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Sollte Deutschland wirklich die Entwicklungshilfe einstellen?

Christoph Jehle
Junge MÀdchen zeigen stolz ihren Tablet-Computer in einem lÀndlichen Ort im Àthiopischen Hochland

Entwicklungshilfe kommt an – und fördert auch die deutsche Wirtschaft.

(Bild: rvdw images / Shutterstock.com)

Knappe Kassen lassen die Idee aufkommen, die Entwicklungshilfe fĂŒr andere LĂ€nder zu streichen. Das könnte Deutschland aber schwer schaden.

Mit dem deutschen Entwicklungshilfeengagement in China versuchte die Bundesrepublik viele Jahre hindurch deutsche Strukturen im Reich der Mitte zu etablieren, um den Riesenmarkt fĂŒr deutsche Exporteure vorzubereiten. Nicht zuletzt wollte man ein mit dem System in Deutschland kompatibles Rechtssystem in China etablieren.

Die chinesischen Partner haben das von Deutschland angebotene Wissen auch erfolgreich ĂŒbernommen, allerdings nicht so, wie von Deutschland intendiert. Man hat nicht nur die aus chinesischer Sicht im deutschen System inhĂ€renten Fehler analysiert, sondern auch gelernt, wie man bei Investitionen in den deutschen Markt vorgehen muss, also die Wirkung umgedreht.

Deutsche Entwicklungshilfe war traditionell ein Schaufenster der deutschen Wirtschaft und zusammen mit den Studienangeboten an auslĂ€ndische Studenten eine sehr effiziente Werbung fĂŒr deutsche Produkte. Das ist in reduziertem Umfang auch heute noch so. Deutschland muss dabei jetzt allerdings auch mit den einschlĂ€gigen AktivitĂ€ten anderer LĂ€nder kĂ€mpfen, welche inzwischen mehr Geld fĂŒr Entwicklungshilfe aus dem eigenen Haushalt abzweigen können.

Warum Fahrradwege in Peru sinnvoll sein können

Wer in anderen LĂ€ndern etwas bewegen will, ist vielfach gezwungen, sich als gutes Vorbild zu etablieren. Ein solches Beispiel ist auch die zur Zeit des aus den Gefilden der CSU stammenden ehemaligen Entwicklungsminister Gerd MĂŒller stammenden Radwege-Projekt in Peru. Die Zusagen fĂŒr ZuschĂŒsse und Kredite fĂŒr Radwege und Busse in Peru stammen aus dem Jahr 2020. [1]

Da war von der Ampelkoalition noch nichts zu sehen. Diese fĂŒhrt nur die Zusagen der VorgĂ€ngerregierung fort. Diese VerlĂ€sslichkeit, dass Zusagen auch von der Nachfolgeregierung eingehalten werden, galt bislang als Vorteil des deutschen Engagements. In anderen LĂ€ndern haben europĂ€ische Anbieter mit Schmerzen erfahren, dass VertrĂ€ge von einer neuen Regierung nicht mehr eingehalten werden.

Wenn jetzt CSU-GeneralsekretĂ€r Martin Huber [2] im Fahrwasser der AfD der Regierung vorwirft, deutsches Geld weltweit zu verteilen, statt heimische Bauern zu unterstĂŒtzen, ist dies besonders schrĂ€g. Denn Deutschland hat sich im Pariser Klimaschutzabkommen [3] verpflichtet, weltweit den CO2-Ausstoß zu minimieren.

Jahrelang war man davon ĂŒberzeugt, dass man diese Einsparungen zuerst möglichst dort vornimmt, wo sie am wenigsten kosten. CO2-Einsparungen in Peru sind in diesem Zusammenhang deutlich billiger als in Deutschland und bieten der deutschen Industrie ein wenig Zeit, bis sie fĂŒr ihre deutschen Standorte CO2-Einsparungen realisieren muss.

Vorteile fĂŒr die deutsche Exportindustrie

Von den Entwicklungsprojekten in Peru, welche zum Großteil nicht als ZuschĂŒsse geleistet werden, sondern als Darlehen, profitiert also nicht nur Peru, sondern auch Deutschland. Und bekommt dabei SchĂŒtzenhilfe von hiesigen Exportunternehmen. Deutschlands Wirtschaft stehe global in einem steigenden Wettbewerb um MĂ€rkte, Rohstoffe und strategische Partnerschaften und dabei spiele die Entwicklungszusammenarbeit eine wichtige Rolle.

