Soll der regionale Markt die Strompreise in Deutschland bestimmen?
Regionale Unterschiede bei der Stromverfügbarkeit in Deutschland führen zu Netzengpässen und hohen Kosten für Alle. Lässt sich das ändern?
Wer in Deutschland Strom an der Börse einkauft, bezahlt im ganzen Land den gleichen Preis, unabhängig davon, ob der Strom in München, Dresden oder Greifswald konsumiert werden soll. Dies gilt bislang für den Großhandelsstrompreis ohne die spezifischen Netzentgelte.
Aus diesen Vorgaben resultiert in der Realität, dass mehr Strom aus Erneuerbaren im Norden und Nordosten zur Verfügung steht, der im Süden benötigt würde, aber mangels fertiggestellter Übertragungsleitungen nicht geliefert werden kann.
Dafür muss der im Süden fehlende Strom aus fossilen Kraftwerken bereitgestellt werden, die teurer als Erneuerbare sind und den einheitlichen Börsenstrompreis nach oben treiben. Die Politik der südlichen Bundesländer möchte diese Situation gerne beibehalten, die nördlichen Bundesländer und die benachbarten Staaten suchen andere Lösungsmöglichkeiten.
Lokale Preisanreize für die Energiewende?
Aktuell untersucht die europäische Agentur der Energieregulierungsbehörden Acer in Zusammenarbeit mit dem Verband europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) im Rahmen des "Bidding Zone Review" Prozesses, ob die Aufteilung der EU in die derzeitigen Strompreiszonen noch zeitgemäß ist oder ob alternative Zuschnitte der Gebotszonen das übergeordnete Ziel der Markteffizienz besser erfüllen könnten.
Die Ergebnisse dieser Analyse sollen am 28.04.2025 im "Bidding Zone Study Report″ veröffentlicht werden, zusammen mit einer Empfehlung für einen zukünftigen Zonen-Zuschnitt.
Alternativ zur derzeit geltenden deutsch-luxemburgischen Einheitszone stehen mehrere Konfigurationen zur Diskussion, bei denen Deutschland in zwei, drei, vier oder fünf Zonen geteilt würde. Eine mögliche Aufspaltung der deutschen Einheitszone wäre nicht der erste Vorgang dieser Art. Bereits im Jahre 2018 wurde Österreich aus der damaligen deutsch-luxemburgisch-österreichischen Zone ausgegliedert.
Nach der Veröffentlichung des "Bidding Zone Study Reports" zur zukünftigen Zonenaufteilung der EU haben die Mitgliedsstaaten der EU laut sechs Monate Zeit, um zu einer einstimmigen Entscheidung über die Ausgestaltung der Strompreiszonen zu kommen.
Falls keine einstimmige Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten zustande kommt, wird die EU-Kommission innerhalb sechs weiterer Monate eine endgültige Entscheidung über den künftigen Zonenzuschnitt treffen.
Wer ist gegen eine marktwirtschaftliche Neustrukturierung?
Die Liste der Gegner einer Neustrukturierung, also der Widerstandsfront gegen eine marktwirtschaftliche und EU-verträgliche Lösung, liest sich wie ein Who’s who der deutschen Profiteure des Status quo.
Dazu zählt die zukünftige Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag, das BMWK in seinem Bericht zum Strommarktdesign der Zukunft, die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten von sechs südlichen und westlichen Bundesländern, der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller, der Verband der erneuerbaren Energien BEE und der Verband Kommunaler Unternehmen VKU.
Zu den Befürwortern zählen große Teile der einschlägigen Wissenschaft aus der Energieökonomie und der Energiesystemwissenschaft. Dort gibt es einen breiten Konsens, dass lokale Preissignale für eine effiziente Ausgestaltung der Energiewende notwendig sind. Einen Diskurs gibt es in der Wissenschaft über den geeignetsten Weg dorthin, etwa durch kleinere Gebotszonen oder gar nodale Strompreise.
Hintergrund des Handlungsdrucks
Heute ist die Nettonennleistung der Windkraftanlagen pro Fläche in den nördlichen Bundesländern deutlich höher als in den südlichen Bundesländern. In den nördlichen Bundesländern kommt zur Onshore-Erzeugung noch der Strom aus Offshore-Windparks hinzu.
Zudem hat die Politik vorwiegend in Bayern die Realisierung von Übertragungsleitungen in den Süden behindert und sowohl bei den Planungs- sowie Genehmigungskosten als auch bei den künftigen Betriebskosten ungemein verteuert. Die Stromerzeugungskapazitäten im Norden können somit nicht für die Befriedigung des Strombedarfs im Süden genutzt werden, weil die Leitungen nur eine begrenzte Kapazität besitzen.
Die kostenträchtigen Netzengpässe entstehen unter anderem, wenn in einer Region Deutschlands zwar viel Strom produziert wird, aber nicht genug Strom transportiert werden kann, um die Nachfrage in einer anderen Region zu decken. In diesem Fall muss umgeplant werden, zum Beispiel durch Redispatch-Maßnahmen. Dann müssen Kraftwerke vor dem Engpass abgeregelt und solche nach dem Engpass angewiesen werden, mehr Strom zu produzieren, als das der Day-Ahead-Markt ergab.
Auf der einen Seite werden dann Windparks im Norden abgeregelt und Gaskraftwerke im Süden hochgefahren, um die Nachfrage im Süden zu decken.
Die immer wieder entstehenden Netzengpässe werden im einheitlichen Strompreis jedoch nicht abgebildet und der Strompreis suggeriert, dass innerhalb der Gebotszone unbeschränkt viel Strom transportiert werden kann, was nicht der Realität entspricht und unter dem Namen Kupferplatten-Modell firmiert, weil nach diesem Modell Deutschland wie eine einheitliche Kupferplatte arbeitet.
Die fiktive Einheitlichkeit der deutschen Stromversorgung führt in der Realität zu ziemlich abstrusen Situationen. So reagieren Pumpspeicherkraftwerke in den Alpen auf den aktuellen Börsenstrompreis und dann geben niedrige Preise auch während regionalen Engpässen das Signal, dass Strom im Überfluss vorhanden ist und daher für Zeiten mit knapper Produktion in den Pumpspeicherkraftwerken zwischengespeichert werden sollte.
Als Konsequenz wird dann im Süden der Republik Wasser in einen Speicher hochgepumpt, obwohl regional nicht genug Strom vorhanden ist und Gaskraftwerke benötigt werden, um die regionale Stromnachfrage zu decken. Die Kosten dafür übernehmen die Endkunden in ganz Deutschland.