Sex als Friedensstifter: Was Affen uns über Konfliktlösung lehren

Bernd Müller
Der Schimpanse (Pan troglodytes), auch als Gemeiner Schimpanse, Robuster Schimpanse oder einfach „Schimpanse“ bekannt, ist eine Menschenaffenart, die in den Wäldern und Savannen des tropischen Afrikas beheimatet ist.

(Bild: Misbachul Munir / Shutterstock.com)

Bonobos und Schimpansen nutzen Sex, um Konflikte zu lösen. Eine Studie zeigt, was wir von unseren nächsten Verwandten lernen können.

Sex dient nicht nur der Fortpflanzung, sondern erfüllt auch wichtige soziale Funktionen – nicht nur beim Menschen, sondern auch bei unseren nächsten Verwandten, den Bonobos und Schimpansen. Eine Studie der Abteilung für Psychologie der University of Durham zeigt, wie diese Primaten Sex nutzen, um Konflikte zu lösen und Beziehungen zu stärken.

Vergleichende Studie in afrikanischen Schutzgebieten

Die Forscher um Jake Brooker beobachteten insgesamt 53 Bonobos im Lola ya Bonobo Sanctuary in der Demokratischen Republik Kongo und 75 Schimpansen im Chimfunshi Wildlife Orphanage Trust in Sambia. Über einen Zeitraum von sieben Monaten sammelten sie mehr als 1.400 Stunden Verhaltensdaten.

Ihr Ziel war es, das Sexualverhalten der beiden Schwesterarten in Zeiten sozialer Spannungen zu vergleichen. Dazu beobachteten sie die Tiere nach Konflikten und vor der Fütterung – Situationen, die potenziell mit Stress und Konkurrenz verbunden sind.

Nicht-konzeptives Sexualverhalten zur Spannungslösung

Die Studie konzentrierte sich auf das sogenannte nicht-konzeptive Sexualverhalten, auch soziosexuelles Verhalten genannt. Darunter versteht man sexuelle Aktivitäten, die nicht primär der Fortpflanzung dienen, sondern soziale Funktionen erfüllen. Dazu gehören etwa das Stärken von Vertrauen und Bindungen oder das Abbauen von Stress.

Die Forscher kategorisierten verschiedene Verhaltensweisen wie genitale Berührungen, Besteigen oder Umarmungen. Mithilfe statistischer Modelle analysierten sie, ob es Unterschiede in der Häufigkeit dieser Verhaltensweisen zwischen den Arten und in Abhängigkeit von Faktoren wie Alter, Geschlecht und Verwandtschaft gab.

Bonobos nutzen Sex häufiger zur Versöhnung

Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl Bonobos als auch Schimpansen genitale Kontakte nutzen, um soziale Spannungen abzubauen. Allerdings gab es auch Unterschiede: Bonobos setzten Sex häufiger ein, um sich nach Konflikten zu versöhnen. Schimpansen hingegen bevorzugten andere Verhaltensweisen wie Körperküsse.

Vor der Fütterung war die Häufigkeit genitaler Kontakte bei beiden Arten vergleichbar. Interessanterweise initiierten weibliche Bonobos und männliche Schimpansen häufiger Sex als ihre Artgenossen. Zudem kam es zwischen nicht-verwandten Tieren eher zu genitalen Kontakten als zwischen Verwandten.

Das Alter spielte nach Konflikten keine Rolle, wohl aber vor der Fütterung: Ältere Tiere initiierten häufiger Sex, was darauf hindeutet, dass es sich um ein erlerntes Verhalten handelt, das im Laufe der Zeit weitergegeben wird.

Einblicke in die menschliche Evolution

Die Studie liefert faszinierende Einblicke in unsere evolutionäre Vergangenheit. Die Tatsache, dass unsere nächsten Verwandten Sex auf ähnliche Weise nutzen, deutet darauf hin, dass dieses Verhalten bis zu unseren gemeinsamen Vorfahren vor sechs Millionen Jahren zurückreicht. Brooker fasst zusammen:

Dies ist der erste direkte Vergleich des Sexualverhaltens von Bonobos und Schimpansen, unseren beiden nächsten Verwandten. Die Tatsache, dass beide Arten Sex auf diese Weise nutzen, bietet einen faszinierenden Blick in die Vergangenheit und ist ein weiterer Beweis dafür, dass Menschen, Bonobos und Schimpansen die Nutzung von Sex für soziale Zwecke von unseren gemeinsamen Vorfahren geerbt haben.

Auch beim Menschen erfüllt Sex wichtige soziale Funktionen jenseits der Fortpflanzung. Er fördert Vertrauen, stärkt Bindungen und trägt zum emotionalen Wohlbefinden bei. Die Erforschung unserer Primaten-Verwandten hilft uns, die Ursprünge und die Bedeutung dieser Verhaltensweisen besser zu verstehen – nicht nur für Affen, sondern auch für uns selbst.