Soziale Rendite: Warum sich Menschlichkeit auch finanziell rechnet

Andreas von Westphalen
In Spardose mit Doktorhutaufdruck werden 100 Euro gesteckt. Aus umgedrehter Spardose kommen 500 Euro

Investitionen in Soziales gelten oft als reiner Kostenfaktor. Doch Studien zeigen: Jeder Euro in Bildung und Kultur zahlt sich mehrfach aus. Wie hoch die Rendite tatsächlich ist.

Investitionen und Sondervermögen sind in aller Munde. Es gibt eine Vielzahl möglicher Investitionen, gerade im Bereich des Sozialen, der Bildung und der Kultur, die dringend notwendig wären, die sich aber nicht im Plan der Koalitionsgespräche wiederfinden, während massive Investitionen in der Aufrüstung geplant sind.

Eine Investition in die Waffenproduktion hat keinen weiterreichenden positiven wirtschaftlichen Effekt, weil diese neuen Anschaffungen für einen möglichen Einsatz geparkt und gewartet werden und im Gegensatz zu klassischen Investitionen in der Wirtschaft – wie beispielsweise neue Produktionsmaschinen – keine Gewinne in der Zukunft durch eine höhere Produktion einspielen werden. Aus wirtschaftlicher Sicht macht also eine Investition in Aufrüstung keinen Sinn.

Außer für die Firmen im Rüstungssektor. Zum Jahresbeginn 2022 lag beispielsweise der Aktienwert von Rheinmetall bei 81 Euro. Anfang April 2025 bei 1.350 Euro.

Ein Blick auf die Rendite des Sozialen

Investitionen in Soziales, Bildung und Kultur werden gemeinhin mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit zum Sparen abgelehnt. Vielmehr sind gerade diese Bereiche bekanntermaßen die ersten, wo der rote Stift angesetzt wird.

Da die sich bildende Regierung dringend sparen muss, darf man leider einmal mehr Entsprechendes erwarten. Bei möglichen Investitionen in Soziales, Bildung und Kultur werden hingegen so gut wie nie die zu erwartenden Staatseinnahmen in der Zukunft berücksichtigt.

Gleichsam so als seien die Investitionen in Kitas, Krankenhäuser und Schulen sympathisch, ein "nice to have" und ein feiner menschlicher Zug, aber hätten keinerlei wirtschaftliche Folgen.

"Social Return on Investment" heißt an dieser Stelle das Zauberwort. Studien über den wirtschaftlichen Ertrag von Investitionen im sozialen Bereich sind zwar aus leicht nach vollziehbaren Gründen extrem komplex und nicht widerspruchsfrei, weil sie zukünftige Gewinne wie Steuermehreinnahmen, Verringerung der staatlichen Unterstützung etc, aber öffnen eine wichtige und fast immer ausgeblendete Perspektive.

Erstaunlich: Die Ergebnisse zahlreicher Studien belegen, dass der Wunsch, Soziales, Bildung und Kultur zu fördern, keineswegs im Widerspruch zu einer gesunden und verantwortungsbewussten Politik stehen muss, die sich bestimmte Parteien gerne auf die Fahnen schreiben. Ganz im Gegenteil. Oftmals erzeugen diese Investitionen langfristig beeindruckende Mehreinnahmen für den Staat.

Soziale Möglichkeiten mit vielversprechender Rendite

Die nachfolgende Liste hat keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll schlicht einen ersten Eindruck für die Möglichkeiten schenken, dass Soziales, Bildung und Kultur nicht nur aus Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit wichtige Errungenschaften der gesellschaftlichen Entwicklung sind, sondern auch zentrale wirtschaftliche Faktoren darstellen.

Die angeführten Beispiele sollten ausreichen, um über die dringende Notwendigkeit über Investitionen in Soziales, Bildung und Kultur anders und differenzierter zu sprechen, als einzig und allein den Blick auf die Höhe der Ausgaben zu richten. Angesichts der hoch bedenklichen sozialen Situation in Deutschland ein dringend gegebenes Gebot.

