Spanien: Vom Musterschüler zum Sorgenfall?
Verfehlte Klima-, Wasser- und Energiepolitik stehen genauso in der Kritik der EU-Kommission wie ineffiziente Hochgeschwindigkeitsstrecken, Autobahnbau und Haushaltsdefizite
Nun hat die EU-Kommission einen neuen Prüfbericht für Spanien veröffentlich, der im Rahmen der Überwachung angefertigt wurde, der auch Spanien nach den Milliardenhilfen aus dem europäischen Rettungsschirm unterliegt. Zwar ergeht sich die Kommission auch in Lob über die "Stabilisierung", die in den letzten beiden Jahren gelungen sei, doch zeigt sie massive Ungleichgewichte auf.
Damit setzt sie sich ein Stück vom allgemeinen Lob ab, mit dem Bundeskanzlerin Merkel sich vor den Wahlen hinter den konservativen Regierungschef Mariano Rajoy gestellt hat (Merkel versucht mit Lob die Rettung des spanischen Regierungschefs Rajoy). So weist Brüssel unter anderem auf die weiter enorm hohe Arbeitslosigkeit von 21,6% hin. Angesprochen wird auch die steigende Gefahr, trotz Beschäftigung in Armut zu versinken. Angemahnt werden etliche Reformen. Insgesamt kann der Bericht vor den Parlamentswahlen am 20. Dezember als kalte Dusche für die regierende konservative Volkspartei (PP) gesehen werden, auch wenn die das ganz anders sieht.
Angesichts der laufenden Klimakonferenz wird in Bereichen, die im Zusammenhang des Umwelt- und Klimaschutzes stehen, dem Land ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. So geht auch die EU-Kommission klar davon aus, dass Spanien vereinbarte Klimaschutzziele verpassen wird. Es hat sich verpflichtet, bis 2020 die Emission des Klimagases Kohlendioxid (CO2) um 10% unter die Marke von 2005 zu drücken. Doch nach Vorhersagen, die auf realen Messungen basierten, würde der Ausstoß nur um 2% reduziert: "Wenn keine weiteren Maßnahmen zur Abschwächung der Emissionen bei Gebäuden, im Transport und in der Landwirtschaft ergriffen werden, wird das 2020-Ziel um neun Prozentpunkte verfehlt werden."
Allerdings meint die Kommission, dass Spanien, obwohl die Konservativen seit 2011 beim Ausbau der erneuerbaren Energien eine Vollbremsung hingelegt haben, das Ziel noch erfüllen könnte, 2020 insgesamt 20% seiner Energie nachhaltig zu erzeugen. Das ist aber nicht sicher, da nun sogar die Eigennutzung von selbst erzeugtem erneuerbaren Strom über eine "Sonnensteuer" praktisch unmöglich - weil unrentabel - gemacht wird. Deshalb erhebt auch hier Brüssel den Zeigefinger und fordert stattdessen die "Entwicklung des Eigenverbrauchs".
Da sogar rückwirkend die gesetzlich zugesicherten Vergütungen für die Einspeisung von Solarstrom mehrfach gekürzt wurden, haben viele Firmen, Banken und Investitionsfonds das Land verklagt, auf das Milliardenkosten zukommen können. So kommt auch die EU-Kommission nicht umhin, Spanien erneut zu ermahnen, "sorgfältig vorzugehen und das Vertrauen der Investoren wiederherzustellen", um das 2020-Ziel erfüllen zu können. Es sagt viel, wenn der große spanische Energieerzeuger das Land mit einer "Bananenrepublik" vergleicht, in das das Unternehmen nicht mehr investiert.
Brüssel weist zudem auf "Gefahren" hin, dass Spanien das 2020-Ziel verfehlt, "wenn sich das Wirtschaftswachstum wieder belebt". Dass es noch eine Chance hat, 2020 real 20% seiner Energie erneuerbar zu erzeugen, hat vor allem mit dem Ausbau bis 2010 zu tun, als Spanien noch vorbildlich war. Das ist aber längst Geschichte und unter den Konservativen ist das Land in die zweite Liga abgestiegen. Beachtet werden muss, dass der Energieverbrauch während der Krisen- und Rezessionsjahre seit 2008 zurückgegangen ist. Vor allem dadurch ist Spanien seinen Klimazielen näher gekommen.
Steigt das Wachstum aber, reicht der bisherige Anteil an erneuerbaren Energien längst nicht aus. Und das hat auch damit zu tun, dass ein guter Teil aus Wasserkraftwerken stammt. Die Angaben des Netzbetreibers REE zeigen, wie wegen der Dürre die Produktion derzeit in die Knie geht, während der Verbrauch steigt. Wurden 2014 mehr als 15% des Stroms über Wasserkraftwerke erzeugt, haben sie im laufenden Jahr bisher nur noch einen Anteil von gut 11%.
