Schulen bald ohne Computer?

Braucht die Schule wirklich so viele Computer?

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Skeptiker haben die Entwicklung der Computerausstattung in den Schulen schon immer kritisch beäugt, fressen sie doch einen großen Teil des Etats auf und stehen viele Stunden in der Woche absolut ungenutzt in den Räumen der Schule herum. Die Studie "PC-Ausstattung und Internetzugang - Eine Erhebung zur häuslichen Ausstattung der Schülerinnen und Schüler weiterführender Schulen in Niedersachsen im Mai 2001, die von der Einrichtung der Universität Hannover für Kommunikation, Innovation und Kooperation zwischen Schule und Universität (uniKIK) veröffentlicht wurde, ging den Fragestellungen nach, inwieweit der häusliche Computerbesitz das technologische Wettrüsten für die Schulen entspannen kann und Schüler IT-Aufgaben am häuslichen Rechner erledigen können. Dadurch würden allerdings die außerschulischen Projekte, die ab und zu die schulischen Computer nutzen dürfen, weiter in die Röhre gucken.

Kenner der schulischen Computerausstattung verwundert diese Befragung nicht, denn schon seit Jahren wird bemängelt, dass die Rechner in der Regel total veraltet sind oder die gerade neu angeschafften zu wenig ausgelastet werden. Die Computer, die in den Schulen zu finden sind, haben wenig mit der Ausstattung der häuslichen Rechner der Schüler gemeinsam. Die Schulen legen inzwischen viel mehr Wert auf eine Vernetzung und entsprechend mager sind die grafischen Fähigkeiten der Schulcomputer. Oft wird sogar auf ein CD-ROM-Laufwerk verzichtet und eine Installation eigener Software aus guten Gründen total untersagt.

Der freie Zugang ins Internet ist eher eine unwillkommene Forderung der Schüler. Die Lehrer installieren stattdessen Filter-Programme, die entweder nur einen Zugang ins Intranet erlauben oder massenweise Internetangebote schlicht und ergreifend blockieren. Nicht einmal eine altersentsprechende Sondierung wird dabei vorgenommen. Absolut unerwünscht ist in der Regel das Chatten und nur selten vergibt die Schule schulinterne Email-Adressen. Stattdessen verweisen sie auf freie Anbieter und setzen die Schüler somit gleich der Werbeflut aus.

Der häusliche Computer dagegen bietet den Schülern eine freie Gestaltung ihrer multimedialen Nutzung. Kaum zu übersehen ist dabei die Tatsache, dass das Spielen auf dem Computer zu den wesentlichen Beschäftigungsmerkmalen gehört. Entsprechend sind die Computer in der Regel mit teuren Grafik- und Soundkarten hochgerüstet. Der typische häusliche neue Computer wird in der Regel vom Geld der Konfirmation bezahlt und muss mindestens zwei bis drei Jahre halten, bis er entweder aufgerüstet oder durch Neuanschaffung ausgetauscht wird. Allerdings darf man auch nicht verhehlen, dass der Computer oft generativ nach unten abgegeben wird. So bekommt der Vater den neuen Computer - auf dem natürlich nicht gespielt werden darf - und die Kinder erhalten den alten, gebrauchten Rechner, der erst mühselig in Eigenarbeit durch Kauf oder Tausch aufgerüstet werden muss.

Lernen gehört eher zu den ungeliebten Anwendungen, wie auch die Schulbuchverlage immer mehr beklagen. Zwar können sie sich auf dem Nachmittagsmarkt noch behaupten, doch je älter die Schüler sind, umso weniger Software haben sie für diese Schülergruppe im Angebot. Auf dem Computer befindet sich nur wenig Originalsoftware, denn die Schulhoftauschbörse funktioniert perfekt. Der Schulhof ist auch die Infostätte, wo man sich Tipps in der Bedienung des Computers holt. Reichen diese Ratschläge nicht aus, lädt man einen Freund ein und bastelt solange, bis eine Problemlösung erreicht wird. Computerkenntnisse werden daher nicht an der Schule erworben, sondern im Freundeskreis oder allein. Die Autodidakten schaffen es, sich auf diese Weise innerhalb kürzester Zeit umfangreiche Kenntnisse in der Bedienung von Joystick, Maus oder Tastatur anzueignen.

Ergebnisse der Studie

Wem soll die Studie von "uniKIK" nun wirklich dienen? Den Schülern, die sich auf neue zeitgemäße Unterrichtskonzepte freuen können, oder dem Schulträger, der die Schulen nicht mehr so großzügig mit neuen Rechneranlagen auszustatten braucht? Eines macht die Studie zumindest jetzt schon deutlich: "Es sollte für neue Pilotprojekte im Schulbereich gerade die häusliche PC-Ausstattung der Schüler - ausreichende Versorgung vorausgesetzt - einbezogen werden."

