Sind die Ungeimpften schuld?

Seite 3: Irrationale Fokussierung auf eine Krankheit

Besonders problematisch scheint mir, dass herzlich wenig darüber bekannt ist, welchen Einfluss die durch die Impfung polarisierte Immunprogrammierung im Körper auf die Nutzen-Risiko-Relation zur Heilung der 95 Prozent aller Krankheiten hat, an denen Patienten sonst noch so sterben. Die totale Fokussierung auf eine, wenn auch ansteckende Krankheit, hat etwas Irrationales.

Ist es noch erlaubt zu fragen, ob es unter diesen Bedingungen wirklich eine gute Idee war, möglichst die gesamte Weltbevölkerung möglichst jedes Jahr durchimpfen zu wollen? Wäre die Pharmaindustrie nicht besser beauftragt gewesen, sie hätte den weitaus größten Teil der staatlichen und privaten Investitionen auf die Erforschung eines therapeutischen Medikaments konzentriert? Also besser gezielt Erleichterung und Heilung bringen - so wie mit Antibiotika gegen bakterielle Erkrankungen?

Das ist komplizierter, aber wirksame Substanzen waren bekannt und sollen vielversprechend in der Erprobungsphase sein. Von Schnellverfahren war da allerdings keine Rede. Wenn ein Heilmittel auf den Markt kommt, dann entfällt für Impfstoffe der Notfall, die Legitimation für "bedingte Zulassung".

"Alle menschlichen Verhältnisse stellen sich in den Interessen dar", habe ich einst bei Friedrich Engels gelernt. Warum sollte das gerade in diesem Fall anders sein? Die professionellen Wachhunde des Kapitals haben es verstanden, jegliches Nachdenken über Interessen als Verschwörungstheorie wegzubeißen. Genial.

Ich will abschließend nicht das inflationäre Plädoyer für Andersdenkende bemühen. Selbst der Verweis auf Marxens Lieblingsmotto: An allem ist zu zweifeln, könnte hier unterkomplex ausfallen. Zu schwierig sind die ethischen Fragen, vor denen wir stehen. Die Behauptung der Politik, es gehe beim Kampf gegen diese Pandemie um Leben oder Tod, war von Anfang an eine irreführende Anmaßung.

Die Herrschaft über den Tod ist uns nun mal nicht gegeben. Wir bleiben der Natur unterworfene Wesen. Aber je mehr künstliche Intelligenz wir kreieren, je mehr natürliche scheinen wir zu opfern. Die Hoffnung auf Erlösung ist divers, das weiß man doch seit 2000 Jahren.

Zwar hat die Zivilisation die Lebenserwartung weit über die biblische Vorhersage hinausgestreckt, aber sie hat sie mit Kriegen, Klimabelastungen, Hunger und Zivilisationskrankheiten auch wieder eingeschränkt.

Wir arbeiten bestenfalls daran, einen unwürdigen, vorzeitigen Tod zu vermeiden. Aber ist nicht jeder Tod, der etwas anderes war als das friedliche Einschlafen aus Altersschwäche, ein vorzeitiger Tod? Weil er von einer Krankheit ausgelöst wurde, die zu behandeln nicht erfolgreich oder noch nicht möglich war?

Sich fortschrittlich gebende Mitstreiter wären gut beraten, Krankheit nicht in einen Zusammenhang mit Schuld zu bringen. Impfen als Akt der gesellschaftlichen Solidarität? Von da ist es nicht weit bis zur patriotischen Pflicht. Impfen fürs Vaterland. Demokratie trägt die Versuchung zu Totalitarismus immer in sich. Die biologistische Ausgrenzung aus dem "gesunden Volkskörper" ist noch nicht so lange her.

Ich empfinde die neuerdings ausgestellte Rechnung vom Testzentrum wie einen Strafzettel vom Ordnungsamt. Zu Veranstaltungen, bei denen die Zweifler, Fragesteller und Andersdenkenden zuvor ausgesondert wurden, gehe ich allerdings sowieso nicht.

Daniela Dahn, geboren 1949 in Berlin, studierte Journalistik in Leipzig und arbeitete danach als Fernsehjournalistin. Seit ihrer Kündigung 1981 lebt sie als freie Autorin in Berlin. Daniela Dahn ist Gründungsmitglied des "Demokratischen Aufbruchs", Mitglied des P.E.N. seit 1991 und erhielt 1999 den Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik.

Dieser Text erschien auch in der Berliner Zeitung (€).