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Selenskyj schleust Rechtsextremisten ins griechische Parlament

Ukrainischer Rechtsextremist in Videoübertragung nach Athen. Bild: Hellenic Parliament TV

Ukrainischer Präsident lässt bei Rede vor Abgeordneten Kämpfer des rechtsradikalen Asow-Regiments zu Wort kommen. In Athen sorgte das für Empörung, auch in Zypern ist man verärgert

Mit einer Woche Verspätung, geht man von der ursprünglichen Ankündigung des griechischen Premiers Kyriakos Mitsotakis aus, sprach der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, am Donnerstag per Videoschaltung vor dem griechischen Parlament. Wenige Stunden später war das Parlament der Republik Zypern an der Reihe.

Angesichts der unfassbaren Gräuel von Butscha, dem mörderischen Kriegsverbrechen, welches russischen Truppen oder für Russland kämpfenden Söldnern zur Last gelegt wird, hätte Selenskyj mühelos Sympathie und Mitgefühl gewinnen können. Tatsächlich aber machte er sich mit keinem der beiden Länder neue Freunde. Unterstützer der Ukraine sind nach den Auftritten, vorsichtig ausgedrückt, verstört.

Zwar bekennen sich alle relevanten politischen Akteure weiterhin zur Solidarität mit den leidenden Ukrainern. Selenskyjs Ruf als Vorkämpfer für Freiheit, Solidarität und demokratische Werte aber hat in Griechenland und Zypern erheblichen Schaden erlitten.

Ein Foul und zwei Verweigerer

Chronologisch gesehen geht das erste Foul des Tages auf das Konto des griechischen Parlamentsdienstes. Obwohl rund dreizehn Tage Zeit zwischen der Einladung durch Mitsotakis und der Rede Selenskyjs lagen, schaffte es die Parlamentsverwaltung nicht, eine professionelle Verdolmetschung zu gewährleisten [1]. So wurde die Rede zunächst vom Ukrainischen ins Englische und danach ins Griechische übersetzt.

Bereits vor der Sondersitzung hatten sich zwei politische Gruppierungen, die Kommunistische Partei (KKE) und die Partei Griechische Lösung, bei Parlamentspräsident Konstantinos Tasoulas schriftlich abgemeldet.

Die KKE stört sich auch am Verbot der kommunistischen Partei in der Ukraine und daran, dass zwei Fraktionsmitglieder wegen Reisen in die Ukraine und dortigen Solidaritätskundgebungen für die ukrainischen Kommunisten zu unerwünschten Personen erklärt worden waren [2].

Der Generalsekretär der KKE bekräftigte am Donnerstagmorgen noch einmal seine Kritik an dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, den er als "reaktionären Imperialisten" einstufte. Er betonte, dass er und seine Partei solidarisch mit dem Widerstand leistenden Bevölkerung der Ukraine [3] seien.

Die mutmaßlich überwiegend prorussische "Griechische Lösung" blieb dem Parlament aus formalen Gründen fern. Ihr Parteichef Kyriakos Velopoulos monierte, dass eine Einladung ins Parlament von Abgeordneten beziehungsweise dem Präsidium ausgesprochen hätte werden müssen, nicht aber vom Premier.

Velopoulos schlug zudem vor, den Premierminister Armeniens einzuladen. Von der ukrainischen Regierung vermisse er eine Verurteilung der "türkischen Ansprüche und Drohungen gegen Griechenland" und der türkischen Besetzung eines Teils der Republik Zypern.

Zahlreiche Abgeordnete blieben Rede Seleskyjs fern

Die Partei von Yanis Varoufakis, Mera25, war nur mit einem Mitglied, ihrem Fraktionssprecher anwesend. Als Grund wurde genannt, dass Mitsotakis eine "unpassende Fiesta für das Parlament veranstalten" wolle und die Nato kritiklos unterstütze.

