"Sklaven mit Computerkenntnissen"
Die Aktivisten des diesjährigen "Grenzcamps" setzten auf Kommunikationsguerrilla statt Lichterketten
Es war sicherlich eine der skurrilsten Aufführungen, die das diesjährige Sommertheater zu bieten hatte: Eine Gruppe altertümlicher Griechen zog am vergangenen Samstag durch das kleine brandenburgische Städtchen Forst. Gehüllt in weiße Tunikas, schleppten sie einen Haufen gefesselter Sklaven auf den fast menschenleeren Marktplatz. Das Eröffnungsgebot war niedrig: "Wer bietet mehr als fünf Euro für einen wertvollen Sklaven mit Computer-Kenntnissen?"
Vielleicht kommt Brechts Begriff vom "epischen Theater" dem außergewöhnlichen Charakter der Darbietungen des antirassistischen Grenzcamps am nächsten. Bereits zum dritten Mal trafen sich vergangene Woche Aktivisten des Netzwerks "kein mensch ist illegal" im deutsch-polnischen Grenzgebiet, um mit symbolischen Aktionen im Hinterland des EU-Grenzregimes zu intervenieren. Und wie in den beiden Jahren zuvor, genügte bereits die bloße Ankündigung, um den lokalen Behördenvertretern Schaum vor den Mund zu treiben.
Die selbe Prozedur wie jedes Jahr
Bis zum Eröffnungstag verweigerte der Bürgermeister der "Telecity Forst" ein öffentliches Grundstück mit dem Hinweis auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die ausgerechnet durch antirassistische Aktionen in Gefahr sei. Private Grundbesitzer wurden unter Druck gesetzt, ja keinen Zeltplatz zur Verfügung zu stellen. Und so trat "Plan B" in Kraft, wie Camp-Sprecherin Uschi Volz, mittlerweile recht routiniert in solchen Auseinandersetzungen, bekanntgab. Unterstützt von starken Polizeikräften mussten die Camper ein geeignetes Grundstück kurzerhand besetzen. Wie im ostsächsischen Görlitz und letztes Jahr in Zittau trat eine eigenartige Koalition von Autonomen, Antirassisten und innenministeriellem Krisenstab auf den Plan, um den zähneknirschenden Lokalpolitikern eine Nachhilfestunde in Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu geben. "Tolerantes Brandenburg" heißt das Programm der Landesregierung, das den mordenden Neonazi-Banden Einhalt gebieten soll. Die semantische Raffinesse der Good-Will-Aktion musste aber erstmal vor Ort konkretisiert werden: Also nicht Neonazis gewähren lassen, sondern diejenigen, die gegen Rassismus und das Grenzregime auf die Straße gehen.
Der Bombenanschlag von Düsseldorf und die anschliessende öffentliche Debatte, wie der rechten Gewalt begegnet werden könne, bescherte den rund 1000 Teilnehmern des antirassistischen Grenzcamps ein unerwartetes Medieninteresse:
"Yeeppie, wir sind die Lieblinge der Standort-Nation! Ein Kamera-Team jagt das andere über unsere schöne grüne Wiese: ZDF, ORB, NTV und ausländische Sender freuen sich, nette junge Menschen mit langen zotteligen bunten Haaren vor die Kamera zu bekommen."
So sarkastisch startet das Webjournal, mit dem die Campteilnehmer allabendlich über ihre Aktivitäten berichteten. Wie eine Kaserne des Bundesgrenzschutz (BGS) stundenlang blockiert wurde, zum Beispiel. Um die Beamten an der Jagd auf Flüchtlinge, die illegal die Grenze überqueren zu hindern, wurden kurzerhand Gräben ausgehoben und Zufahrtswege mit Baumstämmen blockiert. Die Polizeiführung übte sich in Gelassenheit und konnte nur "geringe Sachbeschädigungen" oder eine "Ruhestörung" ausmachen. Auch als die Scheiben des örtlichen BGS-Büros klirrten - und zwar aus Verärgerung darüber, dass von zehn Flüchtlingen, die die Grenze nächstens überquerten, zwei sofort festgenommen wurden. Kollateralschäden eines Engagements, das die Solidarität mit Flüchtlingen und Einwanderern eben ernst nimmt.
