderer“ aus armen, nicht-protestantischen, süd- und osteuropäischen Ländern mit anderer Religion, anderer Physiognomie, anderen kulturellen Wurzeln. Bei denen, die schon da waren, löste das eine Angst vor Überfremdung aus. Als sehr beunruhigend wurde auch die Gründung der Socialist Party of America (1901) und der für US-Verhältnisse sehr radikalen Gewerkschaft Industrial Workers of the World (1905) empfunden.
Wirtschaftlich gesehen gab es nach dem Ende des 1. Weltkriegs wenige Gewinner (die Bosse der Rüstungsindustrie) und viele Verlierer (Massenarbeitslosigkeit, 16% Inflation, schlechte Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen). Das führte zu Streiks, an denen sich im Verlauf des Jahres 1919 über vier Millionen Arbeiter beteiligten. Verantwortlich gemacht wurden die „neuen Einwanderer“, von denen sich viele den Industrial Workers of the World angeschlossen hatten. Damit konnte man Streiks als etwas im Grunde Unamerikanisches hinstellen. Tausende von IWW-Mitgliedern wurden festgenommen und zu teils sehr langen Haftstrafen verurteilt. Die Gewerkschaft erholte sich davon nicht mehr.
Von der Sozialistischen Partei spalteten sich 1919 einige kommunistische, ebenfalls von „neuen Einwanderern“ dominierte Gruppen ab, die 1921 zur Communist Party of America fusionierten. Zahlenmäßig eher klein, waren diese Gruppen aktiver und lautstärker als andere, was wiederum den Eindruck erzeugte, als ginge die Gefahr für den Kapitalismus und die Gewinne der Industrie vor allem von Fremden aus. Am 7. November 1919, dem zweiten Jahrestag der Russischen Revolution, ließ Justizminister Palmer in 12 Städten Razzien veranstalten (die „Palmer Raids“), bei denen 450 in den letzten Jahren zugewanderte Kommunisten verhaftet (und anschließend deportiert) wurden. Bei einer zweiten Polizeiaktion im Januar 1920 wurden weitere 4 000 Personen festgenommen. Dieses Mal konnte man schon auf einer Abschiebungsliste landen, wenn man als Kriegsgegner oder sonst „Andersdenkender“ aufgefallen war. Viele Kommunisten wurden damals in den Untergrund gezwungen; später sind sie nie mehr richtig aufgetaucht.
Maßgeblich an den Deportationen beteiligt war der „besondere Assistent“ des Justizministers, der junge J. Edgar Hoover (geboren 1895). Danach begann er, mit einer an die Stasi erinnernden Sammelwut Karteikarten mit den persönlichen Daten von all denen anzulegen, die ihm irgendwie suspekt waren. Bald war er der Herr über 450 000 solcher Karten. 1924 wurde er Direktor einer Bundespolizeibehörde, die seit 1935 Federal Bureau of Investigation (FBI) heißt. 1926 hatte er das weltweit größte, ständig wachsende Archiv mit Fingerabdrücken angelegt. Hoovers Amtszeit endete erst mit seinem Tod. Als er am 2. Mai 1972 starb, hatte das FBI Dossiers über 6,5 Millionen Menschen zusammengetragen. Ohne die bürokratische Hilfestellung dieser Behörde hätten Leute wie McCarthy nie die Wirkung entfalten können, die sie im Kalten Krieg auf die amerikanische Gesellschaft ausübten.
Rote Verschwörungen: Roosevelt und der New Deal
1929 wurde Herbert Hoover (nicht verwandt mit dem FBI-Direktor) US-Präsident. Hoover lehnte den Versuch ab, die Weltwirtschaftskrise mit staatlichen Mitteln einzudämmen, weil er das für „unamerikanisch“ hielt. 1932 wurde er abgewählt. Der neue Präsident, ein Demokrat, hieß Franklin D. Roosevelt. Der mit sehr weitgehenden Vollmachten ausgestattete Vater des New Deal erlaubte sich wirtschafts- und sozialpolitische Eingriffe, die viele Amerikaner kurz zuvor noch für unmöglich gehalten hätten und die auf republikanischer Seite zu so mancher, noch heute gepflegter Verschwörungstheorie geführt haben.
1933 normalisierte Roosevelt die Beziehungen zur Sowjetunion. Für Kommunistenhasser war (und ist) das Teil eines roten Plans zur Vernichtung der amerikanischen Gesellschaft und des Kapitalismus. Wenn der rechte Flügel der Republikanischen Partei daran arbeitet, den McCarthyismus wieder hoffähig zu machen, ist das mehr als eine Umdeutung der Vergangenheit. Spätestens seit dem Patriot Act wissen wir, dass auch die Gegenwart betroffen ist. Das Instrumentarium zur Interpretation der Zukunft ist ebenfalls bereits vorhanden. Man muss nur den Kommunismus – beispielsweise – durch den Islamismus ersetzen.
Barack Obama hat angekündigt, das Lager Guantanamo schließen zu wollen. Vielleicht wird der neue US-Präsident bald den Dialog mit den militärisch nicht zu besiegenden Taliban und mit den Machthabern im Iran suchen müssen, so wie Roosevelt den Dialog mit Moskau suchte. Er wird auch versuchen müssen, einem außer Rand und Band geratenem Kapitalismus Zügel anzulegen. Vielleicht wird es ihm sogar gelingen, dass sich mehr Amerikaner als jetzt eine Krankenversicherung leisten können. Aus Sicht vieler Konservativer wird dann aus dem „neuen Kennedy“ sehr schnell ein „neuer Roosevelt“ werden, ein Verräter an den amerikanischen Idealen. Wer heute Anstrengungen unternimmt, Joe McCarthy und den McCarthyismus zu rehabilitieren, bringt seine Truppen gegen Obama in Stellung. Deshalb ist die neue Begeisterung für McCarthy mehr als ein Spleen der ewig Gestrigen. Dazu noch ein Zitat aus Treason, dem Bestseller von Ann Coulter:
Das einzige Thema, für das sich noch weniger authentische Amerikaner interessieren als für die Behandlung der Gefangenen in Guantanamo ist die Fußball-Weltmeisterschaft. Amerika befindet sich in einer epischen globalen Schlacht mit skrupellosen Wilden, und den Liberals tun die Terroristen leid. […] Ob sie die Sowjetunion verteidigen oder für Saddam Hussein blöken, die Liberals sind immer gegen Amerika. Sie sind entweder Verräter oder Idioten, und soweit es die Selbsterhaltung Amerikas betrifft, ist der Unterschied irrelevant.
Solche Kultur-vs.-Barbarei-Rhetorik kennt man auch von Joe McCarthy, der gerne Shakespeare zitierte, wenn er wieder mal ins Dunkle schoss, weil er dann schon irgendwen treffen würde. Hier einer seiner typischen Sätze, 1954 live im Fernsehen übertragen:
Jeder, der auch nur entfernt die kommunistische Verschwörung verfolgt hat, weiß, dass wir uns in einem Krieg befinden, den wir nicht anders beenden können, als durch den Tod oder durch den Sieg für diese unsere Zivilisation.
Nationale Sicherheit: Der Überwachungsstaat nimmt Gestalt an
Umgekehrt muss man Roosevelt auch nicht glorifizieren. Er nahm längst überfällige Sozialreformen in Angriff. Doch nicht alles an seinem Wirken war so glänzend, wie es jetzt, da von Barack Obama eine Art Neuauflage des New Deal erwartet wird, erscheinen mag. Die Arbeitslosenquote ging erst signifikant zurück, als die USA 1941 in den Krieg eintraten. Roosevelt legte sich einen Propagandaapparat zu, der einen mitunter recht unangenehmen, weil in Chauvinismus ausartenden Patriotismus beförderte. Ein neues Rundfunkgesetz diente primär der Gängelung der Medien: Lizenzen wurden nur noch für sechs Monate vergeben; zuständig für das Lizensierungsverfahren war ein Vertrauter des Präsidenten. Roosevelt hatte auch nichts dagegen, dass Leute (zum Beispiel seine politischen Gegner) ausspioniert wurden, wenn ihm das nützte. J. Edgar Hoover war ihm gern behilflich, weil das FBI dadurch immer mehr Befugnisse erhielt.
Mit dem Hinweis auf die „nationale Sicherheit“ wurde schon in den 1930ern vieles gerechtfertigt, was mit rechtsstaatlichen Verfahren und der amerikanischen Verfassung schwer vereinbar war. Mitte der 30er forderte Moskau die KP der USA zur Bildung einer möglichst breiten Volksfront auf. Aus einer sektiererischen Minipartei hätte so eine ernstzunehmende politische Kraft werden können. Roosevelt fand das ebenso beunruhigend wie den Aufstieg der Faschisten in Europa. Am 24. August 1936 beauftragte er den FBI-Chef, ihm Informationen über subversive Bestrebungen innerhalb der Vereinigten Staaten zu verschaffen, von links wie von rechts. In den folgenden Jahren bekam das FBI immer mehr Überwachungs-Kompetenzen zugewiesen (oder Hoover nahm sie sich) – auch solche, die der Supreme Court für verfassungswidrig erklärt hatte.
FBI-Agenten durften jetzt Waffen tragen und selbst Verhaftungen vornehmen. Hoover legte eine – später als „Security Index“ bezeichnete – Liste mit den Namen von „Radikalen“ an, die im Falle eines Ausnahmezustands in Lager verbracht werden sollten. Strafrechtlich relevante Vorwürfe spielten bei der Zusammenstellung dieser ziemlich willkürlichen Liste eine untergeordnete Rolle. Wahrscheinlich wäre auch die ideologisch unvoreingenommene Eleanor Roosevelt auf die Liste gekommen, wenn sie nicht die First Lady gewesen wäre. Jedenfalls wurde sie vom FBI (ohne Wissen des Präsidenten) ständig überwacht.
In den 30ern sahen viele im Kommunismus die Bewegung, die dem Faschismus am entschiedensten entgegen trat. Der KP bescherte das einen starken Mitgliederzuwachs. Die meisten der neuen Genossen traten spätestens nach dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 wieder aus, weil sie mit der rigiden Parteidisziplin, der Geheimnistuerei und den brav nachvollzogenen Kurswechseln Stalins nichts anfangen konnten. Eine weitaus größere Zahl von Amerikanern engagierte sich in den „Front-Organisationen“, also in – wenigstes aus Sicht des FBI – zum Dunstkreis der KP gehörenden Gruppierungen. Für viele würde das noch schlimme Konsequenzen haben.
Unamerikanische Aktivitäten
Am 26. Mai 1938 richtete der Kongress den Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten ein (House Un-American Activities Committee, kurz: HUAC). Der rechte Flügel der Republikanischen Partei weist inzwischen gerne darauf hin, dass dieser Ausschuss von Demokraten ins Leben gerufen worden sei, als Waffe gegen konservative Gruppen. Deshalb sei es der Gipfel der Perfidie, wenn seit 50 Jahren ausgerechnet das HUAC dafür eingesetzt werde, den Ruf von aufrechten Republikanern wie Joe McCarthy zu zerstören – einem McCarthy, der noch dazu gar nichts mit dem Ausschuss zu tun gehabt habe, obwohl ihm das häufig unterstellt wird.
Richtig daran ist, dass immer noch erstaunlich oft behauptet wird, McCarthy sei der Vorsitzende des HUAC gewesen. Im Zwei-Kammern-System der USA gehörte er aber dem Senat an, weshalb er nicht einen Ausschuss des Repräsentantenhauses leiten konnte. Das HUAC wurde auch tatsächlich auf Anregung eines Demokraten eingerichtet. Er hieß Samuel Dickstein und vertrat einen Wahlkreis, in dem viele jüdische Menschen lebten. Dickstein war besorgt über das starke Anwachsen von Nazi-Organisationen und wusste auch nicht genau, was von paramilitärischen Operettenformationen zu halten war wie den von Gary Cooper unterstützen „Hollywood-Husaren“, die Amerika vor Roosevelt und dem New Deal retten wollten.
Der Ausschuss sollte das untersuchen und Vorschläge erarbeiten, wie man gesetzgeberisch gegen Gruppierungen wie den Ku-Klux-Klan vorgehen könne. Er kam aber erst nach langem parteipolitischem Gezänk zustande, das damit endete, dass er genauso den rechten wie den linken Rand der Gesellschaft unter die Lupe nehmen sollte. Der erste Vorsitzende, der Texaner Martin Dies, war Republikaner und hatte bereits auf Veranstaltungen des Klans gesprochen, mit dem noch zwei weitere Mitglieder des HUAC sympathisierten. So wurde denn bald festgestellt, dass es keine ausreichenden Verdachtsmomente gebe, die weitere Ermittlungen gegen den Ku-Klux-Klan rechtfertigen würden.
Man konnte sich nun ganz den Kommunisten widmen, und da insbesondere der Unterwanderung Hollywoods sowie der Theater von New York. Dem Ausschuss war nämlich aufgefallen, dass viele Schauspieler „linke“ Aufrufe zur Völkerverständigung, gegen Rassismus und gegen den Klan unterschrieben hatten. Martin Dies gab denn auch gleich bekannt, dass Hollywood eine „Brutstätte des Kommunismus“ sei. 2 500 Angehörige der Filmindustrie antworteten mit einer Potestkundgebung. Als dann noch die USA als Verbündete der UdSSR gegen Nazi-Deutschland kämpften, war dem HUAC vorläufig der Wind aus den Segeln genommen.
1944 wurde in Hollywood die „Film-Allianz für die Bewahrung demokratischer Ideale“ gegründet. Deren Mitglieder wollten gegen „Kommunisten, Radikale und Spinner“ vorgehen und „die Hähne zudrehen, die rotes Wasser in die Drehbücher tropfen lassen“. Der Präsident der Allianz, der Regisseur Sam Wood, fühlte sich durch kommunistische Umtriebe um einen Oscar betrogen. Er hatte ein kleines schwarzes Buch, in dem er die Namen all derer notierte, die er für Sowjet-Agenten hielt (John Ford macht sich darüber lustig, wenn er in The Quiet Man Victor McLaglen, prominentes Mitglied der „Hollywod-Husaren“ und Hauptdarsteller in Fords The Informer, auch ein solches kleines schwarzes Buch führen lässt). Roosevelts New Deal und das Erstarken der Gewerkschaften in den 30ern galten Wood als Vorboten eines „diktatorischen Kommunismus“. So sah das auch sein Stellvertreter Walt Disney. Er glaubte die Micky Maus vom Weltkommunismus bedroht, seit sein Studio bestreikt worden war.
J. Parnell Thomas, der neue Vorsitzende des HUAC, hatte also Verbündete, als er im Mai 1947 zu einem „Arbeitsbesuch“ nach Hollywood kam. In geheimer Sitzung nahm er die Aussagen von Schauspielern wie Ronald Reagan und Robert Taylor oder von Studiobossen wie Walt Disney und Jack Warner auf. Auch sonst hatte sich viel verändert, seit Dies mit seinem Kreuzzug gegen die Kommunisten in Hollywood Schiffbruch erlitten hatte. Mit Harry S. Truman stellten die Demokraten noch immer den Präsidenten; aber seit 1946 hatten die Republikaner die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses. Truman wurde vorgeworfen, nicht entschlossen genug gegen die Ausweitung des kommunistischen Einflussbereichs in Europa vorzugehen. Am 12. März 1947 verkündete er das Ende der Gemeinsamkeiten mit der UdSSR. Das gilt als der offizielle Beginn des Kalten Kriegs; inoffiziell hatte er schon 1944 angefangen, als die Niederlage der Deutschen abzusehen war. Truman vertrat fortan die „Doktrin der zwei Welten“, der zufolge an allem, was schiefging in der freien Welt, die Sowjetunion schuld war.
Konformist oder Kommunist?
J. Edgar Hoover wusste das schon länger. Im März 1947 erklärte er alle amerikanischen Kommunisten zur „fünften Kolonne“ Moskaus. Um zu verdeutlichen, wie alarmierend die Lage sei, legte er eine Statistik vor. Hoovers Zahlen nach kam in Russland 1917, vor der Oktoberrevolution, ein Kommunist auf 2 777 Einwohner; jetzt, in den USA, entfiel bereits ein Kommunist auf je 1 814 Einwohner. Um dieser Bedrohung zu begegnen, erließ die Truman-Regierung die Exekutivverordnung mit der Nummer 9835. Alle, die im öffentlichen Dienst arbeiteten oder dort eine Stelle antreten wollten, mussten sich einem Loyalitätstest unterziehen. Das war ein mitunter sehr langwieriges, schwer durchschaubares, nicht-öffentliches bürokratisches Verfahren, das nach sehr unklaren Bestimmungen ablief und entsprechend willkürlich gehandhabt wurde.
Wie viele Amerikaner ihren Arbeitsplatz verloren, weil sie Kontakt zu einer verdächtigen Organisation gehabt oder eine verdächtige Meinung geäußert hatten, weiß niemand so genau, weil sich auch zunehmend private Arbeitgeber bemüßigt fühlten, in der Vergangenheit ihrer Angestellten herumzuschnüffeln. Mehr als 10 000 Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden abgewiesen, weil Zweifel an ihrer Loyalität bestanden, und noch einmal so viele (oder auch deutlich mehr) wurden entlassen. Die Verordnung galt zuerst für 2,5 Millionen Regierungsangestellte, dann auch für die Angehörigen der Streitkräfte (3 Millionen) und schließlich für etwa 3 Millionen Menschen, die in der Rüstungsindustrie arbeiteten. 1947 mussten zur Entlassung aus dem Staatsdienst „berechtigte Gründe“ vorliegen. 1950 wurden daraus „berechtigte Zweifel“. 1953, unter Präsident Eisenhower, wurde alles noch schwammiger: man konnte entlassen werden, wenn das Beschäftigungsverhältnis „mit der Sicherheit der Nation nicht vereinbar“ war. Berühmt wurde Eisenhowers Ausspruch, dass ein Kommunist (oder jemand, der im Verdacht stand, ein Kommunist zu sein) nicht Mathelehrer sein könne, weil damit zu rechnen sei, dass er zur Indoktrinierung der Kinder Äpfel und Birnen durch Hammer und Sichel ersetzen werde.
Leute wurden vor eines der vielen Loyalitätskomitees geladen, weil sie ein Buch über Sibirien ausgeliehen, die Veranstaltung einer Verbraucherorganisation besucht oder am Weltfrauentag eine Grußbotschaft an die Frauen der Sowjetunion unterzeichnet hatten. Die Informationen kamen vom FBI oder von Denunzianten, von denen sich die einen für wahre Patrioten hielten, während sich andere an Nachbarn oder Kollegen rächen wollten. Wer als Sicherheitsrisiko eingestuft wurde, konnte eine Anhörung vor einem „Loyalty Review Board“ beantragen. Das war teuer, dauerte lang, und man hatte auch dort keinen Anspruch darauf, direkt mit den Anklägern konfrontiert zu werden. Wenn das FBI seine Informationen als „streng geheim“ deklarierte, mussten sie den Beschuldigten auch nicht mitgeteilt werden.
So wurde eine Atmosphäre der Angst, der Verdächtigungen und des Misstrauens geschaffen. Truman scheint selbst erschrocken über die Folgen seiner Verordnung gewesen zu sein. In der New York Times (29.7.1951) zeigte er sich bestürzt über das Ergebnis eines Feldversuchs: 112 US-Bürger waren gebeten worden, eine Petition zu unterschreiben, die aus Zitaten aus der Unabhängigkeitserklärung und der Bill of Rights bestand. 111 von ihnen hatten das abgelehnt – aus Angst, hinterher als Kommunisten diffamiert zu werden. Am schlimmsten war vielleicht der sich ausbreitende Zwang zum Konformismus. Wenn man heute Don Siegels Film Invasion of the Body Snatchers (1956) sieht, kann man lange darüber nachdenken, wer eigentlich der Feind der amerikanischen Gesellschaft ist: außerirdische Körperfresser, Kommunisten oder die konformistischen, nur nicht auffallen wollenden Durchschnittsamerikaner der 50er?
