Spanischer Regierungschef vor Gericht
Nach ehemaligen Ministern der konservativen Regierung muss nun auch Mariano Rajoy zur grassierenden Korruption aussagen
In Spanien sorgen seit Jahren viele Korruptionsskandale für Aufregung. "Púnica", "Lezo" und "Gürtel" sind nur drei der vielen Decknamen, unter denen viele Jahre Korruptionsermittlungen im Umfeld der konservativen Volkspartei (PP) unter Ministerpräsident Mariano Rajoy geheim geführt wurden. Und erstmals in der spanischen Geschichte muss nun am Mittwoch ein amtierender Regierungschef antreten und am Nationalen Gerichtshof aussagen. Rajoy und der Senatspräsident Pío García Escudero werden vor dem Gericht für schwerste Kriminalität allerdings nur als Zeugen vernommen.
Das hat auch damit zu tun, dass man in Spanien hohe Steuersummen pro Jahr hinterziehen muss, damit das überhaupt strafbar ist. Dazu wurde die Strafverfolgung durch eine illegale Steueramnestie - wie das Verfassungsgericht gerade feststellte - praktisch unmöglich gemacht. Darüber konnten die Betrüger ihre hinterzogenen Gelder für eine minimale Abgeltungssteuer von durchschnittlich 3% legalisieren. Zudem verjährt Steuerhinterziehung schnell nach vier Jahren, was eine personell dünn besetzte Justiz oft scheitern lässt. Und auch die illegale Parteienfinanzierung ist erst seit 2015 strafbar.
Auch darum geht es in dem Verfahren. Denn Rajoys rechte PP hat sich über Jahrzehnte illegal über Schmiergelder finanziert. Das hatte der ehemalige Schatzmeister Luis Bárcenas vor dem Ermittlungsrichter längst eingeräumt. Er sitzt mit weiteren 36 Politikern, Unternehmern und Familienmitgliedern in Madrid auf der Anklagebank. PP-Parteiführer, mit Ausnahme ehemaliger Schatzmeister, glänzen aber darauf durch Abwesenheit.
Die Blicke richten sich vor allem auf Bárcenas, der das Schwarzgeld in einer parallelen Buchführung verwaltet hat. Das Geld sei von "Baufirmen und anderen Unternehmen" gekommen, die dafür "im Gegenzug öffentliche Aufträge" erhielten, hatte er schon erklärt. Bárcenas hatte auf Schweizer Konten bis zu 48 Millionen Euro angehäuft.
Verhandelt wird nun über den zentralen Teil im großen "Gürtel"-Korruptionsskandal und auch nur über den Zeitraum von 1999 bis 2005. Auch in diesem Verfahren haben schon Angeklagte die Vorwürfe bestätigt und an der "Decke gezogen". So nennt man das in Spanien, wenn man zu den Vorgängen auspackt, um mit einer günstigeren Strafe davonzukommen. Unter dem Decknamen Gürtel wurden seit 2007 Ermittlungen geführt, da im Zentrum dieses Skandals der Unternehmer Francisco Correa steht. Correa heißt auf Deutsch übersetzt "Gürtel". Und Correa hat viele Deals abgewickelt, in denen Millionen in seine Taschen, in die korrupter Politiker und in die Kassen der PP geflossen sind.
Correa hat bereits gestanden, Bárcenas immer wieder "Millionen in seinem Haus oder in Genova" übergeben zu haben, womit er die PP-Zentrale in der Genova-Straße in Madrid meint. Und die ist sogar mit Schwarzgeldern renoviert worden, weshalb ein Ermittlungsrichter sie durchsuchen ließ, weil die PP geforderte Informationen nicht herausgab. Richter Ruz, der sich das getraut hatte, wurde inzwischen aber an ein Provinzgericht versetzt. Seinen Vorgänger ließ man suspendieren, setzte ihn selbst auf die Anklagebank und verurteilte ihn wegen Amtsmissbrauch sogar zu einem Amtsverbot.