Ein Blick ins Ausland

Vorab einige wichtige Studien und Erkenntnisse aus Großbritannien und den USA, die nur wenig Zweifel an dem Potenzial von Investitionen in Soziales, Bildung und Kultur lassen:

• Maßnahmen zur Armutsbekämpfung können sich weitestgehend selbst finanzieren. So lautete der Schluss einer britischen Studie im Jahr 2008.

• 13 Obdachlose nahmen im Jahr 2009 in London an einem Experiment teil. Die simple Grundidee: Sie erhalten eine persönliche Beratung und 3000 britische Pfund geschenkt. Das Resultat: 18 Monate später hatten mehr als die Hälfte (sieben von 13) der Obdachlosen wieder ein Dach über dem Kopf. Zwei weitere standen kurz davor. Auch alle anderen Teilnehmer hatten wichtige Schritte auf dem Weg ihrer persönlicher Weiterentwicklung geschafft. Bisher hatten die 13 Obdachlosen den Staat 450.000 Euro gekostet. Jährlich. Sogar der Economist kam zu dem Schluss, dass "die effizienteste Methode, Obdachlosen zu helfen, möglicherweise darin besteht, ihnen Geld in die Hand zu drücken".

• Das Perry Preschool Project läuft in den USA seit über 50 Jahren und ist damit "die am längsten laufende experimentelle Studie über ein frühkindliches Bildungsprogramm". Regelmäßig wird das Projekt von Wissenschaftlern untersucht. Auch nach 50 Jahren ist das Ergebnis ausgesprochen positiv:

Die Vorteile dieser Maßnahmen sind generationsübergreifend und von beträchtlichem Ausmaß. Über IQ und Bildung hinaus förderte sie die soziale Mobilität und die allgemeine Lebensqualität. (Das Perry Preschool Project) zeigt, wie solche Maßnahmen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen langfristige persönliche, gesellschaftliche und intergenerationelle Vorteile bringen können. Die Beweise sind eindeutig: Investitionen in hochwertige frühkindliche Bildung und elterliches Engagement können sich auch 50 Jahre später noch auszahlen.

Und welche Folgen hat das Projekt, wenn man einzig und allein eine wirtschaftliche Bewertung vornimmt?

Der wirtschaftliche Nutzen des Perry-Vorschulprogramms für die Gesellschaft betrug 244.812 US-Dollar pro Teilnehmer bei einer Investition von 15.166 US-Dollar pro Teilnehmer – 16,14 US-Dollar pro investiertem Dollar.

Sozialinvestitionen

Blicken wir zuerst auf beispielhafte Zahlen aus dem deutschsprachigen Raum im sozialen Bereich:

• Kinderarmut in Deutschland zu beenden, würde 20 – 24 Milliarden Euro kosten. Berücksichtigt man aber die Folgekosten von Kinderarmut, die eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung mit etwa 110 bis 120 Milliarden Euro beziffert, ergibt sich ein Einsparungs- und damit Gewinnpotential für das Land von 86 bis 100 Milliarden Euro.

• Förderung von armutsgefährdeten Kindern durch ein Angebot an Freizeitaktivitäten führt laut dem Forschungsergebnis des Kompetenzzentrum für Nonprofit-Organisationen und Social Entrepreneurship an der WU Wien zu einer Rendite von 21,27 Euro (pro investierten Euro).

• Im Hinblick auf den Gesundheitssektor zeigt eine Untersuchung von McKinsey, die wohl kaum linksextreme Tendenzen unterstellt werden kann, dass "jeder in Deutschland in Gesundheit investierte Euro würde sich um das 2,5-fache auszahlen". In der Folge könnten Deutsche im Jahr 2040 zehn gesunde Lebensjahre im Alter dazugewinnen.

