Selektive Wortwahl und Storytelling: Verschärfte Aufrüstung auch in den Medien
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Die Militarisierung Deutschlands schreitet voran. In den Medien wird die Aufrüstung zunehmend als alternativlos dargestellt. Analyse und Kommentar.
Insofern Staaten verstärkt auf Militarisierung setzen, scheint es aus Sicht der "Staatsräson" vorteilhaft, wenn die herrschende Medienrealität der sonstigen Wirklichkeit einige Marsch-Schritte vorauseilt. Zusagen vorauseilender Gehorsam, der wiederum am ehesten "wie geschmiert" läuft, wenn er möglichst freiwillig erfolgt.
Die nächste Zeitenwende
Derzeit ist hier medienkritisch eine nächste "Zeitenwende" zu beobachten. Drei aktuelle Beispiele:
1. Im rbb-Inforadio hieß es jüngst, es ginge darum, "für Verteidigung und Infrastruktur Milliarden an neuen Schulden aufzunehmen."
Das ist nicht komplett falsch und dennoch extrem verzerrend: Es geht um viele Hunderte Milliarden Euro, nicht nur um ein paar "Milliarden".
Das mag ein weiterer Beleg sein für die These, dass nicht die direkte Lüge mittlerweile die häufigste Form von Desinformation scheint, sondern das Weglassen wichtiger Aspekte.
Darüber hinaus interessant: Wenn über den hiesigen Staat berichtet wird, ist in aller Regel die Rede von "Verteidigung" (auch hier).
Nicht von Militarisierung, Aufrüstung oder Kriegsvorbereitung. Zudem dürfte es auch bei den besagten Ausgaben für "Infrastruktur" nicht zuletzt um Straßen und Brücken, um Häfen und Flughäfen gehen – was ein Staat halt so braucht, wenn er (wieder) richtig "kriegstüchtig" werden will. Doch davon findet sich in vielen Leitmedien kaum ein Wort.
Anderes Land, andere Wortwahl
2. Ganz anders der Tenor, wenn Staaten wie China thematisiert werden. Bei Tagesschau-Online hieß es dieser Tage unter der Überschrift "China will Militärbudget deutlich anheben":
Zu Beginn des Textes gleich viermal der Terminus "Militär", dagegen nicht einmal das Wort "Verteidigung". Das Land verfüge "über den zweitgrößten Militäretat der Welt". Nun ja, vielleicht auch kein Wunder beim Land mit den (zweit-)meisten Einwohnern der Welt.
Doch schlimmer geht immer: Der Präsident Chinas wolle ins Militär sogar "noch mehr investieren", ja, ganz furchtbar, "massiv". Diese Aufrüstung auch in China muss man nicht schönreden, um sachlich festzuhalten: Die chinesische Führung verkündet, auch weiterhin nicht mehr als 1,5 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes für Militär ausgeben zu wollen.
Im Vergleich zu westlichen Ländern wäre das vergleichsweise moderat angesichts von Forderungen der Trumps und Baerbocks, Ruttes und von der Leyens dieser Welt mit Blick auf westliche Militärausgaben.
Doch die Tagesschau hält eine andere Zahl für meldenswert: Das Militärbudget Chinas solle um "7,2 Prozent" steigen. Diese Zahl wiederum wirkt bedrohlich und lässt vergessen, dass hierzulande gerade gänzlich andere Dynamiken im Hochfahren der Aufrüstung zu beobachten sind (oder wären – wenn man denn in den Redaktionen halbwegs professionell hinschauen würde).
Geflügeltes Storytelling mit der "Siegreichen"
3. Die ARD-Hauptstadt-Studio-Korrespondentin Claudia Buckenmaier beginnt und beendet ihren längeren Beitrag zur Entwicklung der Bundeswehr – der explizit kein Kommentar sein soll – mit einem Motiv des klassischen Storytellings: "Victoria", 18 Jahre jung und offenbar erpicht darauf, Offizierin zu werden, ist Buckenmaiers Protagonistin – und diesen siegverheißenden Vornamen hätte man sich kaum besser ausdenken können.
Wie so oft beim "Storytelling", beim personalisierenden Erzählen von Geschichten, ist auch hier hochproblematisch, dass sich auf eine einzige Person fokussiert wird. Die wird dargestellt, reiner Zufall sicherlich, als großer Fan von Bundeswehr und Militarisierung, Pardon: von "Verteidigung".
Es gibt hierzulande ganz sicher viele 18-Jährige, die vollkommen anders drauf sind. Aber damit das Narrativ "Verteidigung muss sein – und muss sehr viel mehr Ressourcen bekommen" erzählt werden kann, sei es halt genau diese Frau.
