Sind Deutschland und die EU Vasallen der USA?
Seite 2: Wirklich Vasallen? Die Thesen des ECFR
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Der Artikel ist provokativ formuliert, und das offensichtlich mit Absicht. Denn die Spitzenpolitiker haben sich seit Jahren nicht auf eine gemeinsame Linie einigen können, wie Europa außen- und sicherheitspolitisch eigenständiger werden und weltpolitisch an Gewicht gewinnen könnte.
Vorstöße des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in dieser Richtung wurden gerade in Deutschland nicht ernst genommen, wo Kritik an der Führungsrolle der USA schnell als linker oder rechter Antiamerikanismus abgetan wird.
Die Kernthese des ECFR-Papiers ist nicht nur die starke Zunahme der Abhängigkeit von den USA durch den Ukrainekrieg, sondern vor allem ihre Akzeptanz durch die Politik. Akzeptanz und geradezu Unterwerfung unter die US-amerikanische Führung trotz der eklatanten wirtschaftlichen Nachteile für Europa, angefangen beim Abschneiden vom günstigen russischen Gas und Öl und längst noch nicht am Ende durch zahllose weitere Sanktionen.
Vor allem Präsident Bidens "Inflation Reduction Act" von 2022 und seine enormen Subventionsströme sind offen protektionistisch und geeignet, die europäische Wirtschaft zu schädigen. Die Alarmsignale von deutschen Unternehmern und zahlreiche Firmenverlegungen ins Ausland bestätigen die Gefahr einer schleichenden Deindustrialisierung. Die Folgen spürt aber auch die Bevölkerung ganz unmittelbar durch inflationäre Energie- und Lebensmittelpreise und eine sichtbar steigende Armut.
Besonders deutlich wird der Bericht in den Abschnitten zu Deutschland. Die Bundeswehr sei weit davon entfernt, ein Sicherheits- und Stabilitätsanker in Europa zu sein, obwohl der Bundeskanzler immer noch über die Zeitenwende und eine europäische Eigenständigkeit spreche.
De facto hätten sich aber Olaf Scholz und die SPD, die früher eher US-kritisch war, in der aktuellen transatlantischen Arbeitsteilung besonders gemütlich eingerichtet.
Erschwerend komme hinzu, dass die Osteuropäer mit ihrer historischen Russland-Erfahrung zunehmend misstrauisch gegenüber Deutschland und Frankreich würden und mehr der aggressiveren britischen Haltung im Ukrainekonflikt zuneigen.
Da sie wissen, wie die Russen denken und reagieren, fordern sie vehement eine stärkere Truppenpräsenz der USA und der Nato.
Im Unterschied zur Zeit des Kalten Krieges, so das Papier, als die USA Europa wirtschaftlich gegen die Sowjetunion aufgebaut haben, nutzen die USA nun ihre militärische Führungsrolle zum eigenen wirtschaftlichen Nutzen und auf Kosten Europas.
So kritisch die Analyse insgesamt ist, so alarmierend ist eine Bemerkung von Forschungsdirektor Jeremy Shapiro in einem Interview mit der belgischen The Brussels Times, in dem er zu den Reaktionen auf das Papier befragt wurde.
Das Wort Vasallenstaat, meinte Shapiro, hätte vielerlei Kritik ausgelöst. Er hätte aber den Verdacht, dass nicht wenige europäische Mandatsträger bereits einer "Meta-Vasallisierung" erlegen seien. Sie seien bereits so intensiv Vasallen der USA, dass sie es nicht wahrhaben wollen. Denn wenn sie es zugäben, würden die Bürger es auch erkennen, und "das wäre doch schrecklich."
Der European Council on Foreign Relations, 2007 nach dem Vorbild des US-amerikanischen Council on Foreign Relations gegründet, unterhält Büros in Berlin, London, Madrid, Paris, Rom, Sofia und Warschau. Als zentraler europazentrierter Thinktank beschäftigt er rund achtzig Mitarbeiter. Vorsitzende des Vorstands sind zurzeit der ehemalige schwedische Ministerpräsident Carl Bildt, die ehemalige dänische Klima- und Energieministerin Lykke Friis und der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen.
Als Nichtregierungsorganisation (private and not-for-profit) organisiert, wird der ECFR zu mehr als der Hälfte von Stiftungen finanziert, bereits seit der Gründung von Soros' Open Society Foundation und anderen, zu einem Drittel von Regierungszuwendungen und dem Rest durch Firmen und private Spender. Eine Liste aller Spender (mit einigen Überraschungen) findet sich auf der Webseite.