Bildungsinvestitionen

• Eine Studie, die im Auftrag der GEW an der Universität Bielefeld erstellt wurde, schlussfolgert, dass jeder Euro, der in einen Kita-Platz investiert wird, eine volkswirtschaftliche Wertschöpfung durch ein höheres Familieneinkommen, mehr Steuereinnahmen und zusätzliche Beiträge für die Sozialversicherung in Höhe von 3,85 Euro erzielt.

• Die wissenschaftliche Untersuchung im Bergischen Städtedreieck (um Solingen und Wuppertal) kommt zum Ergebnis, die in Kindertagesstätten investierte Mittel durch Einkommens- und Bildungseffekte einen gesellschaftlichen Mehrwert von 4,7 bis 6,7 Euro je investiertem Euro generieren.

• Die ambulante Suchtberatung spart laut einer Studie in Bayern für jeden eingesetzten Euro rund 17 Euro an Folgekosten ein.

• Die Schuldnerberatung bringt – basierend auf einer Analyse der Sozialberatung für Schuldnerinnen und Schuldner des Caritasverbandes Frankfurt e. V. für jeden investierten Euro in die einen Gegenwart von 6,60 Euro ein.

Kulturinvestitionen

Kultur kann auch als konkrete Investition angesehen werden. Die Stadt Leipzig hat hierzu eine Studie bei der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Auftrag gegeben. Selbst in der pessimistischen Variante zahlten sich die Investitionen aus: pro einen Euro Kulturförderung bei 1,14 Euro bzw. 1,03 Euro. In der optimistischen Variante lagen die Werte: 1,75 Euro (Schauspiel), 2,04 Euro (Opernhaus).

"Startchancen-Programm"

Ein Förderprogramm von Bund und Ländern, das letzten August begonnen hat, investiert 20 Milliarden Euro über zehn Jahre an 4000 ausgewählte Schulen mit einem vergleichsweise hohen Anteil an armutsgefährdet Schülern.

Es ist das größte und langfristigste Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Ein Gutachten des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), das im Auftrag des Deutschen Komitees für die Kinderrechtsorganisation Unicef erstellt wurde, errechnete bereits Ende August, dass ein positiver gesamtfiskalischer Effekt von 56,3 Milliarden erzielt werden wird, selbst wenn nur die Hälfte der Bildungsziele erreicht werden sollte.

Ausgesprochen vielversprechende Renditezahlen, die das "Startchancen-Programm" zu einem guten Anfang machen. Das Fazit der IW:

Eine Ausweitung des Startchancen-Programms auf mehr Kinder lohnt sich damit nicht nur sozial- oder bildungspolitisch, sondern auch aus ökonomischer und fiskalischer Sicht.

Leider fehlt offenbar der Mut, deutlich offensiver zu investieren. Würde das Programm auf 40 Prozent der Schulen in Deutschland ausgeweitet, würde der Nettoeffekt sogar auf 102,4 Milliarden Euro steigen.

Spiegel Online kritisiert:

Kritiker monieren schon länger, dass das Startchancen-Programm zwar grundsätzlich ein richtiger Schritt sei, aber zu klein, um die immensen Herausforderungen im Bildungsbereich zu bewältigen.

Dazu kommt, dass Gelder, die die Bundesländer schon bisher in Fördermaßnahmen in »Schulen in sozial herausfordernder Lage« investieren, auf ihren Beitrag zum Startchancen-Programm anrechnen lassen können. Diese Mittel werden also nicht zusätzlich investiert. Politische Pläne, das Programm auszuweiten, sind bisher nicht bekannt.

Sparkurs ist Devise einfältiger Politik

Gabriele Heller untersuchte auf Telepolis die Entwicklung der deutschen Bildungspolitik. Ihre Übersicht der entscheidenden Veränderungen belegt leider sehr überzeugend, dass man vergeblich auf die Konsequenzen des erfolgreichen "Startchancen-Programm" wartet.

Sie schreibt:

Im laufenden Schuljahr kam es zu folgenden Maßnahmen:

• Die Brennpunktzulagen für Pädagogen sind ersatzlos gestrichen.

