So begründet Boris Palmer seinen Rücktritt
Telepolis dokumentiert: Persönliche Erklärung von Boris Palmer. Auszeit als Oberbürgermeister von Tübingen und Austritt aus Grünen. Palmer gesteht persönliche Fehler ein.
Eine "Auszeit" wolle er sich nehmen, erklärte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, nach dem jüngsten Skandal, über den auch Telepolis berichtete. Zugleich gab Palmer seinen Austritt aus der Grünen-Bundespartei bekannt. Beides hat politisch und medial für großes Echo gesorgt.
Telepolis dokumentiert in Ergänzung zu einem Bericht über den Fall Palmers Erklärung in voller Länge. Interviewwünschen, so der Politiker auf Anfrage unserer Redaktion, wolle er derzeit nicht nachkommen.
Eines ist mir klar: So geht es nicht weiter. Die wiederkehrenden Stürme der Empörung kann ich meiner Familie, meinen Freunden und Unterstützern, den Mitarbeitern in der Stadtverwaltung, dem Gemeinderat und der Stadtgesellschaft insgesamt nicht mehr zumuten.
Die jüngsten Ereignisse in Frankfurt haben mir gezeigt, dass die Verbindung zwischen den schlimmsten Eklats der letzten Jahre nicht das Internet ist, sondern die Situation: Wenn ich mich zu Unrecht angegriffen fühle und spontan reagiere, wehre ich mich in einer Weise, die alles nur schlimmer macht.
Aus einer großen übermächtigen Gruppe als Nazi bezeichnet zu werden, hat tief in mir sitzende Erinnerungen wachgerufen. An den Besuch des von Neonazis geschändeten Friedhofs mit den Gräbern meiner Vorfahren. An meinen Vater, der mit dem Judenstern auf der Brust gegen Unrecht demonstrierte. An die Gruppe Jugendlicher, dir mir als Junge Schläge androhten und riefen, man habe nur vergessen, meinen Vater zu vergasen.
Als Mensch musste ich mich wehren, um das alles irgendwie ertragen zu können. Als Politiker und Oberbürgermeister hätte ich niemals so reden dürfen. Die Erwähnung des Judensterns war falsch und völlig unangemessen. Niemals würde ich den Holocaust relativieren, wie kritisiert wurde. Dass dieser Eindruck ohne Kenntnis der Hintergründe entstehen konnte, obwohl auch in meiner eigenen Familie die Zeit des Nationalsozialismus ihre Spuren hinterlassen hat, tut mir unsagbar leid.
Da ich weiterhin Angriffen ausgesetzt sein werde, die ich als grob ungerecht empfinde, kann ich nur versuchen, mich selbst zu ändern. Mit ernsthaften Vorsätzen, darauf zu achten, dass sich derartiges nicht mehr wiederholen darf, war ich leider nicht erfolgreich. Ich werde daher in einer Auszeit professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und den Versuch machen, meinen Anteil an diesen zunehmend zerstörerischen Verstrickungen aufzuarbeiten.
Solange ich nicht sicher bin, neue Mechanismen der Selbstkontrolle zu beherrschen, die mich vor Wiederholungen sichern, werde ich alle Konfrontationen mit ersichtlichem Eskalationspotenzial durch Abstinenz vermeiden. Das betrifft Themen und Veranstaltungen und alle Arten öffentlicher Äußerungen gleichermaßen.
Entschuldigen möchte ich mich bei den Menschen, die ich enttäuscht habe, vor allem bei den Wählerinnen und Wählern, die mir ihr Vertrauen für eine ganz andere Aufgabe geschenkt haben. Dieser gerecht zu werden, steht über allem anderen.