Der Wettbewerb mit Staaten wie China oder Russland wird in Zukunft noch deutlich zunehmen. Damit wird der Aufwand fĂŒr die deutsche Exportförderung gewaltig steigen. Wenn die FDP jetzt mit der Idee, das Entwicklungsministerium zu streichen [4], in den Ring steigt, ist die daraus resultierende Diskussion, die sich ja nicht nur in Berlin verbreitet, ein optimaler Ansatz fĂŒr den von anderen Staaten angeregten Wettbewerb [5] um kĂŒnftige MĂ€rkte.

Was in Deutschland jetzt als Sommerlochdebatte bezeichnet wird, könnte jedoch eine gewaltige Explosionskraft entwickeln, wenn in den derzeitigen EmpfĂ€ngerlĂ€ndern das Vertrauen in die deutsche Entwicklungshilfe erodiert. Warum sollte man sich dann kĂŒnftig auch noch an VertrĂ€ge mit Deutschland halten, das bis auf Weiteres auf Rohstoffeinfuhren angewiesen ist?

Nicht nur die Exportindustrie wendet sich gegen die neu aufgekochten freidemokratischen Ideen. Auch Bernd Bornhorst, der GeschĂ€ftsfĂŒhrer beim katholischen Hilfswerk Misereor bezeichnete den aktuellen Vorschlag ein weiteres Beispiel, wie unter dem Vorwand von Effizienzsteigerung [6] und knappen Mitteln versucht wird, wichtige Politikbereiche abzurĂ€umen, die offensichtlich Teilen der FDP nicht mehr ins Weltbild passen.

Subventionen fĂŒr deutsche Landwirte gegen Exporthilfen fĂŒr die deutsche Industrie

Der ehemalige Exportweltmeister Deutschland ist heute nicht nur zu mehr als 40 Prozent vom Export abhĂ€ngig, sondern im Bereich der landwirtschaftlich erzeugten Lebensmittel auch zu 70 Prozent vom GemĂŒseimport. Die deutsche Landwirtschaft kann die heimische Bevölkerung schon lange nicht mehr ernĂ€hren. Da helfen auch zusĂ€tzliche staatliche Subventionen nicht.

Ganz offensichtlich stehen die politischen Parteien noch immer unter dem Eindruck der Bauernproteste im FrĂŒhjahr, als ganze Traktorkolonnen mit eindrĂŒckliche oft geleasten Fahrzeugen nach Berlin gerollt sind und an den Marsch der Bergleute nach Bonn [7] erinnerten. Der Erfolg der Bergleute war jedoch nicht sehr nachhaltig und heute ist der Steinkohlebergbau nur noch durch seine Senkungen und die daraus resultierenden Folgelasten [8] prĂ€sent.

FĂŒr eine langfristige Überlebensstrategie ist das Ausspielen der meist kleinrĂ€umigen, kaum industrialisierbaren Landwirtschaft gegen die Exportindustrie kaum geeignet. Ist sie doch im SĂŒden der Republik eher kleinrĂ€umig strukturiert und leidet unter dem schlechten Ruf der Anbindehaltung, wĂ€hrend sie im Osten zwar aus der DDR-Tradition ĂŒber grĂ¶ĂŸere FlĂ€chen verfĂŒgt, aber zunehmend unter Wassermangel leidet.

Deutschland wird noch lange Zeit vom Außenhandel abhĂ€ngig sein und kann damit auf die Entwicklungshilfe als TĂŒröffner wohl dauerhaft nicht verzichten.


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https://www.heise.de/-9839142

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/radwege-in-peru-wie-es-dazu-kam-dass-die-csu-sie-vergass,U1oSUPk
[2] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/radwege-in-peru-wie-es-dazu-kam-dass-die-csu-sie-vergass,U1oSUPk
[3] https://www.br.de/nachrichten/wissen/pariser-klimaabkommen-warum-das-1-5-grad-ziel-so-wichtig-ist,SLxzhFV
[4] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-08/fdp-haushaltsstreit-abschaffung-entwicklungsministerium-kritik
[5] https://www.telepolis.de/features/Beijing-statt-Paris-Wie-China-afrikanische-Studierende-an-seine-Unis-lockt-9836047.html
[6] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-08/fdp-haushaltsstreit-abschaffung-entwicklungsministerium-kritik
[7] https://www.spiegel.de/politik/beinahe-militant-a-c7d8a620-0002-0001-0000-000042622758
[8] https://www.radiobochum.de/artikel/bochum-tagesbruch-in-der-heinrich-gustav-strasse-2072159.html