Kommunikationsguerilla statt Lichterketten
Daran, dass das Camp in der ortsansäßigen Bevölkerung weitgehend auf Wohlwollen stieß, konnten aber selbst solche Aktionen nichts ändern. Bereitwillig spielten die Einwohner von Forst beim 10-tägigen Straßentheater mit. Sie ließen sich in Flugblättern erklären, dass Tanken in Polen laut "viertem Schengener Durchführungsabkommen" von nun an verboten sei, oder stellten sich für einen Test zur Verfügung, der endlich Gewissheit darüber verschaffen sollte, wer ein reinrassiger Deutscher sei und wer nicht. Die antirassistischen Aktivisten hielten den Bürgern Lackmus-Papier vor die Nase, und wer draufspuckte, konnte angeblich an der Verfärbung erkennen, dass sich unter den Vorfahren reichlich Nicht-Deutsche befinden. Kommunikationsguerilla, die nach dem Vorbild der legendären Übergabe der Kleinstadt Zittau an Polen funktionierte, mit der das Camp 1999 für Furore bereits im Vorfeld sorgte.
Dass Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit nicht ausreicht, um gegen den alltäglichen Rassismus, der sich nicht nur im Osten, sondern in der Mitte der Gesellschaft breit gemacht hat, anzugehen - davon gehen ja mittlerweile nicht nur die Camper aus. Was das alljährliche Zeltlager an der Grenze aber von den allenfalls gutgemeinten Lichterkettenaktionen, die in Kürze wieder aus dem Boden schießen werden, unterscheidet, sind die Offensivität, Konsequenz und Entschlossenheit, mit der die Antirassisten sich zumindest vorübergehend die Handlungsfreiheit in einen äußerst prekären öffentlichen Raum aneignen.
Der Grenzschleier, wie die 30-Kilometer-Zone hinter den Schengen-Außengrenzen neuerdings heißt, ist seit Mitte der 90-er Jahre Exerzierfeld für Tausende von Grenzschützern, deren ausgewiesene Strategie darin besteht, die örtliche Bevölkerung zur Denunziation von Flüchtlingen, die die Landesgrenzen überschreiten, zu animieren. Dass Teile der Einwohnerschaft diese Aufgabe zu wörtlich nehmen, und sich unautorisiert an der Jagd auf Ausländer beteiligen, dürfte also nicht wirklich überraschen. "Einen Bärendienst für Deutschland" nennt der Brandenburgische Ministerpräsident Stolpe Übergriffe auf Ausländer folgerichtig und verharmlosend. Das furchterregende Gemisch aus Akteuren, Mitwissern und Achselzuckern, die das rassistische Klima in vielen Gegenden der Bundesrepublik ausmachen, ist einfach nicht in der Lage, die eigenwilligen Ansichten eines bayerischen Innenministers nachzubuchstabieren. "Auch der Ausländer, der morgen abgeschoben wird, muss sich heute auf unseren Straßen sicher fühlen", meinte Günther Beckstein doch kürzlich.
Internationalisierung der Grenzcamps
Das offizielle Sommertheater präsentiert sich im All-Parteien-Konsens als Besserungsanstalt in Sachen doppelter Moral. Die Aktivisten von "kein mensch ist illegal" sind spätestens mit dem diesjährigen Grenzcamp Hoffnungsträger einer Bewegung, die es mit Globalisierung ernst meint. Nachgedacht wird nicht nur über die Fortschreibung des Slogans ("Jeder Mensch ist ein Experte"), schnell hat sich auch die Idee des Zeltens für einen guten Zweck auf der ganzen Welt ausgebreitet. Neben dem Camp in Forst an der deutsch-polnischen Grenze gab es dieses Jahr assoziierte Aktionen an der polnisch-ukrainischen Grenze und am Strand von Sizilien, wo ebenfalls von Staats wegen gegen selbstbestimmte Formen der Einwanderung aufegrüstet wird. Und am Wochenende vom 1. bis zum 3. September heißt es in Tijuana an der US-mexikanischen Grenze: "Nadie es illegal". Die örtlichen "Border-Kids", organisieren mit viel Cyber-Subkultur im Rücken ein Festival nach dem Vorbild der deutschen Grenzcamps.
Auf das Internet hatten es auch die drei Hundertschaften Polizei abgesehen, die kurz vor dem Ende das Camp in Forst dann doch noch stürmten. Im Irrglauben einen illegalen Radiosender beschlagnahmen zu können, durchwühlten vermummte Beamte eines Sondereinsatzkommandos am Sonntagmorgen um acht Uhr das Zelt des Webjournals. Diesmal bewahrten die Camper die Ruhe: Mit Sprechchören wie "Heimlich hört ihr sowieso: Unser tolles Radio" mussten sich die Polizeikräfte verspotten lassen, bevor sie ohne Sender und nur mit ein paar elektronischen Bauteilen, die zum Upload der Webseiten verwendet wurden, unverrichteter Dinge abziehen mussten. Kurze Zeit später wurde dann die Pressemitteilung von "kein mensch ist illegal" über die skandalöse Durchsuchungsaktion veröffentlicht: Auf Kurzwelle und weiter ohne offizielle Sendelizenz.
Florian Schneider ist Künstler, Journalist und Mitbegründer der Bewegung "kein mensch ist illegal".