Spezielle Wahlaktion: Wie ich an Putins Wiederwahl teilnahm
Gut 87 Prozent sollen Putin gewählt haben. Unser Autor stimmte in Konsulat in Bonn ab. Was er erlebte und was er für sein Land befürchtet. Ein Erlebnisbericht.
Die Vorbereitungen für diese Wahlen hatten bereits im Jahr 2020 begonnen. Damals wurden Änderungen der russischen Verfassung verabschiedet, durch die Putins vorherige Amtszeiten für nicht relevant erklärt wurden. Er erhielt damit das Recht, sich zwei weitere Male für das Amt des Präsidenten zu bewerben.
Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die russischen Behörden davon ausgingen, dass die Wahlen unter den Bedingungen von Krieg und Sanktionen stattfinden würden. Und obwohl das Ergebnis der Abstimmung für jeden offensichtlich war, wurden diese Wahlen zum Stresstest für das russische System.
Das Rennen um den zweiten Platz
Die einzige Intrige, die bis heute anhält, betrifft die Frage, welcher von Putins "Rivalen" den zweiten Platz belegen wird. Die Vertreter der Parlamentsparteien durften an den Wahlen teilnehmen: Der Kommunist Nikolai Charitonow, der Vorsitzende der LDPR-Partei Leonid Sluzki und der einzige Befürworter von Friedensgesprächen und einem europäischen Weg für Russland, Wladislaw Dawankow.
Während des Wahlkampfs wagte es keiner von ihnen, sich gegen den derzeitigen russischen Präsidenten zu stellen.
Charitonow rief zum Kampf gegen den Kapitalismus auf.
Slutzi begründete seine Teilnahme an den Wahlen damit, dass er seine Partei zur zweitstärksten in Russland machen wolle.
Dawankow positionierte sich als Kandidat aus der Mittelschicht mit proeuropäischen Überzeugungen – seine Rolle bestand darin, Proteststimmen zu sammeln. Dies führte zu einer Spaltung der eigentlichen Opposition.
Mittagspause gegen Putin
Die systemkritische Opposition hingegen streitet anhaltend darüber, wie man dem Regime von Wladimir Putin richtig entgegentreten kann. Diese Wahl war da keine Ausnahme. Es war nicht möglich, sich bei diesen Wahlen auf eine gemeinsame Taktik zu einigen.
Einige riefen dazu auf, die Wahl zu boykottieren, andere dazu, den Stimmzettel zu verfälschen, indem sie zum Beispiel in allen Feldern ein Kreuz anbrachten und den Namen "Nawalny" in Erinnerung an den verstorbenen Führer der russischen Opposition schrieben.
Der Politiker Maxim Katz, der auf Youtube zwei Millionen Abonnenten hat, rief dazu auf, für Dawankow zu stimmen, da er der einzige Kandidat sei, der zu Friedensgesprächen aufrufe.
Was sagt die Wahl über den Friedenswillen?
Katz prognostizierte, dass Dawankow nicht gewinnen wird, aber das Ergebnis der Abstimmung für ihn könnte zeigen, wie viele Russen für eine Beendigung des Krieges sind. Für viele wardiese Aktion jedoch inakzeptabel, da Wladislaw Dawankow als Parlamentsabgeordneter für viele repressive Gesetze gestimmt hat.
Das Einzige, worauf sich die Oppositionspolitiker einigten, war eine Protestaktion am gestrigen 17. März um zwölf Uhr unter dem Motto "Mittag gegen Putin".
Zum ersten Mal werden die aktuellen Präsidentschaftswahlen innerhalb von drei Tagen und mit der Möglichkeit der Online-Wahl abgehalten. Nach der Idee von Maxim Resnik, einem ehemaligen Abgeordneten aus St. Petersburg, sollten alle, die gegen den Krieg und Putin sind, zur gleichen Zeit zu den Wahllokalen kommen und Schlangen bilden.
Erfolg von Oppositionsappell unklar
So solle verdeutlicht werden, wie viele Menschen mit dem Vorgehen der russischen Behörden nicht einverstanden sind. Alexej Nawalny gelang es, diese Initiative noch vor seinem Tod zu unterstützen, weshalb sie wahrscheinlich von einer Vielzahl von Oppositionskräften unterstützt wurde.
Es ist schwer zu beurteilen, ob diese Kampagne als Erfolg zu werten ist. Zumindest hat sie denjenigen, die demokratische Veränderungen für Russland wollen, das Gefühl gegeben, dass sie nicht allein sind.
In Moskau bildeten sich mittags in vielen Wahllokalen Warteschlangen, in St. Petersburg etwas weniger, aber schon in der Region Moskau konnten wir beobachten, dass die Wahlen wie üblich abgehalten wurden – ohne jegliche Warteschlangen.
Warteschlangen im Ausland
Dasselbe Bild ergab sich aus anderen Teilen Russlands, von Einzelfällen abgesehen. Außerhalb Russlands lagen die Dinge anders. Warteschlangen vor den Wahllokalen in den russischen Botschaften waren fast überall zu sehen, wo es eine Möglichkeit zur Stimmabgabe gab.
Die bemerkenswerteste Aktion fand in Berlin statt, wo Julia Nawalnaja und Michail Chodorkowski kamen, um sich mit ihren Anhängern zu treffen. Frau Nawalnaja besuchte sogar die russische Botschaft, wo sie nach eigenen Angaben den Namen ihres verstorbenen Mannes in den Stimmzettel eintrug.