Allein über das korrupte Gürtel-Netzwerk wurden mindestens 863 Millionen Euro aus öffentlichen Kassen abgezweigt
Besonders "wenn Wahlkämpfe anstanden", habe man Geld von ihm verlangt, berichtete Correa. Denn mit viel Schwarzgeld verschaffte sich die PP darin Vorteile und hebelte die demokratischen Gepflogenheiten aus. Zugegeben hat er das in einem abgetrennten ersten Verfahren. Darin wurden er und seine Mitarbeiter Álvaro Pérez und Pablo Crespo schon zu Haftstrafen von jeweils 13 Jahren verurteilt. Crespo war auch Organisationssekretär von Rajoys PP in Galicien, aus der beide stammen und in der Provinz Pontevedra politisch heranwuchsen. Crespo hatte einst in abgehörten Gesprächen seinen Anwalt angewiesen, gewisse Konten aufzulösen. Er sagte auch, dass die Buchhaltung seine Partei vor "große juristische Probleme" stelle.
Geschätzt wird, dass allein über das korrupte Gürtel-Netzwerk mindestens 863 Millionen Euro aus öffentlichen Kassen abgezweigt wurden. Die Summe könnte sich nach Ansicht der Ermittler noch deutlich erhöhen, da noch nicht alle Verflechtungen ausermittelt sind. Eingerechnet sind auch nicht die vielen Millionen im Púnica-Skandal oder Lezo-Skandal. Letzterer führte erst kürzlich dazu, dass der ehemalige PP-Präsident der Region Madrid Ignacio Gonzalez inhaftiert wurde.
Die drei Korruptionsfälle sind eng miteinander verflochten. Protagonisten und Vorgehensweisen überschneiden sich zum Teil. Es gibt aber darüber hinaus aber noch etliche weitere Fälle, die ermittelt wurden und werden. Ein Effekt davon ist, dass im Umfeld von Gonzalez nun auch der Chef des spanischen Fußballverbands aufflog. Auch Ángel María Villar und sein Sohn Gorka sitzen nun im Knast Soto de Real bei Madrid. Dort befanden sich schon Gonzalez, der ehemalige Chef des Unternehmerverbands, der Sohn des früheren katalanischen Regierungschef Pujol und etliche andere "VIP-Insassen".
Ins Rollen kam der Gürtel-Skandal, der zentral in den Regionen Madrid, Valencia und Galicien verortet ist, durch eine Anzeige von José Luis Peñas. Der war Stadtrat für die PP in Maradahonda (bei Madrid) und erstattete 2007 Anzeige. Zuvor hatte er versucht, "seine" Parteiführung von den Vorgängen zu unterrichten und darüber abzustellen. Doch in der Zentrale wollte man davon nichts hören: "Sie haben mich herausgeworfen", erklärte er.
Bargeld soll auch an führende PP-Politiker wie den jetzigen Regierungschef Rajoy geflossen sein
Auch Peñas war mit 260.000 Euro von Correa bestochen worden. Er war empört über die Vorgänge und unterfütterte seine Anzeige auch mit Aufnahmen, die er von Gesprächen in zwei Jahren mit Correa und anderen Korrupten gemacht hatte. Offen wurde darin von "Geschenken", "Provisionen" und "Gefälligkeiten" gesprochen, um an lukrative öffentliche Aufträge in der von der PP regierten Regionen und Städte zu kommen.
Auch er sitzt nun auf der Anklagebank. Der ehemalige PP-Politiker vermisst dort aber viele der eigentlich Verantwortlichen. Die PP habe zudem stets versucht, die "Ermittlungen auszuhebeln". Ihn habe sie auch mit einer "substanziellen Summe" zu kaufen versucht, womit er "ausgesorgt" gehabt hätte. Man habe ihm auch gedroht, damit er die Anzeige zurückzieht. Seine Forderung, dass Rajoy "wenigstens als Zeuge" aussagen muss, geht nun aber in Erfüllung.
