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Sie haben es getan: Verantwortung für Österreich

Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit dem künftigen Regierungschef Sebastian Kurz. Bild: bundespraesident.at

Volkspartei und Grüne bilden eine Koalition, das konservative Österreich jubelt. Die Linken im Land fragen skeptisch: Werden die Grünen für vage Klimaversprechen wichtige Teile des Rechtsstaats herschenken?

Der Bundessprecher der Grünen Werner Kogler versuchte bei der Vorstellung dem Koalitionsprogramm (Titel: "Verantwortung für Österreich") in recht holprigen Worten eine gesamteuropäische Dimension abzugewinnen. Er deutet leise eine Bedrohung an, die Demokratie und Menschenwürde in Europa seit einigen Jahren gefährden würde und meinte, diese habe zu zwei erfolgreichen Wahlbewegungen geführt. Einerseits zu jener der "neuen Konservativen", die teilweise bereit sind, rechtsradikale Deutungsmuster zu übernehmen.

Da Kogler offenkundig den lieben Koalitionsfrieden nicht bereits am ersten Tag gefährden will, argumentiert er sehr verklausuliert und der Sinn seiner Einschätzung lässt sich nur erraten, indem frühere Äußerungen des Grünenpolitikers zu Hilfe genommen werden. Andererseits seien aber auch europaweit die Grünen, wenn auch auf geringerem Niveau, erfolgreich. Folglich sei es Gebot der Stunde, dass diese beiden Lager eine Gesprächsbasis finden und innerhalb einer parlamentarischen Demokratie einen Kompromiss suchen würden, da sonst nur mehr totalitäre Lösungen denkbar wären. Eine geglückte Koalition aus Grünen und Konservativen könne aber vorbildlich für Europa sein.

Die türkise Sicht des Vertrags

Koglers neues Gegenüber Sebastian Kurz von der neu-konservativen, türkisen ÖVP wirkte gegenüber den komplizierten und gedankenschweren Worten des zukünftigen Vizekanzlers wie die Luftnummer, die Kurz eben ist. Voller Zuversicht und blumiger Unbeschwertheit betete der Medienprofi jene Programmteile herunter, die der ÖVP wichtig seien und die auch dann kaum "blauer" sein können, wenn Kurz die Koalition mit der blauen FPÖ fortgesetzt hätte. Diese Option gibt es aber für die ÖVP derweil nicht, weil sich die FPÖ dank des Ibiza-Skandals und weiterer Affären gerade im Schnellverfahren in ihre Einzelteile auflöst.

Kurz kann die Versprechen des Wahlkampfes nun als Koalitionsvereinbarung präsentieren: Senkung der Steuerlast und dies auch für niedrigere Einkommen. Wer das österreichische Steuerrecht kennt, weiß aber, was den "Unteren" zu Gute kommt, bekommen die "Oberen" bei ihren proportional größeren Entlastungen noch zusätzlich dazu geschenkt. Mittlere und hohe Einkommen dürfen sich somit über noch einmal erhöhte Kinderfreibeträge freuen, während für die Armen, die keine Steuer zu zahlen haben (eine Kardinalssünde für die ÖVP), nur Brosamen bleiben.

Die Ungerechtigkeit der Einkommensverhältnisse in Österreich wäre nur zu bekämpfen, indem diejenigen, die viel haben, auch mehr bezahlen würden. Eine solche Steuerreform wäre aber für die Volkspartei undenkbar, für die Steuererleichterung für alle das Herzstück ihrer Politik ist und damit die Vertiefung der gesellschaftlichen Spaltung.

