Sind Tablets an deutschen Schulen der richtige Weg?

Schulunterricht mit Tablets: Die Debatte um Digitalisierung in der Bildung

Kinder im Unterricht mit Tablets: Die Herausforderung der Digitalisierung in der Bildung.

(Bild: April Bryant, Pixabay)

Deutschland setzt auf Digitalisierung der Schulen. Schweden bremst, Wissenschaftler raten ab. Forscher fordern auch hierzulande "Moratorium" für IT in der Bildung.

Deutschland und die Digitalisierung – das passe einfach nicht zusammen. Das hört und liest man immer wieder. Auch und gerade im Bildungsbereich agiere die Politik behäbig, knauserig, ohne Mumm. Oder frei nach den Freidemokraten: Bedenken first, Fortschritt zuletzt. Anders und besser machten es Länder wie Dänemark oder Schweden, gibt man zu verstehen. Dort wären Tablets an den Schulen längst Standard, selbst die Kindergärten zeigten keine digitalen Berührungsängste.

Aber Zeiten ändern sich. Das Königreich im Norden Europas bläst in puncto Digitalisierung der Bildung gerade zum Rückzug. Eigentlich war die schwedische Schulbehörde Skolverket kurz davor, eine obligatorische Tabletnutzung für Ein- bis Sechsjährige in der Förskola – der Vorschule – einzuführen. Die seit dreizehn Monaten amtierende Regierung von Ministerpräsident Ulf Kristersson schob dem nun einen Riegel vor. Auch eine verpflichtende digitale Beschulung in der Primarstufe soll es mit ihr nicht geben.

Was ist passiert? Das Stockholmer Karolinska-Institut – eine der renommiertesten medizinischen Universitäten in Europa – hatte im Juli eine Stellungnahme zur Digitalisierungsstrategie der Nationalen Agentur für Bildung veröffentlicht und die darin unterbreiteten Rezepte förmlich zerrissen.

Mangelnde Evidenz und negative Auswirkungen der Digitalisierungsstrategie

Demnach seien die behaupteten Vorzüge digitaler Medien beim Lernen nicht evidenzbasiert, schreiben die fünf beteiligten Wissenschaftler. Vielmehr habe die Forschung den Nachweis "großer, negativer Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler" erbracht. Das decke sich mit Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wonach Kinder unter zwei Jahren überhaupt keine Bildschirme nutzen sollten und der Gebrauch während der restlichen Vorschulzeit auf maximal eine Stunde zu begrenzen sei.

In dem Stil geht es weiter: Die ausgelobten Ziele – Bildungs- und Chancengerechtigkeit, Unterrichtsverbesserung, gesellschaftliche Teilhabe – würden allesamt nicht erreicht, konstatieren die Gutachter. Im Gegenteil: "Es ist offensichtlich, dass Bildschirme große Nachteile für kleine Kinder haben. Sie behindern das Lernen und die Sprachentwicklung", verursachten Ablenkungen, Konzentrationsmängel und verdrängten körperliche Aktivitäten.

Das sind ganz neue Töne, genauer gesagt andere als die der IT-Lobbyisten, welche seit Jahren den öffentlichen Diskurs bestimmen und die Politik vor sich hertreiben. Schon als die Große Koalition vor fünf Jahren den "DigitalPakt Schule" auf den Weg brachte, gab es hierzulande etliche kritische Köpfe, die vor dem Projekt warnten: Erziehungswissenschaftler, Hirnforscher, Kinder- und Jugendärzte. Ihre Einwände wurden ignoriert.

Kommerzielle Interessen vs. pädagogischer Nutzen

Seither wurden haufenweise Bildungsanstalten mit Tablets, Laptops, Whiteboards und moderner Breitbandtechnik geflutet, zu Kosten von 6,5 Milliarden Euro und ohne echten Beleg eines Mehrwerts für Schülerinnen und Schüler. Der Zeitgeist will es halt so und nicht wenige rufen bereits nach einem "Digitalpakt 2.0".

Dabei gibt sehr prominente "Bedenkenträger". Zum Beispiel stellte die UNESCO – die UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur – jüngst in ihrem "2023 Global Education Monitor" fest, dass bei den aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt stünden, sondern kommerzielle Interessen der IT-Anbieter und Datenökonomie.

Unparteiische Erkenntnisse über die Auswirkungen der Bildungstechnologie seien Mangelware und Studien pro Digitalisierung stammten in aller Regel von denen, die die Technik verkauften. Fazit: "Von Technologien, die für andere Zwecke entwickelt wurden, kann nicht unbedingt erwartet werden, dass sie für alle Bildungsbereiche geeignet sind."

Keine Verbesserung der Schülerleistungen

Selbst die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als maßgeblicher Antreiber der digitalen Bildung musste schon vor Jahren einräumen, dass Investitionen in die IT-Ausstattung der Schulen keine nennenswerten Verbesserungen der Schülerleistungen in Lesekompetenz, Mathematik oder Naturwissenschaften erbracht hätten.

Viel wahrscheinlicher ist der gegenteilige Effekt. Die Stockholmer Karolinska verweist in ihrer Stellungnahme auf Befunde, wonach Studierende mit angeschlossenem Computer bis zu 40 Prozent einer Vorlesung mit "irrelevanten Dingen" verbringen. Bei einer anderen Untersuchung hätten Hochschüler mit Laptop die Inhalte einer Lehrveranstaltung zu 30 Prozent schlechter erinnern können als ihre "analogen" Kommilitonen.

Im Falle von Grund- und Sekundarschülern wären die Folgen "wahrscheinlich" noch gravierender, "da jüngere Kinder über schlechtere exekutive Funktionen verfügen", befinden die Autoren. Weiter heißt es: "Multitasking führt zu schlechterem Lernen, weil unser Gehirn nur begrenzt in der Lage ist, relevante Informationen im Arbeitsgedächtnis zu speichern." Auch würden Kinder erwiesenermaßen in ihrer Leseentwicklung weit zurückgeworfen, sofern sie am Bildschirm und nicht anhand bedruckter Bücher lesen lernten.

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