Silvio Berlusconi: Die perfekte Maske der Macht

Silvio Berlusconi, 2018. Bild: Europäische Volkspartei, European People's Party / CC BY 2.0

Das Original: Zum Tod des ersten postmodernen Diktators. Warum er so erfolgreich war und was die deutsche Öffentlichkeit lange nicht verstanden hat.

Ich hab gestohlen wie ein Rabe, und diese Idioten wählen mich trotzdem.

Silvio Berlusconi

Er brauchte keinen Staatsstreich, ihm genügten demokratische Wahlen; er brauchte keine Armee, ihm reichten die Medien.

Silvio Berlusconi, der Medienmogul und Politiker, der jetzt in einem römischen Krankenhaus im Alter von 86 Jahren friedlich gestorben ist, begriff, dass eine Revolution kein Programm braucht, sondern eine Taktik.

Ihm gelang es, das fest zementierte demokratische System des "Pentapartito", bei dem sich im Nachkriegsitalien ständig die Regierungen ablösten, nur um alles gleichbleiben zu lassen, zu beseitigen und die repräsentative Demokratie nachhaltig in eine populistische Fußballpolitik des Spektakels und der Emotionen zu verwandeln.

Damit war auch Berlusconis Italien einmal mehr das Laboratorium des Politischen und wurde zum Modell für alle modernen Populismen, die ihm nachfolgten.

Berlusconi war das Original aller postdemokratischen Populisten und Demagogen. Er war viermal Ministerpräsident, übergangsweise Außen-, Wirtschafts- und Gesundheitsminister, und der reichste Mann Italiens (geschätztes Vermögen: 13 Milliarden Euro), zudem Herr der drei größten Fernseh-Privatsender Italiens und Kontrolleur von nahezu 90 Prozent aller Fernsehprogramme, noch dazu über Jahrzehnte Präsident und Besitzer des AC Mailand, eines der erfolgreichsten Fußballvereine Europas.

Der Politik-Unternehmer stilisierte sich in einer schweren Staatskrise, an deren Eskalation er wesentlich beteiligt war, zum Retter des Vaterlandes. Seine unternehmerischen Erfolge machten ihn zum Outsider und Gegenspieler einer verfilzten politischen Kaste.

Mit ihnen demonstriert er zum einen seine Tauglichkeit zum mächtigsten Mann im Staat, zum anderen auch seine Distanz zu den bisher Mächtigen, verbunden mit vermeintlicher Überlegenheit.

Wille zur Macht durch Umwertung aller Werte

"Was ist der Unterschied zwischen Berlusconi und Gott?", fragte ein Witz aus seinen Glanzzeiten. Antwort: "Gott hält sich nicht für Berlusconi."

Seinen Erfolg verdankte vor allem der Tatsache, dass er schon Anfang der 1980er-Jahre konsequent auf das private Fernsehen gesetzt hat und dabei die Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft geschickt ausgenutzt hatte.

Berlusconi stand für ein korruptes und dekadentes, schrilles Italien, das sich mit Partys, Koks und nackten Mädchen garnierte. Mit ihm kam die postmoderne "Umwertung aller Werte" (Friedrich Nietzsche) endlich an ihr Ziel. In der postfaktischen Gesellschaft gewinnt nicht das starke Argument, sondern der starke Auftritt – der Wille zur Macht.

Das zeigte sich in der Praxis. Politik war für Berlusconi das Mittel zur Durchsetzung seiner Geschäftsinteressen. Als alles anfing, 1994 wollte der Mann gar nicht in die Politik: "Politik hat nie Leidenschaft in mir geweckt, sie hat mich bloß Zeit und Energien gekostet."

Doch nach dem Sturz seiner politischen Schutzherren Giulio Andreotti und Bettino Craxi, der Enttarnung der katholischen Geheimloge P2 und der Verschärfung des Kampfes gegen die Mafia blieb dem Milliardär seinerzeit keine andere Wahl, als Dinge selbst in die Hand zu nehmen, um sein Unternehmen zu retten.

