Scholl-Latour: "Wir leben in einer Zeit der Massenverblödung"

Seite 2: Zu Ukraine: "Haben die Deutschen jedes Gespür für die Tragik der eigenen Geschichte verloren?"

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In der Gestapo-Gefangenschaft lernte Scholl-Latour die Abgründe der menschlichen Natur kennen

Ihre Mutter war getaufte Christin, stammte aber aus einer jüdischen Familie. Fast Ihr gesamtes Leben lang waren nur enge Freunde und Bekannte darüber informiert, dass Sie und Ihre Familie im 3. Reich Verfolgungen ausgesetzt waren. Weshalb haben Sie so lange darüber geschwiegen?

Peter Scholl-Latour: Nun, ich hatte nie die Absicht, auf meinem Status als Opfer der Nazis im Nachkriegsdeutschland zu pochen. Da gab und gibt es ja auch viele Wichtigtuer, die sich nachträglich gerne als irgendeine Art von Widerstandskämpfern darstellten. Es gab und gibt ja auch viel zu viele Menschen, die sich etwas auf ihre Religionszugehörigkeit einbilden. Dieses Phänomen ist unter allen Religionen zu beobachten, auch gerade heute.

Sie selbst gerieten allerdings am Ende des 2. Weltkrieges noch in die Hände der Gestapo.

Peter Scholl-Latour: Ja, ich versuchte damals dem Regime, welches mir nicht wohlgesonnen war, zu entkommen. Erst plante ich an der Westfront durch die Frontlinien zu gelangen, was aber misslang. Deshalb versuchte ich anschließend, mich in Jugoslawien Titos Partisanen anzuschließen, dabei wurde ich dann in Kärnten erwischt und geriet der Gestapo in die Hände. Das war ein Stahlbad. Die Erfahrungen in den Kerkern der Gestapo haben mich gestärkt, gerade auch gegenüber späteren Herausforderungen und Krisensituationen im Leben.

Sie wurden auch gefoltert?

Peter Scholl-Latour: Ja. Ich werde aber keine Details erwähnen, ich bitte um Ihr Verständnis. Nur so viel möchte ich Ihnen mitteilen, damals, als junger Mann von 21 Jahren, lernte ich die Abgründe der menschlichen Natur kennen. Ich bin aber auch immer Heiligen begegnet. Der Mensch ist halt beides - böse und gut -, und es kommt auch immer auf die Umstände an, welche Seite dominiert. Diesbezüglich geben wir uns heute gerne immer wieder irgendwelcher Illusionen hin. Deshalb gibt es ja auch die Religion, nicht um den Menschen gut, sondern um ihn erträglich zu machen, wobei Religion natürlich auch immer missbraucht wurde und wird.

"Ich muss mal wieder raus"

1929 veröffentlichte der spanische Philosoph José Ortega y Gasset sein berühmtes Werk "Der Aufstand der Massen". Leben wir heute in einem Zeitalter der Massen?

Peter Scholl-Latour: Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung.

Inwiefern?

Peter Scholl-Latour: Wenn Sie sich einmal anschauen, wie einseitig die hiesigen Medien, von TAZ bis Welt, über die Ereignisse in der Ukraine berichten, dann kann man wirklich von einer Desinformation im großen Stil berichten, flankiert von den technischen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters, dann kann man nur feststellen, die Globalisierung hat in der Medienwelt zu einer betrüblichen Provinzialisierung geführt. Ähnliches fand und findet ja bezüglich Syrien und anderen Krisenherden statt.

Halten Sie die Entwicklung für gefährlich?

Peter Scholl-Latour: Ja, vor allem auch für die EU. Ich frage mich, was sich die EU von einer Annäherung der Ukraine erhofft. In Brüssel sollte man sich besser auf eine Konzentration und Konsolidierung ausrichten, statt die Ausweitung nach Osten voranzutreiben. Schon mit der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens haben sich die Kommissare in Brüssel übernommen. Käme nun noch die Republik von Kiew hinzu, wo von den Tataren die Wurzeln des heutigen Russlands gelegt wurden und die Bekehrung zum Christentum stattfand, dann würde das aufgeblähte Territorium der fragilen Europäischen Union bis rund dreihundert Kilometer an jenes Schlachtfeld heranrücken, das unter dem Namen Stalingrad berühmt wurde. Haben die Deutschen jedes Gespür für die Tragik der eigenen Geschichte verloren?

Wie werden Sie Ihren heutigen Ehrentag begehen?

Peter Scholl-Latour: Mein Verlag hat eine kleine Feier organisiert. In wenigen Tagen werde ich wieder verreisen, in den Tschad, ich muss mal wieder raus.

Vielen Dank Peter Scholl-Latour.

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