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Sicherheitsrisiko de Maizière?

Das Lesekabinett von Johann Peter Hasenclever, 1843. Foto: Wikipedia / gemeinfrei

"Die Ordnung herrscht in Berlin": Ein Minister für innere Unsicherheit, der Wahl-Ausnahmezustand und die ratlose Linke. Ein Kommentar

Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der "Gerechtigkeit", sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die "Freiheit" zum Privilegium wird.

Rosa Luxemburg (1871-1919)

Thomas de Maizière ist gerade im Kampfeinsatz. Jeden Tag verbietet er irgendetwas, warnt vor etwas, beruhigt "die Bürger", mahnt - heute am Sonntag mal wieder Italien. Hauptsache Thomas de Maizière. Sein Kampfanzug ist blaugrau oder mal anthrazit, die Krawatte dazu gern Purpurrot, das Blutrot der Kardinäle - mit etwas Blau gemischt, es könnte auch eine Fan-Krawatte des FC Barcelona sein.

Ein bürgerlicher Kampfanzug, denn der Kampf, den Thomas de Maizière gerade führt, ist der Wahlkampf. Ein Tarnanzug ist das gleichwohl, denn Thomas de Maizière hat eigentlich eine andere Agenda, als nur die Wahl für Angela Merkel zu gewinnen. Dahinter mögen sich persönliche Ziele tarnen, aber de Maizière ist erst einmal eine politische, eine klassische Agenda der politischen Rechten, die im Begriff "konservativ" nur verharmlost wird: de Maizières Agenda lautet Angst verbreiten, Sicherheit versprechen und dadurch das Recht in den (Polizei-)Griff dieser Angstpolitik zu nehmen.

Zum Beispiel "Indymedia" und "Links unten": "De Maizière (CDU) verbietet die Plattform linksunten.indymedia.org". So stand es Freitag und Samstag in vielen Medien. Das ist auch ganz zutreffend: Die CDU verbietet, de Maizière verbietet, nicht das Innenministerium, das natürlich faktisch und juristisch korrekt ausgedrückt, die Arbeit formuliert. Ausgerechnet am Jahrestag der Mordanschläge des Neonazi-Mobs von Rostock-Lichtenhagen ausgerechnet in Deutschland, in dem Land, in dem Zensur, Verbote und Polizeimacht neu aufleben.

Das dumme Spiel

Und schon setzt wieder das dumme Spiel ein: Halblinks gegen Dreiviertellinks, linksliberal gegen linkspazifistisch, ganzlinks gegen aktionistisch, autonom gegen Die Linke. Ob "linksunten.indymedia.org" jetzt doof oder clever, böse oder gut war, zu "uns" gehört oder der Sache mehr schadet als alle Polizeiknüppel ... Wieder mal streitet die Linke, spaltet sich, delegitimiert und misstraut, statt zu analysieren und sich zumindest taktisch zu verbinden.

Dann könnte man damit beginnen, ein paar Tatsachen festzuhalten: Die Staatsanwaltschaft ermittelt vorläufig nicht gegen "Linksunten", auch nicht aufgrund der vollmundig verkündeten Minister-Vorwürfe. Das Portal ist kein Verein, auch wenn manche Linke hier die Erklärungen des Ministeriums nachschrieben. Wenn es ein Verein wäre, hätte man den Vereinsvorstand auffordern können, strafbare Inhalte zu entfernen - wie in anderen Fällen und bei börsennotierten Unternehmen (Facebook) auch.

Gleichsetzung mit Terror und Anschlägen

Auf dem jetzt verbotenen Portal feierten Autoren Autobrandstiftungen und Gewalt gegen Polizeibeamte, es gab Aufrufe zur "Gewalt" und Anleitungen zum Bau von Molotow-Cocktails. Aber nichts, was auch nur entfernt Morde und Mordanschläge, Terror gegen Menschenleben rechtfertigt. Der Minister setzt vergleichsweise harmlose Straftaten gegen Sachen und geplagte Fahrgäste durch Störungen des Bahnverkehrs mit Terror und Anschlägen gegen Leben durch Neonazis und rechtsextremistische "identitäre" Islamisten gleich.