Die fünf Abgeordneten, die das HUAC bildeten, gehörten alle zur Republikanischen Partei. Einer davon war Richard M. Nixon, dessen politische Karriere in diesem Ausschuss begann. Das HUAC hätte alles Mögliche untersuchen können, widmete sich aber bevorzugt der kommunistischen Unterwanderung Hollywoods. Ein wirklicher Aufklärungsanspruch kann eigentlich nicht das Motiv gewesen sein. Wer an der Geschichte der KP in Los Angeles interessiert ist, findet die besten Informationen in den Akten des FBI. Hoover ließ sie mit enormem Aufwand ausspionieren und schleuste mehr V-Männer ein als unser Verfassungsschutz bei der NPD. Sehr erfolgreich war auch die Undercover-Einheit der Polizei von Los Angeles. Ein gewisser William Ward Kimple trat 1928 unter dem Decknamen „William Wallace“ in die KP ein. Dort wurden am Ende eines jeden Jahres die Parteibücher eingezogen und durch neue ersetzt. Wallace alias Kimple hatte die Aufgabe, die alten zu vernichten. Er lieferte sie beim LAPD ab.
Kein Niveau: Freundliche und unfreundliche Zeugen
Warum also dann die Konzentration auf Hollywood? Ganz einfach: Wegen der Publizität. Man kann nun sagen, dass die besorgten Abgeordneten völlig uneigennützig handelten und nur an einem medienwirksamen Beispiel aufzeigen wollten, in welcher Gefahr das gesamte Land schwebte. Fest steht aber auch, dass es für einen Hinterbänkler wie Nixon kaum eine bessere Möglichkeit gab, sehr schnell sehr bekannt zu werden als durch diesen Ausschuss. Im Oktober 1947, als das HUAC in Washington seine Anhörungen startete, schickten alle großen Zeitungen ihre Reporter, waren die Fernsehsender mit ihren Kamerateams vertreten. Der eher klein geratene Vorsitzende, J. Parnell Thomas, thronte auf zwei Telefonbüchern und einem Seidenkissen, damit er auch gut zu sehen war.
Der Ausschuss hatte 41 Zeugen geladen und sich vorher informiert, was zu erwarten war. 19 von den Vorgeladenen waren „unfreundlich“, also nicht bereit zur Kooperation. Befragt wurden zuerst die „freundlichen Zeugen“ wie Robert Taylor und Ronald Reagan, der Vorsitzende der Schauspielergewerkschaft, die das eine oder andere über kommunistische Umtriebe zu berichten wussten. Gary Cooper verdankte seine Informationen über den Kommunismus dem Hörensagen, wie er erklärte. Seinem Eindruck nach hatte der Kommunismus kein Niveau, weshalb er ihn nicht mochte. In einigen Drehbüchern habe er kommunistische Elemente entdeckt. Genaueres, insbesondere die Namen der Autoren, könne er leider nicht mitteilen, weil er Drehbücher immer nachts lese und hinterher gleich wieder vergesse. „Coop“, der nicht so naiv und unintellektuell war, wie er immer tat, machte sich wohl ein bisschen lustig über den Ausschuss. Aber allein dadurch, dass einer der größten Publikumslieblinge Hollywoods vor dem HUAC aussagte, steigerte er dessen Reputation.
Konkrete Beispiele zu finden, an denen sich die kommunistische Indoktrination beweisen ließ, war schwierig. Zum Glück gab es drei pro-russische (und nicht unbedingt pro-sowjetische) Filme aus der Zeit, als die UdSSR die Verbündete der USA im Kampf gegen Hitler gewesen war: Mission to Moscow, Song of Russia und North Star. In Song of Russia sieht man (stark geschminkte) russische Bauersfrauen und russische Kinder, die sich für die Hilfe der Amerikaner bedanken und lächeln. Letzteres, sagte die aus Weißrussland stammende Autorin Ayn Rand, sei ein sowjetischer Propagandatrick. Russische Frauen und Kinder lächelten nicht, und wenn doch, dann allenfalls privat und bestimmt nicht „in einem gesellschaftlichen Zusammenhang“. Ayn Rand verdanken wir auch den Screen Guide for Americans. Diesem Führer konnten die Filmemacher entnehmen, welche Gebote zu befolgen waren, um ein nicht-kommunistisches Werk zu erschaffen: „Beschmutze nicht das System des freien Unternehmertums“, „Vergöttere nicht den ‚Kleinen Mann’“, „Glorifiziere nicht das Kollektiv“, „Beschmutze nicht den Erfolg“, „Beschmutze nicht die Industriellen“.
Abrechnung mit der Vergangenheit: Die Hollywood Ten
Der Screen Guide macht deutlich, worum es wirklich ging: Um Einschüchterung und um die Abrechnung mit dem New Deal, mit den „Roosevelt-Liberalen“ und mit dem als unternehmerfeindlich eingestuften Teil der Gewerkschaften (in Hollywood war das besonders die Gewerkschaft der Drehbuchautoren). Dem Vorsitzenden des Ausschusses war sehr daran gelegen, Beweise dafür zu finden, dass Roosevelt die Studiobosse zur Produktion pro-sowjetischer Filme gedrängt hatte. Es muss ein großer Tag für Thomas gewesen sein, als Jack Warner aussagte, Roosevelt habe ihn zu Mission to Moscow ermuntert. Stalin wird dort als netter Onkel mit Schnurrbart gezeigt.
Auf die freundlichen folgten die unfreundlichen Zeugen. Von den 19 mussten 11 aussagen. Den Anfang machte Bert Brecht. Er lieferte sich ein teils groteskes Katz-und-Maus-Spiel mit dem Ausschuss und verließ tags darauf das Land. Blieben noch 10: neun Drehbuchautoren und ein Regisseur. Sie verweigerten zumeist genaue Angaben zu ihren politischen Überzeugungen und beriefen sich auf den ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung, der ihnen das Recht auf Rede- und Versammlungsfreiheit garantierte. Einer von ihnen, der Autor Ring Lardner Jr., hatte ihre Position so beschrieben:
Alles, was ich über die Geschichte der Inquisition weiß, bestärkt mich in meiner Meinung, dass es kaum einen Unterschied gibt, ob man einen Menschen zwingt zu sagen, was er für Überzeugungen hat, oder ob man ihm die Überzeugung aufzwingt, die er haben sollte.
Die „Hollywood Ten“ hatten Erklärungen vorbereitet, die sie nicht verlesen durften. Sie durften nur Fragen beantworten. Die Standardfrage war: „Sind oder waren Sie Mitglied der Kommunistischen Partei?“ Wer das nicht beantworten wollte, berief sich auf den fünften Zusatzartikel, der verbietet, dass jemand zur Aussage gegen sich selbst gezwungen wird. Vom Ausschuss wurde das als „Schuldeingeständnis“ gewertet (die „Schuld“ bestand darin, seine in der Bill of Rights verbrieften Rechte wahrgenommen und Mitglied einer nicht verbotenen Partei zu sein oder gewesen zu sein). Wer die Frage verneinte, konnte später verurteilt werden, wenn sich herausstellte, dass er gelogen hatte. Auf ein „Ja“ folgte unweigerlich die Zusatzfrage: „Welche weiteren Mitglieder der Partei kennen Sie?“ Wer keine Namen nannte, musste damit rechnen, wegen Missachtung der Würde des Kongresses verurteilt zu werden. Die Zehn zwang das zu einem Herumlavieren, das sie nicht gut aussehen ließ. Den Kopf aus der Schlinge ziehen konnten sie dadurch nicht.
Die Regisseure John Huston und William Wyler, der Drehbuchautor Philip Dunne und der Schauspieler Alexander Knox hatten ein Komitee gegründet, das den ersten Zusatzartikel verteidigen sollte und bald über 50 so bekannte Mitglieder wie Katherine Hepburn, John Ford, Kirk Douglas und Burt Lancaster verfügte. Das Komitee flog nach Washington, um gegen die Anhörungen zu protestieren. Das Problem bestand darin, dass neun von den Hollywood Ten tatsächlich Mitglied der KP waren oder gewesen waren (was der HUAC-Vorsitzende Thomas im geeigneten Moment öffentlich machte). Und die KP, Sektion Hollywood, hatte sich durch ihre Rechtfertigung der Moskauer Schauprozesse und des Hitler-Stalin-Pakts sowie durch ihre Behauptung, Berichte über die stalinistischen Verbrechen seien nichts als Propagandalügen, viele Sympathien verscherzt. Für ihre Mitglieder wollte man ungern den Kopf hinhalten.
Als das Committee for the First Amendment, angeführt von Humphrey Bogart und Lauren Bacall, zum Kapitol marschierte, sollte eigentlich Eric Johnston vernommen werden, der Präsident der Produzentenvereinigung Motion Picture Association of America. Johnston, früher Präsident der Handelskammer, war ein erfolgreicher Geschäftsmann und völlig unverdächtig, ein Freund des Kommunismus zu sein. Thomas änderte die Tagesordnung und ließ an seiner Stelle den Autor John Howard Lawson aussagen. Von Lawson wusste im Grunde jeder, dass er KP-Mitglied war. Gewieften Politikern wie Nixon und Thomas war das Komitee nicht gewachsen. Als dann auch noch die KP-Zeitung Daily Worker ein Photo des protestierenden Humphrey Bogart abdruckte, sah der sich zu der Erklärung genötigt, dass er, wie jeder anständige Amerikaner, den Kommunismus ablehne und dass die Protestaktion ein Fehler gewesen sei.
