Spanien: "König Juan Carlos hat den Putsch organisiert"
Es gab seit langem deutliche Hinweise darauf, dass man es am 23. Februar 1981 mit einem "Selbstputsch" zu tun hatte
Für die, die sich seit längerem mit der neueren spanischen Geschichte, dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie nach dem Tod des Diktators beschäftigt haben, haben die von Iñaki Anasagasti veröffentlichten Vorgänge vermutlich kaum noch Neuigkeitswert.
Doch was der ehemalige Parlamentarier nun am 38. Jahrestag der Vorgänge veröffentlicht hat, bestätigt das, was sich seit vielen Jahren immer stärker abgezeichnet hatte: Es war der spanische König, der vom Diktator Franco als sein Nachfolger bestimmt worden war, der hinter dem angeblichen Putsch am 23. Februar 1981 stand.
Deshalb titelt Anasagasti: "König Juan Carlos hat den Putsch organisiert." Er hat nun Aussagen des früheren Generalsekretärs des Königshauses publik gemacht: Sabino Fernández Campo bekleidete ab 1977 diesen Posten. Er hat gegenüber dem Parlamentarier Anasagasti Angaben über den Putschtag gemacht, die dieser nun veröffentlicht.
Die Aufzeichnungen machen klar, dass der König nicht sonderlich besorgt war, als der Sekretär ihm davon berichtete, die Guardia Civil habe bewaffnet das Parlament gestürmt. Der Sekretär war, ohne anzuklopfen, ins Königsbüro gestürmt, wo Juan Carlos und seine Frau am Radio hingen.
"Was passiert im Kongress, mein Herr?", fragte der Sekretär den Monarchen.
"Sabino, bitte reg dich nicht auf. Du bist ganz bleich!", gab der zurück.
"Mein Herr, es gab Schüsse", sagte der erregte Sekretär.
"Ich weiß, ich habe es gehört", erklärte Juan Carlos.
"Majestät, das ist sehr schlimm. Es kann Tote gegeben haben!", war Fernández Campo entsetzt.
Den König brachte das nicht aus der Ruhe. "Ruhe bewahren, Mann, Ruhe bewahren."
Im weiteren Verlauf klingelte das Telefon. Juan Carlos nahm ab und sagte: "Alfonso! Was ist los? Was waren das für Schüsse?"
Wie sich herausstellte, sprach er mit Alfonso Armada, einem der Putschisten. Der König fragte den General wegen der Schüsse: "Was soll diese Einschüchterung? Das war nicht vorgesehen!" Damit stellte Juan Carlos eigentlich schon klar, dass er über die Putschpläne unterrichtet war.
Er erbat sich einige Minuten Zeit und ordnete dann an, als General Armada erneut angerufen hatte, dass der "bis zu neuen Befehlen" auf seinem Posten bleiben solle. Der verstörte Sekretär rief daraufhin den Vertreter des Königshauses im Parlament an und der bestätigte ihm, dass alles "im Namen des Königs" geschehe. Das hatte der Putschist Tejero im Parlament erklärt. Der König überlegte, Armada ins Königshaus zu zitieren, weil es "Dinge gab, die nicht vorgesehen waren".
Es sollte ein Geheimnis bleiben, dass der König eingeweiht war. Im Laufe des Tages wurde der Sekretär dann überrascht, dass der König den Putsch feierte und darauf anstieß. Seinem verstörten Sekretär erklärt er: "Ich wusste es, ich wusste es!"
"Was wussten Sie, mein Herr?", fragte der nach. "Was passieren würde", fügte Juan Carlos an. Anasagasti hielt sich an das dem Sekretär gegebene Versprechen, die Aufzeichnungen nicht vor dessen Ableben zu veröffentlichen.
Das Bild des Königs "als Retter der Demokratie" werde aber zerstört, wenn die Aufzeichnungen veröffentlich werden, hatte Anasagasti dem königstreuen Sekretär mitgeteilt. "Gut, das ist wahr, aber zwischen der Geschichte, der Monarchie, dem König oder der Wahrheit, ziehe ich es vor, bei der Wahrheit zu bleiben. Es ist mein Gewissen", fügte der Sekretär mit 77 Jahren an.
Er starb vor 10 Jahren. Dem damaligen Parlamentarier wurde es erlaubt, Aufzeichnungen über die Vorgänge anzufertigen. Richtig ist aber auch, dass das Märchen vom "Retter der Demokratie" fast über die gesamte Zeit wirkte und der König so den Makel loswerden konnte, der vom Diktator bestimmte Nachfolger als Chef des Staates zu sein. Noch heute wird das Märchen fleißig kolportiert. So steht noch immer prominent am Anfang des Wikipedia-Artikels: "Der Putsch scheiterte am entschlossenen Auftreten des Königs Juan Carlos I."
Anders als für die Online-Enzyklopädie sind die nun veröffentlichten Aussagen keine wirkliche Neuigkeiten, sondern nur noch eine Bestätigung. Das hat verschiedene Gründe. Telepolis hatte immer wieder davon berichtet, dass zum Beispiel der Putschist Armada schon zum 20. Jahrestag des Putsches im spanischen Fernsehen erklärt hatte, dass der Putsch letztlich siegreich war, da das Land wieder auf seinen richtigen Weg gebracht worden sei.
Der "Selbstputsch" (span.: autogolpe) sei sogar mit Teilen der PSOE abgestimmt gewesen. Da der König eingeweiht war, bat ihn Armada in einem Brief darum, "den Inhalt unseres Gesprächs" vor Gericht verwenden zu dürfen.
Inzwischen kamen auch Depeschen über Wikileaks an die Öffentlichkeit, die der deutsche Botschafter in Spanien nach dem Putsch in die damalige Bonner Republik gekabelt hatte. Lothar Lahn zeigte sich erschüttert, dass Juan Carlos im Gespräch "weder Abscheu noch Empörung gegenüber den Akteuren" erkennen gab, sondern "vielmehr Verständnis, wenn nicht gar Sympathie" für die Putschisten zeigte. Denn die Aufrührer hätten "nur das gewollt, was wir alle erstrebten, nämlich Wiederherstellung von Disziplin, Ordnung, Sicherheit und Ruhe", sagte ihm der König.
Die von Anasagasti veröffentlichten Aussagen machen deutlich, warum sich der inzwischen abgedankte König so äußerte. Vor einigen Jahren hatte auch Pilar Urbano, die als Journalistin am Putschtag im Parlament war, mit Bezug auf den ehemaligen Regierungschef Adolfo Suárez nach dessen Tod veröffentlicht: "Für Suárez war mehr als klar, dass die Operation vom König ausging und in der Zarzuela (Königspalast) geboren wurde." Es habe eine heftige Konfrontation zwischen Suárez und dem König am Tag nach dem Putsch gegeben. "Du hast uns reingelegt", habe er dem Monarchen gesagt.
Man braucht in diesem Puzzle keine weiteren Teilchen mehr. Eigentlich ist mit der unautorisierten Biografie schon alles gesagt gewesen, welche die Katalanin Rebeca Quintáns einst unter dem Pseudonym "Patricia Sverlo" in Ardi Beltza veröffentlicht hatte, die heute frei zugänglich zum Herunterladen im Netz steht.
Vor 19 Jahren wurde in "Un rey, golpe a golpe" schon fast alles gesagt. Dass dieses Tabu-Thema damals angegangen wurde, dürfte erheblich zum ungesetzlichen Verbot des Verlags und der Recherchezeitschrift beigetragen haben. Interessant ist, dass das spanische Beispiel in der Türkei Schule gemacht und auch Erdogan 2016 einen Selbstputsch nach dem Vorbild von Juan Carlos inszeniert haben könnte, um seine Position zu sichern.