Sondervermögen der Bundeswehr: Kritik wird schärfer
Seite 2: Projekte außer Kontrolle
Wie bereits erwähnt, wurde dem Begleitgesetz zum Sondervermögen ein Wirtschaftsplan angehängt, der erstmals einen groben Einblick über die Rüstungsprojekte gab, die aus diesem Topf bezahlt werden sollen.
Es handelt sich dabei allerdings um ein "lebendes Dokument", das ständig angepasst werden kann und augenscheinlich auch wird. Was jedoch stets fehlt, sind konkrete Zeitpläne oder gar Beträge einzelner Vorhaben, lediglich Gesamtsummen für vier sich grob an den Teilstreitkräften orientierende Bereiche werden aufgeführt.
In der ersten Version des Wirtschaftsplans waren zunächst rund 40 Projekte zu finden, die sich auf die Dimensionen "Land" (16,6 Milliarden Euro), "See" (8,8 Milliarden Euro), "Luft" (33,4 Milliarden Euro) und "Führungsfähigkeit/Digitalisierung" (20,7 Milliarden Euro) verteilten.
Hinzu kommen noch die Posten KI-Forschung (500 Millionen Euro) und Bekleidung (2,2 Milliarden Euro), womit sich die Gesamtausgaben zwar "nur" auf etwas über 80 Milliarden Euro summieren. Ergänzt wird dieser Betrag noch durch bereits beschlossene und bislang im "normalen" Verteidigungshaushalt verbuchte Posten, die nun in das Sondervermögen verschoben werden sollen, womit das Budget – eigentlich – ziemlich genau ausgeschöpft ist ("Land": 16,6 Milliarden Euro; "See": 19,3 Milliarden; "Luft": 40,9 Milliarden Euro; "Führungsfähigkeit/Digitalisierung": 20,7 Milliarden Euro).
In jedem Fall wäre bei solchen Summen eine kritische parlamentarische Kontrolle wünschenswert – und tatsächlich suggeriert das Begleitgesetz, so etwas sei vorgesehen:
Der Deutsche Bundestag wählt für die Dauer einer Wahlperiode ein Gremium, das aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages besteht. Der Deutsche Bundestag bestimmt die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise. Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf sich vereint.
Hierüber konnte sich dann eine ganz große Rüstungskoalition aus SPD, Grünen, FDP und Union bei ihrer Abstimmung Ende September 2022 darüber verständigen, wen sie in diesem Gremium haben wollten – ihre sämtlichen Vertreter:innen – und wen eben nicht: u.a. die Abgeordnete der Linken, Gesine Lötzsch.
So dürfte sichergestellt sein, dass aus diesem Kreis keinerlei rüstungskritischen Stimmen zu hören sein werden, was angesichts der saftigen Kritik, die nun vom Rechnungshof kam, umso problematischer ist.
Rechnungshof: "Nicht nachvollziehbar"
Bereits Anfang September 2022 bestätigte das Fachportal Europäische Sicherheit & Technik den "lebendigen" Charakter des Wirtschaftsplans, der bereits zu diesem Zeitpunkt deutlich von der ersten dem Begleitgesetz angehängten Version abwich.
Das Verteidigungsministerium hat nach den Worten der Amtschefin Christine Lambrecht bereits 65 Vorhaben identifiziert, die aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr finanziert werden sollen. Davon seien 41 bereits haushalterisch "ganz klar abgesichert" und könnten jetzt zum Vertragsschluss gebracht werden, sagte die Verteidigungsministerin.
Europäische Sicherheit & Technik
Die Zahl der Projekte war also innerhalb weniger Monate nicht nur sprunghaft gestiegen, sie überstiegen nun auch das Gesamtvolumen des Sondervermögens, was nun eben auch Gegenstand der Kritik des Rechnungshofes ist. Er moniert einmal die unübersichtliche und intransparente alleinige Aufführung von Sammeltiteln ("Land", "See"…), die es ermögliche, Ausgaben innerhalb dieser Riesenposten nahezu beliebig hin und her schieben zu können.
Vor allem rügen die Rechnungsprüfer aber in ihrem Bericht an den Haushaltsausschuss, der unter anderem der FAZ zugespielt wurde, die nassforsche Überschreitung des Sondervermögen-Budgets:
Der Wirtschaftsplan für das "Sondervermögen Bundeswehr" weise erhebliche Mängel auf und bedürfe einer grundlegenden Überarbeitung, mahnt der Bundesrechnungshof. […]
Das Ministerium von Christine Lambrecht (SPD) habe 60 Ausrüstungsvorhaben identifiziert, die es mithilfe der Kreditermächtigungen finanzieren wolle. Wie das Ministerium in den laufenden Haushaltsberatungen eingestanden habe, würden aber schon die Gesamtausgaben für die bereits eingeplanten 40 Vorhaben der Bundeswehr den Rahmen von 100 Milliarden Euro überschreiten. Es sei deshalb "nicht nachvollziehbar", so die Rechnungsprüfer, wie bislang nicht eingeplante Vorhaben aus dem Sondervermögen Bundeswehr finanziert werden sollen.
