Seltenes Blut: Wissenschaftler lösen jahrzehntelanges Rätsel
Blutzellen. Bild: Suanb Taang/ Shutterstock.com
Medizinisches Rätsel seit halbem Jahrhundert. Am Anfang: eine schwangere Patientin im Jahr 1972. Grund für Anomalie inzwischen klar.
Als 1972 das Blut einer schwangeren Frau untersucht wurde, stellten Ärzte fest, dass ein Oberflächenmolekül fehlte, das auf allen anderen damals bekannten roten Blutkörperchen vorhanden war. 50 Jahre später führte diese rätselhafte Entdeckung dazu, dass Forscher aus Großbritannien und Israel ein neues Blutgruppensystem beim Menschen beschrieben.
"Es stellt eine große Errungenschaft und den Höhepunkt einer langen Teamarbeit dar, endlich dieses neue Blutgruppensystem zu etablieren und seltenen, aber wichtigen Patienten die bestmögliche Versorgung bieten zu können", sagte die britische Hämatologin Louise Tilley laut einer Mitteilung der Universität Bristol. Tilley forschte selbst fast 20 Jahre lang an dieser Bluteigenschaft.
Ein Antigen fehlt
Das neu beschriebene MAL-Blutgruppensystem basiert auf dem Fehlen des AnWj-Antigens, das bei über 99,9 Prozent der Menschen auf einem Membranprotein namens MAL vorkommt. Wenn jemand eine mutierte Version beider Kopien seiner MAL-Gene hat, weist er den seltenen AnWj-negativen Bluttyp auf.
Die Forscher identifizierten auch drei Patienten mit dem seltenen Bluttyp, die diese Mutation nicht hatten. Das deutet darauf hin, dass manchmal auch Bluterkrankungen dazu führen können, dass das Antigen unterdrückt wird.
Um sicherzustellen, dass sie das richtige Gen gefunden hatten, führten die Forscher nach jahrzehntelanger Arbeit das normale MAL-Gen in AnWj-negative Blutzellen ein. Dadurch wurde das AnWj-Antigen in diesen Zellen wieder hergestellt.
Dieselbe Mutation, überall
Interessanterweise teilten alle in der Studie untersuchten AnWj-negativen Patienten dieselbe Mutation. Es wurden jedoch keine anderen Zellabnormalitäten oder Krankheiten gefunden, die mit dieser Mutation in Verbindung stehen.
Jetzt, da die Forscher die genetischen Marker hinter der MAL-Mutation identifiziert haben, können Patienten getestet werden, um festzustellen, ob ihr negativer MAL-Bluttyp vererbt wird oder auf eine Unterdrückung zurückzuführen ist. Letzteres könnte ein Zeichen für ein anderes zugrunde liegendes medizinisches Problem sein.
Verheerende Folgen drohen
Diese seltenen Blutanomalien können verheerende Auswirkungen auf Patienten haben. Je mehr davon verstanden werden, desto mehr Leben können gerettet werden, betonen die Forscher.
In einem begleitenden Kommentar in der Fachzeitschrift "Blood" weisen Experten jedoch darauf hin, dass trotz der überzeugenden Beweise einige Fragen zu dem rätselhaften AnWj-Phänotyp noch unbeantwortet bleiben.
So sei der Nachweis des Mal-Proteins auf frühen Erythrozyten bisher nicht gelungen. Auch zeigte sich bei reifen roten Blutkörperchen ein zweigipfliges Expressionsmuster – nur ein Teil der Zellen exprimiert das Antigen. Warum das so ist, bleibt unklar.
Auch der genaue Pathomechanismus beim erworbenen Verlust des AnWj-Antigens, der typischerweise bei lymphoproliferativen Erkrankungen auftritt, ist noch nicht geklärt. Mal-Protein fehlt hier auf den Erythrozyten, obwohl keine Mutation im Gen vorliegt.
Trotz dieser offenen Fragen stellt die Identifizierung des MAL-Gens als Grundlage der AnWj-Antigenexpression einen wichtigen Durchbruch dar. Die Entdeckung ermöglicht eine bessere Versorgung der seltenen Patienten mit AnWj-negativem Blut.