Showdown unterm Tannenbaum
Der Festtagspsychiater rät: Weihnachten stressfrei überleben
Die präventive Kritik des Friedensfestes, der christlichen Konsumorgie, der heilen Welt-Lüge begründet nicht zum wenigsten unsere aufgeklärte Weihnachtsvorfreude. Alles verstehen heißt immerfort auf das Fest der Feste zu schimpfen - und trotzdem gnadenlos besinnlich zu feiern. Nur die Kleinen glauben an den Weihnachtsmann und selbst nicht einmal die: Sie machen uns halt die Freude, einen Rest von Glauben wollen sie uns wenigstens in schweren Zeiten wie diesen bewahren.
Weihnachten ist Frohbotschaft und Offenbarungseid fragiler Familienbande zugleich. Was lange quält und im Dampfkessel übers Jahr so vor sich hin brodelt, zu Weihnachten explodiert es in Richtung Wahrheit. Familiäre Spannungen sind das nach allen Seiten hin schillernde Lametta, aus dem der wahre Stoff der unsäglichen Festtage gewebt ist. Nach den Tagen kommen dann die Scheidungsanwälte. Das passt zum Namenstag von Adam und Eva so gut wie die Weihnachtsbotschaft des US-Präsidenten zu seiner Friedensmission.
Sollte festkalendarisch verordnete Liebe, wo der Mensch doch schon keine festen Brunstzeiten kennt, unsere Natur grausam pervertieren? Die Zwangsharmonisierung nach Kaufstress, nach der Jagd auf wirklich brauchbare Massenbeschenkungsmittel, die zu Minenfeldern des Nichtverstehens werden und endgültig entlarven, wie alltäglich wir aneinander vorbei leben. Weihnachten ist das Fanal der familiären Strafkolonie.
Christmastologen und der Xmas-Blues
Also darf man Weihnachten nicht sich selbst überlassen, es nicht in christlich vorinstallierte Sphärenharmonien verräumen wollen. Weihnachten wird im Himmel geplant, aber auf Erden gefeiert. Letzte Lockerungen wollen gelernt sein. Im Angesicht von Krippenspiel, Christstollen und nicht nur emotionaler Überzuckerung regiert der Primärprozess, ein krudes Durcheinander von Wunsch und Wirklichkeit.
Christmas-Mediatoren, die mit dem Christkind zur Tür hereinschneien, gibt es zwar noch nicht, aber immerhin hochprofessionelle Weihnachts-Stressberater, die nach friedlichen Wegen aus der sich regelmäßig anbahnenden Festkrise fahnden. Auf der Stressoren-Hit-Liste von Thomas Holmes und Richard Rahe rangiert Weihnachten zwar auf dem schlappem 14. Rang, noch hinter Urlaub und veränderten Essgewohnheiten. "How to beat the holiday blues", fragt aber besorgt Christmastologe Graham Lucas.
Was als Xmas-Blues, als so stille wie unheilige Nacht-Depri beginnt, kann schnell in offenen Terror ausarten. Lucas rät zur Festtagskontrolle, die sich nicht auf die Bratzeiten des Truthahns beschränkt. Familie und Gäste müssen kontrolliert werden, vor allem aber zählt Selbstkontrolle: "Know thyself for stress-free Christmas". Gebongt!
Der etwas andere Apostel Lucas unterscheidet - wohl sehr frei nach Ernst Kretschmer - verschiedene Weihnachtskonstitutionstypen: Wenn etwa der relaxte Fünf-Minuten-vor-Heiligabend-Einkäufer mit dem Weihnachts-Zwangstypen, der schon im Mai seine Geschenkliste vollständig abgearbeitet hat, auf dem familiären Planquadrat zusammentreffen, kann der Ernstfall eintreten. Auch die Installation des Weihnachtsbaums, der Verrat an jeder Ästhetik, die diesen Namen verdient, ist kein folgenloser Akt der Selbstverleugnung: "Gib mir die (Christbaum)Kugel, Schatz." Wir verachten uns dafür und sind wenigstens darin authentisch, es den anderen auch mindestens so authentisch fühlen zu lassen. Denn um Gefühle geht es doch schließlich zu Weihnachten.
Fatal, das hat die psychiatrische Weihnachtswissenschaft inzwischen sorgfältig recherchiert, ist der Griff zur Flasche. Sich Weihnachten schön trinken, wenigstens aber friedlich - das ist eine so fromme wie vergebliche Hoffnung, wie Festtags-Psychiater inzwischen vermutlich auf Grund aufwändiger Testreihen wissen. Deshalb muss genügend Wasser - Stresslöser und Gehirntreibstoff Nummer eins - im Hause sein. Bier, Wein, gar Whiskey, aber kein Wasser - allein das könnte den weihnachtlichen Supergau schon vor der Christmette auslösen.
Griff zur Flasche oder zur Fernbedienung
Ähnlich gülden sind auch die anderen Ratschläge der psychologischen Festforschung: Besser sei es, den guten Weihnachtswillen der Gäste zu befördern, als sich zum tyrannischen Weihnachtsparty-Polizisten aufzuschwingen. Und weiters: Bestrafe nicht die unseligen Kinder deiner Gäste, auch wenn sie die Gültigkeit des diabolischen Prinzips zum Fest der Liebe sintemal unter Beweis gestellt haben. Ohnehin: Lasst nicht jeden rein, "von draus vom Walde komm' ich her" reicht da genauso wenig wie entfernte Familienbande, die sich in den Tagen der Besinnung als genetischer Irrtum erweisen könnten.
Und schließlich, wenn alle psychologisch abgefederten Seligkeitsprogramme und auch überreiche Geschenke als Schweigeprämien für den habgierigen Nachwuchs versagen, hilft nur noch eine Therapie: Schalt den Fernseher ein! Mach gnadenlos Schluss mit Blockflötenkakofonie und Stolperversen der Kleinen. So weit also die Wissenschaft der psychologischen Festtagserleuchtung, einer himmlischen Gesundheitsbranche mit festfröhlicher Zukunft.
Die 68er ("Weihnachten brennen Kerzen, in Vietnam brennen Kinder!") und die Antikonsumkämpfer der 70er sind in ihrer historischen Mission Impossible, das bigotte Fest der Feste spurenlos zu entsorgen, offensichtlich kläglich gescheitert. Santa Claus, der historische Globalisierungssieger mit fortgeschrittener Diabetes mellitus, spannt uns vor seinen albernen Rentierschlitten und los geht die Fahrt ins schizoide Feiertagsvergnügen, um dann mühelos von der Weihnachtsstimmung wieder der Kriegsstimmung zu verfallen.
Während Bush am heißen Golf die Kriegsmaschine schon einmal vorfeiern lässt, bevor der richtige Tanz in den Frühling beginnt, inszenieren wir noch einmal Liebe mit beschränktester Haltbarkeit. Ho, Ho, Ho ...Horrorshow!