Sind Männer die besseren Kriegstreiber?
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Männer dominieren weltweit die politischen Institutionen. Frauen kommen selten in Ämter. Was bedeutet das für den Weltfrieden? (Teil 2 und Schluss)
Eine patriarchalisch dominierte Demokratie ist nur eine Demokratie für die Hälfte der Gesellschaft. Friedenspolitik sollte sich von traditionell-männlichen Rollenmustern lösen. Eine freie Gesellschaft ermöglicht die Chancengleichheit für alle – auch für Menschen mit unüblichen Geschlechtsrollenentwürfen .
Nicht nur in der Kirche sondern auch in der Politik ist in einem globalen Kontext vielerorts die Emanzipation nicht durchgesetzt, dominieren Männer die politischen Institutionen, kommen Frauen in zu wenige wichtige politische Ämter. Entsprechend stellte Michelle Bachelet, Under-Secretary-General und Executive Director of UN Women, folgende drei Forderungen auf, damit männlich dominierte politische Systeme verhindert werden:
Zunächst müssen wir die Hindernisse beseitigen, die Frauen von einer effektiven Beteiligung abhalten: Mobilität, Finanzen, Zugang zu Informationen, mangelnde öffentliche Sicherheit sowie Nötigung, Einschüchterung und Gewalt.
Zweitens müssen wir erkennen, dass Beteiligung eine Sache ist, aber eine echte Stimme eine andere. Sind Frauen in der Lage, ihre Rechte, Bedürfnisse und Präferenzen zu artikulieren und zu äußern? Wie demokratisch sind politische Parteien intern? Hatten Frauen in der Zivilgesellschaft die Möglichkeit, gemeinsame Standpunkte zur Verfassung, zum Wahlrecht, zur Sicherheit während Wahlkampagnen und zu anderen Themen zu diskutieren?
Drittens und letztens müssen demokratische Institutionen gegenüber Frauen Rechenschaft ablegen und dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie ihren Verpflichtungen in Bezug auf die Rechte der Frauen nachkommen.
Wenn eine Demokratie die Beteiligung von Frauen vernachlässigt, wenn sie die Stimmen von Frauen ignoriert, wenn sie sich der Verantwortung für die Rechte von Frauen entzieht, dann ist sie nur für die Hälfte ihrer Bürger eine Demokratie.
Gleichzeitig ist in der Ökonomie der Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen. Dies ist weltweit noch keineswegs umgesetzt – so die internationale Organisation UN Women dieses Defizit zusammenfassend:
Weltweit sind Frauen in Führungspositionen stark unterrepräsentiert: auf lokaler, nationaler und regionaler Ebene, in politischen Ämtern, in der öffentlichen Verwaltung und in der Wirtschaft. Strukturelle Hindernisse wie diskriminierende Gesetzgebungen hindern sie daran, Macht- und Entscheidungspositionen zu übernehmen. Frauen und Mädchen haben häufig schlechteren Zugang zu Bildung, finanziellen Ressourcen und Netzwerken, die für politische Führungspositionen wichtig sind. Auch geschlechtsspezifische Stereotype und Vorurteile sowie die Last unbezahlter Sorgearbeit erschweren Frauen eine gleichberechtigte politische Teilhabe.
Männer sind nicht gleich Männer
Nicht nur zwischen Männern und Frauen sondern auch zwischen den Männern ist ein heimlicher und z.T. offener Kampf entbrannt, überall dort, wo es um die Konkurrenz um gesellschaftliche Positionen geht.
Es stehen Männer mit höherer Sensibilität, intellektueller Kritikfähigkeit und diskursiven kommunikativen Fähigkeiten denjenigen Männern konflikthaft gegenüber, die ihre gesellschaftliche Position und ihre Interessen (oft verdeckt) gewalttätig und autoritär durchzusetzen versuchen. Diese Konflikte sind in allen gesellschaftlichen Bereichen, wie z.B. der Wirtschaft oder auch in der internationalen Politik, zu beobachten.
Zusätzlich ist zu bedenken, dass die ausschließliche Unterteilung der Menschheit in Männer und Frauen, verbundenen mit den entsprechenden Rollenzwängen, Menschen ausschließt, die sich weder als Mann oder Frau sehen, trans- und intersexuelle Menschen. In vielen Kulturen sind zudem Menschen von Stigmatisierung und Strafverfolgung bedroht, deren sexuelle Orientierung auf gleichgeschlechtliche Partner und Partnerinnen ausgerichtet ist.
Die Chancen einer veränderten Rollenzuschreibung
In einer freien und toleranten Gesellschaft wird zunehmend weniger Wert auf die Einhaltung der Geschlechtsrollendisziplin und auf die Normierung von sexueller Orientierung gelegt. Je autoritärer die Gesellschaften sind und/oder je zwingender ihr Selbstverständnis an traditionellen Religionen ausgerichtet ist, umso deutlicher lässt sich ein Rassismus in diesen Gesellschaften gegenüber sexuellen Abweichungen bzw. sexueller Freiheit beobachten.
