Sensationsfund in Atapuerca: Das neue alte Gesicht der Menschheit

Archäologen bei Ausgrabungen

Archäologische Ausgrabung auf der Ebene TE7 der Fundstätte Sima del Elefante (Sierra de Atapuerca, Burgos).

(Bild: Maria D. Guillén / IPHES-CERCA.)

In einer spanischen Höhle haben Forscher das älteste menschliche Gesicht Westeuropas entdeckt. Das 1,4 Millionen Jahre alte Fossil erhielt den Spitznamen "Rosa". Ein Gastbeitrag.

Das Forschungsteam der archäologischen Stätten von Atapuerca in Burgos (Spanien) hat seinen eigenen Rekord gebrochen und zum dritten Mal den ältesten Menschen Westeuropas entdeckt.

Zum ersten Mal gelang dies dem Team 1994, als es auf der Ebene TD6 der Fundstelle Gran Dolina die Überreste einer neuen Menschenart namens Homo antecessor entdeckte. Diese Fossilien, die auf etwa 900.000 Jahre datiert wurden, stellten die bisherige Annahme in Frage, dass die früheste menschliche Präsenz in Westeuropa nicht älter als eine halbe Million Jahre war.

Abgesehen von den Zahlen hatte Homo antecessor auch ein überraschend modern aussehendes Gesicht. Die Hominiden von Gran Dolina hatten ein flaches Gesicht, das trotz ihres hohen Alters dem unserer eigenen Spezies, dem Homo sapiens, sehr ähnlich war. In einem wunderbaren wissenschaftlichen Paradoxon zeigte uns Homo antecessor das älteste Gesicht der modernen Menschheit.

Im Jahr 2007 wurde erneut der älteste Mensch Europas gefunden, diesmal in der Sima del Elefante (Elefantengrube), keine 300 Meter von der Gran Dolina entfernt. Diesmal handelt es sich um einen menschlichen Kieferknochen, der in der Ebene TE9 gefunden wurde und auf etwa 1,2 Millionen Jahre datiert wird.

Der neue Kieferknochen, katalogisiert als ATE9-1, zeigte eine Reihe primitiver Merkmale im vorderen Bereich des Kinns und der Symphyse, was angesichts seines hohen Alters logisch ist. Auf der Innenseite der Symphyse war der Knochen jedoch vertikal und schlanker als erwartet, insbesondere im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Hominiden.

Dennoch war das Fossil zu fragmentarisch, um es einer bestimmten Art zuzuordnen oder seine Zugehörigkeit zu Homo antecessor zu bestätigen oder auszuschließen. ATE9-1 wurde daher als Homo sp. klassifiziert, eine Bezeichnung, die seine Zugehörigkeit zur Gattung Homo anerkennt, aber auch unsere Unfähigkeit akzeptiert, ihn mit den damals verfügbaren Belegen weiter zu spezifizieren.

Alle guten Dinge sind drei

Im Jahr 2022 entdeckte das Ausgrabungsteam in Sima del Elefante wider Erwarten die linke Gesichtshälfte eines Hominiden aus der Ebene TE7. Dieses Fossil wurde zweieinhalb Meter unterhalb der Ebene gefunden, auf der der Kieferknochen ATE9-1 entdeckt worden war, was bedeutet, dass es noch älter ist.

In den folgenden zwei Jahren widmete sich unser interdisziplinäres und multiinstitutionelles Team – mit maßgeblicher Unterstützung des Katalanischen Instituts für menschliche Paläoökologie und soziale Evolution (IPHES) und des Nationalen Zentrums für die Erforschung der menschlichen Evolution (CENIEH) – der Untersuchung und Restaurierung des Fossils.

Wir haben sowohl klassische Methoden als auch fortschrittliche bildgebende Verfahren wie die Röntgen-Mikrotomographie eingesetzt, die es uns ermöglichen, das Innere der Fossilien sichtbar zu machen und sie digital zu manipulieren, ohne sie berühren zu müssen. So konnten wir das Puzzle rekonstruieren und mit anderen Exemplaren vergleichen, ohne auf die Originalfossilien zurückgreifen zu müssen, die über die ganze Welt verstreut sind.

