Schwierige Heimkehr

Seite 2: Wo ist das Herz, das sich empört?

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Am Ende ihrer Rede wendet sich Marie Thomas, die brennende Nationalsozialistin und Antisemitin, an die beiden kleinen Söhne von Ludwig Launhardt:

Und ringsum singen die Vögel und alles ist deutsch, alles, Kinder, wie unser Lied. Wollen wir es nicht singen, gerade jetzt, unser Lied, weil wir’s gerade spüren, so, wie wir’s in der Schule gelernt haben? Hm?

Dann stimmt sie das Lied an, und alle Deutschen singen mit, die Kinder und die Erwachsenen. Unterstützt werden sie (auf der Tonspur) von den Wiener Sängerknaben: "Nach der Heimat möcht’ ich wieder, nach dem teuren Vaterland, wo man singt die frohen Lieder …" Wer das Lied in voller Länge hören will, kann sich bei YouTube von Paula Wessely und ihrem Gruselchor beschallen lassen. Und wer sich überlegt, wie gut so etwas bei Schulvorführungen und bei den Jugendfilmstunden der HJ zu verwerten war, der weiß, warum Heimkehr so widerlich ist.

"Heimkehr"

"Der Film", schrieb Goebbels in sein Tagebuch (20. August 1944), "ist erschütternd und ergreifend zugleich. Er stellt eine erzieherische Erinnerung für das ganze deutsche Volk dar. Eine Szene in einem polnischen Gefängnis stellt überhaupt für meinen Begriff das Beste dar, was je im Film gedreht worden ist." Die Kerkerszenen haben alles, was der Nazi erwartete: Pathos; Volkstum; Blut und Boden; Untergangsmetaphorik; eine Heimat, die sich wieder einmal darüber definiert, was nicht in sie hineingehört (polnisch oder jiddisch sprechende Menschen); und Feinde, gegen die man kämpfen muss, obwohl man doch so friedliebend ist.

Die Deutschen möchten nur zurück nach Deutschland, wo scheinbar sogar die Vögel deutsch singen, doch die Polen verhindern das. Marie Thomas und ihre Leute sollen nicht nur eingekerkert, sie sollen am nächsten Morgen ermordet werden. Zu diesem Zweck treibt man sie in einen Keller, in dem knöcheltief das Wasser steht. Draußen vor einem Fenster ist schon das Maschinengewehr in Stellung gebracht. Als polnische Soldaten mit dem Schießen beginnen, hängt sich Launhardt an den Lauf der Waffe und lenkt die Kugeln ab, während sich die anderen an die Wand unter den Fenstern flüchten. Das kann nicht lange gutgehen, weil der Lauf zu heiß wird, um ihn anzufassen. Doch dann beginnt ein deutscher Luftangriff. Die Soldaten fliehen. Im Keller verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer: "Die Deutschen kommen! Die Deutschen kommen!" Bald danach setzt Ernüchterung ein. Der Luftangriff, fürchten die Gefangenen, hat ihnen nur eine Gnadenfrist verschafft.

Dr. Thomas, Maries Vater, darf jetzt auch einen Monolog sprechen. Da er durch den Anschlag der jüdischen Bande erblindet ist, haben seine Worte ein besonderes Gewicht. Die Figur des blinden Sehers ist uralt, und wenn man als Regisseur seine Sonderrolle unterstreichen will, macht man es so wie Ucicky. Man lässt alle anderen im Verlies verstummen und ihm lauschen. Dr. Thomas also spricht:

Da hat man nun oft in den Zeitungen gelesen, so abends, wenn man bei der Lampe gesessen hat, irgendwo hätten se hunderte Menschen erst in Keller eingesperrt und dann erschossen. Da hat man sich dann ein bissel gegruselt und hat gesagt: "Nee, die armen Leute!" Dann hat man das flink abgeschüttelt und hat gesagt: "Mutter, kannst nicht noch een bissel nachlegen auf die Glut? Ich glaube, es wird kühl." Und dann ist man ins Bett gegangen, hat sich die Zudecke bis über die Ohren gezogen und hat gedacht: Na ja, ganz so schlimm, wie’s die Zeitungsschreiber machen, wird’s ja wohl auch nicht gewesen sein. Menschen im Keller eingesperrt und abgeschossen. Mit’m MG, durchs Fenster. Und du liegst in deinem Bette und weißt nischts davon. Oder willst nischts wissen davon, denn wenn du’s wüsstest, könntste ja kein Auge zutun. Du denkst bloß: Herrgott, ich glaub, die Salami is mir nicht bekommen heut abend, der Magen drückt mich. Und du stehst auf, gehst in die Küche, nimmst’n Löffel voll Speisesoda. Damit ist für dich der Fall erledigt. Aber dass der Tod ringsum feste an der Arbeit ist, und dass sich kein Aas darum kümmert, dass soviel Leid, soviel Kummer und Angst und Verzweiflung grassieren, das ist dir so wurscht. Oder wo ist das Herz, das sich empört, wo ist der Mund, der’s herausruft, dass alles verkehrt ist in der Welt - verkehrt, wie die Menschen nebeneinander leben, nicht miteinander. Wo ist der Kopf, der sich’s ausdenkt, wie man’s anders machen kann? Wo ist die Stimme, die die ganze Welt wachschreit aus ihrem Totenschlaf? Wo?

Das ist wieder einer der Momente in diesem Film, die ich sehr unheimlich (und extrem zynisch) finde, weil hier die Rede vom Schicksal der Juden sein könnte. Dorothea Hollstein schreibt in ihrem Buch "Jud Süß" und die Deutschen zu Dr. Thomas’ Monolog: "Diese Anklage vernahmen die Kinobesucher zu einer Zeit, in der ihre jüdischen Mitbürger aus ihren Wohnungen geholt und in Viehwaggons verladen wurden. Die Entschuldigung, man habe nichts davon gewußt, läßt der Ankläger im Film ausdrücklich nicht gelten." Offenkundig, meint Hollstein, konnten es sich Menzel und Ucicky leisten, "eine der Judentragödie analoge Situation in allen Einzelheiten auszumalen, ohne Gefahr zu laufen, von kritischen, vorurteilslosen Filmbesuchern mißverstanden zu werden". Denn vorurteilslose Filmbesucher dürfte es nach mittlerweile acht Jahren der NS-Propaganda in einer totalitären Gesellschaft ohne Informationsfreiheit nicht mehr sehr viele gegeben haben.

"Heimkehr"

Die beiden Monologe von Vater und Tochter sind in mehrfacher Weise aufeinander bezogen. Einer dieser Bezüge trägt dazu bei, beim Publikum Gedanken an die Juden als Opfer (analog zu den Volksdeutschen im Film) gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die Menschen, die im Monolog des Vaters "im Keller eingesperrt und abgeschossen" werden sind dieselben, die im Monolog der Tochter ein fast mystisches Verhältnis zur Heimaterde haben, mit der sie verschmelzen wollen. Aus Nazi-Sicht unterscheiden sie sich deshalb fundamental von den Juden. Für Juden ist in dieser Heimat nicht nur kein Platz, sie haben grundsätzlich keine Heimat und darum auch kein Heimweh wie die Volksdeutschen. Das ist zwar der totale Unsinn, wurde den deutschen Volksgenossen von der Propaganda aber immer und immer wieder eingebläut. Außerdem weiß man als Zuschauer auch schon, dass die Juden nicht die Opfer, sondern die Täter sind, weil sie hinter den polnischen Gräueltaten stecken.