Fast jeder Schüler von höheren Schulformen hat Zugang zum Computer

Die Ergebnisse der Gesamtauswertung beziehen sich auf 6.081 Schüler, die den Fragebogen beantwortet haben. Über 300 Klassen aus den Bereichen Gymnasium (81,7 Prozent), BBS/FG/FOS (13,1 Prozent) und aus KGS/OS/Realschule (5,2 Prozent) waren an der Umfrage beteiligt. Es hat sich gezeigt, dass die durchschnittliche Ausstattungsquote bei 93 Prozent liegt. Bei den Gymnasien sind es sogar 95 Prozent, wobei 75 Prozent einen Internetzugang besitzen. In etwa der Hälfte aller Klassen haben die Schüler Zugang zum PC, bei den Gymnasien sind es 55 Prozent.

"In 80% der Klassen haben höchstens 2 Schüler keinen PC (-Zugang), bei Gymnasien sogar 84%." Selbst bei den unterschiedlichen Klassenstufen zeigen sich kaum Unterschiede. Ab der 7. Klasse ist die Versorgung fast zu 100 Prozent abgeschlossen. Im Vergleich Großstadt und kleinstädtischer oder ländlicher Region zeigt sich, dass die Ausstattung der Schulen in der Region besonders gut ist. Von den Schülern im Landkreis Hannover haben 82 Prozent einen Internetzugang, im Vergleich zu Schüler in der Stadt Hannover mit 76 Prozent. In der PC-Ausstattung gibt es nur einen vierprozentigen Unterschied von Stadt zu Land (91 % Stadt, 95 % Landkreis). Ohne PC-Zugang sind in der Stadt nur durchschnittlich 1,8 Schüler und im Landkreis nur 1,1 Schüler.

Praktisch hat also fast jeder Schüler der höheren Schulformen Zugang zum Computer. Jedoch verschiebt sich das Bild, wenn man alle befragten Schüler nach Schulform aufschlüsselt, dann haben 5,4 Schüler aus dem Bereich KGS/OS/Real keinen häuslichen Zugang, aus den Bereichen BBS/FG/FOS 3,1 Schüler. Nur bei den Schülern der Gymnasien sind statistisch 1,1 Schüler ohne häuslichen PC-Zugang.

Alles ist nur relativ

Glaube keine Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast, heißt es so schön. Bei Durchsicht des Fragebogens zeigt sich die offensichtliche Schwäche der Befragung, denn beim PC-Zugang darf man sich schon ab einem 386er-Computer zu den Privilegierten zählen. Die Studie und auch der möglicherweise angedachte Pilotversuch geht auf diesen Schwachpunkt in keiner Hinsicht ein. Moderne Software zumindest läuft auf einem inzwischen als veraltet geltendem Computer nicht mehr. Außerdem wurden keine Betriebssysteme erfasst, geschweige denn eine Aufschlüsselung nach Versionsnummern. Ebenso gibt es keine Daten zum CD-ROM-Laufwerk, der Speicherkapazität oder dem vorhandenen Festplattenplatz.

Was also soll die Basis für einen Pilotversuch sein? Selbst der Datenaustausch per Textverarbeitung wird erhebliche Konvertierungsprobleme verursachen. Abermals wird eher die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen technischen Voraussetzungen stattfinden, als dass man die Zeit mit sinnvollen Unterrichtseinheiten füllt. Lediglich eine Installation von Linux auf allen Rechnern ab 486er könnte dieses Problem beseitigen. Zumindest unter dem Kostenfaktor wäre das eine akzeptable Lösung. Doch wollen die Schüler wirklich alle Linux auf dem häuslichen Rechner installieren? Selbst dieser Lösungsansatz klingt unwahrscheinlich, zumal es immer noch einen bis sechs Schüler pro Klasse gibt, die eben keinen Zugang zum Computer haben. Vielmehr muss sich die Schule weiterhin gut mit Computern und Software ausstatten lassen, um wirklich allen Schülern eine IT-Grundbildung zu vermitteln. Es sei denn, dass sich der Vorschlag der Bundesbildungsministerin Bulmahn durchsetzt und wirklich jedem Schüler bis 2006 ein Notebook zur Verfügung gestellt wird. Zahlen kann und will der Bund dafür allerdings nicht. Die Finanzierung soll durch die Wirtschaft erfolgen.

Schul-PCs werden nicht effektiv ausgenutzt

Der Ausstattungsreigen geht weiter voran und heute werden sogar Grundschulen gefördert und erhalten auf Antrag bis zu 40.000 DM für Computer. Davon sollen allerdings auch Drucker, Scanner und pädagogisch sinnvolle Software angeschafft werden. Für die weitere Finanzierung oder Spenden sollen örtliche Firmen angesprochen werden. Elternförderkreise tragen inzwischen ebenso einen Teil der Kosten.

