Serbien: Progressive Protestwelle oder Farbrevolution?

Luca Schäfer
Protestierende mit Schild

Proteste im Januar 2025 in Belgrad

(Bild: Filip Vuskovic/Shutterstock.com)

Ein Bahnhofsunglück in Serbien kostete 15 Menschen das Leben. Seither erschüttern Demonstrationen gegen Präsident Vucic das Land. Was steckt hinter den Protesten?

Als am 1. November 2024 in der nordserbischen Stadt Novi Sad ein Bahnhofsdach aus Beton 15 Menschenleben auslöschte, ahnten wohl nur wenige politische Beobachter die Tragweite des Vorfalls.

Unter den Toten befand sich ein sechsjähriges Kind. Da sich das Unglück an einem Freitag (11.52 Uhr) ereignete, war der Bahnhofsvorplatz mit Wochenendheimreisenden gut gefüllt. Novi Sad ist mit 300.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Balkanstaates und verfügt über eine Schnellzugverbindung in die serbische Metropole Belgrad.

Interessant ist, dass nach serbischen Berichten der Teil des Daches eingestürzt sein soll, der noch nicht durch das chinesische Konsortium CRIC und CCCC (China Railway International Co.Ltd und China Communications Construction Company Ltd) saniert worden war.

Angeblich war das Vordach 23 Tonnen schwerer als erlaubt –weshalb, kann bis heute nur vermutet werden. Eine zentrale Forderung der Porteste ist die Offenlegung aller Dokumente zum Einsturz.

Die serbische Regierung erkannte schnell das destruktive Potenzial: Staatstrauer wurde ausgerufen, der Vorfall rhetorisch als "schwarzer Freitag" gebrandmarkt und Bauminister Vesic schnell von der Bildfläche entfernt.

Symbolträchtig folgten keine 24 Stunden nach dem Unglück die ersten Proteste in der serbischen Hauptstadt, mit roter Farbe wurde vor Regierungsgebäuden Stellung bezogen.

Die Botschaft war klar: Blut an den Händen der Regierung, die Oppositionspolitikerin Marinka Tepic (Partei Freiheit und Gerechtigkeit) fasste die Stimmung der Proteste mit den Worten "Das ist kein Unfall. Das ist Mord" zusammen.

Größte Studentenproteste in der Geschichte Serbiens

In der Folge demonstrierten die Menschen in hunderten serbischen Orten. Ob bei Großdemonstrationen mit bis zu 100.000 Teilnehmenden oder in kleineren Städten wie Kragujevac. Die Vermutung, dass hinter der Zahl der Toten Pfusch am Bau und Korruption stecken könnten, machte den Einsturz zu einem regelrechten Fanal für angestaute Wut.

Seit Mitte Dezember befinden sich 65 der landesweit 80 Fakultäten im Streik. Auch der Rücktritt von Premierminister Vucevic (28.1.2025), mit dem die Regierung versuchte, Dampf vom Kessel zu nehmen, scheiterte. Gegen Präsident Vucic und seine Partei SNS zogen studentische Demonstranten durch das Land.

Zu Fuß, Protest und Wandel sollen in alle Landesteile exportiert werden. Bislang hält das Fundament der serbischen Regierungsmacht. Doch das Ausmaß nimmt bedrohliche Züge an und besitzt Kraft: Bauern schlossen sich an und blockierten zentrale Verkehrswege, ein Benzinboykott wegen zu hoher Endverbraucherpreise folgte Bund erste Beleg- wie Gewerkschaften schlossen sich an.

Derzeit deutet wenig auf ein Ende der Proteste hin. Am 24. Januar folgte ein erster Generalstreiktag, der neben dem Kernproletariat auch weitere Schichten der bürgerlichen Intelligenz wie Richter, Kulturschaffende oder die nationale Anwaltsvereinigung umfasste. Repressive Reaktion

Die serbische Regierung, allen voran Präsident Aleksandar Vucic, reagierte wenig deeskalierend auf die Proteste. Vucic sprach ohne jeden Beweis davon, dass 3 Milliarden Euro ausgegeben worden seien, um ihn zu stürzen. Bezog die innenpolitischen Intrigen der USA um NED und Doge mit ein und kündigte ohne Chuzpe an, ein Buch über die Vereitelung des Regimewechsels veröffentlichen zu wollen.

Doch zunächst wurde nicht geschrieben, sondern geprügelt: Vor allem das gezielte Überfahren zweier Studenten während einer Demonstration durch ein Auto regierungstreuer Schläger verbreitete Angst und Schrecken. Beide wurden schwer verletzt.

Pikant ist, dass Präsident Vucic spätestens seit 2021 im Verdacht steht, beste Kontakte in die kriminelle Halbwelt und das Fußball-Hooligan-Milieu der Hauptstadt zu haben.

Nach Aussagen des schwerkriminellen Clanchefs Belivuk nutzte der Präsident diskret die Dienste gegen politische Gegner.

Für Belivuks These sprechen Fotos, die Szenegrößen mit Vucic zeigen, so fungierten die als Janjicari-Hooligans bekannten Anhänger des FK Partizan bei der Amtseinführung von Vucic als Ordner. Derzeit versucht Vucic die Lage zu beruhigen, indem er Neuwahlen in Aussicht stellt.