Die auch noch eine "Heldin" vom Feinsten scheint – oder werden könnte. Selbst bei einer Person wie "Victoria" hätte die Journalistin vermutlich die eine oder andere Nachdenklichkeit finden können – aber nein, hier kommt ein blanker Hurra-Patriotismus zum Tragen.
Und ehrlich gesagt: Der passt auch genau zum Rest dieses Beitrages: Korrespondentin Buckenmaier hat den Helm auf zum Diktat: Sie schreibt in einem Text, der offensichtlich informationsbetont sein soll, die Regierenden mögen etwaige Skepsis in der Rest-Bevölkerung ernst nehmen und diese Menschen davon überzeugen, "dass es tatsächlich wieder mehr Soldatinnen und Soldaten braucht".
Das ist also ihre Meinung, die, wiederum Zufall oder nicht, exakt der herrschenden Meinung entspricht. Die aber in einem Bericht nichts zu suchen hätte.
Die Bedrohungslage
Weiter im Text: Obwohl die Journalistin gerade eben kurz notiert hat, dass Linke und FDP (wie übrigens auch das BSW, das im Unterschied zur ebenfalls aus dem Bundestag ausgeschiedenen FDP interessanterweise gar nicht erwähnt wird) gegen die aktuellen Aufrüstungspläne sind (im Unterschied wiederum zur AfD, deren begeistertes Mitwirken an derart Militarisierung aber offenbar gar keinen Skandal bedeutet), obwohl also genau dies soeben im Vorübergehen gestreift wurde, heißt es, Zitat:
Unabhängig davon, wie die einzelnen Parteien zur Wehrpflicht stehen – allen scheint bewusst, dass die Bundeswehr angesichts der internationalen Lage mehr Personal benötigt.
Nein, verehrte Frau Kollegin, das scheint laut Ihres eigenen Textes gerade nicht allen, nicht einmal allen größeren Parteien, "bewusst". Wie gesagt: Linke, BSW und FDP scheren hier (noch) etwas aus jenseits der Marschordnung.
Doch das ficht einen Beitrag mit dem richtigen Werte-Kompass nicht an: Als Fakt wird behauptet, es gäbe eine "neue Bedrohungslage". Entsprechend würden, reine Tatsache, "wieder mehr Soldaten gebraucht" (hier geht es, militärisch zackig, dann auch ohne Gendern).
Wehrpflicht
Die Wehrpflicht wird in vorauseilendem Gehorsam schon mal wieder als Faktum postuliert, da es "um Strukturen (geht), die es (sic!) für eine Wehrpflicht braucht." Da ist er hinter dem unscheinbaren Wörtchen "es" versteckt, der mächtige Kriegskamerad Sachzwang.
Im Text heißt es:
Militärexperten gehen davon aus, dass die künftigen Anforderungen der NATO eine deutlich größere Bundeswehr erfordern werden.
Alle Militärexperten? Es gibt gewiss auch Leute mit Expertise, die das anders sehen. Vielleicht müsste man dafür mal z.B. bei in der Friedens- oder Konfliktforschung nachfragen? Aber zu viel Recherche macht natürlich die beste Geschichte kaputt. Und womöglich auch den "gewünschten Erfolg" von Kampagnen für mehr Bundeswehr-Personal, den die ARD-Journalistin hier einfach mal der gesamten Gesellschaft als sehnlichen Wunsch unterstellt und ausdrücklich zuschreibt.
Berichterstatterin Buckenmaier fasst "das Problem" wie eine unumstößliche Tatsache zusammen und nicht als ihre Meinung, die zugleich die Auffassung aller an Militarisierung Interessierten ist:
Die Zahl der freiwilligen Bewerberinnen und Bewerber reicht bei Weitem nicht aus, um den Personalsorgen der Bundeswehr zu begegnen.
Die gute Nachricht für alle "Verteidigungs"-Fetischisten, oder eben Kriegstrommler: Man arbeitet daran, rasch richtig und eigenständig als europäische Führungsmacht "kriegstüchtig" zu werden. Hand in Hand. Die eine Hand an der Schreib-Tastatur – die andere am Abzug.
Der Klassiker
Wie schrieb hingegen der klassische Kriegskritiker Kurt Tucholsky – unter seinem Pseudonym Ignaz Wrobel schon 1921 in der "Weltbühne", da der furchtbare Schoß des Ersten Weltkrieges noch fruchtbar schien:
Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.