Sehnsucht nach dem starken Führer
Fast dreißig Prozent der Österreicher wünschen sich einen autoritären Machthaber. Ökonomische Verunsicherung, Bildungsmangel und politische Gleichgültigkeit scheinen die Führersehnsucht erheblich zu befördern
Die kürzlich in Wien vorgestellte Studie untersuchte das "NS-Geschichtsbewusstsein und autoritäre Einstellungen in Österreich". Dabei zeigte sich ein "signifikanter" Trend zu autoritären Einstellungen. Durchgeführt wurde die Erhebung von Prof. Oliver Rathkolb vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und SORA (Institute for Social Research and Analyses), Wien. Ziel der Studie war, "einerseits mögliche demokratiegefährdende Einstellungen zu lokalisieren, anderseits auch gewisse positive Veränderungen der letzten Jahrzehnte (insbesondere durch Bildungsanstrengungen) zu dokumentieren".
Für die Studie wurden 1.015 Personen (ab 15 Jahren) im Zeitraum von Januar bis Februar 2014 befragt. Die vom Zukunftsfonds der Republik Österreich finanzierte Studie gilt als repräsentativ. Die Schwankungsbreite wird mit plus/minus drei Prozent angegeben.
Eine positive Entwicklung orten die Studienautoren in Richtung "eines kritischeren Bewusstseins" gegenüber dem Nationalsozialismus. Verglichen mit einer Studie aus dem Jahr 2005 (Fessl-GfK) stieg der Anteil jener, die auf die Frage "Was hat der Nationalsozialismus gebracht?" mit "Nur Schlechtes" antworteten, von 20 auf immerhin 30 Prozent bei der aktuellen Untersuchung. Auch stimmten rund 85 Prozent der Befragten der Aussage (sehr oder ziemlich) zu, dass die "Demokratie die beste Regierungsform ist, auch wenn sie Probleme mit sich bringen mag".
Abschließen mit der Vergangenheit?
Allerdings möchten sich 56 Prozent der Befragten nicht mehr mit dem Holocaust und den Zweiten Weltkrieg auseinandersetzen. Die Studienautoren dazu:
Insgesamt stimmt etwas mehr als die Hälfte der Befragten der Aussage, dass die Diskussion über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust beendet werden sollte, (sehr oder ziemlich) zu. Befragte mit Matura stimmen dieser Aussage seltener zu als Befragte ohne Matura. Mit rund zwei Drittel sprechen sich besonders viele jener Befragten, die durch eine eher hohe Verunsicherung geprägt sind, für eine Beendigung der Diskussion über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust aus.
Interessant ist, dass sich bei einer weiterführenden Fragestellung die Über 60-Jährigen stärker für die "Pflicht" zur Geschichtserinnerung (Holocaust und Zweiter Weltkrieg) aussprachen. Der Wunsch, das Thema "abzuschließen", scheint tendenziell stärker bei den Jüngeren vorhanden zu sein.
Aufhorchen lassen allerdings die Reaktionen auf folgende Kernaussage "Man sollte (einen) starken Führer haben, der sich nicht um Wahlen & Parlament kümmern muss." Obwohl hier ganz offensichtlich die Einstellung zur Demokratie ausgelotet wurde, stimmten neunundzwanzig Prozent der Befragten der Aussage "sehr" beziehungsweise "ziemlich" zu. Gegenüber einer Studie aus dem Jahr 2007 sei dieser Wert damit signifikant angestiegen, betonen die Studienautoren (ähnlich ist dies in Deutschland: Ausländerfeindlichkeit ist bei Deutschen weit verbreitet, Angst vor dem Absturz und der kulturellen Vielfalt führt zum Hass auf Minderheiten).