Zwar räumt Kurz ein, dass an einer ökosozialen Steuer gearbeitet würde, um "Natur und Schöpfung" zu schützen. Bei diesem Thema bleibt er aber gerne vage. Präzisere Angaben macht er zu dem Thema, für das ihn, nach eigenen Angaben die Menschen wählen würden: die Migrationsfrage. Bei diesem Thema hätten Anhänger der Grünen wohl am liebsten weggehört. Kurz will den "konsequenten Schutz der Außengrenzen". Weil die europäische Zusammenarbeit in der Aufnahme von Flüchtlingen versagt habe, sollten aus dem Mittelmeer gerettete Menschen in sichere Drittstaaten zurückgeführt werden. "Rückkehrzentren" sollen das Außerlandesbringen ermöglichen und bedeuten wohl Haft für unbestimmte Zeit, wenn Asylanträge negativ beschieden wurden. Die "konzentrierte Unterbringung", von der der blaue Ex-Innenminister Herbert Kickl sprach, klingt in den Ohren.

Dann folgt sogar noch die Umsetzung der ebenfalls von dem ehemaligen Innenminister mit einschlägigen Kontakten ins rechtsradikale Lager vorgeschlagene "Sicherungshaft", bei der Menschen noch bevor sie eine Straftat begangen haben, in Haft genommen werden dürfen, zum Schutz der Allgemeinheit. Dies gäbe es laut Kurz bereits in vielen westeuropäischen Ländern und natürlich müsse diese verfassungskonform ausgearbeitet werden. Spätestens hier hat Kurz den gesicherten Boden eines liberalen Rechtsstaates verlassen und segelt in Richtung eines illiberalen, autoritären Staates.

Für die Fremden solle es fortan ein "Fordern und Fördern" geben. Allein die Übernahme der Hartz 4-Formulierung zeigt die kontrollgesellschaftlichen Gelüste von Sebastian Kurz. Sozialleistungen werden somit wohl immer stärker an Nachweise gebunden sein, wie beispielsweise erfolgreich absolvierte Deutschkurse. Ein nachweislich sozialpolitisches falsches Programm, weil es Ausländer stigmatisiert und frustriert.

Die Öffnung von Österreich hin zu einer offenen Gesellschaft mit vielen Sprachen und Kulturen soll aber eben verhindert werden, denn Kurz will ja gerade die österreichische Identität und Kultur schützen. Kopftuchverbote bis zum 14. Lebensjahr in der Schule sollen hierbei helfen. Kurz fasst das Programm in der leicht absurden Formel zusammen, diese Koalition wolle Klima und Grenzen schützen. Nur würde eben der Klimaschutz Internationalismus erfordern, denn Schadstoffe und Hitzewellen machen nicht an Grenzstationen halt.

Ansonsten kommt eine "Pflegeversicherung" als weitere Säule des Sozialsystems um "Altern in Würde" zu ermöglichen. Da die ÖVP gemeinsam mit der FPÖ an einem neoliberalen Umbau des Sozialstaates mittels Auflösung der Länderkrankenkassen gearbeitet hat, die durch eine "effizientere" und leichter zu kontrollierende Österreichische Gesundheitskasse abgelöst werden, darf hier mit Spannung erwartet werden, wie diese Pflegeversicherung im Einzelnen aussehen soll. Die Vermutung, dass sie ein weiteres Einfallstor für Privatisierungen sein wird, muss wohl angestellt werden.

Zum Abschluss kamen dann noch die Versprechen für mehr Polizei, mehr Militär und mehr Leistung in der Schule. Keine Frage, Kurz hat den Rohrstock ausgepackt und als strategisches Ziel das 19. Jahrhundert fest in den Blick genommen.

Die Sicht der Grünen

Der Grünenchef Werner Kogler braucht eine verdächtig lange Vorrede, bevor die grüne Handschrift des Koalitionsvertrages herausarbeiten kann. Leicht habe man es sich nicht gemacht, aber es habe eben keine anderen Möglichkeiten gegeben. Er wünsche sich, dass die Kompromisse nicht voreilig denunziert werden würden. Dialogbereitschaft und Kompromisskultur seien schließlich wichtig für das Land.

