Silicon Valley: Übertriebene Erwartungen
- Silicon Valley: Übertriebene Erwartungen
- Digitaler Kapitalismus: Gefahr droht von vielen Seiten
- Auf einer Seite lesen
Ist der digitale Kapitalismus schon wieder zu Ende? Wenn die Liquiditätsflut abebbt. (Teil 2)
Als sich während der Lockdown-Maßnahmen gegen Covid-19 ein Teil des Lebens ins Internet verlagerte, schoss die Nachfrage nach Streaming-Diensten, Computerspielen und Online-Konferenzen in die Höhe. Die Bewertungen von Big Tech erreichten neue Höchststände.
Aber die Erwartung, die erzwungene Digitalisierung des Berufs- und Alltagslebens sei von Dauer, stellt sich als falsch heraus: Home-Office auf Dauer ist für viele Unternehmen problematisch, bei vielen Beschäftigten unbeliebt. Auch die Aufnahmefähigkeit für Internet-Unterhaltung ist begrenzt.
Wegen der anhaltend starken Konkurrenz unter den Streaming- und Netzwerk-Anbietern bleiben die Preise für die Endkunden niedrig, deshalb auch die Gewinne – wer leistet sich drei oder vier Streaming-Dienste gleichzeitig?
Eine Sonderrolle spielt der Online-Handel. Er schrumpft nicht wieder auf das Niveau vor der Pandemie – im Gegensatz zum Aktienkurs von Amazon, der im Winter 2021 auf 160 Euro kletterte und mittlerweile wieder bei etwa 80 Euro liegt. Die fallenden Aktienkurse mindern die Privatvermögen der Magnaten. Amazon-Chef Jeff Bezos Reichtum schrumpfte seit Januar 2022 um 79 Milliarden auf 114 Milliarden US-Dollar.
Teil1: Was sind die Gründe für die große Entlassungswelle im Silicon Valley?
Mark Zuckerberg verlor mehr als 125 Milliarden US-Dollar und besitzt "lediglich" noch knapp 44 Milliarden US-Dollar. Diese Entwicklung trifft auch Elon Musk: 2021 war er zeitweise mit einem Besitz von etwa 300 Milliarden US-Dollar der reichste Mensch der Welt. Mittlerweile gehören ihm nur noch 171 Milliarden.
Dass er demnächst Pfandflaschen sammeln muss, steht nicht zu befürchten, dennoch dürfte ihn der Verlust etwa der Hälfte seines Vermögens schmerzen.
Ich erwarte Ergebnisse.
Darth Vader / Elon Musk
Sichtbar wird, welche Unternehmen profitabel sind
"Erst wenn die Flut zurückgeht, siehst du, wer nackt schwimmen war." Selten war der Merkspruch von Warren Buffett so passend wie in der aktuellen Situation: Die Zentralbanken drosseln die Flut der Liquidität, nun wird sichtbar, wessen Unternehmen profitabel und wessen Geschäft "kreditgetrieben" ist. Wenn die Zinsen steigen, sind Schulden Gift.
Deshalb versucht Elon Musk möglichst schnell die Kredite für den Kauf von Twitter loszuwerden und verkauft einen Teil seiner Tesla-Aktien. Den anderen Anteilseignern kann das nicht gefallen, weil es die Kurse nach unten drückt. Gleichzeitig versucht Musk, die Kosten in seinen verschiedenen Unternehmen zu senken, beziehungsweise ihre Gewinne zu steigern.
Dazu zählt beispielsweise die Idee, Twitter-Nutzer für zusätzliche Dienstleistungen wie die "Authentifizierung" bezahlen zu lassen, und das Verbot, Links zu anderen Netzwerken wie Instagram oder Mastodon zu setzen.
Musk verlangt schnelle Ergebnisse
Auch dass er einen baldigen technologischen Durchbruch bei Neuralink verspricht, macht durchaus Sinn. Das Unternehmen kostet Geld und Reputation. Ehemalige Beschäftigte behaupten, dass Versuchstieren die Sensor-Implantate rücksichtslos und unprofessionell ins Gehirn gesetzt wurden, weil Musk schnelle Ergebnisse verlangt habe. Die US-Agrarbehörde ermittelt wegen des Verdachts auf Tierquälerei.
