Smart House - Version 2.0

Das Haus von Bill Gates als Modell für das Haus der Zukunft

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Architektur ist mehr als eine Reihe von Techniken, um uns vor einem Sturm schützen sollen. Sie ist ein Maßinstrument, um Wissen zusammenzufassen, und sie kann den sozialen Raum und die soziale Zeit organisieren. Die traditionelle Architektur, die sich mit dem seriellen Raum und Zeitintervallen beschäftigt, ist für die durch eine Vielheit von heterogenen Räumen und Zeiten geprägte Postmoderne nicht bedeutsam. Unser privates Haus öffnete sich der Durchdringung von neuen Orten, von neuen Räumen und einer neuen Zeitlichkeit.

Diese Entwicklung, die sich unserer Aufmerksamkeit entzieht, wurde durch neue Technologien möglich, die sich unter unsere Haushaltsgegenstände wie Telefone, Fernseher, PCs mit Internetzugang und andere mit dem Internet verbundene Geräte mischen. Diese Gegenstände ermöglichen eine kontinuierliche Interaktion zwischen innen und außen, die das ganze Universum privatisiert und in das Innere des Hauses trägt. Diese weit gestreute Durchdringung wird schrittweise durch eine Informationsüberbelichtung ersetzt, die dann eintritt, wenn ohne unseren Eingriff und ohne Kontrolle Information unsere unmittelbare Umgebung kontaminiert. Die Informationsüberbelichtung zwingt die Architekten der Zukunft, sich eine bessere technologische Infrastruktur auszudenken, durch die man die Möglichkeit besitzt, sich in den Informationsstrom einzuklinken, aber ihn auch zu kontrollieren.

Wie sieht das Haus aus, das von uns bewohnt werden will? Das Haus erzeugt und stellt die Bedingungen für unsere Tätigkeiten in ihm bereit. Daher reflektiert es unsere gegenwärtige Lebensweise. Das Haus, das es bald geben wird, versucht die nahe Zukunft vorauszusehen und spiegelt eine neue Welt wider, in der das Zeitmanagement wichtiger als das Raummanagement und das Recht, postmodern zu sein (das Recht auf Plug-Ins und Glasfaserkabel, die schnellere und weitere Verbindungen ermöglichen), wichtiger als das Bürgerrecht ist (das Recht, einen Paß zu erhalten). Anhand des Hauses von Bill Gates können wir die Fragen nach Zeit und Raum neu formulieren.

Where do we want to go today?

Hallo, willkommen im Haus von Bill Gates. Hier spricht Ihr Hausserver. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Das Haus steht zu Ihren Diensten und ist erfreut, Sie als Gast aufzunehmen.

Aus einer virtuellen Tour durch Gates' Haus von US News

Sie müssen sich als erstes die elektronische Marke anstecken, so daß das System Ihre Aktivitäten bearbeiten kann. Der winzige Sender dient zu Ihrer Identifizierung und läßt das System erkennen, wo Sie sich befinden. Von diesem Moment an weiß das Haus stets, wo Sie sind und wo sich andere Bewohner oder Gäste relativ zu Ihnen befinden. Denken Sie daran, das Haus beobachtet Sie und verfolgt Ihre Spuren. Das Haus ist der Wirt und ist bereit, Ihnen zu dienen, wann immer Sie dies wollen. Wenn Sie umhergehen, "spricht" der Sender mit dem Kontrollsystem, das den Ort, den Sie "schreiben", und ihre bevorzugten inhaltlichen Entscheidungen verarbeitet. Wenn Sie bereits zuvor im Haus gewesen sind, weiß der Computer schon einiges über Sie. Ihre Aktivitäten wurden gespeichert, daher kenne ich ihre Fernsehgewohnheiten, Ihre Lieblingssites im Internet oder Ihre Lieblingsbilder sowie Ihren musikalischen Geschmack.

Sie sollten ganz natürlich handeln. Achten Sie nicht auf mich. Ich bin Ihre Sklave und Sie sind mein Herr. Was Sie machen, also beispielsweise die Wahl der Beleuchtung oder der Raumtemperatur, wird durch Sensoren registriert und verarbeitet. Dann werden die Daten in persönliche Informationen übersetzt, die nur für Sie gültig sind. Alles wird Ihnen angepaßt. Die Informationen, die Ihnen zur Verfügung gestellt werden, sind kompatibel mit Ihrer Persönlichkeit. Ihre Tätigkeiten im Haus sind nicht isoliert und diskontinuierlich. Das ist der Beginn einer langen Bekanntschaft. Das Haus Sie als Individuum kennen, wie sie das von Mitmenschen erwarten, bis es besser vorhersagen kann, was Sie wollen, als Sie dies können. Wenn sich zwei oder mehr Personen im selben Raum befinden, wird die innerhäusliche Umgebung auf der Grundlage der gemeinsamen Vorlieben berechnet. Der Computer legt in den gespeicherten Daten derjenigen, die sich im Raum aufhalten, Querverweise an und projiziert die vergrößerten gemeinsamen Interessen ins Innere. In Zukunft können wir die elektronische Marke verlieren. Das Haus wird auch über Überwachungskameras mit Programmen zur visuellen Erkennung verfügen.

