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Selbsthass des Westens reloaded?

Bild: © Marvel Studios

Bodenschätze, Paranoia und Klischees. Die geopolitische Ästhetik von "Black Panther: Wakanda Forever" – das Bild einer selbstbewussten afrikanischen Weltmacht.

"In meiner Kultur ist der Tod nicht das Ende. Es ist eher ein Ausgangspunkt" – dieser Satz, den Chadwick Bosemans T'Challa in "Captain America: Civil War" 2016 sprach, war der markanteste aus dem ersten Auftritt des Schauspielers als Marvels "Black Panther" in Vorbereitung auf die dieser Figur gewidmete eigene Filmreihe.

Der 2018 folgende erste "Black Panther"-Solofilm war dann mehr als ein Kinoblockbuster: Er wurde zu einem kulturellen Phänomen ersten Ranges, das eine ganze Zuschauergeneration geprägt und zusammen mit der historischen Koinzidenz der "Black Lives Matter"-Bewegung die Art und Weise verändert hat, wie schwarze Figuren auf der Leinwand dargestellt und ihre Geschichten erzählt werden. Umso größer der Schock, als Hauptdarsteller Chadwick Boseman im Jahr 2020 überraschend verstarb.

Plötzlich stand das neueste und erfolgreichste Franchise innerhalb des MCU ohne Hauptdarsteller dar. Die Reihe musste sich und die Hauptfigur neu erfinden. Als ob es nicht schon Herausforderung genug gewesen wäre, das Sequel zu einer Kino-Sensation zu drehen.

Die eigentliche Hauptfigur ist eine Nation

Ryan Cooglers "Black Panther: Wakanda Forever" kann nur vor diesem Hintergrund und mit dem Wissen des größten Teils des Zielpublikums um ihn verstanden werden: Prinz T'Challa ist an einer heimtückischen Krankheit verstorben, angelehnt ans Schicksal seines Darstellers. Zunächst liegt der Schwerpunkt des Films auf Trauerarbeit und auf der Ehrung der Figur, die geschickt in die Handlung integriert werden.

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Zugleich wird aber betont, dass das fiktive afrikanische Imperium Wakanda, die Heimat des Black Panther, mehr ist (und auch in Teil 1 schon mehr war) als nur Hintergrundrauschen für einen Helden, sondern essenziell für den Film: als Utopie einer afrikanischen Nation mit archaischen Bräuchen, Traditionen, eigener Mythologie im Einklang mit avancierter Technologie und wertvollsten seltenen Bodenschätzen, die letztendlich den Wissens- und Machtvorsprung gegenüber dem Rest der Welt inklusive den großen Industrienationen ermöglichen.

Der tödliche Kampf um Bodenschätze

Der Film leistet dieses "worldbuilding", das zu den wichtigsten und oft übersehenen Eigenschaften eines Science-Fiction-Fantasy-Films gehört, mit Bravour. Dazu gehört ein großartiges Set-Design und Kostümdepartment. Hannah Beachler und Ruth Carter, die beide stilisierte, elegante Details im Dutzend kreieren.

Und wenn dann, wie wir glücklicherweise mitteilen können, auch Titelheld Black Panther irgendwann im Film auftaucht, dann überbietet sich das Kostümdepartment selbst: Ein mattschwarzer Gummifetisch mit Sttreifen und Knöpfen aus Gold und Silber, wie eine 1930-er art-deco-vision des 1980-er Films "Tron".

Angetrieben wird die Story aber von Realien im Phantastischen: Ein wertvolles seltenes Metall, Vibranium genannt, und dem Wakanda seinen Wohlstand verdankt und das nur von Wakanda und möglicherweise noch anderen, mit übermenschlicher Magie im Bunde stehenden Nationen kontrolliert wird.

"Black Panther: Wakanda Forever" hat weit mehr Interesse an den geopolitischen Implikationen des Blockbusterkinos und jener Superheldenphantasien, von denen es besessen ist. Ein Interesse, das zugleich überraschend nuanciert ist, und die Felder Bodenschätze und Energiepolitik, Protektionismus und Paranoia gegenüber dem Fremden und antidemokratische Blut-und-Boden-Verklärung virtuos miteinander verbindet.

Kulturelle Klischees & Ethnokitsch

Es muss späteren film- und kulturwissenschaftlichen Untersuchungen vorbehalten sein herauszuarbeiten, inwieweit dieses Bild einer selbstbewussten afrikanischen Weltmacht möglicherweise kulturelle Klischees transportiert und begründet.

In den von außen exotisch anmutenden Ritualen, in der Bedeutung von Magie und Tradition, in der zum Teil matriarchalen Gesellschaftsstruktur eines Königreichs und in der Handlungsvoraussetzung, dass es eben Bodenschätze sind, die Wakanda auch für den geopolitischen Ehrgeiz anderer Mächte interessant machen.

Bild: © Marvel Studios

Atlantis trifft Maya-Mythen trifft "Avatar"

Mehr als die üblichen Verdächtigen – allen voran die USA, kurz dahinter EU-Staaten wie Frankreich – wird Wakanda im Lauf des neuen Films jedoch eine bisher unbekannte Nation zu schaffen machen: das sich gegenüber der übrigen Welt abschottende, technologisch avancierte Unterwasser-Großreich der Talokan, die Maya-Yucatan sprechen.

Ihre Herkunft wird in einer längeren Rückblende auf einen Indiostamm zurückgeführt, der zur Zeit der spanischen Conquista unterzugehen drohte, dessen Erbe dann aber dank Magie und Mutation zum Gründer und Herrscher einer neuen Unterwassernation wurde – Altlantis trifft Maya-Mythologie trifft "Avatar"-Fantasy. Man kämpft mit mal weichem, mal knallhartem Wasser, kann wie die mythischen Sirenen mit Tönen Feinde in den Untergang locken und reitet auf Walen.

Kindlicher Simplizismus & Protofaschismus

Die Story schreitet in Etappen voran, in denen die Handlung immer wieder nach Wakanda zurückgeht und neben bekannten Charakteren wie Prinzessin Shuri (Letitia Wright), der Königin (Angela Bassett) und Okoje (Danai Gurai), der Kommandantin der kämpferischen Dora Milaje, zugleich neue Figuren in das MCU einführt, um ihre Geschichte zu erzählen und deren Weiterwirken in die Zukunft zu begründen. Den Anstoß für die Handlung liefern Versuche der Amerikaner, im Ozean Vorkommen von "Vibranium" aufzuspüren.

Dabei gerät eine US-Einheit unwissentlich den Talokan in die Quere, die nun die Geheimhaltung und den Frieden ihres ebenfalls über Vibranium verfügenden Unterwasserreichs in Gefahr sehen. Namor (Tenoch Huerta Mejía), der mit dem gefiederten Schlangengott der Maya assoziierte Führer der Talokan, will präventiv den übrigen Staaten der Oberwelt den Krieg erklären. Sollte Wakanda unwillig sein, eine Partnerschaft mit den Talokan einzugehen, drohen diese zuallererst das afrikanische Land selbst anzugreifen.

Im Ergebnis also ein Film mit einem komplett phantasierten Kern, der keine Reflexion jenseits von kindlichem Simplizismus als "Lösungen" für globale Probleme beisteuert – ein Fall von Protofaschismus, der hier nicht detailliert diskutiert werden kann, denn es handelt sich um Superheldenkino, und dort gehört das zur schlechten Routine.

Dazu gehören auch die Schlachten, die inzwischen nur noch "ausgefeilte" CGI sind, von technischen Mitteln abhängig und mit keinerlei Konsequenzen. Im Videospiel-Effekt wird die Empathie der Zuschauer einfach durch totale Künstlichkeit ersetzt, die die Menschen zu bloßen Spielfiguren der Zuschauer-Wirkung macht.

Große Action und noch größere Gefühle

In "Black Panther: Wakanda Forever" gibt es viele Tote und überraschende Wendungen, zugleich liefert der Film eine kraftvolle, mitunter schmerzhafte und äußerst respektvolle Darstellung von Trauer, Verlust, aber auch der Bedeutung von Vermächtnis und Tradition, grundiert mit einer Dosis Hoffnung. Und zwar auf die spektakulärste Art und Weise, die möglich ist.

