Sie leben in Häusern, die Wirtstiere sind

"Embassytown" vom Meister der Phantastik, China Miéville

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Jeder Autor, der kontinuierlich veröffentlicht, macht die Erfahrung, dass ihm von irgendwem mit jedem neuen Buch ein "Formtief" attestiert wird. China Miéville ist da keine Ausnahme, und während seine letzten beiden Bücher das allfällige Gerede vom Formtief Lügen straften, ist diesmal ein Körnchen Wahrheit daran. Was nicht heißt, dass "Embassytown" schlecht wäre. Es verdient schon deswegen Respekt, weil Miéville, wie üblich ein großes Wagnis eingeht.

"The City and the City" setzte sich mit einem Verbot der aristotelischen Logik auseinander ("Zwei Dinge können nicht zur gleichen Zeit am selben Ort sein.") "Kraken" diskutierte in Romanform das, was Richard Dawkins als "Gotteswahn" bezeichnet hat. Das sind keine selbstverständlichen Themen für die Phantastik (obwohl sie es sein könnten), und Miéville hat sie mir Virtuosität bearbeitet. "Embassytown" handelt vom Sprechen und Verstehen, am Beispiel einer ganz besonderen Sprache.

Die Menschheit hat sich ins All ausgedehnt, und ist dabei auf verschiedene andere intelligente Lebensformen gestoßen. Unter anderem die Ariekei, oder die "Gastgeber" (engl. "Hosts"), eine vage insektoide Spezies, die auf dem Planeten Ariekes lebt, und mit der kleinen Menschenkolonie, die sich nach der Entdeckung des Planeten dort angesiedelt hat, in friedlicher Koexistenz lebt. Die Hosts weisen ein paar starke Besonderheiten auf. Nicht nur gedeihen sie in einer Atmosphäre, die Menschen nur mit spezieller Ausrüstung überleben können. Zwar haben sie sich nie mit Raumfahrt auseinandergesetzt, aber ihre Biotechnologie ist weiter fortgeschritten als die aller anderen bekannten Spezies. So leben sie in Häusern, die eigentlich eher Wirtstiere sind. Sie werden oft von kleineren Lebewesen begleitet, von denen man nicht mehr weiß, ob man sie als Tiere oder als Maschinen begreifen soll. Ihre einzigartigen biotechnologischen Tricks sind denn auch ihre Haupthandelsware im Kontakr mit den Menschen.

Was die aber an den Ariekei am meisten fasziniert ist etwas Anderes, nämlich deren Sprache. Diese Sprache stellt Miéville als einzigartig dar, ja als für Menschen eigentlich unbegreiflich - denn jede Aussage in dieser Sprache ist wörtlich wahr. Es gibt in ihr keine Lüge, aber auch kein "als ob" und keine Ironie. Um dennoch so etwas wie Poiesis in ihre Kommunikation einzuführen und nicht bei allzu einfachen Sprachspielen stehen zu bleiben, müssen sie real existierende Dinge schaffen, auf die sich ihre Aussagen beziehen können. Ankerpunkte für Metaphern müssen sie erst in der Realität konstruieren, damit für sie die Metapher nutzbar wird.

Die so entstandenen "Sprachfiguren" werden dadurch Bestandteil der Sprache, und das muss sich nicht zwingend auf Dinge beziehen. Einen besonderen Geschmack haben die Hosts daran gefunden, Menschen in Sprachfiguren zu verwandeln - diese Mitglieder der menschlichen Kolonie auf Arieka sind dann so etwas wie lebende geflügelte Wörter. Im Gegensatz zu der Sprechakttheorie, die größten Wert darauf legt, dass Sprechen immer auch ein Tun ist, müssen die Hosts etwas tun, bevor es zur Sprache kommen kann.

Dass die Hosts nur dann bereit sind, zu kommunizieren, wenn intelligente Lebewesen mir ihnen sprechen (computergenerierte Sprache, so perfekt sie nachgeahmt sein mag, akzeptieren sie nicht), dass jeder Host über zwei Münder verfügt, die nur gemeinsam sinnvoll sprechen können, und dass sie daher nur menschliche Dolmetscher verstehen, die als Paar auftreten und psychisch so eng miteinander verbunden sind, dass sie ein Gehirn und eine Seele zu teilen scheinen, macht die Sache nicht gerade einfacher. Für die Kommunikation zwischen den Menschen und den Host nicht, aber auch nicht für den Leser der Geschichte. Miéville, der seit jeher in einer eigenen Klasse spielt und ansonsten ein absoluter Meister des Informationsmanagements ist, gerät hier über ungewohnt lange Strecken in Erklärungsprosa, die dem Leser die benötigten Fakten bereitstellen soll.

Hinzu kommt, dass man besonders am Anfang den Eindruck hat, Miéville habe mit sich gekämpft, was das eigentliche Thema des Romans angeht. Die ganze Geschichte wird aus der Sicht von Avice erzählt. Avice ist einer der wenigen Menschen, die bei vollem Bewusstsein den Hyperraum (das "immer", deutsch im englischsprachigen Original) bereisen können, und die Erzählungen von Avice zu ihrer Kindheit, ihrer Ausbildung und ihrer Tätigkeit als Navigatorin ("immerser") sind farbenfroher und packender als die längliche Erklärungsprosa zu der Sprache der Hosts. Natürlich gibt es eine stabile Brücke vom Übersetzen (fremder Sprachen) zum Übersetzen (über einen Strom), der Spruch Jacob Grimms vom "traducere navem" dient ja heutzutage schon als Werbebotschaft für Übersetzungsbüros.

Miéville ist jederzeit in der Lage, so ein Wortspiel zu einem ganzen Roman zu entfalten, aber es scheint, dass er bei Embassytown über dem Wortspiel und dem Entfalten zeitweise vergessen hat, mit der Geschichte Richtung Leser überzusetzen.

Ein weiterer Schwachpunkt: Die Katastrophe entfaltet sich wie üblich bei Miéville unaufhaltsam und gesetzmäßig, seine Romane erzählen ja immer auch von dem Wissen über das Wesen der Gesellschaft und vor allem der gesellschaftlichen Wahnanfälle, das der Autor in seinem Leben angesammelt hat. Aber weil Avice die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt, muss sie die verschiedenen Zeitebenen und Erzählstränge in der Hand behalten, was ihre eigenen Auskünfte über ihren Status und ihre Wichtigkeit unglaubwürdig macht (sie beschreibt sich fortgesetzt als Nebenfigur des Dramas). Außerdem führt es zu einer Häufung von Rückblenden, die dem Lesefluss abträglich ist, und die Struktur des Textes überkomplex macht. Miéville selbst leistet, auch das untypisch für ihn, einen Offenbarungseid zu diesem Thema, den er Avice in den Mund legt:

Ich gebe meine Niederlage zu. Ich habe versucht, all diese Ereignisse strukturiert zu erzählen. Aber ich weiß einfach nicht genau, wie all das passiert ist. Vielleicht weil ich nicht aufmerksam genug war. Vielleicht, weil es von Anfang an nicht um eine Erzählung ging. Aber aus welchem Grund auch immer - es will einfach nicht sein, was ich aus ihm machen will .

Embassytown

Die Welten, von denen Miéville schreibt, sind wie immer plastisch und evident. Die Beschreibung der destruktiven Kirchturmspolitik in der kleinen Menschenkolonie von Arieka und die Darstellung der Ariekei ist beeindruckend. Aber leider wird in Embassytown das Gestalten zu oft vom Philosophieren und Erinnern durchkreuzt.

Das soll nicht heißen, dass "Embassytown" schlecht ist. Vergleicht man es mit anderen Science-Fiction-Romanen vom Sprechen und Verstehen, wie zum Beispiel "Sparrow" von Maria Doria Russell oder "The Left hand of Darkness" von Ursula K. LeGuin, dann schlägt es sich tapfer. Embassytown ist nur nicht so gut wie die meisten anderen Arbeiten von China Miéville. Das ist zwar nicht tragisch, aber doch ein bisschen schade.

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