"Forza Italia!" - wie ein Fußballschlachtruf hieß seine Partei, mit der er sich nach einer Fernsehansprache im Januar 1994 um die Gunst der Wähler bemühte: Die Kombination aus "weniger Steuern für alle", dem "Menschenrecht, Steuern zu hinterziehen", "einer Million Arbeitsplätze" und Anti-Establishment-Rhetorik war erfolgreich.

3.340 Tage an der Macht

3.340 Tage regierte Berlusconi Italien (1994-1995, 2001-2005, 2005-2006 und 2008-2011) - so lange wie kein anderer in der Geschichte der Italienischen Republik. "Geliebter Feind" titelte der linksliberale L'Espresso zu seinem 80 Geburtstag, hundertmal prangte der Milliardär angeblich auf einem Espresso-Titelblatt, seit er in die Politik ging.

Er brachte die Separatisten der Lega Nord und die Nationalisten des Postfaschismus zusammen, hielt sie zugleich in Schach und machte sie geschickt zu Sündenböcken, wenn etwas nicht klappte. Er überstand Sexskandale und Eurokrise. An der Macht ging es immer nur um ihn. Um seine Stellung als Medienherrscher und seine Probleme mit der Justiz, seine demokratischen Defizite.

Aber eine klare Mehrheit der Italiener meinte dazu immer: "Chi se ne frega" – das ist uns völlig egal. Hauptsache es gab Business as usual, keine bösen Überraschungen, der Staat ließ einen in Ruhe und zahlte die Rechnungen.

Irgendwann Ende der Nullerjahre war die Luft raus, und Berlusconi wurde aus der ersten Reihe verdrängt durch härte Kaliber wie Beppe Grillo, den Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, der den Italienern eine "Französische Revolution, wenn auch ohne Guillotine" versprach.

Heute ist der AC Mailand verkauft, die Partei quasi verschwunden.

Medien sind Mythenmaschinen: Die Berlusconi-Galaxis

Um das heutige Italien gut zu verstehen, muss man das objektiv betrachten, das heißt, man muss vergessen, dass es Griechen, Römer und Italiener der Renaissance gegeben hat. Dann wird man bemerken, dass an Mussolini nichts Altes ist. Er ist immer und manchmal ohne es zu wollen, ein moderner Mensch. ...

Sie werden in diesen Tagen viel von Caesar und vom Rubikon hören, aber das ist gutgläubige Rhetorik, die Mussolini nicht gehindert hat, eine völlig an moderne Aufstandstaktik zu entwerfen und anzuwenden.

Curzio Malaparte, Technik des Staatsstreichs

Italien, schrieb Die Zeit um die Jahrtausendwende, sei im Übergang zur "autoritären Demokratie". Berlusconi drückte es ähnlich, aber auf seine Art aus: Er fühle sich "ein bisschen wie Napoleon und ein bisschen wie byzantinische Kaiser Justinian".

Medien sind Mythenmaschinen. Der Medienmogul Berlusconi erkannte die Macht des Fernsehens, die Macht der Versprechungen. Er begriff als Erster, dass in einer Zeit, in der den Bürgern von der Politik abgesprochen wird, die wichtigen Dinge noch beurteilen zu können, in denen "Experten" in Talkshows gewählten Politikern mit ihrer "Expertise" über den Mund fahren dürfen, und in der sich die Öffentlichkeit nicht mehr zutraut, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, die alten Kategorien der "echten" Politik" sich in der Simulation der Politik verflüchtigen.

In einer Welt unter der Herrschaft von technisch manipulierbaren Bildmedien gilt: "Die Realität" "existiert" nicht, und kann deshalb von Medien auch nicht abgebildet werden. Sie wird erzeugt: Durch Interpretationen und Neuzusammenstellung der Fakten, die nie "richtig" oder "falsch" sind, sondern überzeugend, überredend, selbstevident oder sexy. Durch Inszenierungen.

