Selenskyj in Davos: Auf dem Weg ins Nirgendwo

Seite 2: Warum es schlecht um die Ukraine steht

Denn die Ukraine befindet sich zunehmend auf dem Schlachtfeld und ökonomisch auf der Verliererstraße. Ihr gehen die Soldaten aus, auf die man verzweifelt mit immer rigideren Rekrutierungsmaßnahmen reagiert, während Russlands Bevölkerung viermal und die Wirtschaftsleistung gar 14-mal so groß ist wie die der Ukraine.

Die russische Armee ist darüber hinaus, wie Militärexperten betonen, besser geführt und taktisch geschickter als zu Beginn des Krieges. Die westlichen Sanktionen scheinen zudem nicht geeignet zu sein, die russische Wirtschaft, die sich immer mehr auf den Krieg einstellt, lahmlegen zu können.

In der Ukraine von einer wirtschaftlichen Erholung unter Kriegsbedingungen auszugehen, um derart die strengen Auflagen einer angestrebten EU-Mitgliedschaft zu erfüllen, ist außerdem reines Wunschdenken.

In Davos verwies Selenskyj auf seinen 10-Punkte-Friedensplan. Darin wird u.a. der Rückzug der russischen Truppen, Reparationen, ein Tribunal gegen die Kriegsverbrecher und die Sicherung der ukrainischen Souveränität in den Grenzen vor 2014 gefordert. Das ist an sich richtig und legitim.

Wäre Putin bereit für Gespräche?

Aber man muss ehrlich sein: Das bedeutet Krieg über viele Jahre ohne jegliche Perspektive auf Beruhigung, mit enormer finanzieller und militärischer Unterstützung von den USA und den EU-Staaten. Ohne Garantie, dass am Ende alles gut wird.

Denn ohne Verhandlungen mit Russland, die Selenskyj kategorisch ausschließt, ohne Kompromiss beim Thema Neutralität, Krim und einem wie auch immer gearteten Autonomiestatus für den Donbass, wird weiter in der Ukraine gekämpft, gestorben und die Wirtschaft zerstört werden.

Russland hat zwar den ukrainischen Friedensplan zurückgewiesen, aber Putin hat immer wieder betont, dass er zu Gesprächen bereit sei.

Ob er es ernst meint, kann man nicht wissen, ohne es vorher probiert zu haben. Und Russland könnte durchaus an einem Ende des Krieges interessiert sein.

Man muss Russland etwas anbieten

So impliziert Moskaus Isolierung durch den Krieg im Zuge westlicher Sanktionen und diplomatischer Eiszeit durchaus auch Gefahren für das Land. Man macht sich zum Beispiel immer abhängiger von einer Kriegswirtschaft und von China. Auch der innenpolitische Druck könnte in einem fortlaufenden Zermürbungskrieg größer werden.

Wie Beebe und Lieven warnen, könnte eine Verschlechterung der Lage für die Ukraine auf dem Schlachtfeld die Position Kiews bei zukünftigen Verhandlungen zudem deutlich schwächen gegenüber der Gegenwart.

In Davos erhielt Selenskyj für seine Rede stehende Ovationen. Doch was dort niemand zur Sprache bringen will, ist der Elefant im Raum: die Neutralität der Ukraine. Ohne sie, ohne eine klare Absage an eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, wird Russland weiter Krieg führen. Ob wir das nun wollen oder nicht.

Und, so schwer es auch für die Ukraine sein wird, man muss Russland etwas anbieten und die Frage der von russischen Truppen gehaltenen Territorien (Krim, Donbass, etwa 20 Prozent der Ukraine) in die Zukunft verschieben – und ja damit "einfrieren", bis zum Beispiel unter der Schirmherrschaft der UN eine Verhandlungslösung gefunden werden kann.

Denn die Alternative würde nicht nur weiter Krieg und Zerstörung bedeuten, sondern könnte auch noch zusätzliche Landverluste und Instabilitäten für die Ukraine in der Zukunft bereithalten.