Sorry Kinder, so geht es nicht weiter!

David Goeßmann

Die eingezäunte Schule am Europasportpark in Berlin, um Schutz zu bieten vor herabfallenden Fenstern. Bild: Gewi2021A / CC BY-SA 4.0

Die Schulen in Deutschland sind maroder, als wir uns eingestehen wollen. Es ist eine Krise mit Ansage. Wer aber über mehr Geld für Schulen nicht reden will, sollte auch über Reformen schweigen. Ein Kommentar.

Politiker:innen sprechen gerne von Reformen, weil es sich gut anhört. Man signalisiert damit: Missstände werden grundsätzlich angegangen und Dinge zum Besseren verändert.

Die Realität sieht meist anders aus. Als die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 2001 begann, die Rente zu reformieren, wurde sie tatsächlich abgewrackt. Die privaten Versicherungskonzerne frohlockten angesichts des Milliarden-Geldsegens, die meisten Bürger:innen hatten das Nachsehen.

Nun heißt es erneut, im Zuge des Bildungsgipfels: Wir brauchen eine Bildungs- und Schulreform. Sie wird angemahnt von Gewerkschaften und Bildungsexperten. Die Forderung ist aus einer Reihe von Gründen absolut berechtigt.

Auch die politisch Verantwortlichen, Parteien und Ministerien versprechen Reformen. Doch tatsächlich haben sie kein Interesse daran. Das kann man allein daran ablesen, dass die Bundesländer mehrheitlich dem gerade stattfindenden Bildungsgipfel fernbleiben. Die Unionsparteien sprechen abwehrend von "Showveranstaltung".

Und die unglücklich agierende Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) gibt Seifenblasen zum Besten. Konkrete Beschlüsse wurden erst gar nicht von dem von ihr einberufenen Treffen angepeilt. Den Vorwurf, dass die Ministerpräsidenten und, wie von einigen gefordert, der Kanzler nicht am Gipfel teilnehmen, lässt sie abtropfen. Es brauche Experten, um eine Basis für Reformen zu schaffen, nicht Politiker.

Dann lässt sie uns wissen, dass mehr Geld für den Bildungssektor die Probleme allein auch gar nicht lösen wird. Die Mittel müssten zielgerichteter eingesetzt werden. "Das Prinzip Gießkanne muss der Vergangenheit angehören."

Genau hier liegt aber die Krux und das politische Versagen seit Jahrzehnten. Denn Geld ist tatsächlich das Problem.

In der Bankenkrise, der Coronakrise, der ausgerufenen militärischen Zeitenwende kam niemand im politischen Establishment auf die Idee, den Unternehmen zu sagen, man müsse schlicht das Geld "zielgerichteter" einsetzen. Bei der Bildungs- und Schulkrise ist diese Haltung Standard. Wenn es um Schulgebäude, Lehrermangel, Förderbedarf und neue Lernmittel geht, dann ist Geld scheinbar gar nicht so wichtig. Dann wird Geld förmlich zum Tabu-Thema.

Und das hat die Schulmisere in vielen Teilen Deutschlands zum Dauerproblem werden lassen. Die Symptome sind allseits bekannt. Es gibt zu wenig Lehrer:innen, zu volle, oft nicht angemessen ausgestattete Klassen, zu wenig Förderangebote, und dazu kommen die vielen kaputten, maroden Schulgebäude.

Viele, die schulpflichtige Kinder haben, kennen die Probleme aus eigener Erfahrung. Mein Sohn geht auf eine Berliner Grundschule, die, seit er dort ist, Dauer-Baustelle ist: Erst wurde über vier Jahre der Schulhof aufgerissen (die Schüler:innen hatten in dieser Zeit praktisch keinen Platz zum Spielen), jetzt werden die Toiletten für zwei Jahre zu Klassenräumen umgebaut (seitdem gibt es mobile Toilettenhäuschen auf dem Schulhof), weil die Schule aus allen Nähten platzt.

