Sollen in Deutschland Sozialkredite wie in China eingeführt werden?

Seite 2: "Die einfache Wahrheit der einen Zukunft gibt es nicht"

Wie haben Sie die sechs Szenarien vom "europäischen Weg" über die "Rückkehr der Blöcke" bis hin zum "Bonus-System" ausgewählt?

Christian Grünwald: Diese sechs Szenarien wurden mithilfe einer Methode entwickelt, die verschiedene Szenarien exploriert hat. Dabei spielen verschiedene Schlüsselfaktoren eine Rolle. Am Ende stand eine morphologische Analyse. Die Grundlage dafür wurde in partizipativen Workshops mit Expertinnen und Experten, die in der Studie auch genannt sind, entwickelt.

Man versucht dabei erst einmal, den Möglichkeitsraum möglichst breit aufzuspannen, um dann sehr unterschiedliche Szenarien zu beschreiben. Wir haben natürlich in so einer Analyse das Problem, dass es eine Vielzahl potenzieller Entwicklungen gibt. Am Ende können Sie immer nur eine Handvoll Szenarien auswählen und diese dann möglichst trennscharf voneinander abgrenzen.

Nun haben Sie im Rahmen Ihres gesamten Projektes auch eine sogenannte Wertestudie erstellt. Kern ist eine Meinungserhebung, die ja positive Ergebnisse: soziales Miteinander, Solidarität, Umweltbewusstsein. Gerade in der Pandemie haben wir aber doch das Gegenteil erlebt: Individualisierung, wenn auch oft staatlich erzwungen, Hamsterkäufe, Egoismus. Zeigt das nicht die Gefahr auf, dass die Befragten schlichtweg das sagen, was vermeintlich erwartet wird, aber anders handeln?

Christian Grünwald: In unserer modernen Gesellschaft haben wir es nie mit einfachen Entwicklungen zu tun. Wir haben es immer das Problem einer Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit. Das heißt, es gibt mehrere Entwicklungen, die nebeneinander stattfinden, die teilweise auch mehrdeutig und in sich widersprüchlich sind.

Während einerseits also zu Hause Klopapier gehortet wurde, entstanden in Nachbarschaften auch solidarische Aktionen, Einkäufe für ältere Menschen etwa. Wir haben also nie Entwicklungen nur in die eine oder andere Richtung. Dieser Wunsch nach Solidarität ist vor allem zu Beginn der Corona-Krise auch sehr stark gelebt worden. Die von Ihnen beschriebenen Hamsterkäufe oder das Klauen von Desinfektionsmitteln in Krankenhäusern und Arztpraxen gehörten aber auch zur Realität.

Insofern haben wir es, wenn wir über die Zukunft unserer Gesellschaft nachdenken, immer mit komplexen Gemengelagen zu tun. Die einfache Wahrheit der einen Zukunft gibt es nicht.

Im Zuge der Pandemie-Politik gab und gibt es erhebliche Kritik an den staatlichen Maßnahmen. Gerade die ohnehin sozial Abgehängten hatten das Nachsehen: Menschen, die schon länger Arbeitslosengeld II beziehen, alleinerziehende Eltern… Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Ihre Zukunfts- und Wertestudien zu staatlichen Maßnahmen für eine solidarische, bessere Gesellschaft führen?

Christian Grünwald: Wir beschäftigen uns mit längerfristigen Trends, die zehn bis 15 Jahre in die Zukunft reichen. Es gehört natürlich zum Möglichkeitsraum, dass eine sehr viel stärkere Hinwendung durch gesellschaftliche Dynamiken zu mehr Solidarität stattfinden könnte; ganz in dem Sinne also, wie es in den Befragungen zum Ausdruck kommt.

Gleichwohl müssen wir uns, und deswegen sind die Szenarien auch so breit gespannt, auf eine Vielzahl von Entwicklungen vorbereiten und entsprechende Wege einschlagen, um sie zu gestalten. Das ist aber immer auch Ergebnis eines gesellschaftlichen Diskurses, bei dem die Einbindung aller Interessen in einer pluralistischen Gesellschaft ja nicht immer einfach ist.

Christian Grünwald ist Foresight Director bei Z_punkt The Foresight Company. Z_punkt und die Prognos AG bilden das Zukunftsbüro des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Aufgabe des Büros und des angeschlossenen Expertengremiums "Zukunftskreis" ist es, zukunftsrelevante Themen und Entwicklungen zu identifizieren sowie Szenarien der gesellschaftlichen Entwicklung zu skizzieren und zur Debatte zu stellen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.