Rajoy müsste aus verschiedenen Gründen allerdings längst auch angeklagt werden. So beschreibt Peñas, dass Rajoy in einem Interview zugegeben hatte, dass er Correa einst wegen seiner Machenschaften aus dem Parteisitz geworfen haben will. "Doch er ist seiner Verpflichtung nicht nachzukommen, jemanden anzuzeigen, der Delikte verübte." Deshalb müsste er eigentlich mindestens wegen Strafvereitelung angeklagt werden.
Aus den Schwarzgeldkassen sollen nicht nur Wahlkämpfe und Parteizentralen bezahlt worden sein, sondern es soll auch Bargeld - vorbei am Fiskus - an führende PP-Politiker geflossen sein. Das zeigt nicht nur die parallele Buchführung von Bárcenas, sondern der Senatspräsident hatte das sogar eingeräumt. Der Schatzmeister hatte auch detailreich in einem früheren Verfahren erklärt, dass er der früheren Generalsekretärin und heutigen Verteidigungsministerin María Dolores de Cospedal in Umschlägen Geld als "Zusatzlohn" überreicht habe. Nach dessen Unterlagen soll Rajoy die höchste Gesamtsumme erhalten haben.
Bárcenas hatte einst gedroht, die "Atombombe" platzen zu lassen, wenn er angeklagt würde. Rajoy forderte ihn per SMS auf "stark zu sein". Er schrieb weiter: "Luis, die Sache ist nicht einfach, aber wir tun, was wir können. Kopf hoch." Und tatsächlich wurde das erste Verfahren zunächst noch eingestellt. Als er dann aber doch inhaftiert wurde, packte er zum Teil aus, da seine Partei ihn offensichtlich zum Sündenbock stempeln wollte.
Auch deshalb muss Rajoy nun, wie frühere PP-Minister und Staatssekretäre, als Zeuge aussagen. Er wird aber ebenfalls behaupten, von all den Vorgängen nichts gewusst zu haben. Das klingt aber spätestens nach seiner Einlassung zu Correa mehr als merkwürdig. Bárcenas hatte das schon im Vorfeld ins Märchenreich verdammt. Als die Justiz 2009 offen die Vorfälle ermittelte, sei das "Programm" abgebrochen worden und die Praxis mit "Spenden", wie er die Schmiergelder nennt, eingestellt worden. Die verbleibende Summe sei "unter Rajoy und Cospedal" aufgeteilt worden, gab der ehemalige PP-Schatzmeister zu Protokoll.
Der regierenden PP gelingt es immer weniger, den Deckel auf den vielen Korruptionsskandalen zu halten. Dass gerade einer ihrer Vertrauten Selbstmord begangen hat, zeigt die Erosion. Selbst hochstehende Persönlichkeiten, wie der ehemalige Skandal-Bankchef Miguel Blesa, glauben nicht mehr, dass die PP-Regierung sie schützen und vor langen Haftstrafen bewahren kann. Erstmals ist mit der PP sogar eine ganze Partei angeklagt. Ihr wird vorgeworfen, Beweise vernichtet zu haben. Festplatten von Bárcenas, auf denen sich viel belastendes Material befunden haben soll, wurden aus seinen Computern entfernt, etliche Male gelöscht, formatiert und anschließend auch mechanisch zerstört.
Durch die Vorgänge wird deutlich, dass sich in den vergangenen Jahren in Spanien viel verändert hat. Das stellt auch der spanische Präsident von Transparency International (TI) fest. So habe der Rechtsrahmen verschärft werden müssen, weil die Empörung im Land über die ausufernde Korruption immer größer wurde, erklärte er im Interview mit Telepolis: Korruption in Spanien: "Hoffnung auf Besserung". Jesús Lizcano hofft nun auf weitere Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung.