Späte Entdeckung der Menschenrechte

Seit Monaten ringt die internationale Gemeinschaft um eine Lösung der humanitären Katastrophe in Sudan, behandelt aber werden nur die Symptome der Krise

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Eine Million Binnenflüchtlinge, mindestens zehntausend Tote - die Bilanz des Konfliktes ("Mit Ruanda zu vergleichen") im westlichen Sudan ist verheerend. Erst auf den wachsenden Druck der Vereinten Nationen, Washingtons und nicht zuletzt der Afrikanischen Union hin hat die Regierung unter Präsident Omar al-Baschir in der Hauptstadt Khartum nun nachgegeben. Ende vergangener Woche erklärte sich das Regime bereit, gegen die arabischen Nomadenmilizen der Dschandschawids vorzugehen. Diese Milizen aus dem Norden des Landes waren im vergangenen Jahr nach Aussagen internationaler Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen an massiven Übergriffen auf die lokale Bevölkerung in der südwestlichen Provinz Darfur verantwortlich.

UN-Generalsektretär Kofi Annan bei seinem Treffen mit Sudans Präsidenten Omar al-Baschir in Khartum. Foto: UN/Eskinder Debebe

Nachdem in der vergangenen Woche sowohl der UN-Generalsekretär Kofi Annan als auch US-Außenminister Colin Powell in das afrikanische Krisenland gereist waren, um der Regierung in Khartum mit Sanktionen und Interventionen zu drohen, rief Präsident al-Baschir die Dschandschawid über Radio nun zur Waffenabgabe auf. International kündigte er eine "vollständige Mobilisierung" zur Entwaffnung der Milizen an. Die Regierung werde alle illegalen Gruppen, inklusive der Dschandschawid und lokaler Rebellengruppen "entwaffnen und der Justiz ausliefern".

Zweifelsohne ist das ein Erfolg. Was aber hat die "internationale Gemeinschaft" zum Eingreifen bewogen? Seit der Unabhängigkeit des Sudan 1956 wurde das Land von zwei Bürgerkriegen erschüttert, der zweite kostete von 1983 an schätzungsweise zwei Millionen Menschen das Leben. Das Engagement internationaler Bündnisse und ausländischer Regierungen hielt sich damals in Grenzen.

Auch die letzten US-Regierungen legten einen sehr unterschiedlichen Einsatz an den Tag. Das Interesse Washingtons stieg erst, als Ende der neunziger Jahre ausgedehnte Erdölvorkommen in Südsudan bestätigt werden konnten, es sollen bis zu 3 Milliarden Barrel sein. Ende August 1999 wurde daraufhin nach einem jahrelangen Abbruch der bilateralen Beziehungen mit Harry Johnston erstmals wieder ein Sondergesandter Washingtons nach Sudan entsandt. Auf Initiative der USA wurden nur wenige Wochen später, im September 1999, die IWF-Sanktionen gegen den Sudan aufgehoben. Fast zeitgleich zum Amtsantritt Johnstons verlies die erste Öllieferung einen sudanesischen Hafen gen USA.

Der derzeitige Konflikt in Darfur hat nur mittelbar ("Der Waffenstillstand muss überwacht werden") etwas mit den Ölvorkommen zu tun, trotzdem sind die Verbindungen nachzuweisen. Die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch etwa warf den internationalen Ölkonzernen Ende der neunziger Jahren eine Unterstützung von Zentralregierung und Rebellen vor. Die Konzerne hätten von Morden und Bombardierungen der Zivilbevölkerung gewusst, aber eine "Entscheidung für das Geschäft getroffen".

Neu eingetroffene Flüchtlinge im Camp Touloum. Foto: WFP/Nancy Palus

Bei dem Konflikt zwischen der Zentralregierung (im Norden) den Rebellen der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) (im Süden) ging es noch maßgeblich um den Zugang zu den Ölressourcen des Landes. Zwar ist dieser Konflikt inzwischen weitgehend beigelegt. Durch die Vertreibungen hunderttausender Menschen aus den südlichen Ölprovinzen - immerhin ein Gebiet von gut 200.000 Quadratkilometern - wuchsen durch die neuen Vertreibungen nun jedoch fast zeitgleich zur Beilegung der ersten Krise in Dafur die Konflikte an.

Schätzungen zufolge haben in Anbetracht der Flüchtlingsbewegungen gut 700.000 Sudanesen inzwischen keinen gesicherten Zugang zu Trinkwasser mehr. Vor allem aber ranken sich die jüngsten Konflikte als Konsequenzen aus Vertreibung und Krieg um den raren Ackerboden. Selbst im fruchtbaren Süden des Landes sind weite Teile des verbleibenden Ackerbodens nicht mehr bestellbar, weil sie durch Minen oder durch auslaufendes Öl unbrauchbar sind. Den Rest tut die Natur: Mit der nach Süden fortschreitenden Verwüstung müssen sich immer mehr Menschen die Anbauflächen teilen. Verschärfend kommt hinzu, dass die arabischen Dschandschawids, ursprünglich Viehzüchter, von der Zentralregierung über Jahre hinweg auf Kosten der dort sesshaften Bauern im Süden des Landes angesiedelt wurden. Der Umstand, dass die Nomaden muslimisch, die Bauern hingegen christlich orientiert sind, wurde zur Zuspitzung eines synthetischen Konfliktes benutzt - seine Ursache ist es nicht.

Sudanesische Frauen warten in Djoran, einem Lager im Tschad, auf die Verteilung von Lebensmitteln. Foto: UNHCR/H.Caux

An diesen sozialen Ursachen nun tragen internationale Akteure, staatliche oder private, eine kaum zu leugnende Mitschuld. Die sich zuspitzenden Landkonflikte sind schließlich seit Jahrzehnten bekannt, Hilfsprogramme wurden aber kaum etabliert. Selbst angesichts der eskalierenden Krise steht das tatsächliche Engagement der Politrhetorik nach. So beklagt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in einer seiner jüngsten Stellungnahmen, dass von notwendigen 46 Millionen Euro Nothilfe erst 14,5 Millionen Euro zur Verfügung stünden.

Tatsächlich entdeckten die beiden Hauptakteure UN und USA die humanitäre Katastrophe erst, als sie in den letzten Wochen zu einem regionalen Sicherheitsrisiko zu werden drohte. So beklagte die Regierung des Tschads, dass die Nomadenmilizen der Dschandschawids zunehmend Kämpfer im Nachbarland anwerben würden. Es ist kaum ein Zufall, dass erst in dieser Situation mit Sanktionen und militärischen Aktionen gedroht wird. So beweist der Fall Sudan einmal mehr, was Krisenforscher als ein Charakteristikum "neuer Kriege" in der Peripherie der Ersten Welt beklagen: Solange die Vertreibungen und Massenmorde regional begrenzt bleiben, also weder die Nachbarstaaten, noch die (ausländisch kontrollierten) Ölvorkommen bedrohen, bleiben Verletzungen der Menschenrechte eine innere Angelegenheit des jeweiligen Regimes.