Währenddessen sind moderne Luxus-Wohnkomplexe mit Eigentumswohnungen um uns herum wie Pilze aus dem Boden geschossen. Sie wurden in kurzer Zeit, von null auf hundert, fertiggestellt. Bei der Schule fehlte aber das Geld, um einfache Sanierungsaufgaben in angemessener Zeit zu erledigen.

Das Trauerspiel geht weiter. Die beiden weiterführenden Schulen in unserer Nachbarschaft, auf die unser Sohn nun gehen könnte, sind derart auf Verschleiß gefahren worden, dass sie nicht mehr betrieben werden können. Aber es gibt nur einen Ersatzstandort, um eine Sanierung parallel durchführen zu können.

Nun ging ein Wettbewerb los, wer die marodeste Schule sei, um Anspruch auf die Umsetzschule erheben zu können. Das Rennen machte die, bei der der letzte Sturm das an sich schon notdürftig geflickte Schuldach großflächig verwüstete.

Danach musste weiter geflickt, Netze gegen herabfallen Dachpfannen gespannt und ein großer Schornstein komplett abgebaut werden. Dafür musste die Schule einen Monat lang geschlossen werden. Das – und wohl kluges Agieren der Schulleitung – gab den Ausschlag für die Schulbehörde.

Die andere Schule, die in einem alten DDR-Plattenbau untergebracht ist, verlor nicht nur das Rennen um die Umsetzschule. Sie wurde gleich ganz aus dem Sanierungsförderprogramm genommen, auf unbestimmte Zeit, obwohl sie aufgrund der Baumängel eigentlich nicht mehr für Kinder und Lehrer:innen zumutbar ist.

So musste nach einem Brand die Schule zeitweilig geschlossen werden. Zudem drohen die kaputten Holzfenster aus den Rahmungen herunterzufallen. Das Gelände um das Schulgebäude wird daher seit einiger Zeit weiträumig abgesperrt, die Fenster der Klassenräume dürfen nicht mehr geöffnet werden. Die Eingangsbereiche sind mit Holzgängen gesichert worden, wie bei Baustellen.

Nach massiven, medial begleiteten Protesten sah sich die damalige Oberbürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), gezwungen, der Verlierer-Schule doch noch ein Angebot zu machen. Ein in Sanierung befindlicher Industriebau am Rande der Stadt soll nun die Schule aufnehmen. Die Schüler:innen müssen dafür eine dreiviertel Stunde mit der Bahn dorthin fahren.

Diese Schulposse findet statt im chiquen Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, mitten in der deutschen Hauptstadt, in einem der reichsten Industriestaaten der Welt. In anderen, weniger privilegierten Teilen Deutschland wird man solche Missstände vielleicht als Luxusprobleme bezeichnen wollen.

Nicht Kleckern, sondern Klotzen

Tatsächlich ist die deutsche Schulmisere gravierender, als sich das viele eingestehen wollen. So hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im September letzten Jahres eine Studie veröffentlicht, nach der in deutschen Schulen mehr als 45 Milliarden Euro investiert werden müssten, um sie zu sanieren. Immer mehr Kommunen seien betroffen, während die Energiekrise das Problem verschärfe.

Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage von Schulleitungen, in Auftrag gegeben vom Verband Bildung und Erziehung (VBE), fehlen hochgerechnet 32.000 bis 50.000 Lehrkräfte. 57 Prozent der Schulen gaben an, dass mindestens eine Stelle nicht besetzt werden konnte.

Die Zahlen der Kultusministerkonferenz (KMK), wonach nur rund 12.500 Lehrer:innen fehlen sollen, kritisieren der VBE und der Deutsche Lehrerverband als geschönt. Denn in vielen Bundesländern würden Stunden am Anfang des Schuljahres je nach Lehrermangel gestrichen, sodass der Bedarf nur auf dem Papier gedeckt sei. In manchen Ländern würden auch Eltern oder andere Nicht-Pädagogen als sogenannte Schulhelfer eingesetzt und in der Statistik als Lehrkräfte verrechnet.