Der instinktive Medientheoretiker

Berlusconi wusste: Das Einzige, was hier zählt, ist die Emotion – starke Bilder, großes Spektakel und tolle Atmosphäre.

So zog er die Konsequenzen und erkannte "Cäsarisierung" und "Bonapartisierung" als Gebot des Medienzeitalters, mit segmentierten, unübersichtlichen gesellschaftlichen Verhältnissen und ebenso fragmentierten Parteien.

In dieser republikanischen Fürstenherrschaft, in der Demokratie zunehmend mehr simuliert als praktiziert wird (so Danilo Zolo nach Niccolò Machiavelli) folgt politisches Handeln der sich ausbreitenden Marktlogik einer Gesellschaft, deren Geisteszustand mit "Infantilismus" und "Regression" noch freundlich beschrieben wird.

Insofern zog der instinktive Medientheoretiker Berlusconi einfach nur die Summe aus den Thesen der postmodernen Philosophen und setzte sie in die Praxis um: Die "Agonie des Realen" wurde zuerst von Jean Baudrillard beschrieben.

Was früher einmal Realität war, verwandelte sich, so der postmoderne Vordenker, in eine "Hölle der Simulation" aus Datenströmen und medialem Schein, in der die Politiker nur noch auf das Trugbild reagieren, das die Medien von der Politik erzeugen.

In ihrem Essay "Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität" hat die italienische Philosophin Elena Esposito die Berlusconi-Welt als eine Welt beschrieben, in der Tatsachen und Fiktionen zu einem undurchsichtigen Dritten werden, zu einem "neuen metaphysischen System".

Nennen wir dieses System, in dem "kritische Öffentlichkeit" und "Vernunft" allenfalls eine Geste sind oder eine Rolle: Berlusconi-Galaxis.

Der Fehler aller Berlusconi-Analysen

Zugleich war Berlusconi die perfekte Maske der Macht. Es war schon immer der Fehler aller Berlusconi-Analysen, dass sie an der Oberfläche verharren.

Ja, Berlusconi war geschmacklos. Aber man kann den Erfolg des Politikers nicht damit erklären.

Berlusconi war ohne seinen Hofstaat so wenig zu denken, wie ohne seine Geldgeber und seine Beschützer. Das Italien, das Berlusconi schuf, und das ihn zugleich möglich machte, war speichelleckerisch und machtverliebt, ein Land der Dekadenz und Korruption, der Vulgarität und Geschmacklosigkeit, vor allem der Egozentrik.

Trotzdem hätte die Devise nüchtern lauten müssen: "Follow the money". Berlusconi war der Mann für die Amerikanisierung des Parteiensystems. Demokratische Legitimation im Kapitalismus braucht Stimmen und Geld. Geld stinkt nicht, aber die wahren Herren bleiben trotzdem lieber unsichtbar.

In der deutschen Wahrnehmung konzentrierte man sich beim Namen Berlusconi auf Nebensächlichkeiten: Mädchen, Machtmissbrauch, Medienkonzentration, Korruption, moralischer Niedergang.

Tatsächlich müsste der Angriff auf die Verfassungsorgane und der Weg in den autoritären Staat genannt werden, aber das ist halt weit weniger sexy.

Anstelle den wirklichen Feind, das kapitalistische System, seine krankhafte Ungleichheiten seine trügerische Demokratie zu konzentrieren, fixiert man sich auf eine einzelne Person.

Alain Badiou

Die Linke konnte diese Person erst besiegen, nachdem sie begriffen hatte, Berlusconi nicht länger zu dämonisieren.

Literatur:

Danilo Zolo: "Die demokratische Fürstenherrschaft: Für eine realistischere Theorie der Politik"; 1997