Spionage-Affäre: Grossbritannien will Internet im Namen der nationalen Sicherheit kontrollieren
Weitere Agentennamen bekannt geworden; Nachrichtendienst hat noch nie von Usenet gehört
Nach den Auseinandersetzungen, welche die Veröffentlichung der Namen von 115 britischen Agenten im Internet auslöste, sagen die Zensurstellen für die britische nationale Sicherheit, daß sie erwägen, sogenannte "D Notices" an Internet Provider, Zeitungsherausgeber und Fernsehstationen herauszugeben.
Die Warnung kam letzte Woche, nachdem eine weitere Website, die mit dem umstrittenen Geschäftsmann Mohamed al-Fayed in Verbindung gebracht wird, den Namen eines britischen Spions veröffentlichte, der in der Balkanregion aktiv ist. Die erste Liste, von der angenommen wird, dass sie der verärgerte Ex-MI6-Agent Richard Tomlinson zusammengestellt hat, war vor drei Wochen in den USA von der "Executive Intelligence Review" (EIR) herausgegeben worden.
EIR verband die Liste mit Behauptungen, wonach MI6 (auch unter der Bezeichnung SIS bekannt) daran beteiligt war, den Tod von Prinzessin Diana und Herrn Al Fayeds Sohn Dodi zu planen. Auf Anfrage der britischen Regierung waren diese Seiten wieder entfernt worden, sind aber auf Mirror-Sites immer noch zugänglich. mirrors.
Der neue Agentenname erschien auf einer Web-site des Kaufhauses Harrods in London, das Herrn Al Fayed gehört. Das Verteidigungsministerium behauptete, "es ist möglich, daß seine Kontakte, die dort [am Balkan] immer noch aktiv sind, identifiziert und damit gefähret werden könnten". Auf der Website stand zu lesen, daß er an "einer gefährlichen Kampagne beteiligt gewesen sei, um den Namen von Herrn Al Fayed anzuschwärzen und seinen Ruf zu zerstören".
Die britische Ankündigung zeigt, daß die Sicherheitsbehörden des Landes den Anschluß an die zeitgenössischen Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Internet verschlafen haben. Das System der "D Notices" beruhte bisher auf der Loyalität der Zeitungsherausgeber, keine Information herauszugeben, welche die Regierung in Verlegenheit bringen kann. Dazu zählten zum Beispiel der Bau eines geheimen Tunnelnetzwerks unter London, das Abspringen von Spionen und das Ausmaß der Telephonüberwachung.
Die britische Regierung scheint sich allerdings keine Gedanken darüber gemacht zu haben, wie ein solches System im Internet funktionieren könnte, wo sich Nutzer ebenso wie Provider in verschiedenen Ländern befinden können. Insbesondere wenn Informationen in Newsgroups gepostet werden, verbreiten sie sich schnell um die ganze Welt. Genau das geschah auch mit den Namen der MI6-Namen.
In der Nacht bevor der erste Zensur-Aufruf herausgegeben worden war, am 12. Mai, war die Liste bereits von der Web-site des "Executive Intelligence Review" auf drei Newsgroups im Usenet weitergeleitet worden. Um 9.00 Uhr am selben Abend befand sich die Liste auf News-Servern auf der ganzen Welt, inklusive China, Russland und Jugoslawien. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß diese Länder dem britischen Aufruf, diese Informationen wieder zu löschen, Folge leisten würden.
Obwohl dem so ist, haben die Beamten der Abteilung, die für den Zensur-Aufruf verantwortlich ist, noch nie vom Usenet gehört. "Was ist das?", fragten sie.
Genausowenig haben britische Behörden vermocht, eine Web-site in der Schweiz davon abzuhalten, Details über neun MI6 Agenten herauszugeben, von denen Tomlinson behauptet, daß sie in ein Mordkomplott gegen Slobodan Milosevic verwickelt waren. Auf der Site befindet sich eine Kopie eines Dossiers, das Tomlinson an seinen Anwalt in London geschickt hatte. Eine andere Datei auf der selben Site entlarvt einen gutbezahlten, hochrangigen britischen Spion innerhalb der Deutschen Bundesbank - sein Codename ist "Orcada". Dieser war Teil eines britischen Spionageprojekts gegen europäische Partnerländer unter der Bezeichnung "Jetstream". Der Text enthält Details über die Vorgehensweisen des Agenten, dessen Aktivitäten vor den deutschen Nachrichtendiensten geheim gehalten werden mussten.
In dem Dossier schreibt Tomlinson:
"Spionageaktivitäten gegenüber unseren europäischen Partnern wird innerhalb des MI6 als höchstsensibles Thema gehandhabt, da den Beamten klar ist, daß diese nach europäischem Recht illegal sind".
Trotz der ganzen Auseinandersetzung sind diese Informationen immer noch im Web.