Meist wird ein Computerraum eingerichtet, der fortan ausschließlich nur noch im Rahmen der IT-Grundbildung betreten wird. Nur in höheren Schulen gibt es darüber hinaus noch freie Öffnungszeiten, zu denen die Schüler die Computer nutzen dürfen. Organisiert werden diese freien Stunden entweder durch ABM-Kräfte oder verlässliche, ältere Schüler. Selten erhalten Lehrer für diese Dienstzeit eine Freistellung.

Computer unter Verschluss

Nach Schulschluss und am Wochenende bleiben die Computer unter Verschluss. Eine Nutzung ist in seltenen Fällen nur einigen wenigen Privilegierten möglich. Oft scheitert selbst diese Nutzungsmöglichkeit am Hausmeister, denn den Schulschlüssel wird kaum ein Schüler erhalten. Das "Hausmeisterproblem" und die "Haftungsfrage" werden in den ablehnenden Begründungen immer wieder angeführt, selbst wenn außerschulische Gruppen und Organisationen diese Computerräume nutzen wollen. Der Hausmeister muss für diese Extra-Arbeit bezahlt werden, der für den Computerraum verantwortliche Lehrer muss eine Einweisung geben und für den Computerraum und die Toiletten gibt es einen zusätzlichen Reinigungsaufwand. Daher bleiben die Schulcomputer nach Feierabend ausgeschaltet.

"Die Schule muss sich endlich öffnen", fordert nicht zu Unrecht Achim Thienger vom Schnittpunkt e.V. aus Schleswig-Holstein. Er stellt immer wieder fest, dass außerschulische Einrichtungen in der Regel nicht so gut wie die Schulen ausgestattet sind. Eine gemeinsame oder zeitversetzte Nutzung der Computer durch außerschulische Projekte ist oft unmöglich, weil für solche Aktionen Freistellungen von Lehrkräften erforderlich sind. Schlimm findet Achim Thienger die technische Verklärung der betreuenden Lehrkräfte und präsentiert einen Forderungskatalog. Um die Chancengleichheit für alle Schüler sicherzustellen, sollten die Computerräumlichkeiten in Medienecken umgewidmet werden. Die Schule muss sich öffnen können, ohne sich in organisatorischen Schwierigkeiten zu verstricken.

Noch aber gibt es in Schleswig-Holstein und anderen Bundesländern nur eine eher schwerfällige Annäherung. Zwar sind viele Schüler den Lehrern in der Handhabung schon überlegen, doch gerade in der außerschulischen Bildung könnten sie in Gruppen nicht nur ihre Medienkenntnisse ausbauen, sondern noch zusätzlich ihre sozialen Kompetenzen erweitern. Das kann der häusliche Umgang mit dem Computer nie vermitteln. Hier werden sie Weltmeister in Ballerspielen, was ihnen in Zukunft jedoch lediglich das Berufsbild des Profispielers anbietet.

Die Schule muss sich öffnen

Die Computerräume müssen so gestaltet sein, dass sie jederzeit auch anderen Gruppen angeboten werden können. Dazu zählt eine Standardisierung der Ausstattung, der Software und der Bedienungsführung, sodass nur eine geringe Einweisung in die Gegebenheiten notwendig ist. Zweckmäßig wäre eine Umwidmung in Internetcafés, die - von Schülern oder ABM-Kräften betreut - fast rund um die Uhr geöffnet sind.

Zur Finanzierung dieser erweiterten Öffnungszeiten kann von den Schülern und anderen Usern ein obligatorischer Benutzerpreis erhoben werden. Schulen sollten bei der Finanzierung auch wirtschaftlich denken und die Räumlichkeiten gegen Gebühr vermieten oder gleich eigene Seminar- oder Fortbildungskonzepte anbieten. Besonders Mütter und Väter haben einen enormen Bildungsbedarf, aber selbst Firmen fehlen geeignete Seminarräume.

Mit der Öffnung der Schule würden viel mehr gemeinsame Projekte der Kinder- und Jugendarbeit, der außerschulischen Bildung und Interessen der Schule verwirklicht werden. Hier muss dringend eine Annäherung erzielt werden und es darf nicht an strukturellen Unstimmigkeiten oder Bewahrmentalitäten scheitern. Die Computer sind nicht das Eigentum von einigen wenigen Lehrern, sondern haben eine klare Aufgabe zu erfüllen. Mit solchen Fragestellungen hätte sich die Studie befassen sollen, und nicht, ob man bestimmte Computeranforderungen in den häuslichen Bereich verlagert, um so die Computeraufrüstung in der Schule - fadenscheinig begründet - stoppen zu können.