Die schwarze Liste
Seit einiger Zeit waren Gerüchte in Umlauf, dass die Studiobosse eine schwarze Liste aufstellen wollten. Einen Tag vor Beginn der Anhörungen, am 19. Oktober, erklärte Johnston kategorisch, dass er sich nie an etwas so Unamerikanischem wie einer solchen Liste beteiligen werde. Dabei verschwieg er, dass er selbst im Juni den Studiobossen vorgeschlagen hatte, „ausgewiesene Kommunisten“ nicht in Positionen zu beschäftigen, von denen aus sie Einfluss auf die Gestaltung eines Films nehmen konnten. Die Bosse hatten das abgelehnt, weil nach Ansicht ihrer Anwälte die Gefahr bestand, dass sie sich nach amerikanischem Recht der Verschwörung und des Verstoßes gegen die Kartellgesetze schuldig machen würden.
Am 24. November 1947 bat Johnston die Studiochefs zu einem Treffen im Waldorf Astoria Hotel in New York. Anwesend waren auch Vertreter der wichtigsten Finanziers von der Ostküste. In ihrem Namen forderte Johnston, endlich besser als bisher mit dem HUAC zu kooperieren. Am 25. November veröffentlichte man eine Erklärung. Inhalt: Die Studios verpflichteten sich, die Hollywood Ten sofort und ohne Entschädigung zu entlassen und ihnen erst wieder Arbeit zu geben, wenn sie unter Eid erklärt hatten, keine Kommunisten zu sein und sie von entsprechenden Vorwürfen entlastet worden waren. Das war der Beginn der Blacklist.
Die Arbeit des HUAC war von fremdenfeindlichen und antisemitischen Ressentiments geprägt. Hollywood wurde, einer Verschwörungstheorie nach, von jüdischen Familien regiert, die schon deshalb bolschewistisch fühlten und dachten, weil viele Familienmitglieder in Russland oder Osteuropa zur Welt gekommen und nach der Einwanderung in der New Yorker Textilindustrie tätig gewesen waren, dort also, wo die Gewerkschaften schon immer sehr stark gewesen waren. Für den Abgeordneten John Rankin, einen Freund des Ku-Klux-Klan, war „Jude“ ohnehin ein Synonym für „Kommunist“. Am 25. November debattierte das Repräsentantenhaus darüber, ob sich die Hollywood Ten der Missachtung des Kongresses schuldig gemacht hätten. Rankin erklärte, das HUAC sei dazu da, „die Christen Amerikas zu schützen“ und präsentierte eine Liste mit Sympathisanten der Zehn: „Einer der Namen ist Danny Kaye, und wir haben herausgefunden, dass sein richtiger Name David Daniel Kamirsky ist. Dann gibt es einen, der sich Edward G. Robinson nennt. Sein wirklicher Name ist Emmanuel Goldenberg.“ Usw.
Die Hollywood Ten wurden wegen Missachtung des Kongresses zu Haftstrafen zwischen einem halben und einem Jahr verurteilt. Zwei von ihnen, Lester Cole und Ring Lardner, trafen J. Parnell Thomas, der inzwischen wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten selbst verurteilt worden war und im Hühnerstall des Gefängnisses arbeiten musste. Edward G. Robinson war einer von denen, die in Hollywood erst wieder Arbeit bekamen, nachdem sie „freiwillig“ vor dem Ausschuss erschienen waren und dort ausgesagt hatten. Das Ganze funktionierte nach dem System konzentrischer Kreise. Wer die Hollywood Ten unterstützte oder Kritik am Ausschuss übte, geriet selbst in den Verdacht, ein Kommunist zu sein. Dann kam das FBI, um die „Subversiven“ zu verhören und danach auch deren Freunde, deren Bekannte und deren Arbeitskollegen. „Am beängstigendsten“, sagte der Regisseur Joseph Losey später, „war es, sehen zu müssen, wie Leute zerbrachen und jeder Protest verschwand. Denn wer protestierte, war erledigt.“ Und Ben Hecht, Anfang der 50er:
Wie wir zu sagen pflegten, die freie Meinungsäußerung ist Amerikas wertvollstes Gut. In meiner Jugend war dieser Satz ein Klischee, ohne das ein Politiker weder zum Hundefänger noch zum Präsidenten gewählt werden konnte. Heute kann er einem Wähler eine kleine Gefängnisstrafe einbringen.
Außerhalb von ihren Familien fanden die Hollywood Ten wenig offene Unterstützung. Viele gaben Geld, damit sie die Anwalts- und Gerichtskosten bestreiten konnten, zahlten aber lieber bar, um hinterher nicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden zu können. Bartley Crum war einer von sechs Anwälten. Crum übernahm auch andere Loyalitätsfälle, vertrat also US-Bürger, deren Verfassungstreue in Zweifel gezogen wurde. Das FBI hörte ihn ab und setzte ihn auf den Security Index. Er verlor die meisten seiner Klienten. Als er kurz vor dem finanziellen Ruin stand, sagte er selbst vor einem Loyalitätsausschuss aus und nannte die Namen von zwei Kollegen, die als Kommunisten bekannt waren. 1959 brachte er sich um. Der Fall Crum macht auch deutlich, dass nicht nur linke Filmkünstler betroffen waren. Sie sind nur die Spitze des Eisbergs.
Mikrofilme im Kürbis: Die Pumpkin Papers
1948 wurde das Publikum mit einem bizarren Spionagefall konfrontiert, der bis heute nicht befriedigend aufgeklärt ist. Am 3. August offenbarte sich Whittaker Chambers, früher Mitglied der KP, vor dem HUAC. Chambers sagte aus, auch Alger Hiss, ehemals ein hoher Beamter im Außenministerium, sei in den 30ern Parteigenosse gewesen. Erst später behauptete er, Hiss sei auch ein russischer Spion gewesen (wie er überhaupt seine Aussage regelmäßig änderte und dem jeweiligen Stand der Ermittlungen anpasste). Hiss wurde vom Ministerium und von hohen Würdenträgern der Demokraten in Schutz genommen. Vielleicht wäre das Ganze im Sande verlaufen, wenn nicht Richard Nixon darauf bestanden hätte, der Sache weiter nachzugehen.
Am 2. Dezember 1948 führte Chambers die Ermittler zu einem Kürbisfeld auf seiner Farm in Maryland und holte aus einem ausgehöhlten Kürbis fünf Mikrofilme, die er angeblich von Alger Hiss bekommen hatte. Zwei der Filme enthielten (nicht eben weltbewegende) Dokumente aus dem Außenministerium. Nixon präsentierte die Beweise (die „Pumpkin Papers“) triumphierend der Presse und dem Fernsehen. Für ihn und das HUAC bedeutete das einen enormen Prestigegewinn. Hiss wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt; allerdings nicht wegen Spionage, sondern wegen Meineid. Chambers hatte seine früher beeidete Aussage, er und Hiss hätten nie für die Russen spioniert, zurückgenommen und so eine Strafverfolgung erst möglich gemacht.
Der Mann im Hintergrund war J. Edgar Hoover. Er versorgte die Ausschussmitglieder mit Informationen, war mit Hedda Hopper und dem Zeitungszaren William Randolph Hearst befreundet, dessen Revolverblätter Stimmung gegen „Subversive“ und Hollywood-Linke machten. Hedda Hopper hatte durch ihre Klatschkolumnen eine Macht über Hollywood-Karrieren, die man heute nur mehr schwer nachvollziehen kann. Hopper erzählte Hoover, was sie auf Partys und bei Filmpremieren über die kommunistische Infiltration erfahren hatte, und Hoover schickte ihr geheime Memos mit viel Schmutz, den sie anschließend in ihren Kolumnen ausbreitete. Seit 1947 gehörte auch der Senator aus Wisconsin zu Hoovers Freundeskreis – und zu dessen legendärer Essensrunde. Bei „Harvey’s“, dem FBI-Stammlokal in Washington, wurde zu Mittag gegessen. Am Mittwoch traf man sich bei Hoovers Stellvertreter Clyde Tolson zum Abendessen, am Freitag im Haus von Hoover. Damit kommt nun der Mann ins Spiel, der einer traurigen Ära seinen Namen gegeben hat: Joe McCarthy.
The Pepsi Cola Kid: McCarthy wird Senator
Der Katholik Joseph Raymond McCarthy, geboren am 14. November 1908 auf einer Farm in Appleton (Wisconsin), war Anwalt von Beruf. Ursprünglich unterstützte er Franklin D. Roosevelt. Als es ihm nicht gelang, als Kandidat der Demokraten für die Wahl zum Bezirksstaatsanwalt aufgestellt zu werden, wechselte er die Partei und kandidierte für die Republikaner als Richter am Bezirksgericht. Aus einem sehr schmutzigen Wahlkampf (McCarthy machte seinen Gegner sieben Jahre älter, unterstellte ihm Senilität und erhob unbewiesene Korruptionsvorwürfe) ging er als Sieger hervor. 1942 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger bei den Marines. Als Richter erhielt er automatisch einen Offiziersrang. Später behauptete er, er habe sich vom einfachen Soldaten nach oben gedient. Er erfand eine Kriegsverletzung, fälschte eine von Admiral Nimitz unterschriebene Belobigung und übertrieb die Zahl seiner Kampfeinsätze, weil ihm das einen Orden einbrachte.
Nach dem Krieg kandidierte er als Kriegsheld für den Senat. Sein Gegner bei den Vorwahlen, der Amtsinhaber, war bei der Bombardierung von Pearl Harbour bereits zu alt für den aktiven Militärdienst gewesen und hatte sein Geld in einen Radiosender investiert. McCarthy behauptete, er sei ein Kriegsgewinnler und habe sich vor der Einberufung gedrückt. Damit gewann er die Vorwahlen; Unterstützung soll er von einer linken Arbeiterorganisation bekommen haben, die den anti-kommunistischen Amtsinhaber loswerden wollte. Von seinem demokratischen Gegenkandidaten hatte McCarthy im konservativen Wisconsin nichts zu fürchten. 1947 trat er in Washington sein neues Amt an. An seinem ersten Tag als Senator gab er eine Pressekonferenz, bei der er einen Vorschlag machte, wie man künftig Streiks im Kohlebergbau verhindern könne: Man solle die Streikenden zur Armee einziehen; wenn sie dann immer noch die Arbeit verweigerten, könne man sie vor ein Militärgericht stellen und einige zur Abschreckung erschießen.
Viele Unternehmen hatten im Krieg riesige Gewinne gemacht. Als der Krieg vorbei war, wollten die Arbeiter davon etwas abhaben. Die Arbeitgeber verweigerten höhere Löhne, es gab Massenentlassungen, und viele von denen, die noch Arbeit hatten, fanden sich durch Tricksereien plötzlich in niedrigeren Lohngruppen wieder (wir erleben das jetzt mit der Leiharbeit). Im Jahr 1946 wurde das Land durch die schwersten Arbeitskämpfe in der amerikanischen Geschichte erschüttert. Präsident Truman stellte 1946 die Kohlebergwerke und 1947 die Eisenbahnen (vorübergehend) unter staatliche Kontrolle, was für seine Gegner ein Beweis dafür war, dass er genauso ein Kommunist war wie sein Vorgänger Roosevelt. Im Juni 1947 reagierte der nun republikanisch dominierte Kongress mit dem berüchtigten, gegen Trumans Veto verabschiedetem Taft-Hartley-Gesetz, das darauf abzielte, die Macht der Gewerkschaften zu brechen und das Streikrecht einschränkte.
McCarthy, der vor seinem Einzug in den Senat als moderater Republikaner gegolten hatte, stimmte für Taft-Hartley und verärgerte so einen beträchtlichen Teil seiner Wähler. Er machte sich auch für die Abschaffung der im Krieg eingeführten Preiskontrollen für Zucker stark, was im Interesse der Hersteller von Erfrischungsgetränken war. Als herauskam, dass er von einem Manager der Firma Pepsi einen „Kredit“ angenommen hatte, wurde gegen ihn ermittelt, und er erhielt den Spitznamen „The Pepsi Cola Kid“. Außerdem sah er sich mit Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung und mit Vorwürfen wegen seines erfundenen Heldentums konfrontiert. Seine Wiederwahl war stark gefährdet. Er musste sich also etwas einfallen lassen.
Die rettende Idee hatte Edmund Walsh, ein katholischer Priester. Walsh schlug vor, eine Kampagne gegen Kommunisten und Subversive im demokratisch geführten Regierungsapparat zu starten. Mit Informationen gefüttert wurde McCarthy vom FBI und von seinem Freund Jack Anderson, einem Journalisten. Anderson gab ihm die Namen von Leuten, die er für Kommunisten hielt und wartete dann ab, ob er etwas Belastendes zutage fördern würde, was sich veröffentlichen ließ. Als Senator konnte McCarthy wilde Behauptungen aufstellen, ohne Verleumdungsklagen fürchten zu müssen.
McCarthys Aufstieg zum Helden der anti-kommunistischen Welt begann am 9. Februar 1950. In den Wochen davor war China an die Kommunisten gefallen; die Sowjetunion hatte den ersten erfolgreichen Atombombentest absolviert; Klaus Fuchs, ein Mitarbeiter beim Manhattan Project, hatte gestanden, atomare Geheimnisse an die Russen weitergegeben zu haben. In Amerika ging die Angst vor einem Atomkrieg um. Und Alger Hiss war unter großer Medienbeteiligung wegen Meineids verurteilt worden, was den Verdacht nährte, dass höchste Regierungsstellen kommunistisch infiltriert seien. In dieser aufgeladenen Atmosphäre trat McCarthy beim Treffen des republikanischen Frauenclubs in Wheeling, West Virginia auf. Er hielt ein Blatt Papier hoch und behauptete, darauf seien die Namen von 205 Mitgliedern der KP der USA verzeichnet, die alle im Außenministerium arbeiteten; zumindest ein Teil von ihnen gebe geheime Informationen an die UdSSR weiter. Später korrigierte er die Zahl auf 57. Seine Apologeten sagen, er habe immer nur von 57 Kommunisten gesprochen (es gibt kein Tondokument von der Rede).
Ketchup-Kommunisten: 57 Different Flavors
Die Zahl 205 lässt sich herleiten. 1946 hatte der damalige Außenminister einen Kongressabgeordneten brieflich über das Ergebnis einer Sicherheitsüberprüfung unterrichtet. McCarthy berief sich später auf diesen Brief. 3 000 Personen waren überprüft worden. Die Ermittler hatten empfohlen, 284 davon nicht weiter zu beschäftigen. 79 von ihnen waren daraufhin entlassen worden (blieben demnach 205). Als McCarthy seine Rede hielt, waren noch gut 60 von den ursprünglich 284 in Staatsdiensten; sie alle waren ein weiteres Mal überprüft worden. Als „Sicherheitsrisiko“ galten nicht nur Kommunisten, sondern auch Faschisten, Suchtkranke und Nicht-Heterosexuelle. Demnach hätte sich McCarthy auch selbst auf einer solchen Liste wiederfinden können. Er war ein schwuler Alkoholiker.
Am 11. Februar schickte McCarthy ein Telegramm an Truman, in dem er von 57 Kommunisten im Außenministerium sprach und eine umfassende Aufklärung verlangte. Erhalten ist auch eine (vermutlich nie abgeschickte) Antwort. Der Präsident bescheinigt McCarthy darin, als Senator völlig ungeeignet zu sein; die Menschen von Wisconsin seien arm dran, weil sie von ihm vertreten wurden. Eine satirische Antwort gab später John Frankenheimer. Senator Iselin in The Manchurian Candidate (1962) ist unschwer als Karikatur von Joe McCarthy zu erkennen (man fragt sich nur manchmal, wer die größere Karikatur ist, der reale oder der erfundene Senator?). Iselin sagt, er habe eine Liste mit 207 Kommunisten im Verteidigungsministerium. Daraus wird dann 104, 275 und schließlich 57. Die letzte Zahl verdankt der Senator einer Flasche Heinz Tomatenketchup („57 verschiedene Geschmacksrichtungen“).
Am 20. Februar 1950 hielt McCarthy eine fast sechsstündige Rede vor dem Senat, in der er seine Vorwürfe wiederholte und ausbaute. Allerdings sprach er diesmal nicht von KP-Mitgliedern, sondern von – jetzt 81 – „Loyalitätsrisiken“. So vorsichtig war er später nicht mehr. Inzwischen war er landesweit bekannt. Er erhob nun regelmäßig Vorwürfe, die in aller Regel auf Repräsentanten der Roosevelt- und Truman-Administrationen und des New Deal abzielten. Jede seiner Anschuldigungen wurde sofort mit großen Überschriften in den Zeitungen gemeldet und im Rundfunk verbreitet; dafür sorgten schon Hoover, Hearst etc. Die Liste mit den „57 KP-Mitgliedern“ im Außenministerium gab es wirklich. Sie wurde erst sehr viel später bekannt. Nur drei der genannten Personen arbeiteten tatsächlich im Außenministerium. Es gibt keinen überzeugenden Beweis dafür, dass sie jemals KP-Mitglieder waren. Zwei von den dreien waren 1946 ausgeschieden. Die dritte Person wurde nach eingehender Untersuchung von den Vorwürfen freigesprochen.
M. Stanton Evans, ein sehr konservativer Historiker, wartet in seinem 600-Seiten-Wälzer Blacklisted by History: The Untold Story of Senator Joe McCarthy and His Fight Against America's Enemies mit dem Faksimile einer anderen, über hundert Namen umfassenden Liste auf, die angeblich „die echte“ ist und mit ziemlicher Sicherheit von einem FBI-Agenten zusammengestellt wurde. 58 der Genannten waren Anfang 1950 beim Außenministerium beschäftigt. Das Gruselige daran ist, dass jetzt wieder solche Listen kursieren, um McCarthy zu rehabilitieren. Die Kommunistenjäger des FBI sind aber nicht eben dafür bekannt, dass sie zwischen Beweisen und Hörensagen unterschieden hätten. Und wenn die 58 tatsächlich Mitglieder der KP gewesen sein sollten, in den 30ern oder danach, oder wenn sie „kommunistische Neigungen“ gehabt haben sollten, was auch schon reichte (zum Kommunismus tendierte man zum Beispiel, wenn man sich für die Gleichberechtigung der Schwarzen, für das Streikrecht oder für niedrigere Milchpreise ausgesprochen hatte), wäre damit noch nicht gesagt, dass sie Agenten waren.
Schon wieder eine Liste: McCarthy heute
Seit 1995 gibt es noch eine Liste: Codenamen von 349 russischen Spionen, von denen etwa die Hälfte konkreten Personen zugeordnet wurde. Diese Liste geht auf das streng geheime Venona-Projekt zurück, dessen Dokumente ab 1995 Stück für Stück veröffentlicht wurden. Zwischen 1942 und 1945 fing der US-Geheimdienst tausende von verschlüsselten Botschaften ab, die aus den USA in die UdSSR geschickt wurden. Ein Teil dieser Nachrichten wurde von amerikanischen und britischen Experten in jahrelanger Arbeit dechiffriert. Der vielleicht größte Venona-Erfolg war die Enttarnung des Briten Donald Maclean (Codename: Homer), was Jahre danach dazu führte, dass sich Kim Philby, der „Spion des Jahrhunderts“, nach Moskau absetzte.
Die Venona-Liste ist inzwischen zum wichtigsten Beweis der McCarthy-Apolegeten geworden, dass der Kommunistenjäger doch Recht hatte. Auch die Online-Ausgabe der Welt hat Joe McCarthy zum 100. Geburtstag mit einem durchaus freundlichen Artikel bedacht, der am Schluss fragt, ob es nicht an der Zeit sei, „des Senators aus Wisconsin endlich mit Nachsicht zu gedenken“? Es sei „erstaunlich“, meint Die Welt,
wie düster das Image von McCarthy geblieben ist. Verblüffen muss vielmehr, dass das Verdammungsurteil gegen ihn einen richtigen Paradigmenwechsel überstanden hat. In den Siebzigern konnte man noch behaupten, im State Department habe es keine kommunistischen Spione gegeben, auch noch in den Achtzigern – aber nicht mehr seit 1995. […] Seit „Venona“ öffentlich wurde, kann jeder wissen: Es war keine Einbildung und kein Wahn, dass es eine massive Unterwanderung amerikanischer Regierungsstellen gab. Es war eine Tatsache.
Das mag so sein. Es ist aber wie so oft in der geheimen Welt der Geheimdienste und der noch geheimeren Geheimdienste: Je genauer man hinschaut, desto mehr verschwimmen die Konturen. Das Projekt war so supergeheim, dass es unter ständig wechselnden Tarnnamen lief. Davon gibt es mehr als ein Dutzend. Umstritten ist schon, ob jeder dieser Tarnnamen immer genau dasselbe Projekt bezeichnete („Venona“ oder „VENONA“ war der – vermutlich – letzte; was der Name bedeutet, und ob er etwas bedeutet, ist unbekannt). Kim Philby wusste offiziell ab 1949 von dem Projekt. Weil aber britische Dechiffrierexperten schon früher damit beschäftigt waren, und weil er beste Kontakte zum US-Geheimdienst hatte (viele Agenten waren von ihm ausgebildet worden), kann es sein, dass er bereits Jahre vorher davon Wind bekommen hatte. In dem Fall wäre damit zu rechnen, dass die Telegramme irgendwann von den Sowjets zur Verbreitung von Desinformationen eingesetzt wurden. Es gibt auch Skeptiker, die behaupten, sie seien von amerikanischen Diensten gefälscht worden.
Den Codenamen reale Personen zuzuordnen ist schon deshalb sehr schwierig, weil es vorkam, dass ein- und dieselbe Person die Codenamen wechselte, oder dass verschiedene Personen nacheinander denselben Codenamen benutzten. Es ist auch nicht befriedigend geklärt, ob sich hinter jedem Decknamen ein oder mehrere Spione versteckten, oder ob es sich teilweise um Leute handelte, die ohne ihr Wissen von russischen Agenten ausgehorcht wurden. Meistens weiß man nur, dass Informationen weitergegeben wurden, nicht aber, welcher Art sie waren; daraus eine Spionagetätigkeit und einen Straftatbestand abzuleiten, erscheint zumindest fragwürdig. Die Logik des McCarthyismus, der zufolge jeder, der ein Kommunist war oder in Kontakt zu Kommunisten stand oder zu Personen, die verdächtigt wurden, Kommunist zu sein, ein Agent Moskaus war, sollten wir uns nicht zueigen machen.
Besonders viel Aufmerksamkeit hat der Mann gefunden, der als „ALES“ Informationen an Moskau weitergab. Das soll Alger Hiss gewesen sein, was beweisen würde, dass 1950 kein Unschuldiger ins Gefängnis geschickt wurde. Da sich diese Zuordnung aber nur auf Indizien stützt, haben die Skeptiker längst alternative Indizienketten präsentiert, die auf eine andere Person hinweisen und Hiss auszuschließen scheinen. Als „unabhängiger Beweis“ für Hiss’ Schuld wird gelegentlich noch immer ein 1990 (also fünf Jahre vor der Venona-Veröffentlichung) erschienenes Buch von Oleg Gordievsky angeführt. Gordievsky, ein hochrangiger KGB-Offizier, arbeitete jahrelang als Maulwurf für die Briten und lief 1985 über. In KGB: The Inside Story erzählt er, er habe bei einer KGB-Veranstaltung erfahren, dass Hiss ein russischer Spion war, der unter dem Codenamen „ALES“ arbeitete. Später kam heraus, dass auch Maulwürfe Zeitung lesen. Gordievsky verdankte sein Wissen über „ALES“ dem Artikel eines Journalisten, der Jahre vor deren Veröffentlichung einen Blick auf die Venona-Telegramme hatte werfen dürfen. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass Gordievsky verdächtigt wird, ein falscher Überläufer zu sein. Das ist in solchen Fällen immer so. Je besser die von einem Maulwurf gelieferten Informationen, desto größer der Verdacht, dass er gar kein Maulwurf ist.
Im Anhang zu ihrem Buch Venona: Decoding Soviet Espionage in America listen John Earl Haynes und Harvey Klehr die 349 Codenamen und die ihnen zugeordneten „Spione“ auf. In einem fairen Verfahren würde keiner der Identifizierten verurteilt werden. Wenn Venona früher bekannt gewesen wäre, heißt es, hätte man die Schuld dieser „Spione“ beweisen können (jetzt sei das leider nicht mehr möglich). Also sind sie schuldig. Es erscheinen dauernd neue Bücher, deren Autoren die Namen von der Venona-Liste kritiklos übernehmen. Das ist der McCarthyismus unserer Tage. Bliebe noch anzumerken, dass Joe McCarthys eigene Trefferquote beim Benennen von Kommunisten und Spionen in der US-Regierung äußerst gering war, wenn man die Venona-Liste zugrunde legt. McCarthy stellte unbewiesene und oft frei erfundene Behauptungen auf. Im Kalten Krieg reichte das aus, um bürgerliche Existenzen zu vernichten.
„McCarthys Kommunistenjagd“, titelt Die Welt, „war oft gut begründet.“ Schließlich gibt es da noch Annie Lee Moss, die in einer Fernmeldeeinheit der Armee arbeitete und von McCarthy beschuldigt wurde, KP-Mitglied zu sein. Moss behauptete bei der öffentlichen Anhörung, das Opfer einer Verwechslung zu sein. Am 16. März 1954 griff der TV-Journalist Edward R. Murrow den Fall in seiner Sendung See It Now auf, was McCarthy sehr schadete (die Moss-Sendung ist ein zentraler Bestandteil von George Clooneys Good Night, and Good Luck). Inzwischen gibt es stichhaltige Belege dafür, dass es sich um die richtige Annie Lee Moss handelte, und dass sie doch Mitglied der KP war (oder früher gewesen war). McCarthy-Apologeten führen das gern als Beleg dafür an, dass dem armen Senator in den Medien übel mitgespielt wurde. Man sollte dann aber auch erwähnen, dass sich Roy Cohn, McCarthys rechte Hand, statt Beweise vorzulegen, auf eine FBI-Agentin und auf vertrauliche Informationen einer Quelle berief, die er nicht nennen wollte. Dafür wurde er vom Vorsitzenden gerügt: “Das ist das Verurteilen von Leuten durch Gerüchte und Hörensagen und üble Nachrede.” Um solche Methoden ging es in der Sendung, in der Murrow ein Tondokument von Eisenhower einspielen ließ. Der Präsident zeigte sich froh darüber, dass jeder Amerikaner das Recht habe, seinem Ankläger Auge in Auge gegenüber zu treten.
Neger, Japaner, Kommunisten: Immer noch mehr Listen
Am Anfang von McCarthys Karriere als Kommunistenjäger wirkte es sich zu seinem Vorteil aus, dass einige seiner prominentesten Gegner im Senat 1950 zur Wiederwahl anstanden. Sie wurden mit einer Schmutzkampagne überzogen. Wer Kritik an den Methoden McCarthys übte, konnte bald über sich in der Zeitung lesen, Teil der kommunistischen Weltverschwörung zu sein. Keiner wurde wiedergewählt. Als der Koreakrieg nicht so lief wie gewünscht, wurde auch das auf eine kommunistische Infiltration zurückgeführt. McCarthy frontal anzugehen, galt als politischer Selbstmord. Er selbst wurde 1952 als Senator von Wisconsin bestätigt (allerdings mit fast 10 Prozent der Stimmen weniger als beim letzten Mal).
McCarthy war nicht beim HUAC, aber er war mitverantwortlich für das Klima, in dem dieser Ausschuss erst so recht gedeihen konnte. 1947 hatte Hollywood guten Willen gezeigt und Lubitschs Ninotchka neu gestartet. Als Beitrag zum Anti-Kommunismus. Ayn Rand zufolge müsste man den Film zwar zur Sowjet-Propaganda rechnen (Greta Garbo lacht in ihrer Rolle als russische Kommissarin), aber das war offenbar egal. Weil das Interesse des Publikums bald erlahmt war, hatte sich der Ausschuss nach der Vorladung der Hollywood Ten anderen Gefahren gewidmet als der kommunistischen Unterwanderung der Filmindustrie. Angespornt durch McCarthys Erfolge (damit ist die öffentliche Aufmerksamkeit gemeint, die er fand, nicht die Enttarnung von Kommunisten oder gar Spionen), nahm man die Arbeit wieder auf. Anfang 1951 begann die nächste Anhörungsrunde. Neuer Vorsitzender war John S. Wood, ein Mann der ersten Stunde. Wood war 1938 einer von denen gewesen, die keine Veranlassung sahen, eine so uramerikanische Institution wie den Ku-Klux-Klan unter die Lupe zu nehmen.
Wenn wir J. Edgar Hoover glauben wollen, war der Drehbuchautor Gordon Kahn einer der drei gefährlichsten Kommunisten von Hollywood. Er wurde observiert und abgehört. Seine sehr umfangreiche FBI-Akte enthält Informationen wie diese: Kahn gehörte zum Russisch-Amerikanischen Klub und hatte einmal gesagt, dass er nichts dagegen hätte, „mit Negern, Japanern und anderen“ in einer Straße zu wohnen. Ein auf ihn angesetzter FBI-Agent war deshalb überzeugt, dass Kahn ein Kommunist sei, auch wenn er keine Beweise dafür finden könne. Als Kahn sagte, dass er vielleicht wegziehen und sein Haus in Beverly Hills an einen Schwarzen verkaufen werde, alarmierte das die Nachbarn (so etwas war Gift für die Grundstückspreise). Sie denunzierten Kahn beim FBI, konnten aber nichts Belastenderes vorweisen als seinen Plan, europäische Verwandte (bestimmt auch Kommunisten) in die USA zu holen.