Mit ihrer symbolischen Präsenz wollte Mera25 Selenskyj "als Repräsentanten eines Volkes, das eine militärische Invasion erleidet [4]" ehren. Außer der Regierungspartei Nea Dimokratia hatten die Fraktionen von Syriza und Kinal angekündigt, komplett zu erscheinen. Tatsächlich aber fehlten zahlreiche Abgeordnete, nicht nur aus den Reihen der linksoppositionellen Syriza.

Anwesend war zudem der aus der Nea Dimokratia ausgeschlossene Alt-Right-Politiker und frühere Journalist Constantinos Bogdanos, der vor wenigen Tagen eine eigene Partei gründete. Parlamentsbesucher waren für die Sondersitzung nicht zugelassen.

Die Rede und die Kämpfer

Nach kurzer Ansprache durch den Parlamentspräsidenten Tasoulas wurde Selenskyj mit Applaus begrüßt. Er hielt eine Rede in dem Stil, den er auch in den anderen Parlamenten seiner Alliierten gewählt hat, wo er historische Parallelen zog.

Selenskyj erinnerte daran, dass die Filiki Etairia, die Kernzelle der griechischen Revolution gegen das Osmanische Reich von 1821, in Odessa gegründet wurde. Er betonte die jahrtausendealte Präsenz von Griechen am Schwarzen Meer, das harmonische Zusammenleben mit ihnen und gemeinsame kulturelle Werte.

Mariupol und Odessa, waren einst mit griechischer Beteiligung und Präsenz gegründet worden und beherbergten lange die größten Auslandsgemeinden der Welt.

Selenskyj zog Parallelen zum Widerstand der 300 Kämpfer des Spartanerkönigs Leonidas gegen die Perser. Er übernahm die Parole der griechischen Revolutionäre von 1821, "Freiheit oder Tod" – und übergab überraschend das Wort an zwei der Verteidiger von Mariupol.

Beide gehören der griechischen Minderheit an und kämpfen, wie sie selbst bekannten [5], für das Asow-Regiment [6].

Das Asow-Regiment [7] gilt in Griechenland wegen seiner Symbolik, der umgekehrten Wolfsangel und in früheren Abzeichen der schwarzen Sonne, aber auch aufgrund von Berichten von Geflüchteten der griechischen Minderheit als Synonym für Nazis. Auch die deutsche Bundesregierung bezeichnet es als rechtsextrem.

Seit 2014, und auch während des laufenden Kriegs, wird über das Regiment nur mit der Einordnung, es handele sich um eine rechtsextreme oder rechtsradikale Truppe, berichtet. Eine Überzeugung, die auch von großen Teilen der Nea Dimokratia geteilt wird.

Selenskyjs Rede in Athen endet im Eklat

Einer der beiden Kämpfer trat zudem vermummt auf, was im Allgemeinen nicht dem Protokoll des Parlaments entspricht. Gerade in Griechenland wird geradezu pingelig auf das Erscheinungsbild im Parlament geachtet.

Somit endete die Rede Selenskyjs im Eklat. Der Vertreter von Mera25 sowie einige Abgeordnete von Syriza verließen aus Protest den Saal [8].

Für Selenskyj gab es stehende Ovationen von der Nea Dimokratia und der Kinal, während die noch anwesenden Syriza-Parlamentarier, unter ihnen auch Alexis Tsipras, demonstrativ sitzen blieben, dabei aber aus Höflichkeit mitklatschten.

Reaktionen in Athen

Selenskyj mag darauf gesetzt haben, dass griechische Asow-Kämpfer in Griechenland Sympathien gewinnen würden. Der frühere Premier und heutige Oppositionsführer, Alexis Tsipras, meint dann auch: "Solidarität mit dem ukrainischen Volk ist selbstverständlich. Aber Nazis dürfen nicht im Parlament sprechen." Er sprach von einer Provokation [9].

Der frühere Premier und Parteichef der Nea Dimokratia, Antonis Samaras, selbst rechtsnational eingestellt, bezeichnete direkt nach der Rede beim Verlassen des Plenums die Präsenz der Asow-Kämpfer als großen Fehler [10].

Eine Meinung, der sich Regierungssprecher Giannis Oikonomou anschloss [11]. Auch Bogdanos, der bislang in sozialen Medien als unermüdlicher Unterstützer der Ukraine auftrat, sah sich zu scharfer Kritik bemüßigt.

Es folgte eine Dringlichkeitssitzung des Parlamentspräsidiums. Danach wurde bekannt gegeben, dass das Gremium die Präsenz von Kämpfern, nicht aber die Einheit, zehn Minuten vor Beginn der Rede bekannt war [12].

Die Stellungnahmen der beiden waren als Video ans Parlament geschickt worden. Jedoch hatte sich niemand mit dem Inhalt der Videodateien befasst.

Den Griechen stieß zudem übel auf, dass Selenskyj mit keinem Wort die andauernde Besetzung eines Teils der Inselrepublik Zypern erwähnte. Einige Medien im Land gehen davon aus, dass Mitsotakis dadurch unter Druck gerät [13].

Die Botschaft der Ukraine in Athen reagierte mit einer Stellungnahme. Sie stellte sich demonstrativ hinter das Asow-Regiment, das sie als wichtige Stütze der Landesverteidigung lobte [14]. Alles andere sei russische Propaganda, hieß es.

Selenskyj vor dem Parlament: Reaktionen in Zypern

Die Geschehnisse in Athen und vor allem die Präsenz der Asow-Kämpfer bewogen die linke Oppositionspartei Akel auf Zypern dazu, der Rede Selenskyjs im Parlament des Inselstaates fernzubleiben [15]. Der Vorfall in Athen sein "ein Affront gegen jeden Demokraten".

Im Parlament in Zypern sollte Selenskyj nach einer kurzen Ansprache von Parlamentspräsidentin Annita Dimitriou per Videoschaltung reden und hinterher mit einer kurzen Dankesrede von Dimitriou verabschiedet werden.

Selenskyjs Rede begann mit einem Video über die russischen Kriegsverbrechen [16]. Zypern hatte sich von Anfang an allen Sanktionen des Westens gegen Russland angeschlossen. Selenskyj verlange nun zudem die Schließung der Häfen für alle russischen Schiffe sowie die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Russen, welche diese im "Goldene-Visa"- Programm der Regierung Zyperns erhalten haben.

Für Unmut sorgten aber nicht die Inhalte der Rede Selenskyj, sondern das, was er nicht sagte. Der Präsident der Ukraine erwähnte mit keinem Wort, dass Zypern auch Opfer einer Invasion wurde und immer noch ist [17].

Die Parlamentspräsidentin nutzte ihre Replik, um auf die seit 1974 bestehende Besetzung von 37 Prozent des Staatsgebiets durch türkische Truppen hinzuweisen. Während ihren Ausführungen brach die Verbindung zu Selenskyj aus unbekannten Gründen und ohne spätere Erklärung ab. Der geplante Schlussapplaus fiel aus.

Nach der Sitzung ging Zyperns Staatspräsident Nikos Anastasiadis auf Abstand zu Selenskyj:

Das war nicht das, was wir heute erwartet haben. Ich möchte direkt und unmissverständlich sein: Wir haben erwartet, zu hören, dass das, was das ukrainische Volk jetzt erleidet, dasselbe ist, was wir 1974 erleiden mussten.

Es stört uns, dass es keinerlei Erwähnung dessen gab. Im Völkerrecht gibt es keine Staaten, bei denen verletzte Rechte anerkannt werden, und welche, bei denen dies ignoriert wird.

