"Sie haben den richtigen Kranken gefunden"

Seite 2: "Der Täter kann nicht christlich-fundamentalisch gewesen sein, denn er war Freimaurer"

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In Frankreich - einem Land das nicht nur eine der derzeit stärksten rechtsextremen Parteien in Westeuropa aufweist, sondern durch Breivik explizit auch als eines der Hauptziele seiner "Kreuzzügler" bezeichnet wurde (wegen der angeblichen hohen Zahl moslemischer Einwanderer) - kamen innerhalb kürzester Zeit heftige Reaktionen aus dem Spektrum der extremen Rechten. Im Unterschied zu PI ist dieses allerdings nicht in die Defensive gegangen, sondern hetzt auch weiterhin aktiv gegen seine Gegner, das Massaker von Oslo sogar zum Vorwurf gegen diese wendend.

Der frühere Vizepräsident des französischen Front National (FN), Bruno Gollnisch - er unterlag im Januar 2011 als Kandidat für den Parteivorsitz gegen die bisherige "Cheftochter" Marine Le Pen - sandte am frühen Samstag Abend gegen 20.30 Uhr ein Kommuniqué über seine Webseite aus. Es stand unter der Überschrift "Einem neuen Carpentras entgegen?".

Gollnisch spielt auf die Schändung des jüdischen Friedhofs im südfranzösischen Carpentras an, die in der Nacht des 08. Mai 1990 begangen wurde. Die antisemitische Tat war zuerst mit der extremen Rechten in Verbindung gebracht worden, doch die Täter konnten lange Zeit nicht ermittelt werden. Deswegen hatte die extreme Rechte sich damals zum Opfer eines angeblichen "Staatskomplotts"stilisiert (der damalige Staatspräsident François Mitterrand hatte die Rechtsextremen damals offen kritisiert, und die französische Nationalversammlung nahm am 02. Juli 1990 ein neues Gesetz zur Strafandrohung gegen Auschwitzleugnertum an).

Im November 1995 fuhr der Front National sogar mit einem durch ihn angemieteten Sonderzug, dem "Zug der Wahrheit", nach Carpentras, um dort für sein "Recht auf politische und moralische Rehabilitierung" zu demonstrieren. Ende Juli 1996 konnten die vier Täter jedoch festgenommen werden. Es handelte sich um Rechtsextreme. Einer von ihnen, ein früherer Neonazi-Skinhead (und zeitweiliges Mitglied des FN), war zwischenzeitlich zum Buddhismus und zur Gewaltlosigkeit konvertiert, hatte Reue empfunden und bei der Polizei ausgepackt.

Auch wenn die Täter nicht direkt mit dem FN in Verbindung standen, sondern mit der inzwischen aufgelösten Neonazi-Splitterpartei PFNE, so kamen sie doch aus seiner Ecke. Beim Front National wird allerdings bis heute bruchlos behauptet, es habe sich bei der Affäre um eine politische Verschwörung gegen die eigene Partei gehandelt, und deshalb benutzt Gollnisch auch den Ausdruck "Carpentras" als Synonym für "Komplott gegen uns".

In seinem Kommuniqué schreibt Bruno Gollnisch dazu:

Wie es vorauszusehen war, beginnt das Töten in Norwegen einigen ausgewiesenen Verformern der Wahrheit Elemente dafür zu liefern, um eine ,extreme Rechte’ anzuklagen, welche eher ins Reich der Mythologie denn der Realität gehört.

Freimaurer und Verschwörung

Das Hauptargument zieht Gollnisch daraus, dass Anders Behring Breivik gar kein christlicher Fundamentalist gewesen sein könne, sondern - Freimaurer. Denn seine Facebook-Seite weise unter der Rubrik "Beschäftigung/Aktivitäten" keinen Eintrag bezüglich einer religiösen Betätigung aus. Hingegen habe die rechtsextreme Publikation Nouvelles de France laut Gollnisch "unter der Feder von Eric Martin" herausgefunden, dass Breivik zu der Freimaurer-Loge ,John Piliers’ gehöre. Auf deren Webseite, so Gollnisch, werde "tatsächlich ein Anders Behring als Mitglied aufgeführt". Nämlicher Eric Martin konnte seinerseits einen Text auf mehrere rechtsextreme Webseiten setzen, welcher auf die Fragestellung endet:

Warum sollte die Feindseligkeit von Anders Behring Breivik gegen den Islam grundsätzlich die Tatsache eines Christen darstellen - und nicht die eines Freimaurers?

Der Hinweis auf eine - angebliche oder tatsächliche, durch uns derzeit nicht zu überprüfende - Zugehörigkeit Breiviks zu einer Freimaurergruppierung soll in den Reihen der französischen extremen Rechten zu einem sofortigen Aha-Effekt führen. Der Ausdruck "Freimaurer" gilt dort als Synonym für "verschwörerische Geheimgesellschaft", "finstere Machenschaften" - und gleichzeitig für "Anti-Christentum".