Wer wie Kahn nicht mit dem HUAC kooperierte, galt als schuldig und wurde auf die Blacklist gesetzt. Zur schwarzen kamen mehrere graue, von konservativen Gruppierungen veröffentlichte Listen. Drei frühere FBI-Agenten hatten 1947 die Firma „American Business Consultants“ gegründet. Das Unternehmen verkaufte ein regelmäßig erscheinendes Informationsblatt mit dem Titel Counterattack, mit dem „Fakten“ (wenig Recherche und viel Hörensagen) zum Kommunismus verbreitet wurden. Wer dort erwähnt wurde, fand sich bald auf irgendwelchen Listen wieder, verlor seinen Job oder erhielt keine Aufträge mehr.
1950 taten sich die „Business Consultants“ mit einem ultrakonservativen TV-Produzenten zusammen. Gemeinsam veröffentlichte man Red Channels, einen „Report“ über die kommunistische Unterwanderung von Rundfunk und Fernsehen. Mittlerweile gab es über 100 Gruppierungen, die vom FBI oder vom HUAC oder von McCarthy oder von sonst irgendwem als kommunistisch, als kommunistenfreundlich oder als kommunistische „Tarnorganisation“ eingestuft wurden. Wer dort Mitglied war, oder wer mit einem Mitglied befreundet war, wer bei einer „verdächtigen“ Veranstaltung aufgetreten war oder einen „verdächtigen“ Aufruf unterschrieben hatte, musste damit rechnen, auf einer Liste zu landen. Solche Listen gab es für Film, Funk und Fernsehen, für die Theater, für Schulen und Universitäten, für Staatsbedienstete, für Schaffner der U-Bahn von New York …
Natürlich gerieten auch Leute ins Visier der Kommunistenjäger, die tatsächlich Mitglied der KP waren oder gewesen waren. Zum Beispiel Sterling Hayden. Er hatte mit seiner Rolle in John Hustons The Asphalt Jungle (1950) gerade seinen Durchbruch als Schauspieler erlebt, als er plötzlich keine Angebote mehr bekam. Um wieder als Schauspieler arbeiten zu können, sagte er vor dem HUAC aus. Im April 1951 bereute er dort öffentlich, nannte die Namen anderer Kommunisten, wurde für seinen Patriotismus belobigt und zu dem, was er später in seiner sehr lesenswerten Autobiographie Wanderer (1963) angewidert einen „hygienisch reinen Helden der Kultur“ nannte:
Nicht oft wird ein Mann dafür gepriesen, dass er sich auf eine Weise verhalten hat, die er selbst verachtet. Ich wurde Abonnent eines Zeitungsauschnittsdienstes. Sie schickten mir 2000 Ausschnitte von Zeitungen aus dem Osten und dem Westen, kleinen und großen, und von Dutzenden von Zeitschriften. Die meisten kannten nichts als Lob für meine einmalige Spitzel-Nummer. Nur eine Handvoll verurteilten diese Aufhebung verfassungsmäßiger Freiheiten, wodurch der Denunziant im Land der Verängstigten zu Rang und Ansehen kommen konnte.
Naming Names: Öffentliche Demütigungsrituale
Auf der Blacklist der Hollywood-Studios standen über 300 Namen. Wenn man die grauen Listen mit hinzunimmt, werden es viel mehr. In Hollywood gab es auch ein Komitee, das denen, die Reue zeigten, dabei behilflich war, von der Liste gestrichen zu werden. Eine führende Rolle spielte dabei Ronald Reagan; das ist derselbe Ronald Reagan, der 1980 im Wahlkampf sagte, eine schwarze Liste habe es nie gegeben, oder wenn doch, dann sei sie eine Fälschung der Kommunisten gewesen. Das Prozedere war wie folgt: Zuerst offenbarte man sich einem FBI-Agenten. Dann bat man das HUAC, gehört zu werden, um seine Vergangenheit und diverse Kommunisten zu denunzieren oder auch nur solche, die man dafür hielt. Den Zögerlichen wurde angeboten, in geheimer Sitzung auszusagen. Wenn das geschehen war, wurden sie doch noch gezwungen, das öffentliche Demütigungsritual über sich ergehen zu lassen.
Von 110 Beschäftigten der Filmindustrie, die zur zweiten Anhörungsrunde vorgeladen wurden, entschieden sich 58 zur vorher abgesprochenen Aussage (der geheimen Sitzungen wegen weiß niemand ganz genau, ob das alle waren). Das Nennen von Namen war unerlässlich. Wer nie KP-Mitglied gewesen war und keine Kommunisten nennen konnte, erhielt vom FBI eine Vorschlagsliste mit den ohnehin bekannten Namen, damit die Schauveranstaltung wie geplant ablaufen konnte. Im Schnitt nannte jeder der Geständigen gut zwei Dutzend Namen. Da viele mehrfach genannt wurden, ergab das etwa 200 (meist ehemalige) Kommunisten. Wer prominent war, setzte anschließend den eigenen Namen unter einen Zeitungsartikel, in dem man noch einmal versicherte, dass es einem leid tat, ein Kommunist gewesen zu sein. Und man dankte dem Ausschuss für seine Arbeit.
Auch Elia Kazan stand auf einer Liste. Kazan war eine Ikone der New Yorker Theaterszene. Für viele war er ein Vorbild und eine moralische Autorität. Zumindest in New York galt er als fast unangreifbar. Viele seiner ehemaligen Freunde meinten später, dass er, dank seines Rufs und seiner Position, das Ende der Hexenjagd hätte einleiten können, wenn er die Kollaboration verweigert und öffentlich mit dem HUAC abgerechnet hätte. Man wird nicht mehr feststellen können, ob diese Chance bestanden hätte, denn auch Kazan sagte aus. Er nannte Namen aus dem Umfeld des Group Theatre in New York.
Arthur Miller war bis zu Kazans Aussage dessen engster Freund. 1953 hatte am Broadway Millers Stück The Crucible Premiere. Die Hauptfigur, John Proctor, lässt sich lieber umbringen, als seine Freunde zu denunzieren: “Ich bekenne meine eigenen Sünden; über einen anderen kann ich nicht urteilen. […] Ich habe drei Kinder – wie kann ich sie lehren, den aufrechten Gang zu gehen, wenn ich selbst meine Freunde verkauft habe?“ Kazans Antwort war der Film On the Waterfront (1954), in dem der Gute (Marlon Brando) gegen kriminelle Gewerkschaftler aussagt. Diese Aussage des Guten würde seinen Bruder in die Todeszelle bringen. Um dieses moralische Problem zu umschiffen, lässt der Film den Bruder vorher von den Bösen umbringen. So wird ein Kontext geschaffen, in dem die Denunziation die einzig ehrenwerte, moralisch einwandfreie Handlungsweise ist.
Oscars für Kazan: Opfer und Profiteure
Für seine Gegner war danach nicht nur die Person Elia Kazan kompromittiert, sondern auch sein Werk. Hollywood sah das in einem milderen Licht. On the Waterfront wurde mit Oscars überschüttet. Als alter Mann erhielt Kazan noch einen Ehrenoscar für sein Lebenswerk. Die Regisseure, die nach Europa gehen mussten, um weiter arbeiten zu können (Jules Dassin, Joseph Losey, Cyril Endfield, Orson Welles) bekamen keinen. Nach wie vor gilt die stillschweigende (und in Filmgeschichten dauernd wiederholte) Übereinkunft, dass die Opfer der schwarzen und grauen Listen Hollywoods ihre beste Zeit schon hinter sich hatten wie angeblich Orson Welles, und dass die große Mehrheit künstlerisch ohnehin ganz unbedeutend war. Das ist nicht nur allzu einfach, es ist auch völlig falsch. Und eine Form von kollektiver Amnesie.
Von den Anhörungen des HUAC profitierten Leute wie Richard Nixon, der Eisenhowers Vize-Präsident wurde und dann selbst ins Weiße Haus einzog (mit ihm und Ronald Reagan stiegen zwei Protagonisten der Hexenjagd zum US-Präsidenten auf). Diejenigen, die sich dem Ausschuss stellen mussten, trugen Wunden davon, von denen sich die meisten nicht mehr erholten – unabhängig davon, ob sie kooperiert hatten oder nicht. Elia Kazans Rechtfertigungszwang war so stark, dass er noch Jahrzehnte nach seiner Aussage wechselnde Rationalisierungen seines Verhaltens bot. In seiner Autobiographie A Life (1988) bemüht er ein letztes Mal die kommunistische Weltverschwörung, den Rest der Verantwortung schiebt er seiner Frau in die Schuhe. Im DVD-Bonusmaterial zu On the Waterfront erfährt man, dass Kazan ein Opfer war. Nicht ein Opfer Nixons und des McCarthyismus, sondern ein Opfer seiner auf die Blacklist gesetzten Kollegen, die bis zum Schluss nicht verstehen wollten, dass er das Richtige getan hatte. Kazan konnte umgekehrt nicht verstehen, warum Jules Dassin es „diabolisch“ fand, dass er später Leuten von der schwarzen Liste Arbeit anbot.
Joseph Losey verurteilte bis an sein Lebensende all jene, die mit den Kommunistenjägern zusammengearbeitet hatten. Er selbst unterschrieb 1960 – heimlich – eine Erklärung, in der er sich vom Kommunismus lossagte, um einen Regievertrag mit der Columbia nicht zu gefährden. Ob er Namen nennen musste, ist so unbekannt wie die Zahl derer, die insgeheim solche Erklärungen abgaben, während sie öffentlich die Denunzianten verurteilten. „Jeder“, sagt eine Figur in Lillian Hellmans McCarthy-Buch Scoundrel Time (1976), „hat das Recht, sich ein bisschen heldenhafter zu machen, als er ist.“ Welche Deformationen diese Art von Heldentum verursachte, und bei wem, weiß niemand so genau. Aber natürlich gab es auch echte Helden wie Hellmans Lebensgefährten Dashiell Hammett, einen der größten amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er ging ins Gefängnis, statt Namen zu nennen. Als er entlassen wurde, war seine Gesundheit ruiniert. Danach sorgten dubiose Steuernachforderungen dafür, dass er nie wieder eigenes Geld verdienen konnte. Raymond Chandler fand das alles so empörend, dass er Philip Marlowe im Roman The Long Goodbye (1953) klare Worte über den McCarthyismus sagen ließ. Das war mutig.
