Spiel, Satz und Sex
"Challengers – Rivalen": Ohne Scheu vor Überschwang – Luca Guadagnino fordert das Mainstream-Kino heraus. Er sprengt Normen.
Tashi Duncan ist eine vielversprechende junge Tennisspielerin, die viel zu früh eine schwere Knieverletzung erleidet, die sie dazu verurteilt, ihre Karriere zu beenden und als Tennistrainerin zu arbeiten.
Kurz vor ihrer Verletzung hatte sie zwei junge Männer kennengelernt, Art Donaldson und Patrick Zweig, zwei weitere Jung-Profis, die sich seit ihrer Kindheit aus dem Tennis-Internat kennen.
Emotionale Dreifach-Krise
Mit den Jahren wird aus Donaldson ein berühmter Tennisspieler, Zweig dagegen verliert sich und gerät langsam in Vergessenheit.
Die Rivalität der Männer auf dem Tennisplatz ist auch eine innere und eine um die Gunst der jungen Frau. Zu Anfang spielt die ehrgeizige und vielleicht ein bisschen gestörte Tashi einfach mit ihnen, dann ist sie mit Patrick liiert, bevor sie sich Art zuwendet und ein Kind mit ihm bekommt.
Der Kern der Story von "Challengers" ist daher die emotionale Dreifach-Krise von drei jungen Menschen: In deren Zentrum steht Tashi, die einerseits die beiden Männer wechselseitig unter Druck setzt, zugleich sich selbst nicht zwischen ihnen, zwischen Liebe und Begehren entscheiden kann.
Subjektive Kameraaufnahmen – auch mal aus der Sicht des Balles
Regisseur Luca Guadagnino erzählt all dies in einer labyrinthischen Abfolge von Rück- und Vorausblenden, die manchmal schwindelerregend schnell und virtuos ist. "Challengers" ist nicht zuletzt ein herausragendes visuelles Erlebnis: Videoclip-Pirouetten und subjektive Kameraaufnahmen – auch mal aus der Sicht des Balles – lösen einander ab.
Aber schnell erhält der Film einen ganz zweifellos vom Regisseur angestrebten emotionalen Sogeffekt, der sich mit der Zeit immer weiter verstärkt.
Unverhohlenen erotische Verführungsabsicht
Der Italiener Luca Guadagnino (geb. 1971) gehört seit längerem zu den herausragenden Regisseuren des Gegenwartskinos. Seit den Neunziger-Jahren macht er bereits Filme; mit der nostalgischen Romanze "Call Me By Your Name" begeisterte er 2017 ein weltweites Publikum und erlebte seinen Durchbruch in der internationalen Wahrnehmung.
Es folgten das unterschätzte Dario-Argento-Pastiche "Suspiria" und das zärtliche Kannibalendrama "Bones and All", mit dem er 2022 beim Festival in Venedig triumphierte und einen Silbernen Löwe für Beste Regie gewann.
Aber auch im Serienkosmos reüssierte Guadagnino mit "We are who we are" über den Mikrokosmos eines US-Militärstützpunktes in Italien, der mitten in der Pandemie in San Sebastian geschaffen wurde.
Jetzt ist der experimentierfreudige Autorenfilmer ein neues Wagnis eingegangen und verbindet in seinem neuen Film das Genre des Sportfilms mit dem Melodram und Coming-of-Age-Momenten, die vor allem in ihrer andauernden und unverhohlenen erotischen Verführungsabsicht einem Indie-Film der Neunziger-Jahre zu entstammen scheinen.
Besetzt mit Superstar Zendaya ("Dune"), Josh O’Connor ("The Crown") und Newcomer Mike Faist ("West Side Story") ist dies einer der sexuell fluidesten, freizügigsten und "unpuritanischsten" US-Filme seit Jahren.
Sex, Humanismus, Stilwille
Noch Grundsätzlicheres wird hier deutlich: Luca Guadagninos besondere Liebe zum Kino von Bernardo Bertolucci ("1900"; "Der letzte Kaiser"), dem späten Kind des italienischen Neorealismus, den der Regisseur in seiner Jugend persönlich kennenlernte, und dem er 2013 einen Dokumentarfilm in Form eines auf Archivmaterial basierenden Essays widmen sollte: "Bertolucci über Bertolucci".
Ebenso deutlich wird auch Guadagninos Distanz – und Verachtung – für das zeitgenössische Kino und seinen Zustand erkennbar. Denn das Gegenwartskino zeigt keinerlei Interesse an drei grundlegenden Interessen der künstlerischen Produktion des Italieners: Sex, Humanismus, Stilwille.
Die Angst des Gegenwartskinos
Sex und Erotik werden vom Mainstream- wie Independent-Kino weitgehend ignoriert; seht man eimal von den Gelüsten vernachlässigter Hausfrauen und Pubertätsphantasien ab. Denn davor hat der vom puritanischen Zeitgeist durchsogene Mainstream einfach nur Angst. Angst vor Sex, vor der Sexualität Erwachsener und vor dem Erwachsensein im Allgemeinen.
Vor Widersprüchen und allem, was moralisch leicht anrüchig sein könnte. Die Paradoxien des Menschlichen versteht der Mainstream nicht und will sie nicht verstehen. Darum verachtet die Gegenwart unvollkommene und zweideutige Charaktere. Stattdessen ersetzt er Komplexitäten durch platte Eindimensionalität und dumpfen psychologischen Determinismus.