Eine in die Krise geratene traditionelle Männlichkeit sollte die Chancen ergreifen, die in der Emanzipation der Geschlechter angesiedelt sind. Die Neuinterpretation der Männerrolle ermöglicht auch ein emotionales Verhalten, z.B. Weinen vor einem anderen Menschen. Männer lernen kochen und sich intensiver der Kindererziehung widmen, ohne ihr berufliches Engagement aufzugeben.
Die neue Männerrolle ermöglicht, dass auch Männer gern tanzen oder Yoga praktizieren und doch auch noch gern Fußball spielen. Die veränderte Männerrolle sieht ein partnerschaftliches Verhältnis den Frauen gegenüber vor. Solche Männer haben eine höhere Sensibilität für die Probleme anderer und sind empathischer. Sie stehen weniger unter geschlechtsbezogenen Rollenzwängen und sind freier in ihrer geschlechtlichen Rolleninterpretation.
Gesellschaftliche Neuordnung und die Veränderung des Geschlechterverhältnisses
Eine gesellschaftliche Neuordnung geht von der Chancengleichheit von Männern und Frauen, natürlich auch von der gleichen Bezahlung für die gleiche Arbeitstätigkeit, aus. Sie ermöglicht auch dazwischen liegenden und neuen Geschlechtsidentitäten Anerkennung und bietet die Voraussetzung für eine gerechte Partizipation von Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten an den gesellschaftlichen Lebenschancen.
Piccone (2017) fasst dementsprechend Forschungsergebnisse zum Zusammenhang zwischen Gleichberechtigung der Geschlechter und der Qualität von Demokratie zusammen:
Insgesamt zeigen Forschungsergebnisse, dass Demokratie und Geschlechtergleichstellung eine sich gegenseitig verstärkende Beziehung bilden, in der höhere Ebenen der liberalen Demokratie eine notwendige, aber nicht ausreichende Voraussetzung für höhere Ebenen der Geschlechtergleichstellung und der physischen Sicherheit von Frauen sind.
Darüber hinaus korrelieren höhere Ebenen der Geschlechtergleichstellung stark mit dem relativen Friedenszustand einer Nation, einem gesünderen Umfeld für die innere Sicherheit und einem geringeren Maß an Aggression gegenüber anderen Staaten. Strategien zur Stärkung der Demokratie und der Menschenrechte sollten daher die Stärkung der Rolle der Frau, die Rechenschaftspflicht bei Gewalt gegen Frauen und Mädchen und die Schließung der politischen und wirtschaftlichen Kluft zwischen den Geschlechtern in den Vordergrund stellen.
Ebenso sollten Bemühungen zur Erreichung der Gleichstellung der Geschlechter integrativere Gesellschaften in den Vordergrund stellen, wobei auch Faktoren wie Rasse, Alter, ethnische Zugehörigkeit, Religion und sexuelle Orientierung berücksichtigt werden sollten.
Ertrag einer intersektionalen Sichtweise von Geschlecht
Natürlich liegt auch in der an Emanzipation orientierten Neustrukturierung der Geschlechterrollen eine Bedeutung für die Friedfertigkeit des männlichen Teils der Menschheit begründet: Wen auch zunehmend Männer ihre Babies wickeln, sie füttern, sie durch Kitzeln zum Lachen bringen, ihnen die ersten Worte beibringen, mit ihnen als Kinder spielen und sie verantwortlich über das Kindesalter zum Jugendalter begleiten, werden sie nachdenklich, wahrscheinlich widerständig werden, wenn nationalchauvinistisch zum Krieg gehetzt wird und die von ihnen zusammen mit ihrer Partnerin bzw. ihrem Partner geliebten, erzogenen und geförderten Kinder in den Krieg ziehen sollen.
Zukünftig dürfte die Kategorie Geschlecht bzw. Gender zunehmend eine geringere Rolle spielen, wenn gesellschaftlich eine demokratische Neuordnung unter einer emanzipatorischen Perspektive eintreten würde.
Hierbei würde dann auch eine bereits jetzt aussagekräftige intersektionale Betrachtungsweise noch an Bedeutung gewinnen, bei der die Verbindung der Gender-Thematik und der Zusammenhang zu anderen sozialen Merkmalen für die Wahrnehmung sozialer Chancen eine Rolle spielen wird – so die Bildungswissenschaftlerin Katharina Walgenbach1:
Unter Intersektionalität wird dabei verstanden, dass soziale Kategorien wie Gender, Ethnizität, Nation oder Klasse nicht isoliert voneinander konzeptualisiert werden können, sondern in ihren "Verwobenheiten" oder "Überkreuzungen" (intersections) analysiert werden müssen. Additive Perspektiven sollen überwunden werden, indem der Fokus auf das gleichzeitige Zusammenwirken von sozialen Ungleichheiten gelegt wird. Es geht demnach nicht allein um die Berücksichtigung mehrerer sozialer Kategorien, sondern ebenfalls um die Analyse ihrer Wechselwirkungen.