• Das Berliner Bonusprogramm, vom Leibniz-Institut wissenschaftlich begleitet, schrieb sich auf die Fahnen, den Einfluss familiärer Herkunft für den Bildungserfolg zu verringern. Es wurde kurzfristig massiv gekürzt. Für 33 von 218 Schulen entfallen die Mittel sogar komplett. Engagierten Sozialarbeitern musste vielfach urplötzlich gekündigt werden.

• In den neuen Zumessungsrichtlinien ab dem Schuljahr 2025/26 wird die verlässliche Grundausstattung nur noch pauschal pro Kopf berechnet. Alle Schulen erhalten für Sprache, Lernen und emotional-soziale Entwicklung unabhängig von dem tatsächlichen Bedarf 0,16 Stunden pro Schüler zur sonderpädagogischen Förderung. Wer die unterschiedlichen schulischen Bedingungen kennt, dem stößt das auf. Grundschulen in schwierigem Umfeld haben nicht selten in einer Klasse acht und mehr Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf der oben genannten Kategorie. Während in Klassen aus Schulen in besserer Lage oft nur ein Kind sitzt. Es gibt zwar die Möglichkeit, mehr Stunden zu beantragen, aber das führt zu mehr bürokratischem Aufwand und planerischer Unsicherheit. Trotz der geharnischten Kritik des Fachbeirats für Inklusion hält die Berliner Bildungssenatorin an ihrer Reform fest.

• Hinzu kommen massive Kürzungen der außerschulischen Kinder- und Jugendhilfe. Wichtige Kooperationspartner für Schulen verschwinden. Gerade in Stadtteilen mit sozialen Brennpunkten zerstört das mühsam aufgebaute Präventions- und Unterstützungsstrukturen. Familien verlieren wichtige Vertrauenspersonen, Kinder wichtige Beziehungspartner. Schulen werden diese Löcher nicht stopfen können. Schon jetzt ist die Aufgabenlast für schulische Pädagogen nicht bewältigbar.

Stattdessen ist Militär-Keynesianismus angesagt und mit einem Doppelwums gekürzt und beherzt alle Studienergebnisse über mögliche Sozialrenditen ignoriert und exakt das Gegenteil dessen gemacht, was sich in jeder Hinsicht bei gesundem Menschenverstand aufdrängt.

Politik mit Verantwortung für die Zukunft

Wäre es nicht gerade in Zeiten sich anbahnender Krisen dringend notwendig, dass sich der Staat als Gestalter der Zukunft versteht, als "Mission State" (Mariana Mazzucato) und insbesondere in die Bereiche investiert, die für eine gesunde Gesellschaft notwendig sind und die kurz vor dem Kollaps stehen?

Vor allem dann, wenn offensichtlich der Verweis auf die Notwendigkeit des Sparens viel zu kurz gegriffen ist und der Blick auf die steigenden Einnahmen in der Zukunft die Investitionen auch in wirtschaftlicher Hinsicht mehr als rechtfertigt? Wäre es nicht an der Zeit, dass die Politik die Forschungsergebnisse der letzten Jahre berücksichtigt?

Gerade in der Gestaltungsphase der Koalitionsgespräche wäre eigentlich hierfür die Zeit. Leider hört man jedoch hiervon kein Sterbenswörtchen. Dafür bräuchte es einen politischen Gestaltungswillen, der in längeren Zeiträumen denkt, als bis zum nächsten Wahltermin.

Dafür bräuchte es Politiker, die bereit sind, heute zu investieren, auch wenn die Möglichkeit besteht, dass die Ernte der Saat in der Zukunft eingefahren werden, wenn sie selber vielleicht nicht mehr an der politischen Macht sind. Kurz: Politiker mit Gemeinsinn und Blick für das Wohl der Gesellschaft.

Literatur:

  • Rutger Bregman: Utopien für Realisten
  • David Richard Precht: Anna, die Schule und der liebe Gott