Im NS-Jargon waren die Juden "Kosmopoliten", was soviel hieß wie heimatlose Gesellen. So etwas wirkt lange nach. Mir ist die Debatte noch in unguter Erinnerung, die geführt wurde, als die ARD den ersten Teil von Edgar Reitz’ Heimat-Trilogie ausstrahlte. Von einigen Reitz-Fans wurde damals ein Gegensatz zwischen Heimatliebe (gut) und "Kosmopolitentum" (schlecht) konstruiert. "Heimat, der Geburtsort, ist für jeden Menschen die Mitte der Welt", schrieb Karsten Witte (sonst immer ein sehr umsichtiger Kommentator des braunen Filmerbes) in der Zeit (14.9.1984). "An diese einfache Wahrheit erinnert uns Edgar Reitz in kosmopolitischer Zeit." Das mag so sein. Aber sieben von elf Kapiteln der ersten Heimat spielen in den 1930ern und 1940ern, als den "Kosmopoliten" (als Synonym für die angeblich heimatlosen Juden) das Menschsein schlichtweg abgesprochen wurde. Deshalb finde ich es zumindest sehr unsensibel, den Begriff in diesem Zusammenhang zu verwenden. Worte, die von den Nazis kontaminiert wurden, können auch dann eine braune Geisteshaltung transportieren, wenn es denen, die sie verwenden, gar nicht bewusst ist.

Wolhynien liegt in Österreich

Wo also sind Herz, Kopf und Stimme, die dagegen revoltieren, "dass der Tod ringsum feste an der Arbeit ist, und dass sich kein Aas darum kümmert"? Dr. Thomas wiederholt noch einmal seine Frage: "Wo?" Seine Tochter, die Lehrerin, weiß die Antwort: "In Deutschland." Der Vater gibt ihr Recht:

Stimmt, Mieze. Und nun ist die Stimme mächtig geworden in der Welt und schreckt die Menschen auf. Und dass sie mit Kanonen reden muss und mit Stukas, das ist tragisch. Aber anders geht’s wohl nicht, weil doch sonst keiner hinhört auf die Botschaft, dass der gottverdammte Egoismus aufhören muss, dass es nicht erlaubt ist, nicht erlaubt, dass du in deinem Bette liegst solang noch’n anderer auf der Straße erfriert.

Und so weiter. Während der Doktor sein Loblied auf Hitler und die Nazis singt, donnern wieder deutsche Flugzeuge über das Zuchthaus (in einem der Flieger nahm noch im selben Jahr der von den Polen im Heimkehr-Kino totgetretene Carl Raddatz Platz, als Hauptmann Bork in Stukas von Karl Ritter). Jetzt weiß man, dass sich der Führer kümmert und dass der bewaffnete Kampf gegen den gottverdammten Egoismus begonnen hat, da es tragischerweise nicht anders geht. Das muss ich hoffentlich nicht kommentieren. Stattdessen eine Bemerkung zur Sprache, die in diesen Propagandafilmen gesprochen wird. Das ist höchst kurios. In Feinde wie in Heimkehr sprechen die Polen nur ganz selten polnisch (wenn sie Böses gegen die Deutschen planen und deutsch untertitelt). Sehr schön, weil von einer surreal anmutenden Unsinnigkeit getragen, geht Feinde ansonsten mit der Problematik um.

In der Schenke im Wald fordert Jan seine polnischen Spießgesellen auf, deutsch zu sprechen, damit man nicht gleich weiß, wer sie sind (Polen). Dann kommt Keith, der Anführer der Deutschen, und gibt sich als Pole aus. Trotzdem wird in der Schenke weiter deutsch gesprochen, und Anna macht das sowieso, obwohl Keith erst im letzten Drittel des Films erfährt, dass sie keine Polin sondern eine Deutsche ist. Annas Stiefmutter ist Polin und spricht logischerweise auch nur deutsch. Verwirrend ist das schon. Als Zuschauer soll man sich wohl denken, dass sich die Charaktere mal in der einen und mal in der anderen Sprache verständigen und dass das in deutschen Dialogen wiedergegeben wird, damit man nicht dauernd Untertitel lesen muss.

Wegereit, der Vorarbeiter in Feinde, spricht ein bayerisch gefärbtes Deutsch, weil er von Beppo Brem gespielt wird, dem späteren Star des Komödienstadls und vielleicht auch, weil er aus Bayern zugewandert ist. Schwieriger wird es in Heimkehr. Marie Thomas, Ludwig Launhardt und seine beiden Söhne stammen hörbar aus Österreich, obwohl zumindest die Familie Launhardt seit hundertzwanzig Jahren in Wolhynien lebt. Das lässt sich zur Not noch mit nach außen abgeschotteten Sprachinseln oder so etwas erklären, obwohl die Deutschen immer von bösen Polen und Juden umgeben sind. Aber was ist mit Dr. Thomas (Peter Petersen), dem Vater der österreichischen Marie, der redet wie ein Norddeutscher und sprachlich mehr mit Dr. Fritz Mutius gemein hat, seinem Schwiegersohn in spe, als mit seiner Tochter?

Petersen, Raddatz, Wessely und Hörbiger verfügten alle über eine solide schauspielerische Ausbildung und hätten bestimmt einen "wolhyniendeutschen" Akzent hinbekommen, wenn es der Regisseur verlangt hätte. Deutsch mit einem irgendwie "östlichen" Akzent sprechen aber nur die Polen im Film. Ich glaube, das hat Methode. Angestrebt wurde wohl ein Querschnitt durch die (groß)deutschen Dialekte. Das, was in Heimkehr zu hören ist, steht im krassen Gegensatz zu den Planungen der Nazis für die Rückführung der Volkstumsdeutschen ins Reich. Dort waren auch Sprachkurse vorgesehen, weil den Planern klar war, dass Menschen, deren Vorfahren vor Generationen ausgewandert waren, häufig nur noch ein gebrochenes oder gar kein Deutsch mehr sprachen. In einem Staat, der Tag für Tag alles, was nicht deutsch war oder nicht deutsch genug, als minderwertig brandmarkte, taugten solche Leute aber nicht als Identifikationsfiguren. Wiener oder Hamburger waren da viel besser.

Für die vom Rassenwahn befallenen Nazis waren die Polen nicht "germanisierbar". Die als Wissenschaft getarnten Vorurteile zu diesem Thema kann man in Büchern wie Prof. Karl Christian von Loeschs 1940 erschienenem Werk Der polnische Volkscharakter. Urteile und Selbstzeugnisse aus vier Jahrhunderten nachlesen (von diversen Neonazi-Websites zum Herunterladen angeboten). Sehr wichtig sind dabei Gedanken wie der, dass die Polen durch "rassische Vermischung" mit Juden und asiatischen Völkerschaften eine "Charakterschwäche" erworben haben, die sich auch in Jahrhunderten nicht rückgängig machen ließe - und dergleichen Schwachsinn mehr. Trotz der ganzen "Heim ins Reich"-Rhetorik waren Hitler, Himmler und dem zeitweiligen NS-Chefideologen Alfred Rosenberg die in Polen lebenden Volksdeutschen suspekt, weil diese womöglich auch mitgemacht hatten bei der Rassenmischung.

Den von Henry Picker protokollierten "Tischgesprächen" zufolge betonte Hitler, wie genau darauf zu achten sei, "daß Deutsche sich nicht mit Polen vermischten", denn es sei "eine alte Erfahrung, daß gerade die wertvollsten deutschen Abkömmlinge in die Führungsschicht des Gastlandes hineindrängten und ihrem Deutschtum verlorengingen, während sich in den verbleibenden deutschen Volksgruppen nur das Minderwertige sammle und sich nach wie vor zum Deutschtum bekenne". Beim "Minderwertigen" waren dann wohl auch die real existierenden Wolhyniendeutschen mit dabei. Sie hatten keine tollen Kulturleistungen vorzuweisen, in denen sich die Überlegenheit der arischen Rasse manifestiert hätte, und trotz der beachtlichen Doktorendichte in Heimkehr steht zu befürchten, dass es mehr Analphabeten als Akademiker unter ihnen gab. Für diese Menschen hatte das Konsequenzen, die der Film nach Kräften weglügt. Dazu gleich mehr.

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