Meine Wahl
Auch ich beschloss, von meinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch zu machen, und ging zur Stimmabgabe in das Wahllokal im russischen Konsulat in Bonn.
Am Eingang wartete eine riesige Schlange auf mich, in der ich etwa zwei Stunden verbrachte. Grund dafür waren die strengen Sicherheitsbestimmungen, wonach man das Botschaftsgelände nur mit einem Reisepass betreten durfte.
Alle Sachen mussten in den Lagerraum gebracht werden. Während ich wartete, verließen die Leute das Konsulatsgebäude mit St.-Georgs-Bändern – ein Symbol der Putin-Anhänger – und russischen Flaggen.
Putin-Anhänger dominieren
Das waren die meisten von ihnen. Viele trugen T-Shirts mit einem Porträt von Wladimir Putin. Gelegentlich fuhren Autos vorbei, aus denen der regierungsfreundliche Sänger Shaman und Putins Lieblingsband Lube ertönten.
Natürlich gab es auch Leute, die mit Plakaten für den Frieden eintraten, und manchmal fuhren Autos mit ukrainischen Flaggen und Anti-Putin-Slogans vorbei. Aber vor dem Hintergrund von Putins Anhängern waren sie fast unsichtbar.
Schöne Bilder für die Opposition
Man muss zugeben, dass Berlin, Belgrad, London, Istanbul und eine Reihe anderer Städte ein schönes Fernsehbild für die russische Opposition boten, aber nicht alle, die im Ausland Schlange standen, sind Gegner der derzeitigen Regierung.
Aber das Erschreckendste für mich war eine andere Beobachtung. Die Menschen, die Wähler mit gegenteiligen Ansichten bemerkten, sahen sich mit unverhohlenem Hass an. Das gilt übrigens auch für diejenigen, die Friedensparolen kundtaten.
Ja, der Krieg wird eines Tages enden, aber werden wir in der Lage sein, den Krieg in uns selbst zu beenden? Werden wir einen Weg zur zivilen Versöhnung finden? Ich habe darauf keine Antwort.
Wahlen unter Granatendonner
Die föderalen Fernsehsender zeigen die Wahlen als einen großen Feiertag und einen nationalen Karneval. In den Wahllokalen wird Musik gespielt, Künstler treten auf, und es werden Gewinnspiele veranstaltet, aber all dies geschieht vor dem Hintergrund beispielloser Angriffe aus der Ukraine auf russische Städte und Energieinfrastruktureinrichtungen.
An allen Wahltagen wurden Wohngebiete der Grenzstadt Belgorod beschossen, und Ölraffinerien in den Regionen Samara und Kaluga wurden von ukrainischen Drohnen getroffen. Ferner führte die Ukraine einen Sabotageangriff in Grenzdörfern durch und verwickelten sich in Gefechte in der Region Belgorod.
Parallel dazu setzte die russische Armee ihre Angriffe auf ukrainisches Territorium fort, wie der schreckliche Angriff am 15. März, bei dem 16 Zivilisten in Odessa ums Leben kamen.
Russische Medien schreiben der Ukraine auch die Organisation von Angriffen auf Wahllokale in ganz Russland zu. Jeden Tag wurden in verschiedenen Teilen des Landes Wahlkabinen in Brand gesetzt oder es wurde versucht, grüne Farbe in die Wahlurnen zu schütten.
Fast alle, die wegen dieser Straftat festgenommen wurden, versuchten nicht zu fliehen und waren sogar von der Festnahme überrascht. Bei ihrer Aussage bei der Polizei berichteten sie, dass Betrüger ihr Geld von Bankkonten abgezogen hatten und sie für die Rückgabe des Geldes diese Straftat begehen mussten. Bei den Inhaftierten handelt es sich im Wesentlichen um ältere Menschen.
Russland vor Putins fünfter Amtszeit
Die Wahlergebnisse waren keine Überraschung. Wladimir Putin erhält mehr als 87 Prozent der russischen Stimmen. Ohne das offizielle Wahlergebnis abzuwarten, sprach er zu seinen Anhängern und der Presse.
Der russische Präsident sprach viel über den Krieg und die Möglichkeit von Friedensgesprächen. Er sprach auch über die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts mit der Nato und betonte, dass niemand dies wolle. Eine solche Entwicklung würde den Beginn des dritten Weltkriegs bedeuten.
Putin zu Sabotage und Nawalny
Putin erwähnte Sabotageangriffe an der russisch-ukrainischen Grenze und ließ das Problem des Beschusses von Grenzstädten nicht unerwähnt, wobei er der Ukraine drohte, eine "Pufferzone" an der gemeinsamen Grenze zu schaffen, die frei von ihren Streitkräften sei.
Der wiedergewählte Präsident sprach auch über die Personalpolitik und erinnerte an die Hauptthesen seiner Botschaft an das Parlament, dass neue Führungskräfte aus den Reihen der Kriegsteilnehmer rekrutiert werden sollten.
In vielerlei Hinsicht wiederholte er diese Botschaft. Aber die größte Sensation für das russische Publikum war, dass Wladimir Putin Alexej Nawalny zum ersten Mal beim Namen nannte.
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