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Silvester-Nachspiel: Kritik an der Polizei

Köln Hauptbahnhof. Foto: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

Wie begründet sind "Racial profiling"-Vorwürfe wegen der Konzentration auf Personen aus nordafrikanischen Ländern oder soll doch vor allem die Erkenntnis überwiegen, dass die Polizei gute Arbeit geleistet hat?

Es bleibt schwierig. Zwar macht diese Silvesternacht in Köln keine Schlagzeilen wie im vergangenen Jahr - 27 Festnahmen und 114 Strafanzeigen, darunter sieben Sexualdelikte [1], sind eine Bilanz mit einer ganz anderen Dimension als beim letzten Jahreswechsel in Köln. Auch die später gelieferte Zahl von 92 Personen, die in Gewahrsam genommen wurden [2], ändert nichts Wesentliches an diesem Befund.

Man kann also von einem erfolgreichen Polizeieinsatz sprechen. Aber schon die Zahl der eingesetzten Polizisten, insgesamt waren es 1.700, und besonders die Zahl der von der Bundespolizei ausgesprochenen Platzverweise auf dem Kölner Hauptbahnhof, nämlich 900 [3], zeigen ein Problem an. Dass Silvesterfeiern derart massiv geschützt werden müssen, ist keine Realität, die man als normal bezeichnen kann und womit man sich abfinden will.

Verunsicherung: Die Lage unter Kontrolle halten

Kenntlich wird das Außergewöhnliche auch dieser Silvesternacht an anderen Zahlen aus der Bilanz:

Landesweit hatte die Polizei 3800 Einsätze zu verzeichnen, 400 mehr als im Vorjahr - und mehr denn je, wie das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW mitteilte.

rp-online

Es ging darum, die Lage unter Kontrolle zu halten, berichtet [4] die Rheinische Post. Auch aus diesem Fazit wird Verunsicherung kenntlich. Der Bericht bestätigt dies durch Aussagen des Präsidenten der Bundespolizeidirektion, Wolfgang Wurm: "Es gab Situationen, die uns an das Vorjahr erinnerten".

Die Stimmung hätte seiner Einschätzung nach kippen können, vor allem dann, ergänzte [5] der Chef der Bundespolizeidirektion, "als größere Gruppen von Männern nordafrikanischer Herkunft, wie sie im vergangenen Jahr auffällig geworden waren, auch in dieser Silvesternacht nach Köln reisten".

Ein weiterer Bericht von rp-online [6] gibt den Einsatzbericht des Kölner Polizeipräsidenten wieder. Demnach wurden "rund tausend junge Männer vornehmlich aus dem nordafrikanischen Raum im Kölner Hauptbahnhof und am Deutzer Bahnhof abgefangen".

"Gruppen von Männern, von denen eine aggressive Atmosphäre ausgegangen ist"

Die Männer seien in größeren und kleineren Gruppen angekommen, "von denen eine aggressive Atmosphäre ausgegangen sei", so der Kölner Polizeipräsident und der Präsident der Bundespolizei ergänzt, es hätten Informationen vorgelegen, "dass sich 2.000 dieser Personen auf dem Weg nach NRW befunden hätten. Sie sollen sich in sozialen Netzwerken verabredet haben".

Vor dem Hintergrund dieser Information, so Wolfgang Wurm, hätten Beamte der Bundespolizei "fahndungsrelevante Personen angesprochen und über ihre Absichten befragt". Wer "einfach nur so" an den Bahnhöfen hätte bleiben wollen, wurde aus der Menge herausgeleitet und kontrolliert und meist des Bahnhofs verwiesen worden. Auf diese Weise sei es gelungen, Situationen wie im Vorjahr zu verhindern.

Aus all dem ließe sich das erste - vorsichtige - Fazit ziehen, wonach die Polizei Entscheidendes besser gemacht hat. Sie hat Ausschreitungen wie im letzten Jahr verhindert. "Vorsichtig" wurde deswegen eingeschoben, weil die Erfahrungen des Jahreswechsels 2016/2017 gelehrt hat, dass das enorme Ausmaß der Übergriffe erst später ans Licht kam.

Die Polizei hat auf Vorwürfe reagiert und war bemüht, aus Lektionen zu lernen, was daran zu abzulesen ist, dass sie die Einsatzkräfte in der Nacht noch um 200 aufgestockt hat, möglicherweise wegen der erwähnten Informationen der vielen Anreisenden .

"Einfach so" Silvester nach Köln fahren?

Genau diese Information wirft Fragen auf, die eng mit der Verunsicherung zu tun haben. Es fehlt einen großes Teil im Gesamtbild: Warum sind "rund tausend junge Männer vornehmlich aus dem nordafrikanischen Raum" zum Kölner Hauptbahnhof gefahren?

Hierzu gibt es noch gar keine handfesten Aussagen, ein Teil des Bildes bleibt vollkommen dunkel. Haben sich die Männer abgesprochen, wie die oben zitierten Medienberichte, die sich auf Polizeivermutungen oder -angaben stützen, nahelegen? Was hatten sie vor? Einfach nur feiern? Obwohl ihnen klar war, dass ein derartiger Massenauftritt zu Verunsicherungen führt? Oder doch Lust auf ein Randale-Event - was ja auch bei Ortsansässigen vorkommt? Lust auf Provokation? Oder doch Köln "einfach so", weil dort die besten Feste steigen?

Die Bundespolizei meldete nach Informationen des Spiegels [7] aus den Zügen, dass "hochaggressive" Gruppen nach Köln unterwegs seien. Verharmlosen war also keine Option.

Die Einsatzschwelle sei niedrig gewesen, im Zweifel hätten die Beamten eingegriffen, wird der Kölner Polizeichef Mathies zitiert [8].

Die "Nafri"-Debatte

Von "einfach" kann gegenwärtig und wohl noch für längere Zeit nicht die Rede sein, wenn es um das Verhältnis zwischen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft und Migranten aus nordafrikanischen Ländern geht. Auch das zeigt sich in der Nach-Silvesterdebatte. Für Aufregung sorgt die Verwendung des Begriffs "Nafri" in einem Polizei-Tweet: [9] "Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft."

Der Tweet erhärtete den Vorwurf des racial profiling an die Polizei. Grünen-Chefin Simone Peter kritisierte [10] die Verwendung des Begriffs - "völlig inakzeptabel ist der Gebrauch von herabwürdigenden Gruppenbezeichnungen wie 'Nafris" für Nordafrikaner durch staatliche Organe wie die Polizei" - und dass "1000 Personen alleine aufgrund ihres Aussehens überprüft wurden".

Der ehemalige Pirat und Neu-Einsteiger bei der SPD, Christopher Lauer, bezeichnete den Begriff als "in hohem Maße entmenschlichend" [11].

Amnesty rückt das racial profiling durch die Polizei in den Mittelpunkt seiner Kritik und warnt [12] vor der Verfestigung rassistischer Vorurteile:

Des Weiteren trägt die in der Öffentlichkeit durchgeführte Maßnahme der Kölner Polizei dazu bei gesellschaftliche Vorurteile und Stereotype gegenüber den kontrollierten Personen zu verstärken. Außerdem verfestigen sich rassistische Einstellungen gegenüber der kontrollierten Personengruppe. Es wird nämlich suggeriert, dass Männer vermeintlicher oder tatsächlicher "nordafrikanischer" Herkunft, nur aufgrund dieses Merkmals eine potentielle Gefahr darstellen.

Amnesty International

Der Kölner Polizeichef Jürgen Mathies bedauerte "außerordentlich" [13], dass der Begriff "Nafris" in der öffentlichen Kommunikation verwendet wurde. Schaut man sich an, was der Kölner Express aus einem "internen Polizeidokument" [14] über diesen Begriff zutage fördert, ist das außerordentliche Bedauern angebracht.

Phänomen Nordafrikaner (NAFRI)

• Tatverdächtige sind Angehörige eines NAFRI-Staates (Ägypten, Algerien, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien, Tunesien)

• Tatverdächtige sind meistens zwischen 15 und 25 Jahre alt (nach eigenen Angaben häufig minderjährig) • begangen werden insbesondere Raub-, Körperverletzungs-, BtM-, und Taschendiebstahlsdelikte (sogenanntes "Antanzen")

• Tatort meist belebte Innenstadtbereiche

Unter dem Stichwort "Besonderheiten/Eigensicherung" werden Polizisten gewarnt:

"Die Klientel verhält sich äußerst aggressiv auch gegenüber einschreitenden Polizeibeamten und Mitarbeitern der Stadt (Jugendamt, Ausländeramt). Bewaffnungen (Klappmesser) werden regelmäßig festgestellt; häufig Widerstandshandlungen."

Kölner Express [15] aus einem internen LKA-Dokument

Zur Arbeit der Polizei gehört der Verdacht. Öffentlichkeitsarbeit hat jedoch ein paar Dimensionen mehr und hat es mit Empfindlichkeiten zu tun, die für den sozialen Frieden wichtig sind. Zu diesen Empfindlichkeiten gehört, dass den Polarisierungen nicht auch noch von Seiten der Behörden Vorschub geleistet werden soll.