Der Mangel ist keineswegs neu oder vom Himmel gefallen. Schon auf meinen Schulzeugnissen aus den 1980er-Jahren ist über diversen Fächern immer wieder der Stempelaufdruck zu lesen gewesen: "Wegen Lehrermangel nicht erteilt". Die Geburtenraten geben zudem sehr exakt an, was in Hinblick auf Schulen auf uns zukommen wird.

Sanierungen wurden über Jahrzehnte verschlafen. Kultusministerkonferenzen und Bildungsgipfel haben daran nichts geändert. Viele Worte wurden in vielen politischen Reden gewechselt, hehre Bekenntnisse zur Bildung ausgesprochen. Was fehlte waren die entsprechenden konkreten Taten, um Vorsorge zu leisten.

Zugleich wird die Verantwortung für die Misere ständig auf andere abgewälzt. Die Parteien schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. "Bürokratisierung", starre Strukturen und der Föderalismus müssen immer wieder als Buhmänner herhalten.

Wenn dann mal über mehr Geld geredet wird, verweisen die Schulbehörden auf die Landesregierung, das Land auf die vom Bund verankerte Schuldenbremse, der Bund auf den Maastricht-Vertrag der EU, der der Neuverschuldung der Mitgliedsstaaten enge Grenzen setzt.

Aber das sind Ausflüchte. Geld ist genug vorhanden in Deutschland. Die Privatvermögen hierzulande sind enorm und konzentriert auf extrem reiche Schichten. So gehören nun inzwischen 1,63 Millionen Menschen zu den Personen in Deutschland, die über ein anlagefähiges Vermögen von mindestens einer Million Dollar verfügen. Rund 100.000 Menschen stiegen 2021 in diesen Bereich auf.

Über höhere reale Versteuerung von Spitzeneinkommen, eine Vermögenssteuer und die Austrocknung der Steuersümpfe könnten große Summen freigesetzt werden.

Auch braucht es endlich eine Diskussion darüber, ob wir wirklich jährlich Dutzende Milliarden fürs Militär und 50 Milliarden an fossilen Subventionen ausgeben wollen, anstatt große Teile davon u.a. für unsere Schulen und Kinder einzusetzen.

Und was die ins Grundgesetz aufgenommene Schuldenbremse angeht: Sie wird ständig für irrelevant erklärt. Bei der Finanzkrise ab 2008 und der Coronakrise 2020 wurde sie ausgesetzt. Beim 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr gab es sogar eine Änderung des Grundgesetzes, um die Schuldenbremse zu umgehen.

Die Auswirkungen der permanenten Unterfinanzierung sind vielfältig. In einer bundesweiten Umfrage geben zum Beispiel 78 Prozent der befragten Lehrer:innen an, dass sie die Mangelerscheinungen selbst zu spüren bekommen. Unterricht müsste ausfallen, Förderangebote würden gestrichen.

Das sei eine bedrückende Situation, wie eine Lehrerin sich ausdrückt: "Man fühlt sich machtlos in diesem System und das macht extrem wütend und traurig. Denn ausgetragen wird das Ganze auf dem Rücken unserer Kinder."

Der Mangel an Ressourcen bedeute, so die Aussagen vieler der befragten Lehrer:innen: erhöhter Stress, schlechte Stimmung in der Schule, mehr Krankheitsausfälle, das Gefühl, von den Behörden allein gelassen zu werden.

Die Kinder erhielten zugleich nicht die notwendige Betreuung. Leistungsabfälle, Wissenslücken und Disziplinprobleme wegen Lehrer-Hopping seien die Folge. Immerhin 43 Prozent der Befragten würden den Lehrerberuf daher nicht weiterempfehlen.

Um diese Zustände zu ändern, fehlt aber bis heute der politische Wille. Kinder, Lehrer:innen und Eltern, vor allem aus weniger privilegierten Schichten, sind scheinbar nicht genug wert, um die gravierenden Missstände an Schulen – Gott bewahre – mit Geld zu lösen.

Sicherlich, nicht alles lässt sich mit Geld lösen. Aber Lehrer:innen und Schulsanierungen brauchen Geld, viel mehr Geld.

Wer aber über mehr Geld für Schulen nicht reden will, sollte dann auch über Reformen schweigen.