Signale auf Rot: Bahndigitalisierung stößt auf unerwartete Hindernisse
Die Digitalisierung der Bahn trifft auf Hürden. Nicht nur die Infrastruktur, auch Züge müssen umgerüstet werden. Doch wie viele Weichen müssen noch gestellt werden?
Der Aufwand bei der Digitalisierung der Deutschen Bahn erweist sich als deutlich größer, als dies bislang in der Öffentlichkeit kommuniziert wurde. Es muss nämlich nicht nur die Infrastruktur auf das European Train Control System (ETCS) umgestellt werden, sondern auch das rollende Material.
Aufgrund der Liberalisierung des Bahnbetriebs müssen auch die Wettbewerber, welche die Trassen der DB Infra GO auf den digitalisierten Strecken nutzen wollen, ihren Fahrzeugpark entsprechend umbauen. Die DB hatte schon 2021 begonnen, rund 450 Fahrzeuge mit der digitalen Technik auszurüsten. Nicht digitalisierte Fahrzeuge sind nach der Umstellung auf einer mit ETCS ausgerüsteten Stecke nicht mehr zugelassen.
Aktuell soll mit dem "Digitalen Knoten Stuttgart" gestartet werden, wo es dann keine klassischen Lichtsignale an den Gleisen mehr geben wird. Hier sollen rund 500 Netzkilometer, darunter das gesamte heutige S-Bahn-Netz sowie die neue Infrastruktur von Stuttgart 21, mit digitalen Stellwerken ausgestattet werden.
Ziel ist es, mithilfe des ETCS mehr Zugverkehr auf der vorhandenen sowie der jetzt hinzukommenden neuen Infrastruktur abzuwickeln. Zugleich soll mit der Digitalisierung der Betrieb zuverlässiger und der Instandhaltungsaufwand geringer werden.
Digitalisierung soll die Infrastruktur besser genutzt werden
Mit der Digitalisierung will die Bahn eine Idee verfolgen, wie sie schon bei der Digitalisierung der Telekommunikation und der Fernsehlandschaft erfolgreich umgesetzt werden konnte und aktuell mit der Abschaltung der UKW-Sendeinfrastruktur und der Digitalisierung der Verteilnetze beim Strom anstehen.
Wie bei der Digitalisierung der Stromverteilnetze und der Umstellung des Rundfunks von UKW auf DAB+ hat auch die digitale Zugbeeinflussung nach europäischem Standard mit Umsetzungsproblemen zu kämpfen.
Von der Digitalisierung verspricht man sich eine maximale Leistungsfähigkeit auf der besonders hochbelasteten S-Bahn-Stammstrecke, wo man hofft, auf diese Weise das Münchner Debakel mit der zweiten Stammstrecke vermeiden zu können.
Im auf Kante genähten neuen Stuttgarter Hauptbahnhof soll mithilfe der Digitalisierung dann im Hochleistungsbetrieb auf jedem der acht Bahnsteiggleise alle fünf Minuten ein Zug fahren. Auf jedem der acht anschließenden Gleise soll eine mittlere Zugfolge von zwei Minuten möglich sein.
Wie der Umstieg der Passagiere auf diese Geschwindigkeit beschleunigt werden soll, ist bislang nicht bekannt. Es kann aber wohl davon ausgegangen werden, dass die Fahrgäste die ganze Planung über den Haufen werfen und Sand ins Getriebe der technischen Möglichkeiten streuen werden.
Vor dem weiteren Ausbau der Bahndigitalisierung möchte man jetzt die Erfahrungen aus Stuttgart abwarten. Sie sollen später in die geplante Digitalisierung des übrigen Netzes einfließen.
"Später" scheint das Schlüsselwort bei der Bahndigitalisierung zu sein
In Stuttgart soll jetzt zum ersten Mal in Deutschland einen großen Eisenbahnknoten mit einem digitalen Stellwerk, dem europäischen Zugbeeinflussungssystem ETCS, dem integrierten Leit- und Bediensystem iLBS und weiteren darauf aufbauenden Techniken wie automatisierten Fahrbetrieb mit Triebfahrzeugführer, genannt ATO GoA 2, ausgerüstet werden. Ziel ist die spätere Aufrüstung auf GoA4, das voll automatisierte, fahrerlose Fahren.
Beim höchsten Automatisierungsgrad GoA4 soll die Technik im Zug mittels Sensorik auch die Umfeld- und Objekterkennung übernehmen. Sie benötigt dazu ein KI-basiertes Störfallmanagement. Durch die dafür notwendige Übermittlung von Bild- und Sensordaten steigen die Anforderungen an die Konnektivität noch einmal deutlich.
Mit dem auf 2G basierten GSM-R aus den 1990er-Jahren wird dies nicht möglich sein. Daher muss man den Bahnfunk auf einen hochperformanten Mobilfunk auf der Basis von FRMCS/5G aufrüsten.
Das Future Railway Mobile Communication System (FRMCS), das auf dem Mobilfunkstandard 5G basiert und bei dem neben dem traditionellen Bahnfunkausrüster Funkwerk in Kölleda sowohl Ericsson als Huawei engagiert sind, soll die notwendige Konnektivität für digitale Zukunftstechnologien bereitstellen.
Denn mit der Digitalisierung des Bahnsystems wird die Echtzeitdatenübertragung zwischen Zug und Strecke durch eine hochleistungsfähige, drahtlose Verbindung immer wichtiger.
Neben schnell getakteten Steuerinformationen durch die Verwendung von ETCS in Verbindung mit der Technik für das automatisierte Fahren müssen auch die von Sensoren und Kameras gesammelten Daten zuverlässig und schnell verarbeitet und übertragen werden. Dies erfordert deutlich geringe Latenzzeiten bei steigenden Datenraten.
Digitalisierung der Bahn in Deutschland auf der langen Bank?
Die Bahn ist aktuell schon mit der Erhaltung der vorhandenen Infrastruktur extrem gefordert, manche glauben sogar überfordert. Da wundert es kaum, wenn die Meldung die Runde macht, dass man die Digitalisierung der Bahn erst einmal mit Stuttgart 21 stoppen will.
Dies hat die Bahn zwar umgehend dementiert, es entspricht jedoch der schon zuvor geäußerten Absicht, vor einem weiteren Ausbau der Digitalisierung die Auswertung der Betriebserfahrung in Stuttgart abzuwarten. Da der Start des Deutschlandtakts inzwischen auch auf das Jahr 2070 verschoben wurde, scheint die Digitalisierung der Bahn jetzt auch nicht mehr unter den Nägeln zu brennen.
Die Digitalisierung der Bahn in Deutschland ist kein Inselsystem, sondern eingebunden in das europäische Eisenbahnverkehrsleitsystem "European Rail Traffic Management System", kurz ERTMS, das auf der im Jahr 1996 von der Europäischen Kommission verabschiedeten Richtlinie 96/48/EG basiert, die nicht nur die Interoperabilität bei den Zügen der Personenbeförderung sichern soll, sondern auch auf den europäischen Güterverkehrskorridoren eingeführt werden soll.