Das neue Fossil erhielt den Spitznamen "Rosa" in Anlehnung an Pink Floyds Album "The Dark Side of the Moon", das auf Spanisch "La cara oculta de la luna" heißt - "cara oculta" bedeutet "verborgenes Gesicht".

Ich muss auch zugeben, dass das Forschungsteam diesen Namen zu Ehren unserer Kollegin Rosa Huguet gewählt hat, Forscherin am IPHES-CERCA, Koordinatorin der Arbeiten an der Sima del Elefante und Hauptautorin der in der Zeitschrift Nature veröffentlichten Studie.

Das markante Gesicht von Rosa

Die wichtigste Schlussfolgerung der jetzt in Nature veröffentlichten Studie ist, dass Rosa nicht zur Art Homo antecessor gehört. Das neue Fossil zeigt deutliche Unterschiede im Gesichtsbereich, der robuster und nach vorne projiziert ist, im Gegensatz zu den schlanken Gesichtern der Hominiden von Gran Dolina.

Außerdem glauben wir, dass der Nasenbereich abgeflacht und vertieft war, ähnlich wie bei Homo erectus und anderen nichtmenschlichen Primaten. Allerdings weist ATE7-1, wie Rosa offiziell katalogisiert wurde, auch einige Merkmale auf, die es uns nicht erlauben, ihn direkt als H. erectus zu klassifizieren, wie z.B. seine vergleichsweise schmalere und kürzere Gesichtsform.

Aufgrund dieser Merkmale hat das Atapuerca-Team beschlossen, Rosa als "Homo affinis erectus" (abgekürzt H. aff. erectus) zu klassifizieren. Diese Bezeichnung erkennt die Ähnlichkeiten mit H. erectus an, lässt aber die Möglichkeit offen, dass es sich um eine völlig andere Art handelt.

Die Bedeutung des Fundes von Atapuerca

Dieser Fund weist auf die Existenz einer bisher in Europa nicht dokumentierten Menschenart hin. Das europäische Familienalbum des Pleistozäns umfasste bisher H. antecessor, Neandertaler und moderne Menschen.

Nun können wir das leicht verschwommene Foto eines neuen Verwandten hinzufügen, in der Hoffnung, dass weitere Studien und mehr Fossilien es schärfen werden. Die Entdeckung bringt uns auch zum Nachdenken darüber, was noch erforscht werden kann und sollte.

Es besteht kein Zweifel, dass Atapuerca eine außergewöhnlich reiche archäologische und paläontologische Fundstätte ist. Seit Jahren haben die Höhlen von Burgos ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, noch so spärliche und fragmentarische Zeugnisse aus allen Epochen, in denen Europa bewohnt war, zu bergen.

Wenn auch Glück in Atapuerca eine Rolle spielt, so sind es doch vor allem Hartnäckigkeit und Engagement, die dieses Gebiet zu einer so bedeutenden Region gemacht haben. Nichts wird dem Zufall überlassen, und die Stätte ist der Beweis dafür, dass die Wissenschaft, wenn sie ernst genommen wird, Ergebnisse liefert.

Damit die Forschung in Atapuerca gedeihen konnte, bedurfte es der Zeit und des ständigen Engagements sowohl der Forscher als auch der Institutionen, die sie unterstützen und ihre Nachhaltigkeit gewährleisten.

Hoffen wir, dass dieser Erfolg uns anspornt, weiter nach neuen Horizonten zu suchen.

María Martinón-Torres Direktorin des CENIEH, Mitglied des Atapuerca Research Team und Autor von "Homo imperfectus" (Ed. Destino).

Dieser Text erschien zuerst auf The Conversation auf Englisch und unterliegt einer Creative-Commons-Lizenz.