Auch einige der kleineren Filmstudios entdeckten allmählich ihre Courage. Nicholas Ray inszenierte für die Republic Johnny Guitar (1953), nach einem sehr trickreichen Drehbuch von Philip Yordan, das eine Vertreterin des freien Unternehmertums (Joan Crawford) zum Hauptangriffsziel der McCarthyisten macht. Ward Bond, einer der prominentesten Rechtsaußen Hollywoods, führt eine wildgewordene, in Beerdigungsanzügen steckende Bürgerwehr an, die ein Haus in Brand setzt, mit dem wohl die amerikanische Gesellschaft gemeint ist. Ein Zeuge wird gezwungen, den Namen der Heldin zu nennen, die schon vorher für schuldig erklärt wurde. Und es gibt sogar eine kleine, nachträgliche Utopie: Sterling Hayden (Johnny Guitar), im realen Leben ein „freundlicher Zeuge“, hat im Film mehrere Jahre im Gefängnis gesessen (weil er nicht aussagen wollte?) und darf nun erfahren, dass seine Liebste auf ihn gewartet hat.
Kommunismus im Bücherregal und bei den Streitkräften: McCarthy überhebt sich
Joe McCarthy wurde nach seiner Wiederwahl Mitglied (und 1953 Vorsitzender) eines Unterausschusses des Senats, der sich mit Verschwendung, Ineffizienz und gesetzwidrigem Verhalten von Regierungsbehörden befassen sollte. McCarthy funktionierte ihn zum Instrument der großen Kommunistenhatz um. Zu seiner rechten Hand machte er Roy Cohn. Dieser Anwalt hatte sich bei der Verfolgung der mutmaßlichen Atomspione Julius und Ethel Rosenberg besonders hervorgetan und war McCarthy von J. Edgar Hoover empfohlen worden (der Rosenberg-Fall bildet das Gerüst eines der besten Romane über den McCarthyismus, Robert Coovers The Public Burning). Cohn stellte David Schine, seinen „besten Freund“, als persönlichen Berater ein.
Cohn machte eine Europareise und sah die Kataloge der von den USA im Rahmen des Overseas Library Program finanzierten Bibliotheken durch. Danach gab es wieder eine Liste, die McCarthy vor Presse und Fernsehen präsentierte: Bücher von „Kommunisten, Pro-Kommunisten, früheren Kommunisten und Anti-Anti-Kommunisten“. Diese Literatur-Blacklist wurde vom Außenministerium übernommen. Eisenhower mochte die Krimis von Dashiell Hammett und war dagegen, auch sie aus den Regalen zu nehmen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Manche Bibliothekare waren so willfährig, dass sie die inkriminierten Bücher einstampfen oder verbrennen ließen.
McCarthys Hasstiraden über „20 Jahre des Verrats“ (die Regierungszeit der Demokraten Roosevelt und Truman) hatten mitgeholfen, Eisenhower zum Präsidenten zu machen. Als der Senator den „Verrat“ aber umstandslos um ein Jahr verlängerte, war das problematisch. Es war ein Unterschied, ob er den demokratischen Außenminister angriff oder ein nun von Republikanern geführtes Ministerium. Als er dann auch noch die Armee ins Visier nahm, ging er zu weit.
„Ein Arschloch entlarvt sich selbst“
J. Edgar Hoover, der weder Kosten noch Mühen scheute, um fette Dossiers über unamerikanische Amerikaner anzulegen, war äußerst zögerlich, was die Bekämpfung der Mafia anging. Seiner offiziellen Meinung nach gab es in den USA gar kein organisiertes Verbrechen. Der Senatsausschuss, der 1950 eine lange Reihe von Mafiosi vorlud, um deren Aktivitäten unter die Lupe zu nehmen, musste deshalb ohne nennenswerte Unterstützung des FBI auskommen. Die live im Fernsehen übertragenen Anhörungen waren der bis dahin größte Quotenhit (30 Millionen Zuschauer). Die TV-Sender wollten mehr davon. Für das HUAC war das gut, denn die „subversiven Elemente“ wirkten schon deshalb schuldig, weil sie sich wie vor ihnen die Gangster auf den fünften Verfassungszusatz beriefen. Für McCarthy war es eine Katastrophe.
Als er 1954 die kommunistische Infiltration anprangerte, erlebten das 20 Millionen Amerikaner live mit, in Spitzenzeiten vermutlich noch viel mehr. Diesmal waren es nicht nur die anderen, die sich rechtfertigen mussten, sondern auch McCarthy selbst. Die Armee warf ihm vor, Druck ausgeübt und versucht zu haben, die Einberufung von David Schine (Cohns Liebhaber) zum Militärdienst zu verhindern. Als das nicht gelungen war, habe er Schines Ernennung zum Offizier erzwingen wollen. Das alles steckte die Armee vorab einigen Journalisten, was nicht sehr fein, aber durchaus wirkungsvoll war. Dann wurden die Vorwürfe im Fernsehen besprochen.
Mehr Schaden dürfte aber angerichtet haben, dass das Publikum nun, live und ungeschnitten, miterleben konnte, mit welchen Methoden McCarthy zu Werke ging, dass er zum cholerischen Herumbrüllen neigte, wüste Behauptungen aufstellte, keine Beweise hatte, verdiente Militärveteranen als Idioten und Verräter beschimpfte und sich in Widersprüche verstrickte, wenn sich die Gegenseite nicht einschüchtern ließ. Die Armee konnte sich auch bessere Rechtsbeistände leisten als die meisten der bisherigen Opfer, die oft schon ruiniert waren, wenn sie McCarthy gegenübertreten mussten (wenn ihnen eine Bürgerrechtsorganisation einen Anwalt gestellt hatte, war das ein „Beweis“ ihrer Schuld). Einer davon war Joseph Welch, ein erfahrener Prozessanwalt mit viel theatralischem Geschick. Welch brachte McCarthy und Cohn ein um das andere Mal in Bedrängnis, so zum Beispiel durch die Aufforderung, die gerade aktuelle Liste tatsächlich vorzulegen, statt mit Papieren zu wedeln und von 130 namentlich bekannten Kommunisten in der Rüstungsindustrie zu reden. Berühmt wurde Welchs rhetorische Frage, ob der Senator sich gar keinen Sinn für Anstand bewahrt habe.
Man kann sich selbst ein ungefähres Bild von diesem TV-Ereignis machen, wenn man Emile de Antonios aus 189 Sendestunden montiertes Erstlingswerk Point of Order sieht (später umbenannt in McCarthy: Death of a Witch Hunter und vom New York Film Festival 1963 mit der Begründung abgelehnt, dass es sich nicht um einen Film handle). De Antonio hat seinen Dokumentarfilm so zusammengefasst: „Ein Arschloch, lange genug ausgestellt, entlarvt sich selbst.“ Vornehmer formulierte es, stellvertretend für viele andere Zeitungen des Landes, 1954 der Louisville Courier: „In dieser langen, erniedrigenden Travestie auf den demokratischen Prozess hat sich McCarthy als bösartiger Mensch erwiesen, dem an Bosheit keiner gleichkommt.“ Wenn das auch schon die Leitartikler der Kleinstadtblätter schrieben, stand es schlecht um den Senator aus Wisconsin.
Im Laufe der 36 Tage, in denen die Anhörungen übertragen wurden, brachen McCarthys Umfragewerte ein. Danach war er erledigt. Er verlor seinen Ausschussvorsitz und damit seine Machtbasis. Die Zeitungen, die früher seine Anschuldigungen auf den Titelseiten gebracht hatten, wollten nichts mehr von ihm wissen. Am 2. Dezember 1954 wurde er von seinen Kollegen im Senat offiziell gerügt (mit 67 gegen 22 Stimmen). Hinterher soll er ein gebrochener Mann gewesen sein. Er starb am 2. Mai 1957 an den Folgen seiner Alkoholkrankheit.
Göttliche Gesandte: Von McCarthy zu Sarah Palin
Die Bemühungen, Joseph R. McCarthy zum “von Gott gesandten” (Ann Coulter) amerikanischen Patrioten zu erklären, nahmen Fahrt auf, als George W. Bush ins Weiße Haus gewählt wurde. Jetzt, nach dem Sieg des Demokraten Barack Obama, vergleichen konservative amerikanische Publizisten McCarthy mit Sarah Palin. Beide, heißt es, seien „Frontier-Amerikaner“ (McCarthy posierte gern mit John Wayne), also echte, amerikanische Amerikaner. Und sie seien das Opfer einer Verschwörung des politischen Establishments, das sich aus den „östlichen Elite-Universitäten“ speise. „Östlich“ ist da, wo schon immer die Juden, die Kommunisten und die Fremden an sich herkamen – oder, viel früher und jetzt wieder, die Muslime und die Islamisten. Ob die McCarthy-Glorifizierung auf den rechten Rand und den Wilden Westen beschränkt bleibt, wird man sehen. In der Welt liest es sich schon einmal so: „In Amerika wird nun über eine Rehabilitierung debattiert.“ Wer da „debattiert“, erfährt man nicht.
Der „Kampf gegen den Kommunismus“ hatte eine Erosion der Grundrechte zur Folge. Einige Parallelen zwischen dem McCarthyismus und dem „Kampf gegen den Terror“, vom Patriot Act über Guantanamo bis zu Murat Kurnaz, sind ziemlich offensichtlich (wer das nicht glaubt, lese John le Carrés neuen Roman A Most Wanted Man). Der McCarthyismus war mit der Entmachtung des Senators aus Wisconsin nicht zu Ende. In den zehn Jahren, denen McCarthy den Namen gegeben hat, gab es eine Aushöhlung des demokratischen Rechtsstaats, der doch eigentlich geschützt werden sollte. Gravierender war vielleicht die schleichende Mentalitätsveränderung, die damit einherging und sich durch die Korrektur von ein paar Sicherheitsgesetzen nicht zurücknehmen ließ. Die Konsequenzen waren noch viele Jahre danach zu spüren. Sarah Palin hin oder her: Das sind keine guten Nachrichten.