Es ist, als ob der Film selbst alle Phasen der Trauer durchspielt, und am Ende gehen Wakanda, seine Bevölkerung und sämtliche Hauptfiguren emotional verändert aus dieser Reise hervor. Trotzdem wird es nicht allzu tiefsinnig oder originell.

Bild: © Marvel Studios

In der fast dreistündigen Laufzeit stechen Angela Bassett als Königin Ramonda, sowie Neuling Tenoch Huerta Mejía als rund 500 Jahre alter, moralisch ambivalenter Unterwasserherrscher besonders hervor. Dominique Thorne, mit der als Tech-Genie Riri Williams noch eine neue, interessante jugendliche Heldin ins Spiel kommt, die in kommenden MCU-Filmen noch eine größere Rolle spielen dürfte, ist auffälliger als Letitia Wright.

"Black Panther: Wakanda Forever" bedient gekonnt die Action-Schauwerte des Superheldengenres, erschöpft sich aber nicht darin. Im Zentrum steht die universelle Geschichte einer Nation, die viel gelitten hat und weiter leidet, aber darum kämpft, sich nicht von diesen Tragödien vereinnahmen zu lassen.

Die politische Zielrichtung dieses offen politisch gemeinten Films ist dabei auf den ersten Blick klar: Es geht einmal mehr um das Empowerment nicht-weißer Menschen, verbunden mit einer Kolonialismus- und Imperialismus-Kritik im Allgemeinen und am geopolitischen Einfluss der USA im Besonderen, der genauso wie das Wirken von CIA und NSA eindeutig negativ konnotiert wird.

Hier ist ein US-amerikanischer Film deutlich kritischer als die meisten europäische Filme und andere Kulturprodukte.

Die politischen Perspektiven sind pessimistisch

Bei genauerem Hinschauen und im Kontext entpuppt sich die politische Botschaft indes als zwiespältiger. Schlussendlich sind es zwei indigene Nationen, die hier gegeneinander kämpfen, sich gegenseitig bis an den Rand der Vernichtung schwächen werden und damit – divide et impera – die traditionelle Großmacht USA indirekt profitieren lassen. Um das nur als Warnung zu verstehen, dafür ist dieser Aspekt der Handlung nicht eindeutig genug erzählt.

Man kann auch nicht übersehen: Weder Wakanda noch Talokan sind Demokratien. In beiden herrschen benevolente Aristokratien in klaren Hierarchien. Widerstand dagegen, die Fantasiereiche Wakanda und Talokan einseitig zu verklären, ist das aber auch nicht – denn obwohl der Film nur bedingt als "woke" Übermenschenfantasie taugt kritisiert er keineswegs Privilegien, die durch Herkunft entstehen, sondern betont ihren Wert.

Zusammen mit der klar negativen Darstellung von USA, Frankreich und der Uno ist hier eine scharfe Grundsatzkritik und letztendlich auch von Selbsthass des Westens unübersehbar.

Zudem fällt auf, dass der Tonfall des Films in Hinblick auf die internationalen Beziehungen im Ganzen pessimistischer ausfällt als noch in Teil 1: Während die Zuschauer dort am Ende eine Zukunft in Aussicht gestellt sahen, in der Wakanda unter seinem neuen König T'Challa seinen Isolationismus aufgeben und zu einer prägenden Stimme im Kreis der Vereinten Nationen werden würde, bleibt das Verhältnis des utopischen Staates zu anderen Ländern diesmal bis zum Schluss von Reserviertheit und Misstrauen überschattet, auch wenn Shuri sich schlussendlich durch eine Geste der Großmut auszeichnet.

Am Ende ist aber immerhin die Trauerarbeit um den Verlust T'Challas zu Ende und das eigentliche Ziel erreicht – Chadwick Boseman ist (fast) vergessen gemacht. Marvel dagegen hat offenbar die Unsterblichkeit erreicht. The show must go on. Ist das genug? MCU forever?


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