FAZ, 9.10.2022
Ferner kritisierte der Rechnungshof auch, dass das BMVg keine Puffer für durch Inflation und höhere Zinsen steigende Beschaffungskosten vorsehe. Interessant ist auch der Verweis, das Ministerium habe zwar eine Überarbeitung des Wirtschaftsplanes bis zu der für Mitte November terminierten endgültigen Verabschiedung des Bundeshaushaltes 2023 zugesagt, gleichzeitig aber mehr oder weniger offen die Absicht bekundet, nicht ernsthaft etwas verändern zu wollen:
Wie das Verteidigungsministerium dem Bundesrechnungshof mitteilte, überarbeitet es aktuell gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium den Entwurf des Wirtschaftsplans. Die Kritik der Rechnungsprüfer wolle man ‚aufgreifen‘. Der Rechnungshof zeigt sich in seinem Schreiben an den Haushaltsausschuss jedoch skeptisch, inwieweit das Ministerium tatsächlich bereit ist, Abhilfe zu schaffen.
So blieben die Ausführungen zu den mangelhaften Strukturen des Wirtschaftsplans "vage". Auch hat das Ministerium bereits mitgeteilt, man beabsichtige die vom Rechnungshof als rechtswidrig erachtete Struktur von Sammel- und Einzeltiteln beizubehalten.
FAZ, 9.10.2022
Druck auf den Haushalt
Was treibt also das BMVg um, sich hier haushälterisch auf derart dünnes Eis zu begeben? Einiges, scheint die Absicht doch darin zu bestehen, trotz der bisherigen Beschlusslage, dass der offizielle Haushalt bis 2026 eingefroren wird, hierüber Druck zu erzeugen, auch an dieser Stelle den Etat aufzustocken. Der Spiegel dürfte hier den richtigen Riecher für das Kalkül des Ministeriums haben:
Der jetzt vorgelegte Plan des Wehrressorts wirkt, als ob man im Ministerium die kräftige Steigerung des Jahresetats als bereits beschlossen voraussetzt und Projekte startet, die mit den zusätzlichen Milliarden bezahlt werden sollen.
Spiegel Online, 11.10.2022
Aus BMVg-Sicht macht dieses Manöver durchaus Sinn: Bliebe es bei den gegenwärtigen Planungen, müsste das eigene Budget im Jahr 2027 von 55 Milliarden Euro (nach Nato-Kriterien) auf geschätzte 80 bis 85 Milliarden Euro angehoben werden, um auf zwei Prozent des BIP zu kommen. Und das müsste bei einer Einhaltung der Schuldenbremse auf Kosten eines Kahlschlags in anderen Haushalten geschehen.
Die Entscheidungen, ob es zu einer solchen Verstetigung der Zeitenwende kommen wird, dürften spätestens nach der Bundestagswahl im September 2025 getroffen werden. Dann ist das Sondervermögen aufgebraucht und die Frage einer dauerhaften Erhöhung der deutschen Militärausgaben um 25 bis 30 Milliarden Euro könnte im Raum stehen.
Doch bereits jetzt haben die üblichen Verdächtigen damit begonnen, der diesbezüglichen Debatte den Boden zu bereiten – das Institut der Deutschen Wirtschaft forderte beispielsweise schon Mitte August 20221:
Ab 2027 ist die Finanzierung zur Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels aber noch ungeklärt. Wenn das Sondervermögen bis dahin aufgebraucht ist und der Verteidigungshaushalt nicht erhöht wird, entsteht eine Lücke von rund 35 Milliarden Euro. Wenn diese nicht geschlossen wird, würde der Anteil am BIP auf rund 1,2 Prozent zurückfallen […].
Eine Klärung und eine entsprechende mittelfristige Finanzplanung ist nicht erst in der nächsten Legislaturperiode bedeutsam, sondern muss frühzeitig vorgenommen werden, um eine langfristige Planungssicherheit über 2026 hinaus zu erreichen. Ohne diese Verstetigung kann sich auch die Verteidigungswirtschaft nicht auf zukünftige Anforderungen einstellen. […]
Spätestens 2026 muss zur Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels ein um gut 60 Prozent vergrößertes reguläres Verteidigungsbudget zur Verfügung gestellt werden.
Allerdings versicherte Kanzler Olaf Scholz bei seiner Rede auf der Bundewehrtagung Mitte September, man stehe nicht nur ohne Wenn und Aber zum Zwei-Prozent-Ziel, sondern beabsichtige auch eine permanente Steigerung des Militärbudgets:
Bitte denken Sie nicht, dass das mit dem Sondervermögen jetzt nur eine Ausnahme ist und danach alles wieder so wird, wie zuvor. In den vergangenen knapp sieben Monaten seit Russlands Angriff auf die Ukraine ist bereits mehr geschehen als in den Jahren zuvor. Das Sondervermögen ist Realität. Auch meine Aussage, dass wir den Verteidigungshaushalt kontinuierlich auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern werden, gilt! Damit können Sie planen.
Olaf Scholz, Rede bei der Bundeswehrtagung, am 16.9.2022
Diese Aussagen einer "kontinuierlichen" Steigerung des BMVg-Haushaltes stehen in einem offensichtlichen Widerspruch zu den bisherigen Beschlüssen für die Jahre 2023 bis 2026. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass das BMVg hier Druck erzeugen will, um den Worten des Kanzlers auch Taten folgen zu lassen.
Ob der "Apparat" diese Gelder überhaupt absorbieren kann, scheint dabei allerdings kaum jemanden zu interessieren.
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