Ein Antikorruptionspaket habe man geschnürt, wie es seit Jahrzehnten keines gegeben habe. Alle aktuellen Affären um Parteienfinanzierung und Ämtervergabe seien studiert worden um daraus die entsprechenden Konsequenzen mittels neuer Transparenz ziehen zu können. Die alten Zöpfe der Bürokratie sollen abgeschnitten und das Amtsgeheimnis durch eine Informationsfreiheit ersetzt werden. Endlich soll der Rechnungshof in die Parteikasse blicken dürfen.

Sehr schön, fast möchten man meinen: zu schön. Wie dies gegenüber den Behörden durchgesetzt werden soll, kann Kogler noch nicht sagen und auch von Sanktionsmöglichkeiten schweigt er. Um das Paket weht der Hauch der Utopie, der alles fordert, was sich die Menschen im Land wünschen. Gut möglich, dass die alten Haudegen der ÖVP, die seit Jahrzehnten mitregieren und die Lage in den Behörden gut kennen, dem kleinen Koalitionspartner gerne beim Anlegen dieses mühlsteingroßen Kragens geholfen haben und ihm jetzt viel Glück bei den ersten Schwimmversuchen wünschen.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit dem Grünen Werner Kogler, dem künftigen Vizekanzler. Bild: bundespraesident.at

Bei Wirtschaft und Finanzen, meint der Volkswirt Kogler, habe man sich überraschend stark angenähert. Den EU-Mercosur-Vertrag mit Südamerika lehne man gemeinsam ab. Der frühere Finanzminister Hartwig Löger haben richtige Schritte gesetzt beim Versuch, endlich eine ehrliche Besteuerung für internationale IT-Konzerne zu erreichen. Auch den Steuerbetrug wolle man endlich konsequent bekämpfen. Aber ach, das meiste ginge nur auf europäischer Ebene und da der Finanzminister aus der ÖVP kommt, wird man hier vermutlich noch ein wenig auf Erfolge warten müssen. Die Ankündigungen stimmen zwar frohgemut, wurden allerdings bereits periodisch von den Konservativen angestimmt - ohne jede praktische Konsequenz.

Dann kommt Kogler zum Filetstück, das auch kühne Erwartungen übersteigende Klimaschutzprogramm. Er weiß, dass die zahlreichen türkisen Kröten von den grünen Anhängern nur dann geschluckt werden, wenn er hier üppige Erfolge verkünden darf. Eine ökosoziale Steuerreform würde jetzt endlich kommen. In kleinen Schritten schon bald, in größeren ab 2022. Zuvor schien es, als habe Kurz mit dem ÖVP-Mantra: "keine neuen Schulden, keine neuen Steuern" ohnehin allen grünen Ambitionen das Wasser abgegraben. Werner Kogler reagiert darauf aber semantisch feinsinnig.

Niemand solle der lange von den Konservativen bekämpften Ökosteuer vorwerfen, sie mache alles teurer, denn das Ziel einer allgemeinen Steuersenkung würde auch von den Grünen mitgetragen werden. Es seien aber eben auch die Pariser Verträge zum Klimaschutz zu erfüllen, deswegen müssten sinnvolle Investitionen gemacht werden. Vielleicht - insbesondere wenn es zu einer neuerlichen Wirtschaftskrise komme - auch unter Zuhilfenahme neuer Schulden und Kogler sieht hierfür bei der Einhaltung der EU-Neuverschuldungskriterien Spielraum.

Auch könne Lenkung ohne Steuern erzielt werden, durch entsprechende Abgaben. Die ÖVP könne ihr Steuersenkungs-Gesicht wahren und trotzdem könnten neue Gelder eingezogen werden. Marktwirtschaftliche Anreize sollen geschaffen werden, in dem die großen "Dieselstinker" teurer würden und emissionsarme Autos billiger. Auch das Fliegen würde verteuert werden und der Bahnverkehr verbilligt. Fahrräder, Nahverkehr, um alles wolle sich diese Regierung nun mehr kümmern. Jeweils mit betont sanften Verteuerungen und mit teils großzügigem Zeitrahmen versehen.