Die verschwörungstheoretische Konnotation des Begriffs "Freimaurertum" rührt daher, dass deren Gesellschaften - die ursprünglich Organisationsformen der Facharbeiter des Mittelalters, nämlich der Erbauer der gothischen Kathedralen, gewesen waren - im Vorfeld der Französischen Revolution dem damaligen revolutionären Bürgertum als Dach für seine Treffen und Aktivitäten dienten.

Deswegen haftet ihm aus Sicht der extremen Rechten, die lange Zeit den historischen Bruch von "1789" mehrheitlich scharf ablehnte, immer etwas "Subversives" an. Dabei dienen Freimaurerverbände heutzutage (es gibt sie noch, in stärkerem Ausmaß als in Deutschland, wo sie durch den Nationalsozialismus weitgehend zerstört wurden) zum Teil bürgerlichen Eliten als Rahmen für Treffen außerhalb des Lichts der Öffentlichkeit, zum Teil sind sie aber auch schlichtweg unpolitisch.

Freimaurer und zutiefst christlich orientiert

Völlig anders ist die Situation wiederum in Skandinavien: Anders als in Frankreich - aufgrund der dortigen Geschichte, unter der Monarchie vor 1789 - waren die dortigen "Logen" der Freimaurer nie als kirchenfeindlich oder gar gegen das Christentum begriffen worden. Und während das französische Freimaurertum historisch von ihren Mitgliedern eine Verpflichtung auf die Aufklärungsphilosophie (die vor 1789 in Gegnerschaft zur katholischen Kirche und ihrer Macht stand) forderte, waren die skandinavischen Logen immer "deistisch".

Das bedeutet, sie verlangten das Bekenntnis zu einem Gott, dessen konkretes Aussehen jedoch offen gelassen wird. Insofern könnte Breivik theoretisch selbst dann dortiger Freimaurer gewesen sein - sofern es überhaupt zutrifft, und sich nicht um eine pure Namensähnlichkeit handelt -, wenn er zutiefst christlich orientiert war und umgekehrt.

Das Motiv "Der Täter kann nicht christlich-fundamentalisch gewesen sein, denn er war Freimaurer" stellte auch die Ausrichtung eines Großteils der sonstigen rechten Reaktionen dar. Und zwar strömungsübergreifend: Einige Freunde der israelischen Rechten beriefen sich ebenso auf dieses Argument, wie der wegen Holocaust-Leugnung oder jedenfalls - Relativierung (Ende 2004) aus dem Hochschuldienst entfernte frühere Juraprofessor Bruno Gollnisch es tat.

Dieselbe Quelle, also Eric Martin, wird etwa auch durch den rechtskatholischen und extrem pro-israelischen Autor Michel Garroté zitiert. Dessen Artikel (unter der Überschrift "Attentate von Oslo: Der ,christliche Fundamentalist’ ist nicht fundamental christlich") wurde sowohl auf der neokonservativen, pro-israelischen und moslemfeindlichen Webseite DRZZ.info als auch bei der rassistischen und FN-Nahen Seite La Valise ou le cercueil publiziert.

Michel Garroté verortet seinen eigenen politischen Standpunkt selbst "zwischen dem rechten Flügel der (konservativen Regierungspartei) UMP und dem Front National", wie er in einem Artikel vom 07. Januar 2011 unter der Überschrift "Islam und Abkommen UMP/Front National" eigenhändig dargelegt hatte. Er zählt ferner zu den führenden Aktivisten einer "Christlich-jüdischen Allianz für Israel".

Der Haß auf Multikulti

Eine andere Schiene fuhr die rechtsextreme Internet-Presse, was die Frage des Hasses Breiviks auf "den Multikulturalismus" betrifft. In dieser Frage rechtfertigen diverse rechtsextreme Publikationen seine Motive geradezu - und stellen den Attentäter als Opfer hin, da ihm aufgrund der derzeitigen Situation einfach hätten "die Sicherungen durchbrennen" können oder müssen.

Auf der rechtsextremen Webseite La valise ou le cercueil ("Den Koffer oder den Sarg"), eine Anspielung auf einen historischen Ausspruch, der die Mentalität der europäischen Siedler in Algerien zu Ende des algerischen Unabhängigkeitskriegs 1962 auf den Punkt brachte) - stehen etwa mehrere Beiträge, in denen solcherart argumentiert wird. La valise ou le cercueil steht, besonders seit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Marine Le Pen, auch dem FN und seiner Führung nahe. Es handelt sich um eine Publikation, die im Milieu der französischen Berufsvertriebenen aus Nordafrika (welche sich dort infolge der Entkolonialisierung aus dem Staub machten) angesiedelt ist und sich oft auch positiv auf die israelische Rechte bezieht.

Am Sonntag, den 24. Juli 11 wurde dort einige Minuten vor 9 Uhr ein Beitrag unter der Überschrift "Anders Behring Breivik: Wohin der Multikulturalismus führt" ins Netz gestellt. Darin heißt es u.a. wörtlich:

Junge Leute, die alle Vorzüge haben, lassen unter dem Druck der Propaganda und der ,métissage’ (Anm.: durch deutsche Wörterbücher als ,Rassenmischung’ übersetzt, der Begriff hat im Französischen aber keinen derart scharfen Klang) eine Sicherung durchbrennen. Ein Vorzeichen dafür, dass Nationalisten sich jetzt auch wie muslimische Terroristen verhalten können, die alle Techniken des Angriffs auf die westlichen Völker nutzen.

Der Massenmord von Oslo wird also quasi wie ein Vergeltungsschlag dargestellt, auch wenn noch präzisiert wird, der Täter sei sozusagen durchgeknallt.

Noch unverkennbarer klingt die Drohung heraus, wenn ein paar Minuten später dieselbe Webseite einen neuen Artikel unter der Überschrift: "Oslo, hier ist das Ergebnis des Multikulturalismus. Andere werden folgen" publiziert. Der Rest des Artikels ist im Übrigen kein redaktioneller Beitrag, sondern die Übernahme eines Beitrags aus dem bürgerlichen Wochenmagazin ,L’Express’, das sachlich referiert, welche Einstellungen der Attentäter hegte und welche Äußerungen er von sich gab.

Aus der neokonservativen, die israelische Rechte unterstützende und einen "Schock der Kulturen (gegen den Islam)" predigenden Ecke kommen ebenfalls aktuelle Stellungnahmen. So aus der Feder des fanatischen Unterstützers der israelischen Rechten sowie der US-amerikanischen Bewegung Tea Party, Guy Millière. Dieser thatcheristische Ideologe, der beharrlich vom bevorstehenden Untergang Europas ("wegen Sozialismus und Islamismus") faselt und mit Schaum vor dem Mund eine "Befreiung" der - grundsätzlich überlegenen - USA vom sozialistischen Joch der Administration des angeblichen verkappten Muslims "Barack Hussein Obama" fordert, nahm am Sonntag, den 24. Juli 11 zum Massaker von Oslo Stellung.

"Die Terroristen sind alle groß, blond und blauäugig"

Unter der ironisch aufzufassenden Überschrift "Die Terroristen sind alle groß, blond und blauäugig" wettert Guy Millière, der auch ein geradezu Weihrauch ausströmendes Buch über George W. Bush verfasst hat:

Es trifft sich, dass der Terrorist Christ war und Freimaurer ist. Zwar weiß alle Welt, dass er (der Attentäter) Christ war, und alle Welt glaubt zu wissen, dass er es immer noch sei. Aber niemand kennt seine Zugehörigkeit zur Freimaurerei, da kein Journalist es für nötig hielt, sie zu erwähnen.

Er sei vielmehr vorschnell als zur extremen Rechten gehörig "gebrandmarkt" worden. Stattdessen hätten die Journalisten sich lieber über seine "geistige Gesundheit" befragen müssen, und (vorrangig) darauf hinweisen, dass "islamistische Attentatsdrohungen die jüngste Vergangenheit Norwegens geprägt haben". Denn, merke, Drohungen sind wichtiger als ein realer Massenmord, wenn sie nur von der richtigen Seite kommen...Guy Meillière schreibt ferner dazu:

Es sieht so aus, als ob es für die Journalistenzunft ein unerhörtes Glück sei, einen Terroristen ,von extrem rechts’ zu finden, christlich - selbst wenn er es gar nicht mehr ist - , groß, blond, mit blauen Augen. Ein Glücksfall, der es ihnen erlaubt zu kriminalisieren, was sie verteufeln und verabscheuen, und im selben Atemzug das von Kritik zu verschonen, was sie im Namen der ,politisch korrekten’ Schwachsinnigkeiten leidenschaftlich lieben.

Im Namen des Kampfes gegen Xenophobie (= Fremdenfeindlichkeit) praktizieren diese Leute eine zügellose Xenophilie (= Fremdenfreundlichkeit), die sie gegenüber allem, was einem Europäer ähnelt - dessen Essenz der Große, Blonde und Blauäugige darstellen solle - feindselig werden lässt. Im Namen des Kampfes gegen Rassismus praktizieren diese Leute eine Form des umgekehrten Rassismus: Sie mögen die Europäer grundlegend nicht, besonders wenn sie groß, blond und blauäugig sind.