Was wir getan haben, entspricht unsere Pflicht zur Wahrung der internationalen Ordnung. Wenn es andere gibt, die mit ihrem Gewissen vereinbaren können, das Geschehene zu tolerieren, da sie ja nicht selbst betroffen sind, so ist dies mit den Grundsätzen eines europäischen Landes nicht vereinbar. Insbesondere eines Landes, das selbst eine Invasion und das mit ihr zusammenhängende Leid erfahren hat und noch erfährt. Einer Invasion ,die mit den gleichen Argumenten und mit den gleichen nicht vorhandenen Tatsachen begründet wurde.

Obwohl Anastasiadis mit seiner Stellungnahme die EU-Tauglichkeit der Ukraine direkt in Frage stellte, betonte er, dass die Staatsbürgerschaften der eingebürgerten russischen Oligarchen entzogen werden und er dem Innenminister die entsprechende Anweisung bereits gegeben habe.

Er versicherte, dass Zypern weiterhin treu zu den Grundsätzen des demokratischen Westens stehen würde. Auf den Boykott der Akel angesprochen, vermied er eine Stellungnahme. Es sei die Entscheidung einer Partei und es sei Aufgabe der Wähler, diese zu werten.

In den sozialen Netzwerken und in Kommentarspalten der Medien finden in beiden Ländern, Griechenland und Zypern, hitzige Diskussionen statt. Die kritischen Stimmen gegenüber Selenskyj haben dabei die Oberhand.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.newsbeast.gr/politiki/arthro/8490257/omilia-zelenski-sti-vouli-den-vrethike-episimos-diermineas-gia-na-metafrasei-apo-ta-oukranika-sta-ellinika-osa-tha-pei
[2] https://www.kke.gr/article/Epistoli-tis-Koinoboyleytikis-Omadas-toy-KKE-pros-ton-Proedro-tis-Boylis-ton-Ellinon-k.-Konstantino-Tasoyla/
[3] https://youtu.be/nE_0zsPc-cI
[4] https://www.tovima.gr/2022/04/07/politics/apo-ton-aizenxaouer-ston-zelenski-stis-1200-i-omilia-tou-oukranou-proedrou-sti-vouli/
[5] https://youtu.be/4rBFaNXtXOU
[6] https://www.euractiv.com/section/europe-s-east/news/zelenskyy-speech-at-greek-parliament-overshadowed-by-azov-video/
[7] https://www.belltower.news/militaerorden-centuria-und-asow-wie-rechtsextreme-soldaten-in-der-ukraine-vom-westen-ausgebildet-werden-127085/
[8] https://www.efsyn.gr/politiki/antipoliteysi/338916_apohorisi-apo-tin-aithoysa-fili-dritsa-gkiola-molis-emfanistike-melos
[9] https://www.amna.gr/en/article/637741/
[10] https://www.in.gr/2022/04/07/politics/samaras-megalo-lathos-omilia-maxiti-tou-azof-sti-vouli/
[11] https://www.in.gr/2022/04/07/politics/oikonomou-lanthasmeni-kai-astoxi-omilia-melous-tou-azof-sti-vouli/
[12] https://www.topontiki.gr/2022/04/07/kostas-tasoulas-10-lepta-prin-tin-omilia-zelenski-ematha-pos-tha-milisoun-dio-stratiotes/
[13] https://www.news247.gr/politiki/sok-sti-nd-gia-ton-machiti-toy-tagmatos-azof-sti-voyli-pyra-apo-samara-misologa-apo-maximoy.9587861.html
[14] https://www.protothema.gr/politics/article/1230626/polemos-stin-oukrania-oukraniki-presveia-rosiki-propaganda-oti-to-tagma-azof-einai-parastratiotiki-monada/
[15] https://politis.com.cy/politis-news/to-akel-den-tha-parastei-simera-stin-voyli-kata-tin-omilia-zelenski-ti-exigei-o-ekprosopos-typoy-toy-kommatos/
[16] https://youtu.be/OvWVkT-X0RQ
[17] https://riknews.com.cy/article/2022/4/7/ptd-enokhlei-to-gegonos-oti-den-uperxe-anaphora-apo-ton-zelenski-sten-tourkike-eisbole-kai-katokhe-5842312/