Das "Eine Million Dächer Programm" und vieles mehr würde die Konjunktur ankurbeln durch Investitionen, die Österreich von den fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien führen würden. Den Häusern sollen "Mäntel" durch bessere Dämmung angelegt werden und sie sollen zu Kraftwerken umgebaut werden. Alles - keine Angst - aber nur bei Neubauten, in die alten Systeme greife man nicht ein.

Das klingt nach dem Programm des als "nachhaltig" gelabelten Wirtschaftens, dem sich gewisse finanzstarke Kreis ohnehin schon zugewendet haben. Ein tiefgreifendes Umdenken verlangt dies alles nicht, es ist letztlich eine Politik der kleinen und vielleicht wohl auch sinnvollen Schritte. Immerhin.

"Das Beste aus beiden Welten"

Ganz offenkundig wollten die beiden Parteien Kompromisslösungen finden, die den sogenannten "faulen Kompromiss" umgehen, den das großkoalitionäre Österreich jahrzehntelang erprobte und die der SPÖ und ÖVP stets das Gefühl gaben, die eigenen Themen niemals durchbringen zu können. Deswegen jetzt eine Aufteilung: Mal fährt die eine Seite den Erfolg ein, mal die andere. Hier bedarf es allerdings einer gewissen geistigen Spaltungsfähigkeit, denn beim Blick auf die Politik, die man für grundfalsch hält, muss jedes Mal sofort an ein anderes Politikfeld zum Trost gedacht werden. Ob dieser innere Spagat den Abgeordneten und Parteimitgliedern immer gelingen wird, ist sehr fraglich.

Dass beide Seiten sich politisch und menschlich nicht mögen, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Vom Harmoniegeschwafel der letzten Koalition nahm man auch Abstand und redete lieber von Verantwortung, das klingt mehr nach Selbstdisziplin und Zwang. Deswegen kommt es letztlich auch auf die Länge des Dolches an, der dem "Koalitionspartner" hinter den Rücken gehalten wird.

Hier gibt es nun ein Szenario, bei dem die Grünen die ÖVP ordentlich aufs Kreuz gelegt hätten: Sicherheit und Anti-Islam sind keine "Zukunftsthemen" und die Volkspartei hat sich damit in ein Eck betoniert, das kaum Gestaltungsraum bietet. Man könnte zwar mit großem Getöse auf allfällige Anschläge reagieren. Nur wenn diese ausbleiben? In Österreich gab es ohnehin keine nennenswerten Vorfälle. Was an Schrecklichem geschah und gerne als Argument herbeigezogen wird, war letztlich die Rassifizierung von Familiendramen und von Taten verwahrloster psychisch Kranker. Viel eher machten in den letzten Jahren weltweit vor allem Rechtsradikale mit ihren Anschlägen Furore. Ein tägliches Betonen wie erfolgreich die Law-and-Order-Strategie der ÖVP sei, dürfte irgendwann einmal schal werden.

Dies stimmt allerdings nur, wenn eine fortschreitende Vergiftung der Öffentlichkeit verhindert werden kann, an der die ÖVP letztlich auch kein Interesse haben dürfte. Nur wenn die 37%-Partei versteht, dass sie nicht einzig ihre "Erfolge" in der Verschärfung des gesellschaftlichen Krisendiskurses suchen darf, so wie bereits unter türkis-blau neurotisch alle Themen auf den Dauerheuler "Ausländer" zurückgeführt wurden, könnte der Plan der Grünen aufgehen und der Umbau zu einer ökologischeren Gesellschaft gestartet werden.

Dies wird aber wohl eher eitler Traum bleiben, denn das gemeinsame Programm zeigt vor allem, wie sehr das Primat der Wirtschaft die Gesellschaftsordnung im Griff hat. Jeder grüne Sympathisant an der Basis könnte die Gründe herunterbeten, warum sich eine Fabrik nicht "nachhaltig" betreiben lässt und weshalb am Profit orientiertes Wirtschaften immer die Vernichtung von Ressourcen beinhaltet und die Ausbeutung von Arbeitskraft. Ökonomie und Ökologie lassen sich sicherlich verbinden, nur eben nicht diese Ökonomie.