Fragen, die Linke auch aufwerfen könnten: Warum kommt das Verbot jetzt? Obwohl es schon seit Jahren existiert. Ist dies kein Angriff auf die Pressefreiheit? Offenbar will der Minister eine kritische Stimme "mundtot" machen.

Welche Mitarbeiter staatlicher Behörden haben bereits auf dem Portal veröffentlicht und warum? Warum wird in den Medien kaum berichtet, dass die Seite im Februar 2017 Chats von AfD-Politikern aus Sachsen-Anhalt veröffentlichte, in denen unter anderem die Abschaffung der Pressefreiheit propagiert und im Nazi-Jargon "Deutschland den Deutschen" eingefordert wurde. Die AfD gehörte am Freitag zu den ersten politischen Kräften, die sich zu dem Verbot äußerten.

Mythologischer Abwehrzauber

Wie macht man einer breiteren Öffentlichkeit verständlich, dass die immer neuen Sicherheitsgesetze eigentlich nur mythologischer Abwehrzauber sind. Oder ist irgendetwas sicherer geworden, seit die "Sicherheitsgesetze" immer weiter verschärft werden? Wo geht alle "Staatsgewalt vom Volke" aus?

Keiner anderen gesellschaftlichen Institution räumen wir so umfassende Kompetenzen und Gewaltrechte ein wie der Polizei. Aber: Wieso dürfen sich Polizisten vermummen, Demonstranten aber nicht? Wie werden rechtsbrechende Polizisten individuell identifizierbar?

Wie demokratisch legitim ist die Praxis des staatlichen Gewaltmonopols? Zeigte die Polizeigewalt im Umfeld des G-20 Gipfels nicht die Neigung des "demokratischen" "Sicherheitsapparats", demokratische Grundrechte zu suspendieren?

Radikale Gegenöffentlichkeit

Auch solche Fragen hat "Linksunten" im Gegensatz zu vielen gestellt. Sie steht für radikal-kritische Gegenöffentlichkeit, die Antifaschisten organisiert und vernetzt und zur Gegenmobilisierung in die Lage versetzt. Ein Minister, der dies verbietet, ist ein strukturelles Risiko für die Demokratie. Es ist im Interesse der Demokratie, dieses Risiko so stark wie möglich einzuhegen.

Immerhin FAZ-Journalisten bereitete der Minister eine Freude: "Wer wollte, konnte sich auf der Seite jedenfalls seit langem ein Bild davon machen, dass das Problem des organisierten Linksextremismus nicht, wie etwa die SPD-Politikerin Manuela Schwesig gerne betont, übertrieben wird ... Dabei gibt es bei der gewaltbereiten Linken ebenso wenig etwas zu verharmlosen wie bei Neonazis oder Islamisten. Nicht in den Medien, nicht in der Politik, nicht im Wahlkampf", war von Michael Hanfeld am Samstag zu lesen (Printausgabe, "Im Rausch der linken Gewalt").

"Sicher: Große Teile von "indymedia" waren einfach nur eine Ausstellung hirnrissiger Ideen", räumte auch die WamS heute ein. Und weiter: "Sicher: Einige Links und Informationen waren für die Ermittlungsbehörden (und Journalisten) eine Quelle für Recherche. Insgesamt aber hatte "indymedia" nur ein Ziel: die rechtsstaatliche Ordnung zu beschädigen."

Genau da liegt der Irrtum. Eine rechtsstaatliche Ordnung ist nämlich nur nötig, wenn und weil sich nicht alle an sie halten. Im Gegenteil: Es ehrt die rechtsstaatliche Ordnung, dass wir in ihr die Möglichkeit haben, alle unsere hirnrissigen Ideen auszustellen. Das Recht, wohlgemerkt, das einklagbare Recht. Nicht die Gnade der Macht dazu.

Eure "Ordnung" ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon "rasselnd wieder in die Höh' richten" und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: "Ich war, ich bin, ich werde sein!'

Rosa Luxemburg (1871-1919; "Die Ordnung herrscht in Berlin", in Die Rote Fahne Nr. 14, 14. Januar 1919

Weiterführende Literatur:

Markus Metz/Georg Seeßlen: "Freiheit und Kontrolle. Die Geschichte des nicht zu Ende befreiten Sklaven"; Suhrkamp Verlag, Berlin 2017


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