Erst recht, wenn Filme über einem bestimmten Budgetniveau liegen. Dann siegen Infantlität und "Sensibilität", und der gesamten Produktionsprozess wird dem Gedanken darüber untergeordnet, wer von irgendetwas in diesem Film verletzt sein könnte, und was das, das auf dem Bildschirm passiert, mit irgendeiner Minderheit "macht", was es in einer Familie mit kleinen Kindern oder zwischen einem älteren Elternteil und dem heranwachsenen Kind, die zusammen den Film sehen, möglicherweise an leichten Beschwerden hervorrufen könnte.
Es ist eine Schande!
Und Stilbewusstsein, Formwille, und ein genauer Blick für die Ästhetik der Filme gelten als elitär und schwierig. Es ist eine Schande!
Luca Guadagnino zeigt, wie falsch das alles ist. Der Regisseur schöpft auch hier aus der Inspiration durch seinen Mentor Bertolucci, und hat keine Scheu vor sinnlichem Überschwang.
Ihn interessieren zwar Freizügigkeit und Fetischismus, aber weniger in Form von schwitzenden nackten Körpern als in der der Leidenschaft, die Liebende dazu bringt, widersprüchliche und dumme Entscheidungen zu treffen.
Kino ist Verführung. Kino ist "Style as Substance". Kino ist Fetischismus
Entgegen allen anders laufenden Behauptungen geht es im Kino letztendlich nie um gute Geschichten. Und es geht nie darum, dass ein Stoff bedeutungsvoll und/oder "relevant" ist.
Es geht einzig und allein um das Wie: um die Form und die Haltung und den Stil und die Ästhetik. Es ist vollkommen egal, was für eine Geschichte erzählt wird, wenn sie gut erzählt wird. Und es ist vollkommen egal, was für eine politische oder weltanschauliche Position ein Regisseur hat, wenn er ein guter Regisseur ist.
Und Guadagnino ist ein guter Regisseur. Mit "Mut zum Pathos" (so treffend Wolfgang Höbel im Spiegel) belegt der Italiener: Kino ist Verführung. Kino ist "Style as Substance". Kino ist Fetischismus.
"Challengers" ist ein Statement gegen Biederkeit und Achtsamkeitsmoral. Er ist in seinem anti-bourgoisen Grundton eine offene Bertolucci-Hommage. Man könnte den Film auch als Version von Bertoluccis "Dreamers" (2003) auf dem Tennisplatz beschreiben.
Die nostalgisch beschworene Epoche wären dann die Neunziger und die Nullerjahre, von denen der Film musikalisch durchtränkt ist.
Spott über Hollywoods hirnlos-trashige Sportfilme
Stillschweigend spottet "Challengers" auch über Hollywoods hirnlos-trashige Sportfilme und die kindisch-mittelmäßigen Heldenreisen eines US-Durchschnittsdramas, die in den immer gleichen verlogenen Happy-Ends münden, und konzentriert sich auf die weniger leuchtenden Randphänomene und humanen Schattenseiten der Sportler-Heldengeschichten: Verletzungen, finanzielle Sorgen, zerstörte Freundschaft, die heuchlerische Öffentlichkeit, Ehrgeiz, Alter und private Verletzlichkeit.
Die Akteure unseres sportlichen Gladiatorenspektakels tragen ein Verfallsdatum auf der Stirn. Man muss sich dafür nur Rafael Nadal oder Thomas Müller anschauen.
Im Kino wird das kaum gezeigt. Und wenn doch, dann werden diese Schattenseiten konsequent privatisiert.
Liebe ist der Agent des Kapitalismus und Optimierungsdenkens
Sehr gut ist das ablesbar an den wohl besten Tennis-Spielfilmen, die das Kino bislang hervorgebracht hat: Vor genau 20 Jahren kam "Wimbledon" in die Kinos, mit Kirsten Dunst und Paul Bettany oder an den britischen Klassiker School for Scoundrels von 1960, in dem Ian Carmichael und Terry-Thomas in einer berühmten Tennisszene versuchen, Janette Scott zu beeindrucken.
Gegen die kapitalistische Wettbewerbskultur
Guadagnino hingegen zielt auf Grundsätzlicheres: Auf unsere kapitalistische Wettbewerbskultur, die nicht auf den Sport beschränkt ist, sondern das ganze Leben durchzogen hat. Und in der auch Liebe und Sex käufliche Güter sind.
Zugleich schlägt der Film in seinen letzten Sekunden eine kollektive Versöhnung vor: ein wiederkehrendes Merkmal von Guadagninos Repertoire und seinem gemäßigten Fatalismus.
Dies verstärkt das erzählerische Ziel, zu betonen, dass das gegenseitige Wissen und die gemeinsame Geschichte in den verflochtenen Beziehungen der Menschen viel schwerer wiegen als die Traumata, der Hass und die fortschreitende Entfremdung, die mit dem Fluss des Lebens oder der alltäglichen Arbeit entstehen ...
Das Ergebnis ist ein fehlerloser, ganz herausragender Gegenwartsfilm: exzellent unterhaltend, und – ja: sexy.