Die Belege für das Scheitern der Versöhnung von Profit und Natur sind Legion: Noch nie gab es so viele SUV-Anmeldungen, Anstieg der Flugreisen, immer größere Berge Plastikmüll, Zuwachs an CO²-Ausstoß, beinahe zweitausend Kohlekraftwerke sind im Bau befindlich und das bestbewerteste Unternehmen an der Börse ist nicht Apple, sondern ein saudischer Mineralölkonzern. Man kann nicht unbedingt sagen, die Menschheit reagiere auf die Zeichen der Zeit.

Die grüne Bewegung wirkt dementgegen zahm. Auch hat die Industriemafia längst den Hammer an die Kniescheiben der Grünen gelegt und das Wort "Verbotspartei" draufgeschrieben. Die Drohung wurde verstanden. Birgit Hebein, die Vorsitzende der Wiener Grünen und ehemals linkes Aushängeschild, meint die Grünen hätten eben "dazugelernt" und Verbote kommen nicht gut an. Kombiniert mit dem letztlich immer noch aufrechten Dogma der Konservativen, keine neuen Steuern zu machen und die Wirtschaft nicht "abwürgen" zu dürfen, kann summiert werden, dass der Gestaltungsspielraum der Grünen äußerst winzig ist.

Gewinner und Verlierer

Strategisch kann sich die Koalition allerdings zur Katastrophe für die Grünen auswachsen und damit auch für die österreichische Linke, der die Grünen immer noch nominell angehören. Kurz hingegen darf sich in einer Win-Win-Win Situation wähnen. Erstens gelingt ihm die nachträgliche Legitimation seiner letzten Regierung, die unter Beteiligung von Rechtsradikalen und möglicherweise sogar Straftätern zu Stande kam. Davon wird nun kein Wort mehr die Rede sein, denn die Grünen müssen letztlich um des Koalitionsfriedens willen mithelfen, die Aufarbeitung der türkis-blauen Koalition zu verschleppen und zu verzögern. Bereits bei der Präsentation des Koalitionsprogramms war Kogler ganz auf die Linie eingeschwenkt, alle Schuldzuweisungen an die FPÖ zu schicken.

Zweitens hat Kurz nun eine Regierung mit einem schwachen Juniorpartner, der gerademal ein gutes Drittel der Stimme der ÖVP hat und weder über einen vergleichbaren Parteiapparat verfügt (die Grünen haben in Österreich nur wenige tausend Mitglieder), noch Erfahrung in Bundesregierungsdingen besitzt. Und drittens wird ein potenzieller Gefahrenherd für die ÖVP mit Stumpf und Stiel ausgemacht, denn insbesondere in den Städten, aber auch am Land, sind die Grünen unter jungen konservativen Wählern attraktiv. Kurz kann jetzt die Abtrünnigen lehren, dass letztlich doch nur das Original zählt.

Lose-lose-lose kann es schnell bei den Grünen heißen. Wenn es der "neuen ÖVP" (eine Formulierung, derer sich jetzt auch Werner Kogler bedient und der damit auf den ÖVP-Spin eingeht) gelingt, das Spardiktat weiter durchzusetzen und als ökonomisch vernünftig darzustellen, dann sind alle Ökobestrebungen der Grünen schnell abgeblasen. Die grünen Klimaziele konnten bei der Präsentation des Koalitionspapiers schon nur durch semantische Spitzfindigkeiten am Leben gehalten werden, was kein besonders hoffnungsfroher Start ist.

Die Zugeständnisse an die ÖVP könnten noch schwer ins Gewicht fallen. Gerade bei den Grünen, deren Sympathisanten als sehr informiert und kritisch gelten. Die anstehenden Wienwahlen können schnell zum Debakel werden, wenn die tendenziell eher linken und rebellischen Grünen in der Großstadt ihre Stimmen verweigern. Flügelkämpfe und sogar Spaltung drohen.

Am schlimmsten könnte sich aber auswirken, dass die Grünen das Momentum, das sich durch Klimakrise und Fridays for Future aufgebaut hat, nun verlieren könnten. Die Grünen hätten mit der Authentizität vieler Jahrzehnte in der Umweltbewegung diese Protestwelle nutzen und mitgestalten können. Jetzt schauen sie durch die Fenster der Ministerien herab auf die Demonstrationszüge und müssen sich überlegen, wie sie das Erreichen von Minimalzielen "verkaufen".

Orientierung am Möglichen

Dementgegen: Was hätten die Grünen denn machen sollen? Eine rot-grüne Bundesregierung steht in weiter Ferne, insbesondere dank der Orientierungslosigkeit und inneren Zerrüttung der SPÖ und würde wohl auch von dem bis auf das Blut rechten Boulevard in Österreich bekämpft werden, der jetzt die Grünen wird akzeptieren müssen. Linke Lösungsansätze werden zwar allgemein durchaus geglaubt und geschätzt, sind dann aber an der Wahlurne doch nur sehr selten mehrheitsfähig. Es braucht offenbar lange Vorarbeit.

So ist der Blick auf die Geschichte der Grünen ein Vexierbild. Es ist einerseits ein beachtlicher Erfolg, die Umweltthematik im allgemeinen Bewusstsein verankert zu haben, und gleichzeitig ist es angesichts von jährlich steigendem Schadstoffausstoff und immer irrsinnigerer Industrieproduktion nicht ganz falsch zu sagen, die Umweltbewegung habe letztlich nichts erreicht. Das sukzessive Aussparen der "Systemfrage" wurde von den konservativen Kreisen wohlwollend goutiert. Grüne ließen sich, einmal an der Regierung, gerne abspeisen mit ein paar ökologischen Glanzbildchen, die man sich ins Poesiealbum kleben durfte, wie etwa der Einführung von Dosenpfand in Deutschland. Dass die Grünen in Österreich mehr erreichen werden, ist mehr als ungewiss.

Mit dem Vizekanzler Kogler und dem Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen stellen die Grünen nun bald zwei Spitzen des Staates und zugleich scheint die Bewegung ihren gesamten Élan vital verloren zu haben. Einst angetreten, um die Gesellschaft zu verändern, werden sie nun einfach die vorgeformten Positionen übernehmen und entsprechend ausfüllen.

Die Vorherrschaft der Ökonomie konnte nicht bekämpft werden, sondern wurde nur etwas grün gewaschen. Weil in Wahrheit im k. und k. Beamtenstaat nichts profitabel ist und alles subventions- und förderungsabhängig, werden auch die Grünen versuchen müssen, an die Sweet Spots der ministeriellen Zuwendungstöpfe zu kommen. Damit können sie sicherlich ein wenig gesellschaftspolitisch gestalten und Initiativen fördern, die für eine plurale und gerechte Gesellschaft kämpfen. Tiefer Wandel wird so nicht möglich sein.

Gerade die endgültige Verknöcherung von Van der Bellen im Präsidentenamt muss hier Mahnung sein. Der gab nämlich als Losung aus: "Wer seine Heimat liebt, der spaltet sie nicht." Jedes linke Gewissen weiß, dass an diesem Satz alles falsch ist. Der totalitäre Terror wohnt im Konsens und auf den sollte man sich niemals einlassen. Eher müssten die Auffassungsunterschiede in einer freien Gesellschaft herausgearbeitet werden und bewahrt bleiben. Dass Kogler sich das präsidiale Sprüchlein zu eigen macht, lässt Schlimmes befürchten.

Visionär für Europa könnte die Koalition dann in dem üblen Sinn sein, dass sich die linke Opposition nach dem Scheitern der eigenen Ökologisierungsinitiativen und den daraus erwachsenden möglicherweise katastrophalen Folgen, dazu breitschlagen lässt, beim rechten Programm der Flüchtlingsabwehr und dem "Heimatschutz" mitzumachen.


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