Im Zuge einer gesellschaftlichen Neuordnung wird noch weniger isoliert danach zu fragen sein, welches Geschlecht jemand hat, sondern wie sein Mann-Sein und ihr Frau-Sein bzw. was dazwischen liegt oder sich neu herausformt mit anderen sozialen Merkmalen, z.B. Kooperationsfähigkeit, Bildung oder Sprache korrespondiert.
Eher traditionell und autoritär strukturierte Gesellschaften werden die konservativen Geschlechterrollen streng aufrechterhalten und mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Macht gegen die anders strukturierten LSBTIQ-Entwürfe2 verteidigen wollen. Repressive Gesellschaften, wie Russland oder Saudi Arabien, verbieten daher auch von ihrem traditionellen Rollenbild abweichende geschlechtliche Haltungen und Praxen.
In innovativen und freien Gesellschaften wird die Krise der Männlichkeit und das Emanzipationsstreben der Frauen eher konstruktiv genutzt und führt zu einer Neuinterpretation der Geschlechterrollen, die aus einem gegenseitigen Lernen resultieren.
Insbesondere der ursprüngliche Ansatz einer feministischen Sicherheitspolitik fordert eine Friedenspolitik ein, welche die Kriege, aber auch das Sicherheitsdenken im Rahmen patriarchalischer Strukturen überwinden hilft.3 Es sind auch noch heute, vorwiegend Männer, die Kriege führen, Menschen überfallen, quälen und töten.
Die russische Politikwissenschaftlerin Ekaterina Schulmann, die im April 2022 Russland aufgrund ihrer Kritik am russischen Regime verlassen musste, fasst den Zusammenhang zwischen Geschlecht und Friedenspolitik aus einer feministischen Perspektive zusammen4:
Trotz aller Fortschritte des Feminismus wird das Schicksal der Welt also immer noch von alten Männern entschieden, die die ethnische Mehrheit ihrer Länder vertreten: sowohl in den USA als auch in China und in Russland. Wir sollten in Zukunft wirklich für mehr Vielfalt optieren. Oder zumindest verhindern, dass Männer das Entscheidungsmonopol haben, denn das ist zu gefährlich.
Die Dominanz älterer Männer in zentralen politischen Entscheidungspositionen ist sicherlich zu kritisieren. Es ist augenfällig, dass ältere weiße Männer, wie z.B. Trump, Putin oder Erdogan, die globalen Schlüsselpositionen besetzen und mitverantwortlich für globale Probleme sind.
Aber auch das Hineinkommen von Frauen in zentrale Positionen allein sorgt noch nicht für mehr Sicherheit und Friedfertigkeit. Margaret Thatcher (Falkland-Krieg), Maria Sacharowa (Kiewer Regime wird "bald im All verschwinden"), Victoria Nuland ("Fuck the EU") und Annalena Baerbock ("Wir führen einen Krieg mit Russland") zeigen m.E., dass auch Frauen zum Bellizismus in der Lage sind, wenn sie bestimmte männliche Attribute übernehmen.
Unabhängig davon ist selbstverständlich zu fordern, dass niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt werden darf. Männer und Frauen sind gleichberechtigt an Entscheidungspositionen zu beteiligen, sind gleichwertig auszubilden, haben gleichen Lohn für dieselbe Arbeit zu bekommen und müssen in gleicher Weise von dem Gesetz und den Exekutivorganen geschützt werden.
Menschen, die sich zwischen den Geschlechtern oder queer verorten, darf dies nicht zu einem existenziellen Nachteil gereichen. Eine Gesellschaft ist so frei, wie sie die Freiheit auch auf sexuelle Minderheiten ausdehnt.
Klaus Moegling, Jg. 1952, ist habilitierter Politikwissenschaftler, i.R., er lehrte an verschiedenen Universitäten und Institutionen der Lehrerbildung, zuletzt an der Universität Kassel als apl. Professor im Fb Gesellschaftswissenschaften. Er engagiert sich in der Friedens- und Umweltbewegung sowie in Bildungsinitiativen. Er ist Autor des Buches "Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich" in der inzwischen 6. aktualisierten und frei lesbaren Auflage. Er ist mit Barbara Moegling verheiratet und hat mit ihr ihre drei inzwischen erwachsenen Kinder begleitet und versucht auf die Welt vorzubereiten.