Telegastfreundschaft

Wie Sie herausfinden werden, unterstützt dieses Haus dynamische Aktionen in dem Sinn, indem Ihre Tätigkeiten zu den gegenwärtig vorhandenen Objekten der Selbstrepräsentation hinzugefügt und über diese gelegt werden. Sie werden virtuell auf eine der vielen Screen-Wände übereinandergelagert. Unter anderem zeigen die Screen-Wände wichtige Kunstwerke aus der Kunstgeschichte, die aus einer Million Bilder ausgewählt wurden, für die der Hauseigentümer oder Corbis, ein Medienunternehmen, das ihm gehört, das Copyright besitzt. Es gibt kein einzelnes Bild wie ein an der Wand befestigtes Gemälde, das etwas Bedeutungsvolles über den Bewohner zum Ausdruck bringen soll. Am Ende werden Sie kein einzelnes Bild als Beweis für das, was wirklich im Inneren des Hauses war, nennen können. Die Bilder werden sich andauernd verändern.

Sie offenbaren aus dem Speicher des Systems ausgewählte Möglichkeiten und verbergen andere. Jedes Bild ist hinter jedem anderen Bild verborgen. Es gibt kein letztes oder abschließendes Bild, das erscheinen kann, da es keinen letzten Gast gibt, der überrascht sein kann. Die Technologie erzeugt und ermöglicht die Bedingungen für eine neue Art der Gastfreundschaft, in der Sie das Recht haben, sich vorübergehend einen Raum auszuleihen, der einem anderen gehört, indem sie die Wände mit ihrer persönlichen Geschichte schmücken. Es ist möglich, daß die von Ihnen geschaffene Umgebung es Ihnen eröffnet, mehr von Ihnen selbst kennenzulernen, was jetzt zu Immigranten in ein System wird, das zu riesig ist, um Ihnen zu gehören, und das zu dicht gewebt ist, um daraus zu entfliehen. Die Technologie an sich besitzt keine Ideologie. Diese tritt auf, wenn jemand oder etwas Technologie anwendet. Die Technologie kommt nur dann zur Ruhe, wenn das Haus keine Bewohner oder Gäste mehr enthält. Dann verdecken nur die nackten Bildschirme die Installationsmechanismen, das eingebaute Herrschaftssystem.

Television - die Wurzeln der Ortlosigkeit

Der PC ist die Television der Zukunft mit einer offenen Architektur. Eine Set-Top Box ist das Interface, mit dem sich der Projektionsschirm oder -monitor über Kabel, Telefon oder Satellit anschließen läßt. Einen Fernsehbildschirm kann man in jedem Raum finden. Er ist auf Ihren Lieblingssender eingestellt. Der Film oder die Nachrichten folgen Ihnen, wenn Sie sich von Raum zu Raum bewegen. Die Ereignisse klonen sich selbst von "Außen" in Ihren gegenwärtigen Aufenthaltsbereich hinein. Als Ted Turner in den 80er Jahren den Entschluß faßte, ein globales Nachrichtennetzwerk einzurichten, transformierte er mit Hilfe der Satellitentechnologie die auf das Lokale beschränkte unmittelbare Zeugenschaft in eine globale Sendearena globaler Ereignisse. Der TV- oder Computerbildschirm überträgt zu Ihnen das lebendige Tageslicht eines anderen Tages, eines entfernten Ortes. Der alltägliche Zyklus hat sich verändert. Eine neue Art des Tages hat sich neben dem astronomischen Tag, dem durch das künstliche Licht erhellten Tag und dem elektronischen Tag plaziert: der virtuelle Tag, der im Sendeprogramm erscheint. Er hat keine Verbindung zum "wirklichen" Kalendertag.

Die chronologische und die geschichtliche Zeit, die vorbeigeht, wird durch eine Zeit ersetzt, die sich selbst der ganzen Zeit aussetzt. Dank der Satellitensender wurden Dimensionen und Räume ununterscheidbar von der Signalmenge bei ihrer Rezeption in der kondensierten Einheit eines zeitlosen Zuschauerraums. Wenn der Raum die Dinge voneinander trennt, dann führt diese Beschränkung zu einem ortlosen Ort, zu eben jenem Raum, in dem die ferngesehenen Ereignisse projiziert werden. Der Ort kann willkürlich, durch Ihren Willen, ausgetauscht werden.

Bye Bye

Sie brauchen Zeit, um sich daran zu gewöhnen. An die Technik muß man sich gewöhnen. Technik ist umtriebig und macht süchtig. Wenn Sie sich daran gewöhnt haben werden, dann werden Sie es nicht mehr anders wollen. Doch wird Sie letztlich Ihr treuer Server hier im Haus auf ein Muster von Präferenzen reduzieren. Die Reduktion auf ein System von Absichten und Zwecken ist hinter den mechanischen und elektronischen Mittel verborgen. Es ist eine Reduktion des Lebens auf Relationen und Ziele wie in der Kybernetik. Das experimentelle Modellhaus, das Ihnen Unterhaltung anbieten und Sie in einer seltsamen Umgebung kreativ machen will, trifft auf schwer konkret beschreibbare Schwierigkeiten. Es kann Sie nicht wirklich überraschen, es kann nicht improvisieren oder spontan sein. Die Menschen aber wollen hin und wieder überrascht werden. Das Haus sollte lernen, uns zu überraschen.

Ist die Tatsache, daß dieses Haus seinen Schwerpunkt in Anwendungen und nicht im traditionellen Architekturdesign findet, das Vorzeichen eines Trends, durch den die Architektur zu einer altmodischen Technik, zu einer im Niedergang befindlichen Form der Kontrolle wird? Was ist ein Haus? Wer ist der Fremde in meinem Haus? Wer ist der Gast? Das sind einige der Fragen, die unsere Aufmerksamkeit beim Durchwandern des Hauses von Gates wecken. Ein Teil von Ihnen bleibt im Haus als digitale Spuren zurück, als ein Protokoll und als ein Code zur Rekonstruktion und Wiederauferweckung.

Shirley Shor
EMail: Shirley Shor

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer