Sondervermögen der Bundeswehr: Kritik wird schärfer

Seite 3: Schwarzes Loch: Der Pfusch als Routine

Dass das Beschaffungswesen der Bundeswehr – vorsichtig formuliert – Mängel aufweist, ist weidlich bekannt. Die Defizite äußern sich in teils dramatischen Verzögerungen und Preissteigerungen, die sogar in regelmäßigen Berichten des Verteidigungsministeriums dokumentiert werden.

Im jüngsten Rüstungsbericht vom Juni 2022 wurden für sämtliche Beschaffungsvorhaben Verzögerungen von durchschnittlich 39 Monaten und Kostensteigerungen im Gesamtumfang von 16,9 Milliarden Euro ausgewiesen. Diese miserable Bilanz ist wohl kaum auf eine dennoch unentwegt herbeigeredete Unterfinanzierung der Bundeswehr zurückzuführen.

Schließlich stieg der Rüstungshaushalt von 32,5 Milliarden Euro (2014) auf jetzt 50,4 Milliarden Euro (2022) steil an. Dementsprechend gingen auch die Gelder für Rüstungsinvestitionen nach oben.

Waren im Jahr 2014 noch 3,82 Milliarden Euro für militärische Beschaffungen (plus Materialerhaltung (2,59 Milliarden), Betreiberlösungen (1,48 Milliarden) und Forschung und Entwicklung (854 Millionen) vorgesehen, wurden 2021 bereits 7,7 Milliarden Euro für diesen Posten bereitgestellt (plus Materialerhaltung (5,1 Milliarden), Betreiberlösungen (2,9 Milliarden) und Forschung und Entwicklung (1,6 Milliarden). Allein für rüstungsinvestive Maßnahmen sind 2022 nun 9,9 Mrd. Euro eingeplant, also noch einmal über zwei Milliarden mehr als im Vorjahr.

Von der fast sprichwörtlich gewordenen "chronischen Unterfinanzierung" der Bundeswehr kann also keine Rede sein. Eine der wenigen vernünftigen Stimmen, stammt in diesem Zusammenhang vom Friedensforscher Herbert Wulf2:

Es ist ein Mythos, dass die Bundeswehr schlecht ausgerüstet ist, weil sie zu wenig Geld bekommt. Mangelnde Finanzen sind nicht das eigentliche Problem, sondern verkrustete Strukturen bei der Beschaffung, strukturelle Defizite bei Entwicklung, Produktion und Beschaffung und erhebliche zeitliche Verzögerungen bei der Auslieferung der bestellten Waffen.

Ab diesem Jahr kommen nun auch noch die Gelder des Sondervermögens hinzu. In Addition von offiziellem Haushalt und Sondervermögen werden jedoch weder in diesem noch im kommenden Jahr die zwei Prozent erreicht – 2022 sollen lediglich 90 Millionen Euro aus dem Sondervermögen entnommen werden, im Jahr darauf werden nach aktuellen Planungen "nur" 8,5 Milliarden Euro zugeschossen.

Weil das Sondervermögen auf maximal fünf Jahre begrenzt sein soll, bleiben also für die Jahre 2024 bis 2026 über 90 Milliarden Euro, die zur Verfügung stehen – das heißt, zusätzlich rund 30 Milliarden Euro jährlich für Aufrüstungsvorhaben jedweder Art, plus eventuelle Steigerungen des offiziellen Etats, auf die das BMVg aktuell drängt.

Hier stellt sich nicht nur für friedensbewegte Kreise ernsthaft die Frage, wie das bereits heute heillos überfordere Beschaffungswesen solche Summen "verschaffen" möchte. In einer für Greenpeace erstellten Studie gelangte Michael Brzoska, Professor em. des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, im Mai 2022 zu dem Ergebnis, das marode Beschaffungswesen würde auch für das Sondervermögen Mehrkosten von 35 Prozent bis 54 Prozent verursachen, zwischen 26 Milliarden Euro und 35 Milliarden Euro würden so vollkommen verpuffen3:

Die Ursachen für Einschränkungen in der Wirtschaftlichkeit der Beschaffung von Großgerät sind […] vielfältig. Zu den wichtigsten Gründen zählen Nebenziele beteiligter Akteure, überbordende Erwartungen in die technischen Fähigkeiten von Waffensystemen und Defizite in der Durchführung von Beschaffungsvorhaben.

Zentrale Folgen sind Kosten erhöhende Bevorzugung regionaler und nationaler Rüstungshersteller, geringe Ausnutzung von Vorteilen internationaler Zusammenarbeit, überlange Herstellungszeiten und damit steigende Herstellungskosten sowie zusätzliche Kosten durch Reparaturanfälligkeit und andere Mängel bei beschafften Waffensystemen.

Michael Brzoska

Zwar ist es durchaus fraglich, ob sich die reibungslosere Beschaffung von Rüstungsgütern tatsächlich als "Verbesserung" bezeichnen lässt, die bislang diesbezüglich in die Wege geleiteten Maßnahmen legen aber ohnehin kaum nahe, dass es dazu kommen wird.

Sicher gibt es auch darüber hinaus viele gute Gründe, der Zeitenwende skeptisch gegenüberzustehen (siehe "Die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sind nur der Anfang"). Die Tatsache allerdings, dass hier Unsummen in ein Schwarzes Loch gekippt werden, ist eine, die eigentlich auch abseits jeder parteipolitischen Couleur auf Kritik stoßen sollte.


Von Jürgen Wagner im Oktober 2022 erschienen:

Jürgen Wagner
Im Rüstungswahn
Deutschlands Zeitenwende zu Aufrüstung und Militarisierung
Neue Kleine Bibliothek 316, 212 Seiten, 16,90 EUR
ISBN 978-3-89438-791-4

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