Sonnenlicht einmal dimmen, bitte
"Geoengineering" ist der Versuch, den Strahlungshaushalt der Erde zu beeinflussen oder freigesetzte Treibhausgase der Atmosphäre wieder zu entziehen. Jetzt wurde ein riskantes Experiment in Schweden abgesagt
Das ist das neue Heilsversprechen: Im Kampf gegen die Klimaerhitzung soll die Menschheit auf neue Technologien setzen, mit denen die Temperatur weltweit herunter geregelt werden kann. Praktisch so wie bei einem Thermostat: Unter dem Begriff "Geoengineering" (auch Climate Engineering) werden Eingriffe in die Kreisläufe der Erde vorgenommen - beispielsweise um den Strahlungshaushalt des Planeten zu steuern. Der Weltklimarat definierte 2014 in seinem fünften Sachstandsbericht Geoengineering als "eine breite Gruppe von Methoden und Technologien, die darauf zielen, vorsätzlich das Klimasystem zu ändern, um die Folgen der Klimawandels abzumildern."
Ein Beispiel für Geoengineering startete 2009 im Südpolarmeer: Das deutsche Forschungsschiff Polarstern brachte 20 Tonnen Eisensulfat aus Auf einer Fläche von 300 Quadratkilometern sollte so das Algenwachstum angeregt werden: Dabei nehmen die Meereslebewesen Kohlendioxid auf und speichern dieses Treibhausgas nach dem Absterben; sie sinken vollgepumpt mit CO2 auf den Meeresboden herab. Das Experiment scheiterte allerdings, wie die Auswertung ergab: Statt der gewünschten Kieselalgen wuchsen Algenarten heran, die keine Schale besaßen - und so viel leichter von winzigen Planktonkrebsen gefressen wurden.
Dass der Ansatz funktionieren kann, bewies 2012 ausgerechnet ein US-Geschäftsmann vor der Küste Kanadas. Die Crew von Russ George brachte gleich 100 Tonnen Eisensulfat im Pazifik aus - diesmal mit Erfolg. Es entstand eine große Algenblüte die der Atmosphäre Treibhausgase entzog. Das der Geschäftsmann mit dem Einbringen des Eisensulfats gegen Gesetze wie das internationale Londoner Protokoll zur Verhütung von Meeresverschmutzung verstieß, schien ihm egal. 2013 feuerte ihn deshalb seine Firma.
Mit Schwefel beladene Heißluftballons
Geoengineering entstammt nicht den Köpfen irgendwelcher Spinner. Der Chemienobelpreisträger Paul Crutzen schlug beispielsweise 2001 vor, mit Schwefel beladene Heißluftballons in die Stratosphäre aufsteigen zu lassen, um sie dort zu verbrennen. An die dabei entstehenden Sulfate lagert sich Wasser an, so dass Schwefelaerosole entstehen, die Sonnenstrahlen ins All reflektieren und damit die Erwärmung der Erde abschwächen könnten.
Dass wir heute immer noch unbeschwert in den Wald laufen können, verdanken wir eben jenem Paul Crutzen: In den 1980er Jahren wies er nach, das menschengemachte Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) die Ozonschicht zerstören und ein Ozonloch erzeugen wodurch mehr zellschädigende Anteile der ultravioletten Strahlung auf die Erde treffen und Hautkrebs bei Menschen hervorrufen.
Mitte der 1990er Jahre wurden die FCKW verboten, seitdem schließt sich das Ozonloch langsam wieder. Am größten über Landfläche ist es in nach wie vor in Australien - und dort zeigt sich, wie groß die Gefahr ist, vor der Paul Crutzen warnte: Zwei von drei Australiern erkranken mindestens einmal im Leben an Hautkrebs, etwa 1.500 Menschen pro Jahr sterben daran.
Mit Kalkpartikeln Sonnenstrahlung reflektieren
Sollten wir also nicht schleunigst beladene Heißluftballons in die Stratosphäre aufsteigen lassen? Genau das will Frank Keutsch, Professor an der Harvard-Universität. "Stratosphärisch kontrolliertes Störungsexperiment" nennt sich sein Forschungsprojekt, mit dem größere Mengen Kalziumkarbonat in 20 Kilometer Höhe ausgebracht werden sollen. Keutschs Team will testen, inwieweit so weit oben verteilte reflektierende Partikel die Sonneneinstrahlung tatsächlich verringern. "Dabei geht es darum, das Sonnenlicht zurück ins All zu reflektieren, um die Erde abzukühlen", erklärt der Forscher.
Ursprünglich sollte im Juni der erste Ballon vom schwedischen Raumfahrtzentrum Esrange starten, wenige Kilometer von der norwegischen und der finnischen Grenze entfernt - auch das russische Staatsterritorium ist nicht weit. Der Start sollte zunächst nur erfolgen, um die Ballontechnik zu testen. Klappt alles, sollten in diesem Herbst, spätestens im kommenden Frühjahr dann die reflektierenden Partikel in der Stratosphäre ausgebracht werden. Doch daraus wird nun nichts. Die schwedische "Space Corporation" hat in der vergangenen Woche festgelegt, dass es keinen Start geben wird.
Damit war ein starker internationaler Protest erfolgreich, im Februar hatten mehrere NGOs einen offenen Brief an die Regierung verschickt, getragen unter anderem von Greenpeace, der Heinrich-Böll-Stiftung und den Friends of the Earth. Es gebe in der internationalen Wissenschaft bislang "keinen Konsens, inwieweit ein solcher Versuch angemessen ist".
Forscher wollen für den Ernstfall wissen, was sie tun
Die Probleme liegen auf der Hand: Was passiert, wenn das Experiment tatsächlich "erfolgreich" ist - sich der Strahlungshaushalt über Finnland, Russland oder Norwegen so verändert, das die Einheimischen ihre Lebensgrundlage verlieren? Wer haftet dafür, wenn das Experiment außer Kontrolle gerät? Auf der 10. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention beschlossen die Delegierten der UN-Staaten 2010 deshalb, Geoengineering solange zu unterlassen, bis eine umfassende wissenschaftliche Basis vorliegt, die sicherstellt, dass derartige Aktivitäten keinen schädigenden Einfluss auf Umwelt und Biodiversität haben können. Kleinräumige Forschungsarbeiten bleiben aber ausdrücklich erlaubt.
Das Pikante an dem Startverbot ist, dass Professor Frank Keutsch der Technologie selbst skeptisch gegenüber steht. "Ich teile diese Sorgen. Eingriffe ins Weltklima sind gefährlich", erklärte der Deutsche Anfang April in einem Interview. "Natürlich wäre es besser, wenn wir stattdessen den Ausstoß von CO2 rapide auf Null senken würden, aber stattdessen nimmt der Ausstoß von CO2 noch zu."
Das führe dazu, dass die Folgen der Klimaerhitzung immer größer werden und der öffentliche Druck auf die Politik zunehme. Keutsch: "In solch einer Situation könnte Climate Engineering überstürzt eingesetzt werden, weil es kaum andere Optionen gibt." Notwendig sei deshalb, die Technologie und ihre Nebenwirkungen jetzt zu erforschen. Dafür will er am "Ballon" bleiben.
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