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Sozialneid nach unten

Geplantes Bürgergeld begünstigt Hetzkampagne gegen Arme. Medien spielen unrühmliche Rolle. Warum sich für Leistungsempfänger die Lage sogar verschlechtern könnte.

Armut ist nicht ansteckend, davon Betroffene werden in einer so wohlhabenden, wenn nicht reichen Gesellschaft wie der unseren dennoch oft wie Aussätzige behandelt. Von großen Teilen der Mehrheitsbevölkerung verachtet und von den Massenmedien verächtlich gemacht zu werden, trifft sie manchmal härter, als wenig Geld zu haben, und ist mitverantwortlich für ihre gesundheitlichen, psychischen und Suchtprobleme.

Besonders häufig instrumentalisieren die Boulevardpresse und private Fernsehsender das Thema "Sozialmissbrauch", um die Transferleistungsbezieher in Verruf zu bringen. Das war schon bei dem am 1. Januar 2005 eingeführten, im Volksmund als "Hartz IV" bezeichneten Grundsicherungssystem der Fall und scheint sich bei dem von der Ampel-Koalition für das kommende Jahr geplanten "Bürgergeld" zu wiederholen.

Hartz IV und die Medien

Klagen über die angeblich mangelnde Arbeitsbereitschaft von Transferleistungsbezieher:innen sind nichts Neues. Personen, die ein Boulevardblatt als "Sozialbetrüger" entlarvt zu haben glaubte, wurden von ihm mit einprägsamen Spitznamen wie "Florida-Rolf" oder "Viagra-Kalle" belegt, manchmal regelrecht vorgeführt und gleichzeitig zu "guten Bekannten" der Leser:innen gemacht.

So berichtete Bild im Sommer 2003, als sich Hartz IV im Gesetzgebungsprozess befand, nicht weniger als 19-mal über Rolf F., einen 64-jährigen Deutschen, der als suizidgefährdeter Ex-Banker in Miami (Florida) von Sozialhilfe lebte. Am 16. August 2003 lautete der Bild-Aufmacher: "Sind die völlig bescheuert? – Sozialamt zahlt Wohnung am Strand in Florida!"

Da die rot-grüne Koalition eine Gesetzesänderung in Angriff nahm, um die Zahlung von Sozialhilfe ins Ausland zu unterbinden, zogen auch seriöse Printmedien nach. "Schluss mit Sozialhilfe unter Palmen" überschrieb der Weser-Kurier, die größte Bremer Lokalzeitung, am 3. September 2003 eine dpa-Meldung.

Hartz IV markierte eine historische Zäsur in der Entwicklung des Sozialstaates. Ohne mediale Diskurse über die "Trägheit" der Erwerbslosen, den "massenhaften Missbrauch von Sozialleistungen" und die angebliche Unfähigkeit der staatlichen Arbeitsverwaltung, diesen Problemen zu begegnen, wäre das Gesetzespaket womöglich gar nicht durchzusetzen gewesen.

Seinerzeit bestimmte ein Narrativ die medialen Debatten und prägte die öffentliche Meinung, in dem sich die Kritik am überkommenen Sozialstaat mit der Verleumdung von ihm traditionell besonders abhängiger Bevölkerungsgruppen sowie dem Ruf nach einem härteren Durchgreifen gegenüber "Arbeitsscheuen", "Drückebergern" und "Faulenzern" verband.

Am 6. April 2001 sprang die Bild-Leser:innen auf der Titelseite des Boulevardblatts das mit den Worten "Kanzler droht Drückebergern" erläuterte Zitat "Es gibt kein Recht auf Faulheit" von Gerhard Schröder an. In dem auf der nächsten Seite abgedruckten Interview konkretisierte Schröder seine Forderung, dass nicht auf Solidarität hoffen dürfe, wer arbeiten könne, aber nicht wolle:

Wer arbeitsfähig ist, aber einen zumutbaren Job ablehnt, dem kann die Unterstützung gekürzt werden. Das ist richtig so. Ich glaube allerdings, dass die Arbeitsämter die entsprechenden Möglichkeiten noch konsequenter nutzen können.