An Polarisierungen im Zusammenhang mit Migranten herrscht im Augenblick kein Mangel in der Öffentlichkeit hierzulande. Die Aufladungen müssen von der Polizei nicht auch noch damit geschürt werden, indem sie einen ziemlich befrachteten Begriff naiv in die Öffentlichkeit schickt - der Kürze wegen, wie es offiziell heißt, oder doch um ein bisschen mit dem Jargon zu jonglieren?

Profilierungen

Anderseits wird bei der Diskussion über den Fehler der Kölner Polizei auch der Verdacht geweckt, dass sie sich gut für die Profilierung der Grünen oder für die Profilierung als neues SPD-Parteimitglied eignet. Dem Amnesty-Bericht kann man entgegenhalten, dass es nach den Vorgängen im vergangenen Jahr und den Erfahrungen, welche die Polizei von ihren Einsätzen in der Silvesternacht 2016/2017 berichtete, überzeugende Gründe dafür gab, Personen, die augenscheinlich aus nordafrikanischen Ländern kommen, genauer unter die Lupe zu nehmen.

Dass sich die Polizei dieser Kritik dennoch stellen muss, kann man unaufgeregt jedoch auch als erfreuliches Zeichen dafür nehmen, dass auch die Arbeit der Behörden unter die Lupe genommen wird - angesichts früherer und zahlreicher Erfahrungen mit der Polizei mit gutem Grund.

"Es ging eindeutig darum, konsequent zu verhindern, dass es noch einmal zu vergleichbaren Ereignissen kommt wie im vergangenen Jahr", rechtfertigt [16] der Kölner Polizeipräsident das Vorgehen. Es sei bei einem überwiegenden Teil der überprüften Personengruppe "mit drohenden Straftaten" zu rechnen gewesen.

Letztlich ging es um Sicherheit in einer Atmospäre, die durch Unsicherheit gekennzeichnet ist. Das zählte vor allem. In diesem Sinne hat die Polizei gut gearbeitet. Für mehr ist die Politik und Zivilgesellschaft zuständig - und nicht zuletzt sind es die Migranten aus Nordafrika. Sie zu bloßen Opfern einer Kampagne zu stilisieren, hilft nicht weiter.


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https://www.heise.de/-3584992

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.rp-online.de/nrw/staedte/koeln/es-gab-situationen-die-uns-an-das-vorjahr-erinnerten-aid-1.6497073
[2] http://www.rp-online.de/politik/koeln-polizei-faengt-in-silvesternacht-hunderte-nordafrikaner-nafris-ab-aid-1.6497990
[3] http://www.rp-online.de/nrw/staedte/koeln/es-gab-situationen-die-uns-an-das-vorjahr-erinnerten-aid-1.6497073
[4] http://www.rp-online.de/nrw/staedte/koeln/es-gab-situationen-die-uns-an-das-vorjahr-erinnerten-aid-1.6497073
[5] http://www.rp-online.de/nrw/staedte/koeln/es-gab-situationen-die-uns-an-das-vorjahr-erinnerten-aid-1.6497073
[6] http://www.rp-online.de/politik/koeln-polizei-faengt-in-silvesternacht-hunderte-nordafrikaner-nafris-ab-aid-1.6497990
[7] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/koeln-polizeipraesident-bedauert-nafri-tweet-der-polizei-a-1128215.html
[8] http://www.rp-online.de/nrw/staedte/koeln/es-gab-situationen-die-uns-an-das-vorjahr-erinnerten-aid-1.6497073
[9] https://twitter.com/polizei_nrw_k/status/815318640094572548
[10] https://www.welt.de/politik/deutschland/article160768922/Gruenen-Chefin-stellt-Rechtmaessigkeit-der-Polizeikontrollen-infrage.html
[11] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/koeln-polizeipraesident-bedauert-nafri-tweet-der-polizei-a-1128215.html
[12] http://amnesty-polizei.de/massives-racial-profiling-durch-die-koelner-polizei-in-der-silvesternacht-massnahme-muss-kritisch-aufgearbeitet-werden/
[13] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/koeln-polizeipraesident-bedauert-nafri-tweet-der-polizei-a-1128215.html
[14] http://www.express.de/news/panorama/vertrauliches-dokument-aggressiv--bewaffnet--jung--das-steckt-hinter-dem-wort--nafri--25466410
[15] http://www.express.de/news/panorama/vertrauliches-dokument-aggressiv--bewaffnet--jung--das-steckt-hinter-dem-wort--nafri--25466410
[16] https://www.welt.de/politik/deutschland/article160767784/Gruppenbildung-wie-aus-dem-Nichts.html