Laut einem Bericht von Reuters wurden seit 2018 für die Experimente insgesamt 1.500 Tiere getötet, darunter viele Schafe, Schweine und Affen.
Die Werbung für Neuralink legte nahe, dass sich mit den Implantaten kognitive Leistungen steigern und Gedankeninhalte gleichsam aus dem Hirn auslesen ließen. Solche futuristischen Aspekte von Silicon Valley müssen in der Krise auf den Prüfstand.
Investoren fordern von Google/Alphabet und Facebook/Meta, die kostspielige Forschung zur Künstlichen Intelligenz und Robotik einzustellen oder wenigstens zurückzuschrauben. Die Internetplattformen und sozialen Netzwerke haben bisher keine kommerziellen Anwendungen für die KI gefunden, von ihren Algorithmen zur Inhaltskontrolle abgesehen. Das Versprechen auf eine technologische Revolution hat sich nicht erfüllt.
Fehlende Einnahmequellen und versiegender Profit
Fehlende Einnahmequellen sind ein Problem für alle sozialen Medien und Internetplattformen. Sie sind im Wesentlichen Werbeunternehmen geblieben, die Nutzerdaten verkaufen oder selbst in Wert setzen. In der Rezession sinken die Konsumausgaben und die Werbeeinnahmen.
Deshalb schrumpfte zum ersten Mal in der Geschichte von Facebook der Umsatz des Unternehmens. Die Wette Zuckerbergs, das Metaverse als äußerst teure Virtual-Reality-Plattform könne jemals lukrativ werden, ist riskant, geradezu eine Verzweiflungstat.
Die Unternehmen des Oligopols GAFAM (Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft) sind wohlgemerkt profitabel. Ihre Stellung ist aber umso angreifbarer, je mehr sie im eigentlichen Sinne Plattformen sind, auf denen kommuniziert, informiert und gehandelt wird.
Soziale Medien, Messenger-Dienste und digitale Marktplätze verlangen Eintritt und/oder monetarisieren die Informationen, die bei dem Austausch ihrer Nutzer anfallen. Lukrativ wird dieses Geschäftsmodell umso mehr, je mehr die Nutzer für diese Vermittlungsleistung bezahlen.
Die Stärke der Plattformen beruht maßgeblich auf Lock-In-Strategien und Netzwerkeffekten: Nutzerdaten werden gleichsam in Geiselhaft genommen, der Wechsel zu einem alternativen Anbieter ist schwer zu koordinieren.
Feudalherren
Der Soziologe Ulrich Dolata kennzeichnete die Big-Tech-Unternehmen treffend als "volatile Monopole". Ihr Nutzen ist am größten, wenn sie alle Akteure umfassen, die beispielsweise Kleinanzeigen aufgeben, ihre Arbeitsstelle wechseln oder einen Sexualpartner finden wollen. Es handelt sich damit um "natürliche Monopole", ein Begriff, der allerdings im Verlauf des Neoliberalismus außer Mode geraten ist.
Natürliche Monopole sind effizienter als konkurrierende Anbieter, sie stellen gleichsam eine soziale Infrastruktur bereit. Diese Internet-Infrastruktur wird aber privatwirtschaftlich betrieben und muss eine Rendite abwerfen. Deswegen kümmern sich die Eigentümer um den Zustand ihrer Plattformen typischerweise nur in dem Maß, in dem eine massenhafte Abwanderung von Nutzern droht.
Dass die Möglichkeit des Wechsels prinzipiell bestehen bleibt, macht die Monopole volatil. Diese Gefahr ist allerdings umso geringer, je mehr Kapital investiert ist und je höher die Markteintrittsbarriere liegt. Microsoft, Apple und Amazon sind nicht nur digitale Plattformen, sondern auch Hardware-Hersteller und Versandhändler. Daher sitzen sie sicherer im Sattel als etwa Facebook, Twitter oder Google.
Letztlich beziehen die Plattformen eine Rente, die sie Unternehmen, anderen Organisationen und Privatleuten dafür abverlangen, miteinander zu interagieren. Sie errichten sozusagen einen Zaun um einen Marktplatz herum und verlangen dann einen Anteil an allen Transaktionen.
Das Vorgehen gleicht dem von Feudalherren, auch wenn sie sich nicht immer mit dem Zehnten begnügen und für den Betrieb ihres Marktplatzes Lohnarbeit notwendig ist.