Sozioökonomische Verunsicherung
Dabei lässt sich ein Zusammenhang zwischen ökonomischer Verunsicherung und Führersehnsucht erkennen. Der Historiker Oliver Rathkolb wies gegenüber österreichischen Medien darauf hin, dass die hohe Verunsicherung selbstredend auch mit der schlechten Wirtschaftslage zu tun hat. Günther Ogris von SORA wird vom österreichischen Rundfunk (ORF) mit den Worten zitiert: "Die sozioökonomisch verursachte Apathie führt zu einer Führersehnsucht." In der aktuellen österreichischen Politik würde eine "klare Zukunftsvision" fehlen.
Martina Zandonella (SORA) betonte darüber hinaus den Stellenwert der Bildung. Je höher der Schulabschluss, desto negativer waren die Befragten gegenüber dem Nationalsozialismus eingestellt. Demokratische Einstellungen nehmen tendenziell mit höherer formaler Bildung und ausgeprägtem Geschichtsbewusstsein zu. Ausgerechnet im Bildungsbereich hat die amtierende österreichische Koalition zwischen Sozialdemokraten (SPÖ) und Konservativen (ÖVP) aber eben wieder den Rotstift angesetzt. Der Bereich Wissenschaft wurde im Zuge der Regierungsbildung gleich dem Wirtschaftsressort zugeordnet (Stillstand neu?).
Für die Misere am Arbeitsmarkt sind ebenso wenig fundierte Lösungsansätze auszumachen. Rund vierhunderttausend arbeitssuchende Menschen müssen sich - ebenso wie in Deutschland Hartz IV-Empfänger - mit teils demütigenden Behördengängen plagen und sich verschiedentlich als "Sozialschmarotzer" verunglimpfen lassen. Arbeitslose Jugendliche sehen kaum mehr Zukunftsperspektiven. Darüber hinaus gibt es immer mehr Menschen in Österreich, die mit prekären Arbeitsverhältnissen ihr Auskommen finden müssen. Eine gerechtere wirtschaftliche und soziale Absicherung der Bürger sollte aus demokratiepolitischer Sicht Gebot der ersten Stunde sein.
Totalitäre Erfahrungen
Dass die Förderung von Bildung und Geschichtsbewusstsein für die Entwicklung einer freien Gesellschaft notwendig sind, haben auch zahlreiche andere Studien bereits gezeigt. Wie sich totalitäre Erfahrungen (z.B. Spätfolgen des NS-Regimes, kommunistische Diktaturen, politische Verfolgungen) auf autoritäre beziehungsweise auf demokratische Einstellungen von Menschen auswirken, ist hingegen noch wenig erforscht.
In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick in die umfassende Studie "Autoritarismus in Österreich und Zentraleuropa", die 2007 ebenfalls von Prof. Oliver Rathkolb vom Institut für Zeitgeschichte und dem SORA-Institut durchgeführt und 2010 vorgestellt wurde. Verglichen wurden Österreich, Polen, Ungarn und die Tschechische Republik. Zu Begriff und Methode hielten die Wissenschaftler damals fest:
Das Forschungsprojekt versteht 'Autoritarismus' als individuelle, autoritäre Disposition, also eine relativ dauerhaft wirkende Bereitschaft, auf bestimmte Umweltbedingungen mit bestimmten Verhaltensweisen oder anderen Eigenarten zu reagieren. Da die Disposition zu Autoritarismus nicht direkt messbar ist, wurde sie durch das in der Literatur ausreichend abgesicherte Merkmalsbündel 'Autoritäre Aggression' und 'Autoritäre Submission' gemessen.
Obwohl der Hang zum Autoritären in Österreich ab 2004 leicht angestiegen war, wies Österreich im Ländervergleich die geringste Verbreitung auf. Auch damals (2007) wurde die "Führerfrage" gestellt. Dass die Zustimmung zu einem starken Führer, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss, laut der aktuellen Studie weiter steigt, sollte hellhörig machen. Dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen, vielmehr ist die Politik (nicht nur in Österreich) gefordert, Menschen ihre Würde wieder zu geben.