Seit zwei Jahren im Kampf für einen würdigen Tarifvertrag

Bild: Betriebsrat Novaltia

In einem exemplarischen Arbeitskampf bestreiken Beschäftigte die Novaltia-Filiale nun seit 754 Tagen im baskischen Bilbao gegen eine Unternehmerschaft, die glaubt, fast alles machen zu können

Im Baskenland sind lange Streiks keine Seltenheit, so bestreikten einst auch die Beschäftigten der deutschen Firma Pferd-Rüggeberg erfolgreich 745 Tage weitgehend erfolgreich gegen die Entlassung von Kollegen und Kolleginnen. Doch der Streik gegen die Novaltia-Filiale in Bilbao, einen der führenden Arzneimittelhändler in Spanien, sprengt nun auch diesen Rahmen noch.

Ein Teil der Belegschaft befindet sich nun seit 754 Tagen im Ausstand. Telepolis sprach mit dem mit Ibai Carranza Francisco über den Streik, der für die kämpferische baskische Gewerkschaft ELA im Betriebsrat sitzt.

Warum traten Sie in der Novaltia-Filiale in Bilbao vor über 750 Tagen in den Streik?

Ibai Carranza Francisco: Früher waren wir hier bei Vascofar beschäftigt und verfügten über einen eigenen Tarifvertrag. Klar, es gibt immer etwas zu verbessern, aber er war akzeptabel. Mit der Finanzkrise und einem schlechten Management begannen die Probleme ab 2010. Ständig wurde uns erklärt, die Löhne müssten sinken, sonst müsse dichtgemacht werden.

Schließlich akzeptierte eine Belegschaft, bei der ein guter Teil vor der Pensionierung stand, harte Einschnitte, wie Lohneinbußen um 25 bis 30 Prozent. Zahlungen an die Sozialversicherung blieben für die aber gleich, die bald in Rente gehen würden, damit sie keine Renteneinbußen hinnehmen mussten.

Eingeführt wurde damit ein Zweiklassensystem hier in Bilbao. Neue Beschäftigte erhalten seither viel weniger Lohn für die gleiche Arbeit. Danach wurden wir von Aragofar aus Aragon übernommen und Novaltia wurde gegründet. Als 2018 Tarifverhandlungen anstanden und wir die eingeführte doppelte Lohnskala wieder rückgängig machen wollten, wendete die Firma einseitig plötzlich den noch schlechteren spanischen Tarifvertrag an. Das brachte dann das Fass zum Überlaufen.

Spielte die harte Arbeitsmarktreform der konservativen Volkspartei (PP) dabei eine Rolle?

Ibai Carranza Francisco: In unserem Fall ist das wegen der Übernahme und der Gründung von Novaltia etwas komplizierter. Aber die Reform, mit der Rechte der Beschäftigten weiter beschnitten wurden, hat dabei geholfen, dass wir zunächst den Prozess zur Tarifvertrags-Frage gewannen, sich die Firma aber in der zweiten Instanz durchgesetzt hat. Das ist sehr ungewöhnlich.

Was sind die zentralen Streik-Forderungen?

Ibai Carranza Francisco: Wir wollen wieder einen würdigen Tarifvertrag und die doppelte Lohnskala abschaffen, dazu wollen wir Lohnsteigerungen erreichen, um den Kaufkraftverlust auszugleichen. Normal ist, dass man mit hohen Forderungen in Verhandlungen geht, die Firma niedrige Angebote macht und man sich dann annähert. Doch Novaltia hat sich in zwei Jahren nicht bewegt.

Es wurde mit Kündigungen gedroht und zudem gefordert, unsere Versammlungen vor dem Werk müssten aufhören. Als das nicht geschah, wurden Zugeständnisse wieder zurückgezogen.

Ibai Carranza Francisco; Bild: Betriebsrat Novaltia

Wie hält man einen so langen Kampf durch?

Ibai Carranza Francisco: Bedeutsam ist die Streikkasse von ELA, wo die Mehrzahl der Streikenden organisiert ist. Die hat aber auch LAB, die ihre streikenden Mitglieder ebenfalls trägt. Ohne ökonomische Grundlage steht man das nicht durch. Wichtig ist auch die solidarische Hilfe untereinander, durch unsere Familien und aus der Gesellschaft. Negativ ist das Verhalten der Arbeitsinspektion der baskischen Regierung. Die schaut zu, wie das Streikrecht umgangen wird. Das stützt die Firma in ihrer harten Haltung.

Wie hält es Novaltia durch, dass fast die Hälfte der Beschäftigten und die große Mehrzahl in der Produktion streikt?

Ibai Carranza Francisco: Vor allem darüber, dass sie das Streikrecht halblegal oder illegal aushebelt. Aus der Verwaltung und der Chefetage springen Leute in der Produktion ein. Massiv werden Überstunden gemacht. Zum Teil wird von sechs Uhr morgens bis 23 Uhr gearbeitet, auch am Wochenende. Auch Zeitarbeitsfirmen werden bemüht. Das war das Einzige, was die Arbeitsinspektion bestraft hat, aber auch erst acht Monate später, als die Arbeit gemacht war. Zudem wurden Teile der Arbeit auch noch auf andere Standorte verlagert.

Ist Ihr Kampf auch exemplarisch gegen Unternehmer, die derzeit zu glauben scheinen, alles machen zu können? Da ist zum Beispiel der Fall Tubacex ganz in der Nähe von Bilbao, wo die Belegschaft seit über einem halben Jahr streikt. Sie müssen nun sogar weiterstreiken, obwohl sie vor Gericht erstritten haben, dass die Kündigungen zurückgenommen werden, aber weiter nicht auf ihre Arbeitsplätze gelassen werden.

Ibai Carranza Francisco: Klar. Wir haben uns kürzlich mit verschiedenen Betriebsräten zusammengesetzt. Überall laufen die gleichen Geschichten ab. Die Bedingungen werden verschlechtert, Leute entlassen, obwohl die Betriebe Umsatz und Gewinn machen. Teure ältere Beschäftigte sollen durch billigere jüngere oder durch Auslagerung ersetzt werden. All das hat die Arbeitsmarktreform ermöglicht.

Wie bewertet Sie es, dass die sozialdemokratische spanische Regierung die Streichung der Reform versprochen hat, aber bisher nichts geschieht?

Ibai Carranza Francisco: Die Abschaffung der Reform wäre wichtig, denn sie hat die Basis geschaffen, das man vor Gericht kaum noch Möglichkeiten hat. Unternehmen wurden viele Werkzeuge zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Kündigungen an die Hand gegeben.

Da wird mit Zahlen herumgespielt, um Kündigungen zu rechtfertigen, da angeblich keine Aufträge vorliegen. Danach gibt es wie durch ein Wunder wieder Aufträge und es werden neue Leute unter schlechteren Bedingungen eingestellt. Die Regierung hätte da längst wie versprochen eingreifen müssen.