Nach diesem unverhohlenen Aufruf zu mehr Härte im Umgang mit "Faulpelzen" unter den erwerbsfähigen Transferleistungsbezieher:innen wurden diese im medialen Mainstream erst recht zu Sündenböcken für gesellschaftliche Fehlentwicklungen, ökonomische Krisenerscheinungen und politische Pannen gemacht.

Der damalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle gerierte sich in seinem "Hartz IV und die Frage, wer das alles zahlt: Vergesst die Mitte nicht!" überschriebenen Gastbeitrag in der Welt (11.2.2010) als politisches Sprachrohr der Mittelschicht, die in den vergangenen zehn Jahren von zwei Dritteln auf bloß noch gut die Hälfte der Gesellschaft geschrumpft sei: "Damit bröckelt die Brücke zwischen Arm und Reich. Eine Gesellschaft ohne Mitte fliegt auseinander, und der Politik fliegt sie um die Ohren."

Hart arbeitende Bürger bekämen weniger Geld, als wenn sie die Grundsicherung für Arbeitsuchende in Anspruch nähmen:

Was sagt eigentlich die Kellnerin mit zwei Kindern zu Forderungen, jetzt rasch mehr für Hartz IV auszugeben? Wer kellnert, verheiratet ist und zwei Kinder hat, bekommt im Schnitt 109 Euro weniger im Monat, als wenn er oder sie Hartz IV bezöge.

Mit solchen Zahlen, die irreführend waren, weil niemand, der arbeitet, unter voller Ausschöpfung seiner Leistungsansprüche gegenüber dem Staat weniger als ein Grundsicherungsempfänger in derselben Familienkonstellation erhält, machten Westerwelle und zahlreiche Journalist:innen auf Stammtischniveau politisch Stimmung gegen den Wohlfahrtsstaat.

Ganz einfach "vergessen" wurden bei solchen Milchmädchenrechnungen meist staatliche Leistungen wie das Wohngeld und der Kinderzuschlag, die Geringverdiener:innen, aber eben nicht Arbeitslosengeld-II-Bezieher:innen erhalten (können), und/oder das Kindergeld, welches Grundsicherungsempfänger:innen zwar wie alle übrigen Bürger:innen mit Nachwuchs im entsprechenden Alter erhalten, aber im Unterschied zu diesen nicht behalten können, weil das Jobcenter es auf die Transferleistung anrechnet, d.h. sofort wieder davon abzieht.

Allerdings beantragten viele Geringverdiener:innen weder das ihnen zustehende Wohngeld noch den Kinderzuschlag, wie ihnen auch die Information fehlte, dass sie als Erwerbstätige "aufstockend" Grundsicherungsleistungen in Anspruch nehmen konnten und zusammen mit ihrem Lohn bzw. Gehalt, das nur teilweise auf das Arbeitslosengeld II angerechnet wurde, mit Sicherheit ein höheres Einkommen hätten als Langzeiterwerbslose, also nicht erwerbstätige Arbeitslosengeld-II-Bezieher:innen.

Dafür sorgen nämlich die Hinzuverdienstregelungen, der Grundfreibetrag für Erwerbseinkommen und die bruttolohngestaffelten Freibetragssätze bei Hartz IV.

Die von Westerwelle losgetretene Kampagne war auf Polarisierung angelegt, hetzte Niedriglöhner:innen gegen Erwerbslose auf und suchte die breite Mehrheit der Steuerzahler:innen hinter sich zu versammeln. Zugleich schürte Westerwelle den für Berichte der Boulevardmedien über die "faulen Armen" typischen Sozialneid nach unten.

So machte Bild am 22. Oktober 2010 mit der Frage "Macht Hartz IV faul?" auf. Der Untertitel "Für immer mehr Menschen lohnt es sich nicht mehr zu arbeiten" bildete das Leitmotiv ungezählter Presseartikel, die den "Um-" bzw. Abbau des Sozialstaates flankierten und eine drastischere Kürzung von Transferleistungen propagierten.

Bürgergeld – eine Belohnung fürs Nichtstun?

Seit die Ampel-Koalition ihr "Bürgergeld", mit dem sie Hartz IV am 1. Januar 2023 ablösen will, auf den parlamentarischen Instanzenweg gebracht hat, geistert erneut das Gespenst paradiesischer Zustände für Sozialleistungsbezieher:innen durch die (Medien-)Öffentlichkeit der Bundesrepublik.

Schon am Tag, bevor das Bundeskabinett am 14. September 2022 den Referentenentwurf des Arbeits- und Sozialministeriums mit unwesentlichen Änderungen beschloss, erschien ein Bild-Artikel von Albert Link unter der Überschrift "Wer arbeitet, ist künftig der Dumme", der eine Aussage von Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, in der Rheinischen Post (12.9.2022) aufgriff, wonach das Bürgergeld das Nichtarbeiten für mehr Menschen lohnender als das Arbeiten macht:

Es sorgt für Demotivation bei denjenigen, die mit einem geringen Gehalt regulär arbeiten. Am unteren Ende verschwimmen immer mehr die Grenzen zwischen regulärer Arbeit und dem Bürgergeld.

Dass dies gerade wegen der gegenwärtigen Energiepreisexplosion und der Inflation eher für die Erhöhung von Löhnen als für eine Beibehaltung (zu) niedriger Transferleistungen des Staates spricht, kam dem Unternehmer, vielbeschäftigten Verbandsfunktionär, Mehrfach-Aufsichtsrat und CDU-Politiker Wollseifer gar nicht in den Sinn.

Wie allgemein üblich illustrierte Link seine Behauptung mit einem Rechenbeispiel, das erhebliche Mängel aufweist: Eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern zwischen sechs und 13 Jahren erwarte ein Bürgergeld in Höhe von 1.598 Euro im Monat, während einem verheirateten und sozialversicherungspflichtig beschäftigten Berliner Maler mit zwei Kindern bestenfalls 1.967,12 Euro netto blieben, hieß es.

Weil dieser davon im Unterschied zu den Bürgergeld-Bezieher:innen noch Miete und Heizkosten tragen müsse, lohne sich für ihn das Aufstehen künftig nicht mehr, behauptete Link.

Auch von ihm wurden Sozialleistungen, die der Familie des Malers vorbehalten bleiben, also der Vergleichsfamilie im Bürgergeld-Bezug gar nicht gezahlt oder sofort wieder abgezogen würden (Kindergeld und Wohngeld), einfach weggelassen.

Zudem fand die Tatsache, dass der Maler und ggf. seine Angehörigen später eine Rente bzw. eine Hinterbliebenenrente erhalten können, weil er und sein Arbeitgeber paritätisch Beiträge in die Gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, wohingegen die Mitglieder der Familie im Bürgergeld-Bezug leer ausgehen, keine Erwähnung.

Einen Tag nach dem Kabinettsbeschluss ging die Bild-Kampagne gegen das Bürgergeld weiter. Unter dem Titel "Der große Stütze-Streit: Ist Hartz IV zu hoch oder (sind) unsere Löhne zu niedrig?", gab das Boulevardblatt eine falsche Antwort auf eine richtige und wichtige Frage.

Daneben war ein Artikel mit dem Zitat "Wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein" als Überschrift platziert. Es wurde einem Leipziger Maler namens Thomas Liederwald in den Mund gelegt, dessen Nettolohn mit 1.600 Euro angegeben war und der fortfuhr:

Warum müssen wir uns Pullover für den Winter kaufen und diejenigen, die das System ausnutzen, sitzen auf Kosten der Allgemeinheit im Warmen?

Unter der Überschrift "CDU-Expertin warnt: Das neue Hartz IV macht Clans noch reicher!" behauptete Gitta Connemann, Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, in der Bild-Zeitung (v. 17.9.2022), wer es geschickt anstelle, könne "sich in die Hängematte legen – und das in der schön beheizten Wohnung".

Die beiden Verfasser des Artikels kritisierten insbesondere, dass man das Schonvermögen erhöhe und eine größere Wohnung zulasse, was "den berüchtigten Clan-Familien in Großstädten wie Berlin und Köln" zugutekomme.

Allenthalben mutmaßt der Boulevardjournalismus, die im nächsten Jahr für Alleinstehende um 53 Euro erhöhte Transferleistung (Arbeitslosengeld II: 449 Euro im Monat; Bürgergeld: 502 Euro im Monat) sei derart großzügig gemessen, dass ihre Bezieher:innen nicht mehr arbeiten zu gehen bräuchten und trotzdem mehr Geld erhielten, als wenn sie es täten.

Es gibt jedoch ein schlagendes Argument gegen die These der "arbeitsscheuen" Erwerbslosen: Trotz eines unterhalb oder nur wenig oberhalb des staatlich garantierten Existenzminimums liegenden Einkommens befinden sich fast eine Million Menschen im Hartz-IV-Bezug, die gar nicht arbeitslos sind, sondern deren Lohn oder Gehalt so gering ausfällt, dass sie den Sozialtransfer als sog. Erwerbsaufstocker:innen ergänzend in Anspruch nehmen müssen, um leben zu können.

Noch immer übersteigt die Zahl der registrierten Arbeitslosen diejenige der offenen Stellen, was darauf verweist, dass sich die Massenerwerbslosigkeit schon rechnerisch nicht durch eine größere Arbeitswilligkeit von Bürgergeld-Bezieher:innen beseitigen ließe.

Zudem sind viele (Langzeit-)Erwerbslose aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen und psychosozialen Probleme überhaupt nicht in der Lage, einer Arbeit nachzugehen, die unter den heutigen Konkurrenzbedingungen erhebliche Leistungsanforderungen an sie stellt.

Allerdings rationalisieren viele Dauererwerbslose ihre Unfähigkeit, den gestiegenen Erwartungen der Personalchefs gerecht zu werden, indem sie so tun, als wollten sie mittlerweile gar nicht mehr arbeiten.

Die den öffentlichen Armutsdiskurs seit dem Spätmittelalter durchziehende Unterscheidung zwischen "würdigen" und "unwürdigen" oder sogar "nur scheinbar" Armen dürfte sich durch Einführung des Bürgergeldes stärker ausprägen, was angesichts der Stimmungsmache in den Massenmedien nicht verwundert.

Maßgeblich dazu beigetragen hat die Berichterstattung über Leistungsmissbrauch beim Arbeitslosengeld II, den es zweifellos gibt, weil alle – folglich auch soziale – Rechte, die man Menschen einräumt, zum Teil missbräuchlich, d.h. von Unbefugten in Anspruch genommen werden, aber eben nicht massenhaft, wie gemeinhin suggeriert wird.

Ist das Bürgergeld eine soziale Hängematte, in der sich gut liegen oder angenehm leben lässt?

Obwohl das Bürgergeld gegenüber Hartz IV mancherlei Verbesserungen und Erleichterungen für Arbeitsuchende mit sich bringt, ist zu bezweifeln, dass es "Faulenzertum", "Drückebergererei" und "Sozialschmarotzertum" fördert.

Denn im Kern bleibt die bisherige Grundsicherung für Arbeitsuchende weiter bestehen, wie im Folgenden gezeigt werden soll. So etwas wie Hartz IV light ist das Bürgergeld nur für materiell relativ gut gestellte und hoch qualifizierte Transferleistungsbezieher:innen, aber nicht für Menschen, denen man gemeinhin Faulheit oder Sozialbetrug unterstellt.

Hartz-IV-Abhängige im Langzeit- oder Dauerbezug, also die vermeintlich Arbeitsscheuen, haben von der Bürgergeld-Reform am wenigsten. Dagegen werden "Neukund:innen" der Jobcenter durch einen leichteren Systemzugang bessergestellt: Während einer zweijährigen "Karenzzeit" findet Vermögen bei der Bedürftigkeitsprüfung keine Berücksichtigung, sofern es 60.000 Euro und zusätzlich 30.000 Euro für jeden weiteren Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft nicht überschreitet.

Anschließend beträgt das Schonvermögen noch 15.000 Euro pro Person. Unberücksichtigt bleibt auch selbstgenutztes Wohneigentum, sofern eine bestimmte Quadratmeterzahl nicht überschritten wird.

Für die "Laufkundschaft" der Jobcenter, also Menschen, die aufgrund ihrer Qualifikation oder nach einer beruflichen Weiterbildung leicht vermittelbar sind und das Grundsicherungssystem schnell wieder verlassen, stellt das Bürgergeld gleichfalls so etwas wie Hartz IV light dar.

Weil dem Arbeitsmarkt heute im Unterschied zur Jahrtausendwende, als die Hartz-Gesetze entstanden, Fachkräfte fehlen, eröffnet man Menschen im Grundsicherungsbezug die Möglichkeit, sich stärker auf ihre berufliche Qualifizierung und Weiterbildung zu konzentrieren. Abgeschafft wird daher der Vermittlungsvorrang, welcher dafür sorgte, dass Schulbildung, Berufsausbildung und berufsabschlussbezogene Weiterbildung hinter einer Arbeitsaufnahme zurückstanden.

Die absurde Situation, dass Grundsicherungsbezieher:innen, deren Kind ein Gymnasium besucht, vom Jobcenter aufgefordert werden, es zwecks Übernahme eines Aushilfsjobs oder Beginn einer Lehre von der Schule zu nehmen, gehört damit hoffentlich der Vergangenheit an.

Die beim Bürgergeld steigenden, früher "Regelsätze" genannten Regelbedarfe basieren nicht etwa auf besonderer Großzügigkeit der Ampel-Koalition, sondern auf der vom Bundesverfassungsgericht geforderten zeitnahen Anpassung der Regelbedarfe an die Inflation, bleiben aber hinter anderen Vorgaben der Karlsruher Richter:innen zurück, die eine Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums sowie ein transparentes, sachgerechtes und schlüssiges Verfahren zur Ermittlung der Regelbedarfe gefordert hat.

Sanktionen werden – einem anderen Urteil dieses Gerichts folgend – bei Pflichtverletzungen auf den Abzug vom 30 Prozent des Regelbedarfs begrenzt. Trotzdem gibt es beim Bürgergeld wieder härtere Strafen, als sie das derzeitige Sanktionsmoratorium erlaubt. Dieses beschränkt sich nämlich auf einen zehnprozentigen Abzug von der Regelleistung bei Meldeversäumnissen.

Weder bei Hartz IV, noch beim Bürgergeld gilt ein Berufs- und Qualifikationsschutz. Leistungsbezieher:innen dürfen kein Jobangebot ausschlagen, ganz egal, welche Ausbildung oder welches Studium sie abgeschlossen und welchen Beruf sie vielleicht jahrzehntelang ausgeübt haben.

Die strengen Zumutbarkeitsregeln bleiben gleichfalls erhalten: Leistungsbezieher:innen müssen auch künftig Jobs annehmen, die weder nach Tarif noch ortsüblich entlohnt werden.

Man kann im Hinblick auf das Bürgergeld nicht von einem neuen oder gar neuartigen Leistungssystem sprechen, weil zwar mehr prozedurale Fairness praktiziert, allerdings keine Lohnersatzleistung nach Art der mit Hartz IV abgeschafften Arbeitslosenhilfe eingeführt wird.

Trotz seines wohlklingenden Namens ist auch das Bürgergeld als Lohnergänzungsleistung konzipiert, folglich nicht dazu gedacht, den laufenden Lebensunterhalt seiner Bezieher:innen und ihrer Familien auf einem akzeptablen Niveau zu sichern.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und das Buch Hartz IV und die Folgen veröffentlicht. Zuletzt ist von ihm Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona erschienen.


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