So widersprüchlich ist die Grünen-Politik

Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen? Das gilt bei Spitzen-Grünen zumindest für manche Autokraten und Kriegsverbrecher. Symbolbild: Alexas_Fotos auf Pixabay (Public Domain)

Guter Autokrat, böser Autokrat? Die von den Grünen mitgetragene Waffenexportpolitik der Bundesregierung wirft Fragen auf. Warum Saudi-Arabien unbedenklicher ist als Russland, muss erst einmal erklärt werden.

Es gibt bei allem den Moment, wo das "Maß voll" ist und die berüchtigte "rote Linie" überschritten wird. Diese Schmerzgrenze ist mal niedriger, mal höher, oder – wie aktuell bei den Grünen – fast unter der Decke. Jetzt wurde sie offensichtlich dennoch überschritten.

Der Auslöser

Die Ampelregierung genehmigte – inklusive Zustimmung der Grünen-Minister, vermutlich auch Fraktion und Bundesvorstand – Waffenexporte nach Saudi-Arabien, wie am 29. September 2022 bekannt wurde. Zwar gibt es die Absprache, dass die deutsche Industrie wegen des Jemen-Kriegs und des Mordes an dem regierungskritischen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi seit 2018 keine Waffen mehr direkt an Riad liefern darf.

Auch regelt das Kriegswaffenkontrollgesetz das klar: Dieses legt in Paragraph 6, Absatz 3 fest, dass das Wirtschaftsministerium den Export von Kriegswaffen verbieten muss, wenn "die Gefahr besteht", dass die gelieferten Waffen "bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg" verwendet werden. Zudem – und dies ist für die aktuell laufende Diskussion bei den Grünen von Interesse – kann eine erteilte Genehmigung für den Export von Kriegswaffen jederzeit widerrufen werden.

Argumentiert wird seitens der Regierung, dass die Zulieferung durch deutsche Firmen an europäischen Rüstungsprojekten, also Partnerfirmen in anderen Ländern erfolgt. Diese liefern ihrerseits dann nach Saudi-Arabien, das war schon bisher in der großen Koalition gängige Praxis – und wurde seitens der Grünen eigentlich immer massivst kritisiert.

Grüne Kritik war gestern

Aber was schon Konrad Adenauer nachgesagt wird, gilt auch für die Grünen: Das Geschwätz von gestern kümmert sie nicht. So hatte der jetzige Bundesvorsitzende Omid Nouripour 2018 betont:

Es ist nicht auszuhalten, wie Reden und Handeln der Bundesregierung auseinanderfallen. Was muss denn noch passieren, damit die Bundesregierung keine Waffenexporte mehr nach Saudi-Arabien genehmigt? (...) Wieviel Leid müssen die Menschen im Jemen noch erfahren, wieviele Oppositionelle noch verhaftet werden? Die GroKo ist moralisch bankrott.

Annalena Baerbock hatte sich noch 2020 ähnlich geäußert. Heute dagegen argumentiert die grüne Außenministerin:

Es gibt keine direkten Waffenlieferungen von Deutschland nach Saudi-Arabien – gerade auch angesichts der verheerenden Menschenrechtslage vor Ort und in der Region.

Allerdings sei Deutschland Teil von langjährigen Gemeinschaftsprojekten im Verteidigungsbereich mit den engsten europäischen Partnern, so Baerbock gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung. "Diese Projekte können wir gerade jetzt nicht blockieren", sagte Baerbock und ergänzte: "Manche Entscheidungen sind haarsträubend schwierig."

Aus "moralisch bankrott" wird also "haarsträubend schwierig", was gestern falsch war ist heute richtig beziehungsweise "alternativlos". Geliefert wird ja nicht nach Saudi-Arabien, sondern an europäische Partner. Dass diese dann nach Saudi-Arabien weiter liefern – kein grünes Problem. Dass mit der deutschen Munition dann jemenitische Aufständische – und Zivilistinnen erschossen werden – auch kein grünes Problem.

Dass grüne Wahl- und Grundsatzprogramme massakriert werden, ist spätestens seit dem 24. Februar, dem Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine, Alltag. Dass aber ein ausdrücklich festgelegter Punkt im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung kommentarlos ad acta gelegt wird, hat eine neue Qualität. Dort heißt es auf Seite 116:

Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.


Aus dem Koalitionsvertrag "Mehr Fortschritt wagen", S. 116

Scholz-Besuch und Lieferfreigabe

Bezeichnend ist vor allem auch der Zeitpunkt der Entscheidung: Da ist zum einen der Ablauf des halbjährigen Waffenstillstands im Jemen-Krieg, zum anderen der Besuch des deutschen Kanzlers in Saudi-Arabien wenige Tage zuvor. War die Exportgenehmigung Teil eines Deals – Munition gegen Öl oder Gas?

Dafür spräche, dass laut dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel die Genehmigung vom zuständigen Bundessicherheitsrat schon vor dem Scholz-Besuch in geheimer Sitzung genehmigt wurde.

Bizarr ist allerdings, dass nach der Exportgenehmigung Saudi-Arabien sich im Wirtschaftskrieg auf die Seite Russlands schlug und den Ölpreis nach oben treibt. Wurde Scholz ausgetrickst?

Wenn zwei das Gleiche tun

Letztlich irritiert auch die Logik, dass gegen ein Land und einen Autokraten, Russland und Putin, schwerste Sanktionen verhängt werden und das angegriffene Land, die Ukraine, massivst auch mit schweren Waffen und Milliardenhilfen unterstützt wird, während hier der Angreifer, Saudi-Arabien, und ein mindestens gleich übler Autokrat, Mohammed bin Salman, hofiert werden und Waffenlieferungen bekommen.

Putin wie bin Salman unterdrücken jeweils ihr Volk, verfolgen Kritiker, sperren sie ein und bringen sie um, verwehren der Bevölkerung weitgehend Grundrechte – bin Salman noch weitergehend als Putin –, führen einen Angriffskrieg gegen ein Nachbarland, inklusive Kriegsverbrechen gegen Zivilist:innen.

Die Logik, weshalb der Eine das "Übel schlechthin" ist und "ruiniert" (Baerbock) werden muss, während der Andere hofiert wird, sollte zumindest einmal dem offenbar unwissenden Bürger erklärt werden. Vielleicht übersehen wir ja allen etwas Wesentliches?

Grüne Delegierte müssen entscheiden

Auf dem Bundesparteitag der Grünen in der kommenden Woche wird in diesem Kontext ein Antrag ("Die BDK verurteilt auf das Schärfste, die am 30.9. bekanntgewordenen Waffenexporte aus Deutschland an Saudi-Arabien") gestellt.

Darin wird gefordert, die Exportgenehmigung zurückzunehmen, und – falls dies sich in der Koalition nicht durchsetzen lässt – den Kanzler aufzufordern, die Vertrauensfrage zu stellen. Begründet wird diess mit der Verletzung deutschen Rechts (s.o.: Kriegswaffenkontrollgesetz und die weitergehende Regelung im Grundgesetz). Wenn schon der Koalitionsvertrag gebrochen wird, sollten die beteiligten Fraktion zumindest darüber entscheiden.