Siemens-Schmiergeldaffäre: Ausgerechnet die Schweiz sorgte für Aufklärung
Eidgenossen drängten deutsche Staatsanwälte
Wenn die beiden Ex-Siemens-Vorstände Heinz-Joachim Neubürger und Thomas Ganswindt in diesen Tagen an die seit Januar gegen sie gerichteten Forderungen des Konzerns in Höhe von 20 Millionen Euro denken, kommt ihnen sicherlich auch die Schweiz wieder in den Sinn. Doch nicht so sehr als Land des Vertrauens in der 2006 aufgedeckten Schmiergeldaffäre, sondern ganz im Gegenteil. Entgegen der herrschenden deutschen Meinung sind die Eidgenossen nicht nur Wahrer kapitalistischer Interessen. Das schweizer Rechtssystem macht es möglich, Geldschieber in der ganzen Welt zu verfolgen. Und wie jetzt am Rande des Prozesses gegen den Steuerhinterzieher Karl-Heinz Schreiber, der jüngst in Augsburg zu 8,5 Jahren Haft verurteilt worden war, durchsickerte, griff dieses System auch im Fall Siemens. Mehr noch: Ohne die Behörden der Schweiz wären die Siemens-Ermittler in München wahrscheinlich niemals tätig geworden.
Das Referat "Geldwäsche" bei der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich ist sicherlich nicht ohne Notwendigkeit eingerichtet worden. Hier vertiefen sich Staatsanwälte in die Akten von Geldströmen, die über schweizer Konten in andere Länder laufen. Fallen ihnen Ungereimtheiten auf, benachrichtigen sie ihre Kollegen in den Empfängerländern der Finanzen. Auf solche Merkwürdigkeiten stieß Staatsanwalt Ivo Hoppler bereits weit vor dem Jahr 2006 im Zusammenhang mit Siemens. Also setzte er seine Kollegen in München davon in Kenntnis und ging davon aus, dass in der bayerischen Landeshauptstadt mit den notwendigen Ermittlungen begonnen wurde. Doch Fehlanzeige: Nichts rührte sich an der Isar. Vielleicht waren die Kollegen dort ja überlastet oder hatten sich mit - kaum vorstellbaren - dringenderen Fällen zu befassen. Doch Hoppler ließ nicht locker und fragte regelmäßig in München nach dem Stand der Dinge - über Jahre hinweg. Dort waren seinen Angaben nach nicht einmal Vorermittlungen eingeleitet worden, wurde immer wieder mittels fadenscheiniger Begründungen abgewiegelt. Da keimte in dem Schweizer ein böser Verdacht. Eventuell, so Hoppler, sollte in Deutschland ja gar nicht ermittelt werden.
Nach mehrstündigen Beratungen mit Kollegen und Vorgesetzten machte er im Herbst 2006 schließlich Nägel mit Köpfen. Er packte ordnerweise Akten in sein Auto, setzte sich ans Steuer und fuhr zur Staatsanwaltschaft München. Zuvor hatte er bereits die us-amerikanischen Behörden über Siemens-Zahlungen in die USA informiert und damit dortige Ermittlungen ausgelöst. In Bayern angekommen, knallte Hoppler den Staatsanwälten die Siemens-Akten mit den Worten "das sind eure Ganoven, kümmert euch gefälligst endlich um sie!" auf den Schreibtisch. Erst dieses und der kleine Hinweis, die US-Behörden seien bereits mit Ermittlungen befasst und würden sicherlich bald auf das denkwürdige Münchener Verhalten aufmerksam, ließen die Deutschen in Bewegung kommen.
Die als Sieg des deutschen Rechtsstaats gefeierte Durchsuchungsaktion der Siemens-Büros am 15. November 2006, an der 200 Beamte von Polizei, Staatsanwaltschaft und Steuerfahndung teilnahmen, war also nicht Folge eines empörten deutschen Aufschreis, sondern des persönlichen Einsatzes eines schweizer Staatsanwaltes. Warum die Behörden in München erst auf diesen Druck hin reagierten, fragt sich der inzwischen pensionierte Jurist noch heute. Dem Mann kann geholfen werden. Das "System Siemens", bei dem weltweite Schmiergeldzahlungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro im Raum stehen, war nicht nur weit verzweigt, sondern ebenso mächtig. So sollen auch Gelder der Firma auf eidgenössischen Geheimkonten der CDU, die schließlich zur CDU-Spendenaffäre führten, geschlummert haben.
Was in Deutschland kaum jemand weiß: Staatsanwälte sind in ihrer Funktion der Politik gegenüber weisungsgebunden. Sollte der jeweilige Landes- oder Bundesjustizminister der Auffassung sein, in bestimmten Fällen sollte nicht ermittelt werden, geschieht das auch so. Im Übrigen ist eine Begründung nicht notwendig.