Wasserverbrauch übersteigt Ressourcen
Brüssel verweist überdies auf das strukturelle Defizit im Wasserhaushalt, weil die "Nachfrage die verfügbaren Ressourcen überschreitet". Wasser müsse recycelt und gespart werden, vor allem bei Hauptverbraucher Landwirtschaft. Und in diesem Bereich bezieht man sich in Brüssel auch auf mit EU-Mitteln geförderte Entsalzungsanlagen, die trotz enormer Trockenheit und den massiven Konflikten ums Wasser "klar nicht ausreichend genutzt" würden.
Damit umschreibt Brüssel diplomatisch, dass die praktisch gar nicht genutzt werden oder bisher nicht einmal in Betrieb gingen. Lokale Medien berichten, dass eine halbe Milliarde Euro allein in Valencia den Sand gesetzt wurden. Hier ist etwas Ähnliches entstanden wie im Bereich der zahllosen Kläranlagen, die mit EU-Fördergeldern gebaut wurden und verfallen (Spaniens trübe Klärgeschäfte).
Brüssel weist auch erneut auf die extreme Energieabhängigkeit des Sonnen-, Wind- und Wellenlands hin. Denn trotz enormer erneuerbarer Ressourcen importiere Spanien noch immer "73% seiner gesamten Energie", womit das Land weit über dem europäischen Durchschnitt liegt. Und so ist bei einer wirtschaftlichen Belebung absehbar, dass die Klimaschutzziele sogar noch deutlicher gerissen werden, wenn nicht massiv gegengesteuert wird, was nicht zu erwarten ist.
Ohnehin war Spanien schon bis zum Beginn der Krise Weltmeister bei Verstößen gegen die Vereinbarungen des Kyoto-Klimaprotokolls. Die Smog-Alarme in diesen Tagen in Madrid und in anderen Städten sind ein Hinweis darauf, dass die Emissionen schon mit der leichten wirtschaftlichen Erholung wieder zunehmen.
Kritik an der Infrastruktur- und Verkehrspolitik
Folgerichtig ist, dass Brüssel die Infrastrukturpolitik ebenfalls kritisiert und Reformen im Transportwesen einfordert. Die EU-Kommission erklärt, bei vielen Maßnahmen stehe nicht die Effizienz im Vordergrund, sondern der "geografische Zusammenhalt" der verschiedenen Regionen. Weiter würden Strecken für Hochgeschwindigkeitszüge und Autobahnen in Gebieten geplant und gebaut, in denen es kaum Verkehr und Bedarf gibt: "Die Effektivität zur Beschränkung potenzieller Verbindlichkeiten für die öffentlichen Finanzen, die aus Transport-Infrastruktur rührt, ist ungewiss."
Damit spielt Brüssel darauf an, dass sich Spanien nach China das zweitgrößte Netz an Hochgeschwindigkeitszugstrecken leistet. Dabei ist nach Studien keine der Strecken rentabel und zudem ist Spanien weiter eine Hochgeschwindigkeitsinsel, das mit dem französischen Netz nicht verbunden ist.
Eigentlich ist es Realsatire, wenn Brüssel nun lobend erwähnt, dass nun die Maßnahmen ergriffen worden seien, um die Rentabilität zu untersuchen, während immer neue Strecken vor den Wahlen eingeweiht werden. 55 Milliarden Euro sind schon in das Streckennetz geflossen, von denen ein guter Teil aus Brüssel kam.
Dass auch die Wartung dieser Infrastruktur ein kostspieliges Unterfangen ist, wird ebenfalls deutlich gemacht. Dabei verweist die Kommission auch auf das moderne Straßennetz. Diese Kosten haben schon diverse private Autobahnbetreiber in den Ruin getrieben, für die nun der Staat einspringt. Bis zu 4,5 Milliarden Euro könnte die Übernahme die Steuerzahler nach bisherigen Schätzungen kosten. Mit einem neuen Gesetz soll nun versucht werden, bei künftigen Pleiten die Kosten für die Staatskasse auf 50% der Kosten zu reduzieren.
Da überall Ausgaben anstehen und die Kommission auch Spanien die zu optimistischen Wachstumsprognosen nicht abnimmt und mit geringeren Einnahmen rechnet, berechnet die Kommission einen Fehlbetrag von etwa 13 Milliarden Euro von 2015 bis 2017. Demnach werde Spanien auch 2016 wieder das Defizitziel verfehlen. Eigentlich sollte das Land, nach mehrmaligen Erleichterungen, spätestens 2016 das Defizit wieder unter die Stabilitätsgrenze von 3% senken. Brüssel prognostiziert nun aber 3,6% und schätzt, dass wegen großer Ausgaben im Wahljahr das Defizit im laufenden Jahr sogar auf 4,7% ansteigen wird. Bisher war Brüssel von 4,5% ausgegangen, während Spanien 4,2% versprochen hatte.